Entscheidungsdatum
20.05.2019Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W162 2210752-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ulrike LECHNER, LL.M. als Vorsitzende und die Richterin Mag. Julia STIEFELMEYER sowie die fachkundige Laienrichterin Verena KNOGLER, BA MA als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch den Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Lange Gasse 53, 1080 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 08.10.2018, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass, in nicht-öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid
aufgehoben.
Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass liegen vor.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin eines Behindertenpasses, ausgestellt am 10.05.2016, mit einem Grad der Behinderung von 70 v. H. Sie beantragte unter Vorlage eines Konvoluts an medizinischen Unterlagen am 15.01.2018 (einlangend) beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (im Folgenden als belangte Behörde bezeichnet) die Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO, dies wurde von der belangten Behörde als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gewertet.
2. Zur Überprüfung des Antrages wurde von der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Orthopädie aufgrund persönlicher Untersuchung vom 27.06.2018 mit dem Ergebnis eingeholt, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei. Darin wurde insbesondere Folgendes festgestellt:
"...
Gesamtmobilität - Gangbild:
Kommt selbständig gehend mit Halbschuhen mit 2 Unterarmstützkrücken in Begleitung des Gatten, das Gangbild barfuß im Untersuchungszimmer teilweise mit Anhalten geringgradig rechts hinkend, etwas breitbasig und konzentriert, insgesamt zielsicher.
Das Aus- und Ankleiden wird selbständig im Sitzen durchgeführt.
...
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum? Keine. Es liegen keine Funktionsbeeinträchtigungen der oberen und unteren Extremitäten und der Wirbelsäule vor, welche die Mobilität erheblich und dauerhaft einschränkten. Das geringgradige Restdefizit nach Hemiparese rechts führt zu keiner wesentlichen Einschränkung der Steh- und Gehleistung. Die Funktionseinschränkungen im Bereich der Gelenke der unteren Extremitäten und der Wirbelsäule sind jeweils gering ausgeprägt, eine maßgebliche Gangbildbeeinträchtigung konnte nicht festgestellt werden. Eine höhergradige Polyneuropathie liegt nicht vor. Die Gesamtmobilität ist ausreichend, um kurze Wegstrecken von etwa 300-400 m, allenfalls unter Verwendung einer einfachen Gehhilfe, zurücklegen zu können und um Niveauunterschiede zu überwinden, das sichere Aus- und Einsteigen ist möglich. An den oberen Extremitäten sind keine höhergradigen Funktionsbehinderungen fassbar, die Kraft ausreichend, sodass die Benützung von Haltegriffen zumutbar und möglich ist. Die behinderungsbedingte Erfordernis der Verwendung von 2 Unterarmstützkrücken ist bei ausreichend sicherem Gangbild und durch festgestellte Funktionseinschränkungen und dokumentierte Leiden nicht begründbar. Es liegt kein Hinweis für relevante Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit vor, maßgebliche kognitive Defizite sind nicht fassbar, sodass eine erhebliche Erschwernis beim Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, Be- und Entsteigen sowie bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht begründbar ist.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor? Nein"
3. Mit Schreiben vom 27.08.2018 zeigte sich die Beschwerdeführerin mit dem Ergebnis der Begutachtung nicht zufrieden und führte im Wesentlichen aus, dass es ihr keinesfalls möglich und zumutbar sei, eine Wegstrecke von mehr als 300 Meter zurückzulegen. Sie sei zur Fortbewegung außer Haus unbedingt auf die Inanspruchnahme von Stützkrücken angewiesen. Sie sei auch nur kurzfristig in der Lage, frei zu stehen. Die im Sachverständigengutachten getroffenen Feststellungen der Sachverständigen bezüglich Mobilität, bestehender Steh- und Gehleistung seien für die Beschwerdeführerin weder schlüssig noch nachvollziehbar. Zur Beurteilung der bestehenden Mobilität sowie der Funktionseinschränkungen, vor allem im Bereich der unteren Extremitäten, sei daher das vorliegende orthopädische Gutachten keinesfalls ausreichend, sondern wäre bei der Beschwerdeführerin unbedingt auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich der Neurologie erforderlich gewesen. Die Beschwerdeführerin reichte ein Konvolut an medizinischen Unterlagen nach.
