TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/6 G314 2208454-1

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Veröffentlicht am 06.11.2018
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Entscheidungsdatum

06.11.2018

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art.133 Abs4
FPG §67 Abs1

Spruch

G314 2208454-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, deutscher Staatsangehöriger, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 03.09.2018, Zl. XXXX, zu Recht:

A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid

ersatzlos behoben.

C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Mit Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 09.07.2018 wurde der Beschwerdeführer (BF) aufgefordert, binnen einer Woche zur beabsichtigten Ausweisung oder Erlassung eines Aufenthaltsverbots Stellung zu nehmen, weil er im Bundesgebiet nie einer legalen Beschäftigung nachgegangen und mittellos sei, über keine Krankenversicherung verfüge und in Österreich und Deutschland strafgerichtliche Verurteilungen sowie diverse Verwaltungsübertretungen aufweise. Bei der Behörde langte keine Stellungnahme des BF ein.

Mit dem oben angeführten Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein für die Dauer von sieben Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Dieser Bescheid wurde im Wesentlichen mit Verwaltungsübertretungen, strafgerichtlichen Verurteilungen und der Mittellosigkeit des BF begründet.

Dagegen richtet sich seine Beschwerde mit den Anträgen, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben. Hilfsweise werden die Verkürzung des Aufenthaltsverbots und die Erteilung eines Durchsetzungsaufschubs beantragt. Begründend wird ausgeführt, dass dem BF am 10.05.2017 eine Anmeldebescheinigung ausgestellt worden sei. Es sei nicht richtig, dass er nie als Arbeitnehmer in Österreich legal beschäftigt und nicht sozialversichert gewesen sei. Er sei auch nicht mittellos. Er sei laut Versicherungsdatenauszug seit 2016 mehren Beschäftigungen nachgegangen und momentan bei der XXXX GMBH beschäftigt. Er habe dem BFA - nach einem Telefonat mit der zuständigen Referentin - eine schriftliche Stellungnahme und seinen aktuellen Arbeitsvertrag übermittelt. Er sei zwar strafrechtlich verurteilt worden und habe die StVO übertreten, Anzeigen, die zu keiner Verurteilung geführt hätten, könnten jedoch aufgrund der Unschuldsvermutung nicht berücksichtigt werden. In den zehn Monaten seit seiner letzten Tat sei er nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten. Es liege daher keine akute Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit vor. Die aufschiebende Wirkung sei zuzuerkennen, weil von keiner aktuell drohenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit auszugehen sei.

Die Beschwerde und die Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vorgelegt, wo sie am 29.10.2018 einlangten. In einer Stellungnahme zur Beschwerdevorlage beantragte das BFA, die Beschwerde abzuweisen.

Feststellungen:

Der BF, ein 24-jähriger deutscher Staatsangehöriger, war erstmals von 27.06.2016 bis 30.09.2016 und wieder von 05.05.2017 bis 11.09.2017 mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet. Anschließend kehrte er in seinen Herkunftsstaat zurück. Seit Mitte Oktober 2017 hält er sich kontinuierlich in Österreich auf. Seit 03.11.2017 ist er mit Hauptwohnsitz inXXXX gemeldet. Während seiner Aufenthalte in Österreich war er von 16.06. bis 07.10.2016, von 25.04. bis 03.09.2017, von 14.09. bis 18.09.2017 und von 13.10.2017 bis 30.04.2018 bei verschiedenen Arbeitgebern im Bundesgebiet vollversichert erwerbstätig. Seit 14.05.2018 geht er einer Vollzeitbeschäftigung als Küchenchef bei der XXXXGMBH nach und verfügt über ein monatliches Nettoeinkommen von über EUR 2.000 und über eine aufrechte Sozialversicherung.

Am 08.09.2016 wurde dem BF eine Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer) ausgestellt. Er ist gesund und arbeitsfähig. In Deutschland hatte er zuletzt einen Wohnsitz in XXXX. Er ist ledig, hat keine Sorgepflichten, kein Vermögen und Kreditverbindlichkeiten von ca. EUR 12.000.

