TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/29 G314 2209992-1

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Veröffentlicht am 29.11.2018
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Entscheidungsdatum

29.11.2018

Norm

BFA-VG §18 Abs2 Z1
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52 Abs4 Z1

Spruch

G314 2209992-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, kosovarischer Staatsangehöriger, vertreten durch den Rechtsanwalt Mag. Dr. XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 19.10.2018, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots beschlossen und zu Recht erkannt:

A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid

ersatzlos behoben.

C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde mit dem seit XXXX2018 rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts XXXX zu XXXX wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 202 Abs 1 StGB zu einer Strafenkombination aus unbedingter Geldstrafe und bedingt nachgesehener Freiheitsstrafe verurteilt. Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 01.08.2018 wurde ihm mitgeteilt, dass deshalb beabsichtigt sei, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot zu erlassen. Gleichzeitig wurde er aufgefordert, sich dazu zu äußern und konkrete Fragen zu beantworten. Der BF erstattete eine Stellungnahme, in der er ua die Tat, wegen der er verurteilt worden war, leugnete, seine Verurteilung als Fehlentscheidung bezeichnete, seinem Opfer unterstellte, sie habe ihm durch die Anzeige "eins auswischen" wollen, und sich selbst als Opfer gerierte. Er beantwortete die Fragen des BFA und legte diverse Unterlagen vor.

Mit dem oben angeführten Bescheid wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 4 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt I.), festgestellt, dass seine Abschiebung in den Kosovo zulässig sei (Spruchpunkt II.), einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.), gemäß § 55 Abs 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG ein zweijähriges Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.). Der Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der weitere Aufenthalt des BF, der seit 2015 über einen Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" verfüge, aufgrund seiner Verurteilung wegen eines Verbrechens dem öffentlichen Interesse gemäß § 11 Abs 2 Z 1 NAG widerstreite. Es könne keine positive Zukunftsprognose erstellt werden, zumal er keine Verantwortung für seine Straftat, die er bis zuletzt beharrlich geleugnet habe, übernommen und weder Reue noch Bedauern für sein jugendliches Opfer gezeigt habe. Er könne sein Familienleben mit seiner österreichischen Frau und seinen Kindern durch moderne Kommunikationsmittel (E-Mail, Handy, Skype, Facebook) aufrecht halten; außerdem könnten ihn Frau und Kinder in seinem zukünftigen Aufenthaltsstaat besuchen. Aufgrund seiner insbesondere gegen das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit gerichteten Delikte sei seine sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich. Aufgrund seiner strafgerichtlichen Verurteilung in Verbindung mit der fehlenden Einsicht in sein Fehlverhalten stelle sein weiterer Aufenthalt eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar, die ein zweijähriges Einreiseverbot erforderlich mache.

Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen, eine Beschwerdeverhandlung durchzuführen, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und den angefochtenen Bescheid dahin abzuändern, dass weder eine Rückkehrentscheidung noch ein Einreiseverbot verhängt und jedenfalls Spruchpunkt III. ersatzlos behoben wird. Alternativ wird ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Der BF begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass sein schützenswertes Privat- und Familienleben iSd Art 8 EMRK den erlassenen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen entgegenstehe. Er sei zum ersten Mal strafgerichtlich verurteilt worden, und zwar zu einer Strafe im unteren Bereich des Strafrahmens. Er beantragte die Einvernahme seiner Ehefrau XXXX im Rahmen der Beschwerdeverhandlung.

Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 23.11.2018 einlangte, und beantragte, sie als unbegründet abzuweisen.

Feststellungen:

Der BF wurde am XXXX im heutigen Kosovo geboren, wo er die Grundschule und das Gymnasium absolvierte und anschließend ein Bachelorstudium der Wirtschaftswissenschaften, ein Bachelorstudium der Wirtschaftsinformatik und ein Masterstudium der Volkswirtschaft abschloss. Er ist kosovarischer Staatsangehöriger; seine Muttersprache ist Albanisch. In seinem Herkunftsstaat war er zuletzt zwischen November 2011 und Mai 2015 in einem Ministerium in XXXXbeschäftigt.

Am XXXX2009 heiratete der BF im Kosovo die Österreicherin XXXX(geborene XXXX), die damals in XXXX lebte. Am XXXX kam der gemeinsame Sohn XXXX in XXXX zur Welt.

Am XXXX2015 wurde dem BF erstmals ein Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" erteilt, der in der Folge zwei Mal verlängert wurde. Zuletzt wurde ihm ein von XXXX2017 bis XXXX2020 gültiger Aufenthaltstitel ausgestellt.