4. In der Folge wurde von der belangten Behörde eine Stellungnahme vom 05.10.2018 der bereits befassten Sachverständigen für Orthopädie eingeholt. Es wurde Folgendes ausgeführt:
"Stellungnahme:
Die vorgebrachten Einwendungen und Befunde bedingen keine Änderung der getroffenen Beurteilung. Es liegen zwar geringe Resthalbseitenzeichen rechts mit leichter feinmotorischer Einbuße vor, jedoch, auch unter Berücksichtigung der Polyneuropathie, ohne maßgebliche motorische Ausfälle. Höhergradige Funktionseinschränkungen im Bereich der Gelenke der oberen und unteren Extremitäten sind nicht feststellbar.
Die behinderungsbedingte Erfordernis der Verwendung von 2 Unterarmstützkrücken ist aus medizinischer Sicht nicht gegeben, unter Verwendung eines einseitigen Gehbehelfs ist eine ausreichend sichere Mobilität möglich. Verwiesen wird auf das Gangbild, bei dem ein zielsicheres Gehen, teilweise mit Anhalten, vorgeführt werden konnte. Der bereits bekannte Befund Dr. XXXX vom 27. 6. 2018 dokumentiert eine Polyneuropathie, maßgeblich sind jedoch objektivierbare Auswirkungen, ein motorisches Defizit der Polyneuropathie liegt nicht vor. Die Sonografie der Schilddrüse führt zu keiner geänderten Beurteilung hinsichtlich beantragter Zusatzeintragung. Der Audiometriebefund vom 5.2.2018 wurde bereits vorgelegt, ist jedoch überholt durch einen weiteren Audiometriebefund vom 26.2.2018, siehe Gutachten vom 27.6.2018.
Zusammenfassend konnten unter Beachtung sämtlicher vorgelegter Befunde und des klinischen Status im Rahmen der Begutachtung vom 27.6.2018 keine Funktionsbeeinträchtigungen der oberen und unteren Extremitäten und der Wirbelsäule festgestellt werden, welche die Mobilität erheblich und dauerhaft einschränkten."
5. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 08.10.2018 hat die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 BBG abgewiesen. Verwiesen wurde auf das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens.
6. Gegen diesen Bescheid wurde von der bevollmächtigten Vertretung der Beschwerdeführerin fristgerecht am 19.11.2018 (einlangend) Beschwerde erhoben, worin im Wesentlichen vorgebracht wurde, dass es der Beschwerdeführerin aufgrund der vorliegenden Leiden keinesfalls möglich und zumutbar sei, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benützen. Entgegen den Ausführungen der Sachverständigen würden bei der Beschwerdeführerin sehr wohl erhebliche Funktions- und Bewegungseinschränkungen im Bereich der Wirbelsäule, der oberen und unteren Extremitäten vorliegen, welche es der Beschwerdeführerin unmöglich machen würden, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zur Fortbewegung sei sie auf die Verwendung von zwei Stützkrücken angewiesen. Vor allem durch die massiv bestehenden Funktionseinschränkungen im Bereich der unteren Extremitäten, Z.n. Mediainsult mit Halbseitenzeichen rechts, ausgeprägtes Polyneuropathiesyndrom, sei die Gehfähigkeit der Beschwerdeführerin so weit eingeschränkt, dass es ihr keinesfalls möglich und zumutbar sei, ein öffentliches Verkehrsmittel zu erreichen sowie in dieses Ein- und Auszusteigen. Weiters sei die Mobilität, die Geh- und Stehfähigkeit der Beschwerdeführerin hauptsächlich durch die bestehenden neurologischen Leiden, und nicht durch die orthopädischen Leiden eingeschränkt. Zur Beurteilung der bestehenden Funktionseinschränkungen und der Mobilität sei daher das eingeholte orthopädische Gutachten keinesfalls ausreichend. Abschließend wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich der Neurologie beantragt.
7. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 05.12.2018 zur Entscheidung vorgelegt.
