Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.
Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Priv.-Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Peter Karlberger und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Ing. H***** F*****, vertreten durch B & S Böhmdorfer Schender Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 1.000 EUR), 6.034,04 EUR sA und Feststellung (Streitwert 500 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 13. Juni 2018, GZ 21 R 56/18w-39, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Tulln vom 5. Jänner 2018, GZ 1 C 1204/16f-35, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Ersturteil, soweit es im Umfang der Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens und des Feststellungsbegehrens mangels Anfechtung nicht bereits in Rechtskraft erwachsen ist, sowie das Berufungsurteil werden aufgehoben und die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger ist ein privater Verein. Er erwirkte eine rechtskräftige Baubewilligung zur Errichtung eines buddhistischen Sakralbaus (Stupa). Mit dem Eigentümer der Bauliegenschaft besteht eine Vereinbarung, dass der Stupa auf dessen Grundstück errichtet werden darf und soll.
Der Beklagte ist Gründer, Sprecher und Organisator der Initiative „Rettet den Wagram“, die als Gegner des Projekts betreffend die Errichtung eines Stupa am geplanten Grundstück vielseitig medial auftrat und gegen die Baubewilligung demonstrierte. Er hat eine Homepage eingerichtet und sich für deren Inhalt verantwortlich gezeichnet, Postwurfsendungen ausgegeben, die örtliche Bevölkerung, Behörden und Medien informiert sowie Demonstrationen angemeldet und veranstaltet. Nach wie vor steht der Beklagte als Vertreter der Bürgerinitiative im Zusammenhang mit der Forderung nach einem Baustopp des Gebäudes und vertritt diese Forderung in diversen Medien und Foren.
Die Vorinstanzen gingen von folgenden wesentlichen Feststellungen aus:
„Aufgrund der seit 6. 10. 2015 rechtskräftigen Baubewilligung erfolgte am 21. 3. 2016 der Spatenstich. Dieser wurde von lauter Musik bzw Gepfeife übertönt, weiters beeinträchtigten Traktoren und Gülle-Fahrzeuge die Feierlichkeiten. Dies geschah unter der Leitung des Beklagten.
Im Zeitraum vom 16. 6. 2016 bis 29. 6. 2016 versuchte das beauftragte Bauunternehmen, Erdarbeiten für den Kläger zu verrichten. Bereits am 16. 6. 2016 wurden die Baufahrzeuge an der Zufahrt gehindert, weil Demonstranten der Bürgerinitiative 'Rettet den Wagram' die Zufahrtsstraße blockierten. Auch jeden weiteren Tag erwarteten die Demonstrationsteilnehmer der Bürgerinitiative die Baufahrzeuge und hinderten diese bewusst an der Zufahrt über die Gemeindewege. Dabei wurde vor dem LKW ein Transparent aufgestellt und Aktivisten standen (auch mit ihren Kindern) auf dem etwa drei Meter breiten und von Weingärten gesäumten Güterweg. Auf anderen Wegen konnten die Lastwägen nicht zur beabsichtigten Baustelle zufahren. Für den Versuch der Durchführung der Bauarbeiten stellte das Bauunternehmen dem Kläger ein Entgelt in Höhe von 4.935,30 EUR in Rechnung.
Bereits im Vorfeld hatte der Beklagte an 30 bis 70 Tagen jeweils von 6:00 Uhr morgens bis 22:00 Uhr abends Demonstrationen angemeldet. Zwar war bereits abzusehen, dass es bei Baubeginn Schwierigkeiten mit Anhängern der Bürgerinitiative des Beklagten geben würde und man versuchte überdies, den Baubeginn geheim zu halten, doch das genaue Ausmaß des Widerstandes war nicht abzuschätzen.
Der Beklagte war ab dem 21. 6. 2016 regelmäßig selbst vor Ort.
Am 24. 6. 2016 versammelten sich etwa 40 Personen auf der Zufahrtsstraße und blockierten die Zufahrt zum Bauplatz für Lastwägen des Bauunternehmens. Mehrere Personen saßen dabei auf dem Boden und demonstrierten, auch der Beklagte war an dieser Protestaktion beteiligt, die etwa vier Stunden dauerte und sich schließlich friedlich auflöste.