Seit XXXX 2015 hält sich der BF kontinuierlich im Bundesgebiet auf, wo er derzeit in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Ehefrau, seinem Sohn und seiner am XXXX in XXXX geborenen Tochter XXXX zusammenlebt. Beide Kinder des BF sind österreichische Staatsbürger; sein Sohn besucht in XXXX die Volksschule. Seine Frau war vor XXXX Geburt in XXXX erwerbstätig; sie ist derzeit in Karenz.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er war im Bundesgebiet ab XXXX 2015 mit Unterbrechungen bei verschiedenen Arbeitgebern erwerbstätig. Von XXXX2016 bis XXXX2017 und von XXXX2018 bis XXXX2018 bezog er Arbeitslosengeld. Seit XXXX2018 ist er als Busfahrer unselbständig beschäftigt. Er spricht Deutsch zumindest auf dem Sprachniveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (Selbständige Sprachverwendung - Mittelstufe).

Der BF wurde bislang im Kosovo noch nie und in Österreich ein Mal strafgerichtlich verurteilt. Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, XXXX, wurden über ihn wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach den §§ 15 Abs 1, 202 Abs 1 StGB (ausgehend von einer Strafdrohung von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe) eine Geldstrafe von EUR 800 (200 Tagessätze á EUR 4) und eine fünfmonatige, für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe verhängt. Der BF wurde überdies zur Zahlung eines Teilschmerzengeldbetrags von EUR 200 an sein Opfer verurteilt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass er am XXXX2017 versuchte, eine damals 16-jährige Spendensammlerin, die er unter der Vorgabe, spenden zu wollen, in seine Wohnung gelockt hatte, mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung zu nötigen, indem er sie wiederholt mit den Händen festhielt und an den Unterarmen sowie am Hals packte, sie zu sich zog, zu küssen versuchte und an ihren Brüsten sowie zwischen ihren Beinen anfasste, wobei es aufgrund der heftigen Gegenwehr und der anschließenden Flucht des Opfers beim Versuch blieb. Bei der Strafbemessung wirkten sich die bisherige Unbescholtenheit, der Umstand, dass es beim Versuch geblieben war, und die Schadensgutmachung (der BF hatte den vereinbarten Betrag von EUR 800 an sein Opfer geleistet) mildernd aus, die leichte Körperverletzung des Opfers, das bei dem Vorfall Hämatome an beiden Unterarmen erlitten hatte und auch psychisch belastet war, dagegen erschwerend. Nach der Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde des BF mit dem Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom XXXX2018, XXXX, wurde den Strafberufungen des BF und der Staatsanwaltschaft mit dem Urteil des Oberlandesgerichts XXXX vom XXXX2018, XXXX, jeweils nicht Folge gegeben. Die Geldstrafe wurde am XXXX2018 vollzogen.

Die Eltern und die Schwester des BF leben im Kosovo. Andere Angehörige außerhalb seiner Kernfamilie leben in Österreich. Er hat Verbindlichkeiten von ca. EUR 10.000, aber kein wesentliches Vermögen. Er ist Mitglied in einem XXXX Fußballverein und hat einen Freundes- und Bekanntenkreis in XXXX.

In Österreich hat er keine weiteren familiären oder nennenswerten privaten Anknüpfungen; es liegen keine Anhaltspunkte für eine weitergehende Integration vor.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens und des Gerichtsakts des BVwG. Die eine Verantwortungsübernahme für seine Straftat ablehnende Stellungnahme des BF wurde dem BFA sogar mehrfach vorgelegt.

Die Feststellungen ergeben sich ohne entscheidungswesentliche Widersprüche ebenfalls aus dem Akteninhalt, insbesondere aus den Angaben des BF und den von ihm vorgelegten Unterlagen.

Die persönlichen Daten des BF und seine Schulbildung ergeben sich aus dem anlässlich seiner Beschuldigtenvernehmung vor der Polizei aufgenommenen Personalblatt und stehen im Einklang mit dem übrigen Akteninhalt. Die tertiären Bildungsabschlüsse können anhand der vorgelegten Diplome und des Schreibens des Informationszentrums für Anerkennungswesen im Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft vom 10.11.2015 festgestellt werden. Die Muttersprache des BF ergibt sich aus seinem Lebenslauf, zumal albanische Sprachkenntnisse aufgrund seiner Herkunft plausibel sind und den Verhandlungen vor dem Landesgericht XXXX ein Dolmetsch für diese Sprache beigezogen wurde. Die vom BF im Kosovo ausgeübte Erwerbstätigkeit wird seinem Lebenslauf und seiner Stellungnahme entnommen, die durch das (in englischer Sprache vorgelegte) Schreiben vom 30.10.l2015 untermauert werden.