In Österreich weist der BF zwei strafgerichtliche Verurteilungen auf. Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXXvom 25.09.2017, XXXX, wurde er wegen des Verbrechens des versuchten Diebstahls durch Einbruch in eine Wohnstätte nach §§ 15, 127 und 129 Abs 2 Z 1 StGB und wegen des Vergehens des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs 1 und 2 StGB zu einer Strafenkombination (Geldstrafe von 240 Tagessätzen á EUR 4 und für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von fünf Monaten) sowie zur Zahlung von insgesamt EUR 7.550 an die beiden Geschädigten verurteilt. Der Verurteilung liegt zugrunde, dass er am XXXX2017 einen PKW mit einem widerrechtlich erlangten Fahrzeugschlüssel, ohne Einwilligung des Berechtigten, in Gebrauch nahm, wobei er einen Schaden von mehr als EUR 5.000 verursachte. In der Nacht von 01. auf 02.07.2017 versuchte er, Gegenstände zu stehlen, indem er zunächst einen unversperrten PKW durchsuchte und sich anschließend durch Aufstoßen eines gekippten Fensters mit den Füßen Zugang zur Kelleretage eines Hauses verschaffte. Bei der Strafbemessung wurden als mildernd das teilweise Geständnis sowie der teilweise Versuch und als erschwerend das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen sowie die Vorstrafenbelastung gewertet.

Mit dem Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 12.04.2018, XXXX, wurde der BF wegen des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand der vollen Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB iVm § 127 StGB zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen á EUR 4 verurteilt. Gleichzeitig wurde die Probezeit der zuvor gewährten bedingten Nachsicht auf fünf Jahre verlängert. Der Verurteilung liegt zugrunde, dass der BF sich im Dezember 2017 in XXXX fahrlässig durch den Genuss von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch versetzte und in diesem Zustand ein Samsung-Tablet im Wert von EUR 300 stahl. Er hat dadurch eine Handlung begangen, die ihm außerhalb des Rauschzustands als Diebstahl nach § 127 StGB zugerechnet würde. Im Rahmen der Strafbemessung wurden das Geständnis und die Schadensgutmachung als mildernd und als erschwerend zwei Vorstrafen und der rasche Rückfall gewertet.

Weiteres strafrechtlich relevantes Fehlverhalten im Bundesgebiet ist dem BF nicht anzulasten.

Gegen den BF wurden von der Bezirkshauptmannschaft XXXX am 04.09.2017 mehrere Verwaltungsstrafen verhängt: eine Geldstrafe von EUR 900 wegen eines Verstoßes gegen

§ 5 Abs 1 StVO (Lenken oder Inbetriebnahme eines Fahrzeugs in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand), eine Geldstrafe von EUR 370 wegen eines Verstoßes gegen § 1 Abs 3 FSG (Lenken eines Kraftfahrzeugs ohne gültige Lenkberechtigung), eine Geldstrafe von EUR 400 wegen eines Verstoßes gegen § 4 Abs 5 StVO (Unterlassung der umgehenden Verständigung der nächsten Polizeidienststelle bei einem Verkehrsunfall mit Sachschaden) sowie eine Geldstrafe von EUR 80 wegen eines Verstoßes gegen § 52 lit a Z 10 a StVO (Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit).

In Deutschland weist der BF die folgenden strafgerichtlichen Verurteilungen durch das Amtsgericht XXXX auf: Am 13.06.2013 wurde er wegen versuchten Diebstahls zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen á EUR 20 verurteilt (Datum der letzten Tathandlung: XXXX2013). Am 26.08.2015 wurde wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs, unerlaubtem Entfernen vom Unfallort und vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen á EUR 20 verhängt (Datum der letzten Tathandlung: XXXX.2015). Am XXXX.2016 erfolgte eine Verurteilung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen á EUR 20 wegen Körperverletzung (Datum der letzten Tathandlung: XXXX2015). Mit dem Beschluss vom 19.08.2016 wurde in Bezug auf die beiden letzteren Verurteilungen nachträglich eine Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen á EUR 20 gebildet. Außerdem wurde dem BF die Fahrerlaubnis bis zum XXXX2017 entzogen. Es erfolgten keine weiteren Verurteilungen des BF.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor.

Die Identität des BF ergibt sich aus den Feststellungen im angefochtenen Bescheid, denen die Beschwerde nicht entgegentritt. Sie wird auch durch den in Kopie vorliegenden Personalausweis des BF belegt.

Vor Juni 2016 (Straftat, Arbeitsverhältnis und Hauptwohnsitzmeldung) gibt es keine Anhaltspunkte für einen Aufenthalt des BF im Bundesgebiet. In der Hauptverhandlung am 25.09.2017 gab er gegenüber dem Strafgericht an, dass er in Deutschland wohnhaft sei. Von 19.09. bis 13.10.2017 bestand kein Dienstverhältnis des BF in Österreich, von 12.09.bis 03.11.2017 keine Wohnsitzmeldung. Dies belegt, dass er damals - zumindest kurzfristig - wieder in seinen Herkunftsstaat zurückkehrte. Da er seit Mitte Oktober wieder in Österreich erwerbstätig ist und seit Anfang November hier mit Hauptwohnsitz gemeldet ist, ist davon auszugehen, dass er sich seither durchgehend hier aufhält.