Mit Schreiben vom 29. 6. 2016 forderten die damaligen Rechtsanwälte des Klägers den Beklagten auf, die Behinderung der Zufahrt zur Baustelle in Hinkunft zu unterlassen und für den entstandenen Schaden einzustehen.
Am 3. 10. 2016 unternahm das beauftragte Bauunternehmen einen neuerlichen Versuch, mit dem Bau des Stupa zu beginnen. Es stellten sich jedoch erneut etwa 20 bis 30 der Bürgerinitiative zuzurechnende Personen auf die Zufahrtsstraße und blockierten diese unter Einsatz ihres Körpers, wobei es sogar zu einer zwangsweisen Entfernung und Festnahme kam. Bei diesem Vorfall war der Beklagte anwesend. Die Demonstration fand im Zusammenspiel mit Teilnehmern einer stillstehenden 'Prozession' – also Personen, die sich 'mit Kruzifix und Gotteslob' im Bereich der Baustelle bewegten – statt, wobei sich einige Anhänger der Bürgerinitiative an diesem Tag im Rahmen dieser 'Prozession' an der Blockade beteiligten. Ob auch die 'Prozession' organisatorisch der Bürgerinitiative zuzurechnen ist bzw ob der Beklagte auch deren Handeln maßgeblich beeinflusste, konnte nicht festgestellt werden. Durch diese Blockade entstanden durch Stehzeiten des Bauunternehmens Kosten in Höhe von 1.098,74 EUR.
Schließlich wurde mit den Erdaushubarbeiten begonnen, in weiterer Folge erfolgten seitdem durch Angehörige der Bürgerinitiative immer wieder kleinere Störungen wie etwa Blockaden durch kleinere Gegenstände oder umgeworfene Tafeln, wenn Bauarbeiten durchgeführt wurden.
Der Beklagte hat die durch sein Verhalten entstandenen Schäden bewusst in Kauf genommen.“
Der Kläger begehrte die Verpflichtung des Beklagten zur Unterlassung „aller weiteren unrechtmäßigen Handlungen wie das Abstellen von Fahrzeugen auf der [näher beschriebenen] Zufahrtstraße […] oder die Belagerung der Zufahrstraße […] durch den Beklagten oder ähnliche Maßnahmen zwecks Hinderung von Baufahrzeugen am Zufahren zur Baustelle [...]“ sowie zum Ersatz der frustrierten Kosten. Zudem stellte er ein in erster Instanz rechtskräftig abgewiesenes Feststellungsbegehren.
Der Beklagte wendete im Wesentlichen ein, es gehe ihm nur um die Aufdeckung von Ungereimtheiten bei der Genehmigung des Baus im Grünland und um die Verhinderung der Zerstörung schützenswerter Natur und Tierarten. Er berief sich auf das Grundrecht der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit nach Art 11 EMRK und Art 12 StGG.
Das Erstgericht gab der Klage mit Ausnahme des Feststellungsbegehrens statt. Der Beklagte habe das Versammlungsrecht missbraucht, um den Kläger rechtswidrig zu schädigen. Die wiederholten Blockaden der Zufahrtsstraße hätten auf eine dauerhafte Behinderung abgezielt, die dazu geeignet sei, Vermögensschäden herbeizuführen. Das Verhalten des Beklagten sei daher rechtswidrig gewesen. Die durch sein rechtswidriges Verhalten entstandenen Schäden habe der Beklagte bewusst in Kauf genommen, weshalb Verschulden durch bedingten Vorsatz vorliege. Der Beklagte habe damit rechnen müssen und auch damit gerechnet, dass durch die Blockaden erhebliche Kosten auf Seiten des Klägers entstünden.