Die Eheschließung des BF ergibt sich aus der vorgelegten Heiratsurkunde. Kopien der Personalausweise seiner Frau und seiner Kinder sowie der Geburtsurkunden der Kinder wurden vorgelegt. Aufgrund des Alters des Sohnes des BF und dessen Wohnorts ist die Behauptung des BF, dieser besuche in XXXX die Volksschule, gut nachvollziehbar. Auch die Angaben zur Erwerbstätigkeit seiner Ehefrau sind plausibel und konsistent.

Im Zentralen Melderegister scheinen seit XXXX2015 durchgehend Hauptwohnsitzmeldungen des BF auf, sodass seiner Behauptung eines im Wesentlichen kontinuierlichen Inlandsaufenthalts seit Anfang XXXX 2015 gefolgt werden kann. Der gemeinsame Haushalt mit Ehefrau und Kindern beruht auf den Angaben des BF dazu, die durch die übereinstimmenden Wohnsitzmeldungen untermauert werden.

Die Feststellungen zu den dem BF erteilten Aufenthaltstiteln basieren auf dem Fremdenregister, das insoweit mit der Darstellung des BF in Einklang steht. Im Fremdenregister scheinen jedoch widersprüchliche Informationen zur Gültigkeitsdauer des dem BF zuletzt erteilten Aufenthaltstitels auf ("gilt bis XXXX2018", "gültig bis: XXXX2020"). Da Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" gemäß § 20 Abs 1a NAG idR für die Dauer von drei Jahren auszustellen sind, wenn der Fremde das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt hat und in den letzten zwei Jahren durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, geht das Gericht davon aus, dass der Aufenthaltstitel bis XXXX gilt, zumal der BF die beiden Voraussetzungen erfüllte, als er ihn beantragte.

Das Verfahren hat keine Anhaltspunkte für gesundheitliche Probleme oder Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit des BF ergeben. Er gab in seiner Stellungnahme an, gesund zu sein. Seine Arbeitsfähigkeit ergibt sich aus der aktuell ausgeübten Erwerbstätigkeit und seinem berufsfähigen Alter. Seine Erwerbstätigkeit im Inland sowie der Bezug von Arbeitslosengeld ergeben sich aus dem Versicherungsdatenauszug und aus den vom BF dazu vorgelegten Urkunden. Die festgestellten Deutschkenntnisse des BF ergeben sich aus dem vorgelegten Zeugnis für das Sprachniveau B1 vom XXXX2015. Da für das Sprachniveau B2 lediglich Bescheinigungen der Kursteilnahme, aber kein Zeugnis vorgelegt wurde, können Deutschkenntnisse auf diesem Sprachniveau nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.

Die Unbescholtenheit des BF im Kosovo ergibt sich aus seinem kosovarischen Strafregisterauszug. Die Feststellungen zu den von ihm in Österreich begangenen Straftaten, zu seiner Verurteilung und zu den Strafzumessungsgründen basieren auf dem vorliegenden Strafurteil samt Rechtsmittelentscheidungen. Die Rechtskraft der Verurteilungen und der Vollzug der Geldstrafe werden durch das Strafregister belegt, in dem keine weiteren Verurteilungen des BF aufscheinen. Damit übereinstimmend wurde seine Unbescholtenheit als Milderungsgrund berücksichtigt. Die Schadensgutmachung geht aus dem Urteil des Oberlandesgerichts XXXX hervor.

Die Feststellungen zu den im Kosovo lebenden Angehörigen des BF beruhen auf seiner Stellungnahme. Da er darin den in XXXX lebenden XXXX als weiteren in Österreich lebenden Verwandten und diverse Freunde nannte, ist davon auszugehen, dass er auch entferntere Angehörige und einen Freundeskreis im Bundegebiet hat, wobei kein besonderes Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis erkennbar ist. Die Feststellungen zu den Vermögensverhältnissen des BF beruhen auf seinen Angaben dazu in seiner Stellungnahme und gegenüber der Polizei bei der Beschuldigtenvernehmung. Auf die Frage nach weiteren sozialen Bindungen nannte der BF lediglich seine Mitgliedschaft im Fußballverein, sodass vom Fehlen von über die Feststellungen hinausgehenden wesentlichen Anknüpfungen im Bundesgebiet auszugehen ist. Für weitere Integrationsmomente gibt es weder im Akteninhalt noch im Vorbringen des BF Hinweise.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG nunmehr auch ausdrücklich angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Der BF ist als kosovarischer Staatsangehöriger Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs 4 Z 10 FPG. Da er sich aufgrund seines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, setzt eine Rückkehrentscheidung gegen ihn nach dem vom BFA herangezogenen § 52 Abs 4 Z 1 FPG voraus, dass nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG oder § 11 Abs 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre. Gemäß dem hier relevanten § 11 Abs 2 Z 1 NAG dürfen einem Fremden Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt nicht öffentlichen Interessen widerstreitet.