Die Wohnsitzmeldungen des BF im Bundesgebiet können anhand des Auszugs aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) festgestellt werden. Die Zeiten seiner Erwerbstätigkeit ergeben sich aus dem Versicherungsdatenauszug, in dem als Vorname des BF "XXXX" statt richtig (wie in seinem Ausweis) "XXXX" angeführt wird, was erklärt, warum die Behörde bei der Suche nach Versicherungszeiten des BF nicht fündig wurde. Trotz dieses geringfügigen Fehlers bei der Schreibweise des Vornamens besteht aufgrund der sonst übereinstimmenden Daten und der vom BF vorgelegten Unterlagen (Arbeitsvertrag, Arbeitszeitnachweise, Lohnabrechnung) kein Zweifel daran, dass die beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger zu Sozialversicherungsnummer XXXXgespeicherten Versicherungszeiten und Beschäftigungsverhältnisse den BF betreffen.

Die Feststellungen zum Arbeitsverhältnis des BF seit Mai 2018 und zu seinem Einkommen ergeben sich aus den mit der Beschwerde vorgelegten Unterlagen, insbesondere dem Arbeitsvertrag und der Lohnabrechnung für August 2018.

Aus den Strafurteilen ergibt sich der ledige Familienstand des BF, sein Beruf, seine Vermögenslosigkeit und der aushaftende Kredit. Hinweise auf Kinder oder andere Sorgepflichten des BF sind nicht aktenkundig. Die vorliegende Anmeldebescheinigung ist auch im Zentralen Fremdenregister dokumentiert.

Die Feststellungen zu den vom BF in Österreich begangenen Straftaten, zu seinen Verurteilungen und zu den jeweiligen Strafzumessungsgründen basieren auf den beiden Strafurteilen. Die Rechtskraft der Verurteilungen geht auch aus dem Strafregister hervor. Die gegen den BF erlassenen Verwaltungsstrafen werden anhand des Auszugs aus der Verwaltungsstrafkartei der Bezirkshauptmannschaft XXXX laut dem E-Mail vom 19.04.2018 festgestellt. Der BF gesteht in der Beschwerde strafgerichtliche Verurteilungen und Verwaltungsübertretungen zu. Die Feststellungen zu seinen Verurteilungen in Deutschland beruhen auf dem ECRIS-Auszug.

Anhaltspunkte für weitere strafgerichtliche Verurteilungen des BF bestehen nicht. Ein weiteres strafrechtlich relevantes Fehlverhalten kann mangels entsprechender Beweisergebnisse nicht festgestellt werden, zumal der ihm laut Polizeibericht vom XXXX.2017 angelasteten Vergewaltigung, die er bestritt, keine strafgerichtliche Verfolgung folgte und das gegen ihn laut dem Polizeibericht vom XXXX2018 wegen des Verdachts der Körperverletzung und der Übertretung von § 27 SMG geführte Strafverfahren eingestellt wurde, wie sich aus der Mitteilung der Staatsanwaltschaft XXXX vom XXXX.2018 ergibt. Der BF bestritt auch das diese Anzeige zugrunde liegende Fehlverhalten.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG nunmehr auch ausdrücklich angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Der BF, ein EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG, hält sich als Arbeitnehmer im Rahmen seines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts in Österreich auf (vgl § 51 Abs 1 Z 1 NAG). Da er weder seinen Aufenthalt seit zehn Jahren kontinuierlich im Bundesgebiet hatte noch das Daueraufenthaltsrecht erworben hat, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn nach dem ersten bis vierten Satz des § 67 Abs 1 FPG zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet wäre. Das persönliche Verhalten muss nach dieser Bestimmung eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahme nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen oder verwaltungsrechtliche Bestrafungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.05.2015, Ra 2014/21/0057).

§ 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") enthält einen höheren Gefährdungsmaßstab als § 53 Abs 3 FPG ("schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit"; vgl VwGH 07.05.2014, 2013/22/0233).

§ 67 FPG dient der Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG; vgl § 2 Abs 4 Z 18 FPG), und zwar insbesondere der Umsetzung von deren Art 27 und 28 (VwGH Fr 2016/21/0020), und ist in erster Linie in Fällen schwerer Kriminalität anzuwenden (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 67 FPG K1).