Das Berufungsgericht wies die Klage zur Gänze ab. Der Kläger begehre den Ersatz reiner Vermögensschäden, er habe sich jedoch nicht auf eine sittenwidrige Schädigung iSv § 1295 Abs 2 ABGB berufen. Die Behauptung allein, die Behinderung der Zufahrt sei rechtswidrig erfolgt, vermöge nicht den Vorwurf einer sittenwidrigen Schädigung zu begründen. § 2 Abs 1 VersG sei ein Schutzgesetz im Sinn des § 1311 ABGB; dessen Zweck sei es auch, Dritte vor Schaden zu bewahren, sodass bei Unterlassung der erforderlichen Anzeige gegenüber der zuständigen Behörde die Abhaltung einer Demonstration als rechtswidrig anzusehen sei und damit auch die vom Liegenschaftseigentümer beauftragte Baufirma den dadurch verursachten frustrierten Aufwand etwa vom bei der Blockade anwesenden Initiator der Bürgerinitiative verlangen könnte. Die Versammlungsfreiheit finde dort ihre Schranken, wo durch eine unangemeldete Versammlung in die Privatrechtsspähre Dritter eingegriffen werde. Im klagsgegenständlichen Zeitraum müssten Versammlungen 24 Stunden vor deren Beginn angezeigt werden. Dass die Anmeldungen der auf öffentlichen Gemeindewegen abgehaltenen Demonstrationen im Juni 2016 verspätet gewesen wären, habe der Kläger nicht behauptet und ergebe sich auch nicht aus dem Sachverhalt. Dass die Demonstration am 3. 10. 2016 bereits am 30. 9. 2016 (und somit ebenfalls rechtzeitig) angemeldet worden sei, ergebe sich aus einer unstrittigen Urkunde. Eine behördliche Untersagung oder gar Auflösung der vom Beklagten angemeldeten Demonstrationen sei nicht festgestellt worden. Auf die Verletzung eines Schutzgesetzes (hier des § 2 Abs 1 VersG) könne sich der Kläger daher nicht berufen. Auch liege kein Eingriff in ein absolut geschütztes Recht des Klägers vor; er habe auch keinen Rechtsbesitz behauptet. Aus der bloßen Baubewilligung lasse sich keine über ein Prekarium hinausgehende Verfügungsberechtigung über das im Eigentum eines Dritten stehende Baugrundstück ableiten, damit werde keine gegen Dritte schützenswerte Rechtsposition behauptet. Die ordentliche Revision sei zur Frage zulässig, ob bereits die rechtskräftige Baubewilligung als taugliche Anspruchsgrundlage in Frage komme.
Der Kläger beantragt mit seiner Revision, der Klage stattzugeben, der Beklagte beantragt mit seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.
Die Revision ist zur Klärung der Rechtslage zulässig und im Sinne des in eventu gestellten Aufhebungsbegehrens berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1.1. Der Kläger begehrt den Ersatz reiner Vermögensschäden. Bloße (reine oder primäre) Vermögensschäden sind nachteilige Veränderungen im Vermögen des Geschädigten, die ohne Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts eintreten. Im deliktischen Bereich genießen derartige Vermögensschäden keinen umfassenden Schutz, sie sind vielmehr nur unter besonderen Voraussetzungen auszugleichen. Ein derartiger Schadenersatzanspruch ist – abgesehen vom Anwendungsbereich spezieller Bestimmungen (insbesondere dem UWG) – dann denkbar, wenn ein Schutzgesetz verletzt wurde, das auch den Schutz des bloßen Vermögens bezweckt, wenn der Vermögensschaden die Folge der Verletzung eines absolut geschützten Guts ist oder wenn eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung iSd § 1295 Abs 2 ABGB vorliegt (4 Ob 158/17i mwN; RS0016754; RS0023122 [T2]; RS0022813 [T4, T5]). Für eine sittenwidrige Schädigung im Sinn des § 1295 ABGB ist nicht erforderlich, dass die Schädigungsabsicht einziger Grund der Rechtsausübung ist. Es reicht aus, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein ganz krasses Missverhältnis besteht (RS0026265). Absicht und Sittenwidrigkeit sind gesonderte Tatbestandsmerkmale. Für absichtliches Handeln iSd § 1295 Abs 2 ABGB genügt nach der Rechtsprechung im Allgemeinen bedingter Vorsatz (RS0026603). Der Vorsatz muss sich sowohl auf den herbeigeführten Schaden als auch auf die dem Sittenwidrigkeitsurteil zugrunde liegenden Tatsachen erstrecken, die dem Schädiger bekannt gewesen sein mussten.