8. Aufgrund der Einwendungen der Beschwerdeführerin wurde vom Bundesverwaltungsgericht ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie aufgrund persönlicher Untersuchung vom 05.03.2019 eingeholt. Es wurde Folgendes auszugsweise ausgeführt:
"Neurostatus:
Die Hirnnerven sind unauffällig, die Optomotorik ist intakt, an den oberen Extremitäten bestehen keine Paresen, bis auf leichtes Pronieren rechts.
Die Muskeleigenreflexe sind rechtsbetont mittellebhaft auslösbar, die Koordination ist re etwas eingeschränkt, an den unteren Extremitäten besteht eine mäßige Schwäche distal betont, Fersen/Zehenspitzen/Einbeinstand bds. nicht möglich, die Muskeleigenreflexe sind seitengleich rechtsbetont auslösbar. Die Koordination ist gestört. Stell und Haltereflexe deutlich beeinträchtigt die Pyramidenzeichen sind an den oberen und unteren Extremitäten negativ. Die Sensibilität wird im Bereich der UE strumpfförmig und in den OE handschuhförmig als gestört angegeben. Das Gangbild ist mit 2 Krücken breitbasig deutlich verlangsamt, am Gang immer wieder Unterbrechungen.
1) Es ist festzuhalten, welche dauernde Gesundheitsschädigungen vorliegen. Diese sind als Diagnosenliste anzuführen:
1.
geringe Restsymptomatik nach Insult mit Hemisymptomatik re
2.
Geringgradige Hörminderung re, hochgradige Hörminderung li
3. Tinnitus bds
4. degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, chron. Lumbalgie, geringe
funktionelle Einschränkungen
5. geringe Funktionseinschränkungen beider Schultergelenke
6. geringe Funktionseinschränkungen beider Kniegelenke
7. geringe Funktionsstörung li Handgelenk
8. Rhizarthrose rechts, Arthrose re Daumengelenke mit geringen funktionellen Einschränkungen
9. Hypertonie
10. Entfernung der Gebärmutter
11. Depressio
12 Autoimmunthyreoiditis
13. Polyneuropathie
2) Liegen erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten vor?
Es liegen erhebliche Einschränkungen der UE vor, die Polyneuropathie ist weiter fortgeschritten, die Stell und Haltereflexe sind deutlich beeinträchtigt.
3) Liegen erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit vor?
Aus nervenärztlicher Sicht: nein
4) Liegen erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen vor? Nein
5) Liegt eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vor?
Nein
6) Liegt eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit vor? Nein
Es liegen folgende Funktionseinschränkungen aus nervenärztlicher Sicht vor, die das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke (300-400m), das Ein- und Aussteigen bei den üblichen Niveauunterschieden ohne fremde Hilfe oder die Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel erheblich erschweren: distale Paresen an den UE mit Schmerzen bds., Verminderung der Stell und Haltereflexe mit erhöhter Sturzneigung.
7) Ausführliche Stellungnahme zu den Einwendungen der Beschwerdeführerin in der Beschwerde, Abl. 69-71 inkl. Rückseiten.
Es ist klinisch zu einer Verschlechterung bei einer fortschreitenden Polyneuropathie gekommen, das Gangbild ist breitbasig unsicher, die Stell und Haltereflexe sind reduziert mit erhöhter Sturzgefahr.
8) Stellungnahme zu den mit dem Antrag vorgelegten Befunde, Abl. 29-42.
Siehe 7
9) Stellungnahme zu allf. Von den angefochtenen Gutachten Abl. 45-49 und Abl. 67 inkl. Rückseiten abweichende Beurteilung.
lm Vergleich zum VGA vom 27.6.18 ist es zu einer Verschlechterung der Gangstörung bei progredienter Polyneuropathie gekommen mit nunmehr auch motorischen Einschränkungen.
10) Feststellung ob bzw. wann eine Nachuntersuchung erforderlich ist.
Dauerzustand
11) Wurden im Rahmen der nunmehrigen Begutachtung Befunde vorgelegt, welche der Neuerungsbeschränkung unterliegen?
