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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
BAO §77 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Hargassner und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Repa, über die Beschwerde der M in W, vertreten durch Dr. Fritz Wennig, Rechtsanwalt in Wien I, Kohlmarkt 5, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 18. Mai 1998, Zl. GA 10 - 323/1/98, betreffend Einleitung eines Finanzstrafverfahrens, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 29. Jänner 1998 leitete das Finanzamt gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 83 Abs. 1 FinStrG das Finanzstrafverfahren ein, weil der Verdacht bestehe, daß diese als für die abgabenrechtlichen Belange Verantwortliche der E. GmbH für bestimmte näher bezeichnete Zeiträume der Jahre 1996 und 1997 unter Verletzung der Umsatzsteuervoranmeldungspflicht Verkürzungen an Umsatzsteuer bewirkt, und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiß gehalten habe (Finanzvergehen nach § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG); weiters habe sie Lohnabgaben nicht spätestens am fünften Tag nach Fälligkeit entrichtet (Finanzvergehen nach § 49 Abs. 1 lit. a FinStrG). Die Begründung des Bescheides enthielt die Feststellung, daß seitens der E. GmbH hinsichtlich der angeführten Zeiträume Umsatzsteuervoranmeldungen nicht bzw. nicht fristgerecht eingebracht sowie Umsatzsteuervorauszahlungen bzw. lohnabhängige Abgaben nicht bzw. nicht termingerecht entrichtet worden seien. Als bevollmächtigter Person sei es der Beschwerdeführerin oblegen, für eine "inhaltlich korrekte und fristgerechte Abgabengebarung" Sorge zu tragen. Dieser Verpflichtung sei sie in Kenntnis der entsprechenden Fälligkeitstermine nicht nachgekommen.
Gegen diesen Einleitungsbescheid wandte sich die Beschwerdeführerin zunächst mit einer "Berufung" vom 24. Februar 1998 (die Berufung wurde von einer bevollmächtigten Steuerberatungskanzlei eingebracht). Die Beschwerdeführerin sei nie Geschäftsführerin der das Baugewerbe betreibenden E. GmbH gewesen. Die Grundaufzeichnungen seien von Frau N. und Herrn C. geführt worden. Die "UVAs, Lohnverrechnung und Bilanzen" seien von Frau N. bzw. ab Ende 8/97 von "meiner Kanzlei" auf Grundlage der zur Verfügung gestellten Unterlagen erstellt worden. Die Beschwerdeführerin sei am Firmenkonto nicht zeichnungsberechtigt gewesen und habe daher auch keinerlei Überweisungen tätigen können. Die Gesellschaft befinde sich in der Zwischenzeit in Konkurs; es würde keinerlei Tätigkeit mehr ausgeübt.
In einer weiteren Administrativbeschwerde vom 26. Februar 1998 wies die Beschwerdeführerin neuerlich darauf hin, daß sie weder Geschäftsführerin der E. GmbH noch berechtigt gewesen sei, für diese geschäftsführende Tätigkeiten auszuüben. Selbständig vertretungs- und zeichnungsberechtigter Geschäftsführer der E. GmbH sei D. (der Ehemann der Beschwerdeführerin) gewesen. Dieser habe am 2. April 1996 einen schweren Arbeitsunfall erlitten, der zu seiner völligen Bewegungsunfähigkeit geführt habe. Er sei seither nicht mehr in der Lage, zu schreiben oder seine geschäftlichen und privaten Angelegenheiten selbst zu regeln. Um über seine Weisung Unterschriften leisten zu können, habe D. der Beschwerdeführerin eine Generalvollmacht eingeräumt, wobei dem Anhang der Vollmacht vom 5. Juni 1996 zu entnehmen sei, daß sich diese vornehmlich auf seine Privatangelegenheiten beziehe und "insbesondere zur Behebung von Schriftstücken, Vertretung in Visumangelegenheiten, Behebung der Kraftfahrzeugschlüsseln, Postabholungen und Bankgeschäfte, Behebung von Geld und Geldeswerten, Verfügung über Firmenkonten, Vertretung beim Arbeitsamt, Finanzamt, Hausverwaltung, Verkehrsamt, Krankenkasse und Steuerberater sowie zur Aufnahme und Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt". Da D. auch nicht in der Lage gewesen sei, die Vollmacht zu fertigen, sei diese in Form eines Notariatsaktes in Anwesenheit zweier Zeugen erteilt worden. Es sei eine möglichst umfassende Vollmacht beabsichtigt gewesen, damit die Beschwerdeführerin bei allen denkbaren Eventualitäten hätte handeln können. Ebenso wie Herr S., der nach dem Arbeitsunfall von D. die Firmenleitung übernommen und somit de facto-Geschäftsführer geworden sei, habe auch die Beschwerdeführerin nur nach Absprache und auf ausdrückliche Weisung ihres Ehemannes tätig werden können. Eine Generalvollmacht sei weder rechtlich noch tatsächlich mit der Position eines Geschäftsführers gleichzusetzen. Die Beschwerdeführerin unterliege als Bevollmächtigte der vollen Weisungsgewalt des Machtgebers. Dessen erklärte Absicht sei es gewesen, eine möglichst umfassende Vollmacht zu erteilen, diese jedoch durch ein ebenso umfassendes Weisungsrecht derart einzuschränken, daß de facto ein selbständiges Handeln der Beschwerdeführerin nicht möglich gewesen sei. Weiters sei vorzubringen, daß die Beschwerdeführerin die ihr erteilte Vollmacht "tatsächlich so gut wie nie" in Anspruch genommen habe. Dies schon allein wegen des Umstandes, daß die Beschwerdeführerin infolge der völligen Bewegungsunfähigkeit ihres Gatten "nahezu rund um die Uhr" mit seiner Pflege beschäftigt gewesen sei und daher auch tatsächlich Geschäftsführungstätigkeiten nicht ausgeübt habe.
Mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte die belangte Behörde die erstinstanzliche Einleitung des Finanzstrafverfahrens. Im Zuge einer Einsichtnahme in das Abgabenkonto und die Akten der E. GmbH sei - so die belangte Behörde in ihrer Begründung - festgestellt worden, daß seitens dieser GmbH die Umsatzsteuervoranmeldungen nicht bzw. nicht fristgerecht eingebracht und die Umsatzsteuervorauszahlungen sowie die lohnabhängigen Abgaben nicht bzw. nicht termingerecht entrichtet worden seien. Dies habe die Finanzstrafbehörde erster Instanz zunächst zum Anlaß genommen, gegen den im Firmenbuch als selbständig vertretungsbefugten Geschäftsführer eingetragenen Ehegatten der Beschwerdeführerin ein Finanzstrafverfahren einzuleiten. Nachdem von dessen Verteidigung am 9. September 1997 mitgeteilt worden sei, daß D. bereits am 2. April 1996 einen Arbeitsunfall gehabt habe und daher die Umsätze "durch die Gattin und einen Mitarbeiter erzielt wurden", habe das Finanzamt auch gegen die Beschwerdeführerin ein Finanzstrafverfahren eingeleitet. Dafür genüge es, wenn genügend Verdachtsgründe vorlägen, die die Annahme rechtfertigten, daß der Verdächtige als Täter eines Finanzvergehens in Betracht komme. Es sei unbestritten, daß der Ehegatte der Beschwerdeführerin seit Gründung der E. GmbH als selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer eingetragen sei und nach seinem schweren Arbeitsunfall am 5. Juni 1996 in Form eines Notariatsaktes u. a. auch "als selbständig vertretungs- und zeichnungsberechtigter Geschäftsführer der E. GmbH" der Beschwerdeführerin eine Generalvollmacht erteilt habe. Das Vorbringen in den Administrativbeschwerden sei nicht geeignet, den Verdacht der der Beschwerdeführerin angelasteten Vergehen "gleich zu entkräften". Bei der Einleitung eines Finanzstrafverfahrens gehe es nicht darum, die Ergebnisse des förmlichen Untersuchungsverfahrens gleichsam vorwegzunehmen. Die Beantwortung der Frage, ob nun tatsächlich die Beschwerdeführerin für die abgabenrechtlichen Belange der E. GmbH verantwortlich gewesen sei, und somit die Beschwerdeführerin die im angefochtenen Bescheid angelasteten Finanzvergehen begangen habe, sei dem Ergebnis des Untersuchungsverfahrens nach den §§ 115 ff FinStrG vorbehalten. Dies gelte auch für die Anlastung von Vorsatz. Sämtliche Erklärungsversuche der Beschwerdeführerin seien nach Ansicht der belangten Behörde nicht geeignet, ohne nähere Überprüfung durch die Finanzstrafbehörde, den Verdacht des Vorliegens einer Abgabenhinterziehung bzw. einer Finanzordnungswidrigkeit gleich wieder zu beseitigen. Auf die vorgebrachten Argumente werde im eingeleiteten Finanzstrafverfahren einzugehen sein. Nach Überprüfung des Sachverhaltes anhand der Aktenlage unter Berücksichtigung der Feststellungen der Finanzstrafbehörde erster Instanz sei die belangte Behörde der Meinung, daß die Beschwerdeführerin - als Bevollmächtigte - ihrer Verpflichtung, für die direkte und termingerechte Abgabenerhebung Sorge zu tragen, nicht nachgekommen sei, insbesondere zumal die Beschwerdeführerin "als erfahrene Abgabenpflichtige (laut Aktenlage/Vollmacht ist sie Juristin) in Kenntnis ihrer Verpflichtung" gewesen sei.