1.2.1. In der Entscheidung 3 Ob 501/94, die ebenfalls Demonstrationsschäden zum Gegenstand hatte, wurde ausgesprochen, dass eine Versammlung, die eine unerwünschte Tätigkeit verhindern will und dabei in absolut geschützte Rechte Dritter eingreift, durch subjektive öffentliche im Verfassungsrang stehende Rechte der Teilnehmer nicht geschützt ist. Die Versammlungsfreiheit ist kein Rechtfertigungsgrund für Rechtsverletzungen. Das verfassungsrechtlich geschützte Versammlungsrecht findet dort seine Schranken, wo durch die Versammlung in die Privatrechtssphäre Dritter eingegriffen wird. Die dem Dritten zustehenden privaten Rechtsbehelfe können grundsätzlich nicht unter Berufung auf das verfassungsmäßig gewährleistete Versammlungsrecht gemindert oder sogar aufgehoben werden. Solche Eingriffe führen eo ipso zur Unfriedlichkeit der Versammlung, sodass jede Gewaltanwendung gegen Personen oder Sachen rechtswidrig bleibt.
1.2.2. Die Entscheidung 6 Ob 201/98x hielt zum Anspruchsgrund des § 1295 Abs 2 ABGB im Zusammenhang mit Demonstrationsschäden fest, dass der Schädigungszweck offenbar sein muss. Es kommt darauf an, ob der Schädigungszweck so augenscheinlich im Vordergrund steht, dass die anderen Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten, dass also zwischen dem vom Rechtsausübenden verfolgten eigenen Interesse und den damit beeinträchtigten Interessen des anderen ein krasses Missverhältnis besteht. Rechtsmissbrauch liegt nur dann vor, wenn das unlautere Motiv (Schädigungsabsicht) das lautere eindeutig überwiegt.
1.2.3. Zu 7 Ob 49/98a (einem weiteren Demonstrationsschadensfall) wurde die Haftung der Demonstranten grundsätzlich auch dann bejaht, wenn der Kläger nicht Eigentümer der gesamten Liegenschaft ist, sondern einen Teil davon bloß in Bestand genommen hat.
1.3. Eine Haftung ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn die Handlung des Beklagten auf diese Beeinträchtigung geradezu abgezielt hat. Was in den genannten Entscheidungen durchwegs für die Verletzung des Eigentumsrechts durch (Baustellen-)Blockaden (auch hier liegt eine solche vor) ausgesprochen wurde, gilt auch für den in seinem sonstigen Vermögen Geschädigten (vgl Zeiringer, Demonstrations-schäden 126 mwN; RS0037057).
1.4. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass im Fall vorsätzlicher Schadenszufügung der bewusste Missbrauch des Versammlungsrechts eine sittenwidrige Schädigung begründen kann (vgl RS0026601 [T3]; Rummel, Wettbewerb durch Umweltschutz?, RZ 1993, 34), und zwar auch dann, wenn kein absolutes Recht verletzt wird.
1.6.1. Dem Berufungsgericht ist nicht darin beizupflichten, dass sich der Kläger nicht auf diese Anspruchsgrundlage gestützt habe.
1.6.2. Maßgebend für den Entscheidungsspielraum des Gerichts ist der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt; eine unrichtige rechtliche Qualifikation wirkt sich nicht zum Nachteil des Klägers aus, wenn er alle anspruchsbegründenden Tatsachen vorgetragen und unter Beweis gestellt hat (vgl RS0037610 [T37]). Eine Änderung der rechtlichen Argumentation einer Partei beziehungsweise die Geltendmachung eines neuen Gesichtspunkts bei der rechtlichen Beurteilung ist auch im Rechtsmittelverfahren zulässig, sofern die hierzu erforderlichen Tatsachen bereits im Verfahren erster Instanz behauptet oder festgestellt wurden (RS0016473). Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung insbesondere für die Frage der Sittenwidrigkeit (RS0016473 [T3]; 3 Ob 49/02f mwN).
1.6.3. Der Kläger hat im Verfahren erster Instanz mehrfach vorgebracht, der Beklagte habe absichtlich und rechtswidrig eine Blockade mit dem geplanten Ziel errichtet (errichten lassen), die Zufahrt von Baufahrzeugen und damit den Bau des Stupa zu behindern bzw ganz zu verhindern. Die Feststellung des Erstgerichts zum Schädigungsvorsatz des Beklagten findet in diesem Vorbringen Deckung und ist daher nicht deswegen als „überschießende Feststellung“ unbeachtlich (vgl RS0040318), weil der Kläger nicht ausdrücklich das Wort „sittenwidrig“ verwendet hat.