Obwohl der BF bereits mehrmals - auch wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen - strafgerichtlich verurteilt wurde und in Österreich überdies wegen mehrerer Verwaltungsübertretungen - unter anderem wegen Alkohol oder Suchtgift am Steuer - bestraft wurde, erfüllt sein Gesamtverhalten den Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG nicht, zumal von den Strafgerichten bislang mit Geldstrafen und einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von weniger als sechs Monaten das Auslangen gefunden und wegen der Verwaltungsübertretungen Geldstrafen von (zum Großteil deutlich) unter EUR 1.000 verhängt wurden.

Zwar trat der BF im Bundesgebiet trotz seines im Herkunftsstaat einschlägig belasteten Vorlebens wiederholt (verwaltungs-)strafrechtlich in Erscheinung und delinquierte auch während offener Probezeit neuerlich, doch die von ihm begangenen Taten weisen noch nicht eine solche Schwere auf, dass eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, vorliegt. Das Gesamt(fehl-)verhalten des BF verwirklicht diesen Gefährdungsmaßstab gerade noch nicht. Dies zeigt sich nicht zuletzt an den im unteren Bereich der jeweiligen Strafrahmen angesiedelten Geldstrafen und der kurzen, zur Gänze bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe. Die vorliegenden verwaltungsstrafrechtlichen Übertretungen sind großteils dem Bagatellbereich zuzuordnen, zumal abgesehen einer Geldstrafe von EUR 900 wegen eines einmaligen Verstoßes gegen § 5 Abs 1 StVO Geldstrafen von maximal EUR 400 verhängt wurden.

Unter Einbeziehung sämtlicher Aspekte erreichen die Delinquenz des BF und sein sonstiges persönliches Verhalten noch nicht den in § 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG festgelegten Schweregrad, zumal er in Österreich einer vollversicherten Erwerbstätigkeit nachgeht und über ein regelmäßiges legales Einkommen sowie einen ordentlichen Wohnsitz verfügt. Das Gericht verkennt nicht, dass einem Einbruch in eine Wohnstätte aufgrund des damit verbundenen Eingriffs in die Privatsphäre des Opfers ein hoher Unwertgehalt innewohnt (siehe dazu EB zum Strafrechtsänderungsgesetz 2015, BGBl I 112/2015, GP XXV RV 689 dB, Seite 22). Der der Verurteilung des BF zugrundeliegende Sachverhalt lässt aber den Schluss auf einen das übliche mit solchen strafbaren Handlungen verbundene Maß unterschreitenden Handlungs-, Gesinnungs- und Erfolgsunwert zu, zumal es beim Versuch blieb und das Strafgericht trotz des Zusammentreffens des Verbrechens mit einem Vergehen und der Vorstrafen die Verhängung einer unbedingten oder auch nur teilbedingten Freiheitstrafe nicht für notwendig erachtete.

Zwar kann ein Fehlverhalten grundsätzlich auch dann zur Beurteilung der für ein Aufenthaltsverbot erforderlichen Gefährdungsprognose herangezogen werden, wenn dieses Verhalten (noch) nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung geführt hat. Eine solche Vorgangsweise verstößt (entgegen der Beschwerdeargumentation) auch nicht gegen die Unschuldsvermutung, wobei es in einem solchen Fall - sofern das Fehlverhalten bestritten wird - konkreter, in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren getroffener Feststellungen bedarf (vgl VwGH 23.03.2017, Ra 2016/21/0349). Das dem BF in den eingestellten Strafverfahren zur Last gelegte Verhalten könnte somit nur dann zur Beurteilung der für ein Aufenthaltsverbot erforderlichen Gefährdungsprognose herangezogen werden, wenn ein entsprechendes konkretes Fehlverhalten (von der Behörde) festgestellt worden wäre, zumal der BF dies abstritt. Dies ist hier jedoch nicht erfolgt; entsprechende Beweisergebnisse liegen - insbesondere angesichts der Einstellung eines Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft - nicht vor.

Da aus dem Verhalten des BF keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in maßgeblicher Intensität abgeleitet werden kann, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn unzulässig. Eine Prüfung, ob der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in sein Privat- und Familienleben verhältnismäßig wäre, muss daher mehr nicht vorgenommen werden. Da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF im Ergebnis nicht vorliegen, ist der angefochtene Bescheid in Stattgebung der Beschwerde aufzuheben.

Sollte der BF in Zukunft neuerlich wegen entsprechend schwerwiegender Taten bestraft werden, wird die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn neuerlich zu prüfen sein.

Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, kann eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Zu Spruchteil C):

Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung ist im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0033). Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose (VwGH Ra 11.05.2017, 2016/21/0022; 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision war nicht zuzulassen, weil sich das BVwG dabei an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung - Entfall, Interessenabwägung, Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G314.2208454.1.00

Zuletzt aktualisiert am

11.07.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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