In der Beschwerde erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht darauf verletzt, daß gegen sie kein Finanzstrafverfahren eingeleitet werde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In der Begründung einer als Bescheid zu qualifizierenden Einleitungsverfügung nach § 83 Abs. 1 FinStrG ist darzulegen, von welchem Sachverhalt die Finanzstrafbehörde ausgegangen ist und welches schuldhafte Verhalten dem Beschuldigten vorgeworfen wird. Der Verdacht muß sich sowohl auf den objektiven als auch auf den subjektiven Tatbestand erstrecken (vgl. für viele beispielsweise die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 1990, 89/16/0183, und vom 6. April 1995, 93/15/0071).
Im Straferkenntnis ist zu begründen, daß der Beschuldigte die Tat begangen hat, im Einleitungsbescheid muß lediglich begründet werden, daß die Annahme der Wahrscheinlichkeit solcher Umstände gerechtfertigt ist, aus denen nach der Lebenserfahrung auf ein Finanzvergehen geschlossen werden kann. Kein Unterschied zwischen den Begründungsanforderungen besteht allerdings zwischen dem Straferkenntnis und dem Einleitungsbescheid für die Obliegenheit der Behörde, den - unterschiedlich beschaffenen - Gegenstand der Begründungspflicht auf der Basis konkreter Lebenssachverhalte sachlich und rechtlich nachvollziehbar darzustellen. Mit im allgemeinen bleibenden, ein Eingehen auf die Sachverhalte des Einzelfalles unterlassenden Ausführungen läßt sich auch ein Einleitungsbescheid nicht so begründen, daß er dem Verwaltungsgerichtshof die ihm obliegende Prüfung auf seine Übereinstimmung mit dem Gesetz ermöglicht (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Februar 1997, 96/13/0094).
Zu Recht weist die belangte Behörde in der Gegenschrift grundsätzlich darauf hin, daß für die finanzstrafrechtliche Verantwortlichkeit auch die faktische Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Abgabenpflichtigen genügt (anders als nach der in der Beschwerde angesprochenen Rechtslage nach dem VStG müssen auch nicht die Voraussetzungen zur Bestellung als verantwortlicher Beauftragter nach § 9 Abs. 4 VStG erfüllt sein). Gerade diese faktische Wahrnehmung der Angelegenheiten der E. GmbH in bezug auf die in Rede stehenden Abgabenverkürzungen ist aber im angefochtenen Bescheid im Hinblick auf eine finanzstrafrechtliche Verdachtslage nicht ausreichend begründet. Die Beschwerdeführerin hat im administrativen Rechtsmittelverfahren (so in der "Berufungsschrift" vom 24. Februar 1998) u.a. vorgebracht, daß nicht sie die Grundaufzeichnungen der Gesellschaft geführt bzw. für die Umsatzsteuervoranmeldungen oder für die Lohnverrechnung zuständig gewesen sei. Dieser Verantwortung tritt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ebenso wenig entgegen wie den weiteren Ausführungen in der Administrativbeschwerde, wonach es sich bei dem Vollmachtsverhältnis nur um ein wegen des Gesundheitszustandes des Ehegatten der Beschwerdeführerin notwendiges formelles Vertretungsverhältnis (ohne tatsächliche Einflußmöglichkeit auf die Geschäftsführung der E.-GmbH) gehandelt habe und schon allein wegen der Pflegebedürftigkeit des Ehegatten eine tatsächliche Ausübung der Vollmacht nicht möglich gewesen wäre. Solcherart hätte sich die Behörde aber nicht damit begnügen dürfen, die Beschwerdeführerin hinsichtlich der finanzstrafrechtlichen Vorwerfbarkeit der ihr angelasteten Tatbestände auf das weitere Finanzstrafverfahren zu verweisen. Vor allem auch in Richtung des subjektiven Tatbestandes, der "Anlastung von Vorsatz", wären den Verdacht schlüssig begründende Feststellungen im angefochtenen Bescheid zu treffen gewesen.
Damit erweist sich der angefochtene Bescheid mit wesentlichen Verfahrensmängeln nach § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG belastet, sodaß er nach dieser Gesetzesbestimmung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 20. Jänner 1999
Schlagworte
Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH AllgemeinEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998130120.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
01.01.2009