2.1. Fraglich ist allerdings nach den bisherigen Feststellungen, ob dem Beklagten ein derartiger Missbrauch des Versammlungsrechts vorzuwerfen ist.
2.1.1. Dieses Grundrecht steht nicht schrankenlos zu. Wiederholt hat der Oberste Gerichtshof daher ausgesprochen, dass Baustellenblockaden, wenn sie eine gewisse Dauer und Schwere der Beeinträchtigung erreichen, nicht mehr als friedliche Versammlung anzusehen sind und Schadenersatzansprüche begründen können (3 Ob 501/94; 1 Ob 152/97b; 6 Ob 201/98x; 7 Ob 49/98a).
2.1.2. Das fügt sich auch in die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR).
Mit Urteil vom 15. 10. 2015, 37553/05, Kudrevicius/Litauen, verneinte die große Kammer des EGMR einen ungerechtfertigten Eingriff in das Recht nach Art 11 EMRK bei Strafurteilen gegen Demonstranten, die mehrere Autobahnen blockiert hatten. Unter Verweis auf Vorentscheidungen führte der EGMR aus, dass die vorsätzliche Störung rechtmäßiger Tätigkeiten anderer in einem wesentlich größeren Ausmaß, als es normalerweise mit Demonstrationen im öffentlichen Raum verbunden ist, eine „verwerfliche Handlung“ ist, die Sanktionen einschließlich Strafen rechtfertigen kann (Rn 173). Auch nach der Rechtsprechung des EGMR berechtigt das Versammlungsrecht also nicht dazu, andere vorsätzlich bei der Ausübung ihrer rechtmäßigen Tätigkeit durch qualifizierte Behinderungen zu stören.
2.2. Der Beklagte hat die Versammlungen angezeigt. Jene für 3.-7., 10.-14., 17.-21. und 24.-28. 10. 2016, jeweils von 6:00 Uhr bis 22:00 Uhr, sowie für 8., 15., 22. und 29. 10. 2016, jeweils 6:00 Uhr bis 15:00 Uhr, auf den Gemeindeparzellen im Umfeld des Bauplatzes, wurde als „dynamische Demonstration“ bezeichnet, wobei angekündigt wurde, dass ca 30 bis 40 Personen mit Traktoren, Anhängern und landwirtschaftlichen Geräten demonstrieren werden (Beilage ./29). Die Demonstrationen wurden von der Behörde weder im Vorfeld untersagt (§ 6 VersG) noch aufgelöst (§ 13 VersG). Für die gegenteilige Behauptung der Revision finden sich im Sachverhalt keine Anhaltspunkte. Dass ein Demonstrant festgenommen wurde, bedeutet nicht, dass die Versammlung selbst als aufgelöst galt.
Daraus lässt sich allerdings nur die öffentlich-rechtliche Zulässigkeit ableiten. Für die Frage, ob die Demonstration aufgrund der konkreten Art und Weise ihrer tatsächlichen Durchführung „friedlich“ oder „unfriedlich“ war, lässt sich daraus nichts gewinnen. Die bloße Nichtuntersagung der Versammlung im Vorfeld entfaltet für diese Frage ebensowenig Bindungswirkung (vgl VfGH B 1161/09 [zum Vereinsrecht]) wie die unterbliebene Auflösung der Versammlung, liegt doch in der bloßen Untätigkeit einer Behörde kein (positiver Feststellungs-)Bescheid über die materielle Zulässigkeit (vgl RS0014179; RS0112634 [T1]).