Bei der Prüfung, ob die Annahme, dass der (weitere) Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde, gerechtfertigt ist, muss eine sein Gesamtverhalten berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden. Bei strafgerichtlichen Verurteilungen ist dabei - gestützt auf das diesen zu Grunde liegende Fehlverhalten unter Berücksichtigung der Art und Schwere der Straftat(en) - anhand der Umstände des Einzelfalls eine Gefährdungsprognose zu treffen (vgl VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198).

Da die Rückkehrentscheidung in das Privat- und Familienleben des BF eingreift, dessen Lebensmittelpunkt seit mehreren Jahren in Österreich liegt, ist unter dem Gesichtspunkt von Art 8 EMRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen. Nach § 9 Abs 1 BFA-VG ist (ua) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, die in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingreift, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Dabei ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198).

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist hier zu berücksichtigen, dass der BF wegen einer strafbaren Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung einer Jugendlichen rechtskräftig verurteilt wurde und seine die Verantwortung dafür auch danach noch abstreitende und die Schuld bei seinem Opfer suchende Stellungnahme - wie das BFA richtig erkannte - eine erhebliche Wiederholungsgefahr befürchten lässt. Allerdings ist der Tatbestand des § 53 Abs 3 Z 1 FPG nicht erfüllt, weil der BF erst ein Mal strafgerichtlich verurteilt wurde und die bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe weniger als sechs Monate betrug. Die Einigung mit dem Opfer und die geleistete Schadensgutmachung lassen positive Ansätze einer Auseinandersetzung mit der Straftat und ihren Folgen erkennen.

Der BF hält sich zwar erst seit ca. dreieinhalb Jahren im Bundesgebiet auf und hat noch starke Bindungen zu seinem Herkunftsstaat. Er hat durch seine Erwerbstätigkeit in Österreich, seine Sprachkenntnisse, seine Freundschaften und sein Engagement in einem Sportverein ein erhebliches privates Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet. Die Rückkehrentscheidung greift aber vor allem aufgrund des Familienlebens mit seiner in Österreich lebenden Kernfamilie trotz der fehlenden Unbescholtenheit unverhältnismäßig in seine Rechte nach Art 8 EMRK ein, zumal ihm keine weiteren Verstöße gegen die öffentliche Ordnung anzulasten sind.

In die vorzunehmende Interessenabwägung ist dabei insbesondere das Interesse seiner Kinder, mit beiden Elternteilen aufzuwachsen, einzubeziehen, zumal der Aufenthaltsstatus des BF bei der Entstehung des Familienlebens nicht unsicher war. Gemäß § 138 Z 9 ABGB sind verlässliche Kontakte des Kindes zu beiden Elternteilen ein wichtiges Kriterium bei der Beurteilung des Kindeswohls. Der BF pflegt mit seinen Kindern eine persönliche Beziehung einschließlich persönlicher Kontakte, zumal er mit ihnen und ihrer Mutter, seiner Ehefrau, in einem gemeinsamen Haushalt zusammenlebt. Die im angefochtenen Bescheid angedachte Aufrechterhaltung des Familienlebens mittels moderner Kommunikationsmittel ist jedenfalls mit der erst wenige Monate alten Tochter des BF nicht möglich. Auch mit seinem Sohn im Volksschulalter stehen persönliche Kontakte noch im Vordergrund und können nur sehr eingeschränkt durch andere Kommunikationswege ersetzt werden (vgl VwGH 17.04.2013, 2013/22/0088).

Trotz des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Sexualstraftaten ist angesichts der sozialen und beruflichen Integration des BF während seines rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich sowie insbesondere zur Wahrung des Wohls seiner minderjährigen Kinder durch regelmäßige persönliche Kontakte von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen ihn Abstand zu nehmen. Sein privates Interesse an einem Verbleib überwiegt das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung. Dies bedingt auch den Entfall der übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids, der somit in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben ist.

Sollte der BF allerdings wieder straffällig werden, wird die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots gegen ihn neuerlich zu prüfen sein, insbesondere bei einem Rückfall in Bezug auf strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung.

Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, entfällt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG. Da den nachvollziehbaren und plausiblen Angaben des BF zu seinem Familienleben gefolgte wird, ist die Einvernahme seiner Ehefrau als Zeugin zur Klärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts nicht erforderlich.

Zu Spruchteil C):

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil eine Rechtsfrage, der grundsätzliche Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B-VG zukommt, nicht zu lösen war.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung, Interessenabwägung, Lebensmittelpunkt,
Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G314.2209992.1.00

Zuletzt aktualisiert am

11.07.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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