Nein"
9. Mit Schreiben vom 11.03.2019 wurden der Beschwerdeführerin, nachweislich zugestellt am 14.03.2019, und der belangten Behörde gemäß § 45 Abs. 3 AVG das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nachweislich zur Kenntnis gebracht und ihnen die Möglichkeit eingeräumt, binnen zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben.
Am 27.03.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme der bevollmächtigten Vertretung der Beschwerdeführerin ein, in welcher im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass aufgrund der Feststellungen des Sachverständigengutachtens bei der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für die Eintragung der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass somit vorliegen würden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Da sich die Beschwerdeführerin mit der Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass nicht einverstanden erklärt hat, war dies zu überprüfen.
1. Feststellungen:
1.1. Allgemeines
Die Beschwerdeführerin stellte am 15.01.2018 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO, welcher von der belangten Behörde als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gewertet wurde.
Die Beschwerdeführerin erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Sie hat ihren Wohnsitz im Inland und besitzt einen Behindertenpass.
1.2. Der Beschwerdeführerin ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar.
1.2.1. Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen:
Geringe Restsymptomatik nach Insult mit Hemisymptomatik rechts;
geringgradige Hörminderung rechts, hochgradige Hörminderung links;
Tinnitus beidseits; degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, chron. Lumbalgie, geringe funktionelle Einschränkungen; geringe
Funktionseinschränkungen beider Schultergelenke; geringe
Funktionseinschränkungen beider Kniegelenke; geringe Funktionsstörung links Handgelenk; Rhizarthrose rechts, Arthrose rechts Daumengelenke mit geringen funktionellen Einschränkungen;
Hypertonie; Entfernung der Gebärmutter; Depressio;
Autoimmunthyreoiditis; Polyneuropathie.
1.2.2. Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:
Aufgrund der distalen Paresen an den unteren Extremitäten mit Schmerzen beidseits sowie der Verminderung der Stell- und Haltereflexe mit erhöhter Sturzneigung, ist die Beschwerdeführerin nicht mehr in der Lage, eine Strecke von 300 bis 400 Meter ausreichend sicher zurückzulegen. Zudem ist das Überwinden der bei öffentlichen Verkehrsmitteln üblichen Niveauunterschiede, der sichere Transport und die Sitzplatzsuche in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mehr ausreichend sicher gegeben.
2. Beweiswürdigung:
Zu 1.1. Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.
Zu 1.2. Die Feststellungen zu Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin gründen sich - in freier Beweiswürdigung - in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die vorgelegten und eingeholten Beweismittel:
Das durch das Bundesverwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie vom 05.03.2019 aufgrund persönlicher Untersuchung ist schlüssig, nachvollziehbar und weist keine Widersprüche auf. Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Auch wurde zu den Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel umfassend Stellung genommen.
Diesbezüglich führte der befasste Sachverständige aus neurologischer Sicht nachvollziehbar aus, dass die Beschwerdeführerin aufgrund der distalen Paresen an den unteren Extremitäten mit Schmerzen beidseits sowie der Verminderung der Stell- und Haltereflexe mit erhöhter Sturzneigung, nicht mehr in der Lage ist, eine Strecke von 300 bis 400 Meter ausreichend sicher zurückzulegen. Auch das Überwinden der bei öffentlichen Verkehrsmitteln üblichen Niveauunterschiede, der sichere Transport sowie die Sitzplatzsuche in öffentlichen Verkehrsmitteln ist nicht mehr ausreichend sicher gegeben.
Darüber hinaus hat der befasste Sachverständige schlüssig ausgeführt, dass es klinisch zu einer Verschlechterung bei einer fortschreitenden Polyneuropathie mit nunmehr auch motorischen Einschränkungen gekommen ist. Demnach konnte im Rahmen der Begutachtung ein breitbasig unsicheres Gangbild objektiviert werden.
Das Sachverständigengutachten steht mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den eingeholten und vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit des befassten Sachverständigen oder dessen Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen.
Das Sachverständigengutachten wurde auch im Rahmen des vom Bundesverwaltungsgericht erteilten Parteiengehörs von der belangten Behörde unbeeinsprucht zur Kenntnis genommen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§9 Abs. 1 Z3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache:
Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten (§ 1 Abs. 2 BBG).
Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen (§ 42 Abs. 1 BBG).