2.3. Nach Harrer/Wagner (in Schwimann/Kodek4, § 1302 Rz 62) kommt bei angezeigten Versammlungen nur bei zu Recht ausgesprochener Untersagung ein Schadenersatzanspruch Dritter für Nutzungsbeschränkungen in Betracht. Dem ist zwar im Allgemeinen zuzustimmen, jedoch kann dies nicht für jene Fälle gelten, in denen das unlautere Motiv der Demonstranten das lautere eindeutig überwiegt und dieser offenbare Schädigungszweck vom Vorsatz umfasst ist. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn die Schädigung durch Behinderung oder Nutzungsbeschränkung keine zwangsläufige Begleiterscheinung der Versammlung an dem konkret genehmigten Ort, also deren notwendige Folge, war, sondern Ergebnis eines darüber hinausgehenden bewussten Missbrauchs des Versammlungsrechts sowie einer vorsätzlichen Schadenszufügung. Aber auch vorsätzliche Schädigungen als zwangsläufige Begleiterscheinungen der Versammlung können im Einzelfall den Tatbestand des § 1295 Abs 2 ABGB erfüllen, wenn der Schädigungszweck eindeutig im Vordergrund steht oder ein gravierendes Missverhältnis zwischen den Interessen der Demonstranten und jenen des Geschädigten besteht (vgl auch Posch in Schick/Funk/Posch, Demonstrationsschäden 64, der bei wirtschaftlichen Blockaden oder Einschüchterungen von anderen Personen oder Personengruppen von „nicht schädigungsneutralen“ Blockadedemonstrationen spricht).
2.4. Das Verhalten des Beklagten war für den Schaden des Klägers nur dann kausal, wenn er als Mittäter oder Beitragstäter gehandelt hat (vgl 6 Ob 201/98x; 2 Ob 97/16b). Soweit er an missbräuchlichen Blockaden nicht unmittelbar beteiligt war, muss ihm eine konkrete, bewusste Beitragshandlung vorwerfbar sein. Der Umstand, dass er die Versammlung angemeldet hat, reicht dafür noch nicht aus; er müsste vielmehr konkrete Anordnungen zur Vornahme missbräuchlicher Blockaden erteilt oder in dieser Hinsicht mit den Teilnehmern Absprachen getroffen haben.
2.5. Die Auffassung des Beklagten, den Kläger treffe ein Mitverschulden, weil er sich „sehenden Auges“ in eine Konfrontation mit der Bürgerinitative eingelassen und weder einen anderen Bauplatz gesucht, noch die Versammlung habe räumen lassen, ist unberechtigt: Ist der Vorwurf gegen den Beklagten berechtigt, dass er trotz einer rechtskräftigen Bewilligung, die materiell nicht mehr zu hinterfragen ist (vgl 6 Ob 201/98x; RS0036975 [T4]; RS0036981 [T11]), durch Missbrauch des Versammlungsrechts einen Baustopp erzwingen wollte, kann dem Geschädigten nicht vorgeworfen werden, er hätte sich dem rechtswidrigen Zwang fügen oder diesen mit Gewalt brechen lassen müssen. Das Recht ist nämlich nicht verhalten, dem Unrecht zu weichen (vgl RS0089368). Nur schuldhafte Verletzungen der Schadenminderungspflicht sind zu berücksichtigen (vgl RS0027062). Die aus § 1304 ABGB abgeleitete Schadensminderungspflicht findet ihre dogmatische Begründung darin, dass der Schädiger zwar hinsichtlich eines Einsatzschadens schuldhaft gehandelt, trotz adäquater Verursachung weitere aus der Sphäre des Geschädigten resultierende Folgeschäden aber dann nicht mehr zu vertreten hat, wenn ihn diesbezüglich kein Verschulden trifft (Reischauer in Rummel, ABGB³ § 1304 Rz 37). Der Geschädigte ist im Rahmen der Schadensminderungs-obliegenheit daher nicht verhalten, den vorsätzlich handelnden Schädiger an der Zufügung weiterer vorsätzlicher (Einsatz-)Schäden zu hindern. Letzterer hat es vielmehr selbst in der Hand, die in seine Sphäre fallende Schädigungshandlung zu beenden.
3.1. Im konkreten Fall lässt sich den Feststellungen der Tatsacheninstanzen nicht mit ausreichender Deutlichkeit entnehmen, ob der Beklagte bewusste und sittenwidrige Behinderungshandlungen gesetzt und in dieser Hinsicht mit Schädigungsvorsatz gehandelt hat. Seine Haftung als Mit- oder Beitragstäter kann damit noch nicht abschließend beurteilt werden.
3.2. Der Revision des Klägers ist daher Folge zu geben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind aufzuheben und dem Erstgericht ist die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung im aufgezeigten Sinn zu den konkreten Umständen der Behinderungen durch den Beklagten aufzutragen.
4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
Textnummer
E125504European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00201.18I.0613.000Im RIS seit
12.07.2019Zuletzt aktualisiert am
25.01.2022