Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr.
Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Günter Hintersteiner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei I*****, vertreten durch Dr. Harald Schicht, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. April 2019, GZ 8 Rs 35/18b-50, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Der 1960 geborene Kläger erlitt im Jahr 2014 bei einem Arbeitsunfall einen Teilverlust des linken Zeigefingers. Nach den Feststellungen beträgt die unfallskausale Minderung der Erwerbsfähigkeit 10 % ab 1. 7. 2016.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ausschließlich die Frage, ob ein besonders zu berücksichtigender Härtefall vorliegt, der ein Abweichen von der ärztlichen Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit rechtfertigen könnte.
Rechtliche Beurteilung
1. Ob ein Härtefall vorliegt, ist aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (10 ObS 73/12a).
2.1 Das Berufungsgericht hat die Rechtsprechung, unter welchen Voraussetzungen von einem besonders zu berücksichtigenden Härtefall gesprochen werden kann, zutreffend wiedergegeben und auch Beispiele für die mögliche Anwendung der Härteklausel genannt (RIS-Justiz RS0086442).
2.2 Mit diesen Grundsätzen der Rechtsprechung steht die Entscheidung in Einklang. Auch die Beurteilung, die Umstände des Klägers seien mit den genannten Beispielsfällen für eine Anwendung der Härteklausel nicht zu vergleichen, weicht von der bisherigen – sehr strenge Maßstäbe setzenden – Rechtsprechung nicht ab. In der Entscheidung 10 ObS 208/02i wurden die Voraussetzungen für einen Härtefall bei einem ähnlich gelagerten Sachverhalt (Verlust eines Zeigefingers der linken Hand bei einem Versicherten, der keinen Beruf erlernt hat und stets als Hilfsarbeiter tätig war) bereits verneint.
3. Der Kläger bringt dagegen im Wesentlichen nur vor, als ungelernter Bauhilfsarbeiter habe er infolge seiner „Spezialisierung“ bzw „negativen Spezialisierung“ auf ausschließlich repetitive, manuelle und monotone Arbeiten sowie aufgrund seines Lebensalters objektiv abstrakt betrachtet keine Chance mehr, einen Arbeitsplatz zu finden.
Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO geltend gemacht.
Die Möglichkeit, einen konkreten Arbeitsplatz zu finden, stellt aufgrund der gebotenen abstrakten Betrachtungsweise kein geeignetes Kriterium für die Annahme eines Härtefalls dar (RS0086442 [T2]). Nicht einmal die Unmöglichkeit, aufgrund der Unfallfolgen den bisherigen Beruf weiter auszuüben, indiziert für sich einen Härtefall (RS0086442 [T3]). Sofern die Revision auf die Rechtsprechung Bezug nimmt, nach der ein besonders zu berücksichtigender Härtefall etwa bei einer spezialisierten Berufsausbildung gegeben sein kann, die eine anderweitige Verwendung, bezogen auf das gesamte Erwerbsleben praktisch nicht zulässt oder in weit größerem Umfang einschränkt als in durchschnittlichen Fällen mit vergleichbaren Unfallfolgen (RS0043587 [T5]; RS0086442 [T6]), hält sich die Ansicht der Vorinstanzen, diese Voraussetzungen lägen beim vom Kläger ausgeübten Beruf des Bauhilfsarbeiters nicht vor, im Rahmen der Rechtsprechung.
Die außerordentliche Revision war daher als unzulässig zurückzuweisen.
Textnummer
E125494European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:010OBS00069.19Y.0625.000Im RIS seit
12.07.2019Zuletzt aktualisiert am
12.07.2019