Der Behindertenpass ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist (§ 42 Abs. 2 BBG).
Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen (§ 45 Abs. 1 BBG).
Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu (§ 45 Abs. 2 BBG).
Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist u.a. jedenfalls einzutragen:
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
-
erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-
erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-
erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
-
eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-
eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d
vorliegen (§ 1 Abs. 4 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen auszugsweise).
Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktions-beeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen (§ 1 Abs. 5 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen).
In den Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II 263/2016 wird u.a. Folgendes ausgeführt:
Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (auszugsweise):
Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.
Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion - das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen - ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.
Durch die Verwendung des Begriffes "dauerhafte Mobilitätseinschränkung" hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.
Die Begriffe "erheblich" und "schwer" werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleichbedeutend.
Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.
Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen.
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128, und die dort angeführte Vorjudikatur sowie vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0242, vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt. Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080).
Betreffend das Kalkül "kurze Wegstrecke" wird angemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof von einer unter Zugrundelegung städtischer Verhältnisse durchschnittlich gegebenen Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel von 300 - 400 m ausgeht (vgl. u.a. Ro 2014/11/0013 vom 27.05.2014, 2012/11/0186 vom 27.01.2015).
Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hiebei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).
Für die Berechtigung der zusätzlichen Eintragung in den Behindertenpass hinsichtlich der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel kommt es entscheidend auf die Art und die Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel an, nicht aber auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erschweren. Aus diesem Grund ist der Umstand betreffend die mangelnde Infrastruktur (Vorhandensein und Erreichbarkeit, Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel, "Leben am Land") oder den Transport von schweren Gepäckstücken und das Tätigen von Einkäufen rechtlich nicht von Relevanz und kann daher bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht berücksichtigt werden (VwGH vom 22.10.2002, 2001/11/0258).
Die Einschränkungen der Beschwerdeführerin wirken sich maßgeblich negativ auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus.
Der Sachverständige führt neurologisch überzeugend aus, dass in Gesamtschau auf Grundlage sämtlicher vorgelegter Unterlagen und Sachverständigengutachten die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vorliegen.
Da festgestellt worden ist, dass der Leidenszustand der Beschwerdeführerin in seiner Gesamtheit die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erheblich erschwert und die dauernden Gesundheitsschädigungen somit ein Ausmaß erreichen, welches die Eintragung des Zusatzes " Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung " in den Behindertenpass rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden.
2. Zum Antrag einer mündlichen Verhandlung:
Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Die Verhandlung kann entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. (§ 24 Abs. 3 VwGVG)
Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. (§ 24 Abs. 4 VwGVG)
Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden. (§ 24 Abs. 5 VwGVG)
In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).
Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen für den beantragten Zusatzvermerk sind die Art, das Ausmaß und die Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.
Zur Klärung des Sachverhaltes wurden daher ein ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt. Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt, wurde dieses als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet.
Im Rahmen des Parteiengehörs hatten die Verfahrensparteien die Möglichkeit sich zu äußern. Das Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Ermittlungsverfahrens wurde jedoch nicht bestritten. Es wurden der Beschwerde keine Beweismittel beigelegt, welche mit der gutachterlichen Beurteilung der Funktionseinschränkungen nicht in Einklang stehen. Das Beschwerdevorbringen war - wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt - geeignet, relevante Bedenken an den Feststellungen der belangten Behörde hervorzurufen. Die vorgebrachten Argumente wurden im eingeholten Sachverständigengutachten berücksichtigt und resultiert daraus die geänderte Beurteilung. Sohin ist der Sachverhalt geklärt und unbestritten. Daher konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen stützen.
In den auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz veröffentlichten Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II 495/2013 wird ausgeführt, dass damit präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden sollen. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt. Es war sohin keine - von der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abweichende - Neuregelung beabsichtigt.
Vielmehr wird in den Erläuterungen ausdrücklich festgehalten, dass im Hinblick auf die ab 01.01.2014 eingerichtete zweistufige Verwaltungsgerichtsbarkeit, um Rechtssicherheit zu gewährleisten und die Einheitlichkeit der Vollziehung der im Behindertenpass möglichen Eintragungen sicherzustellen, die Voraussetzungen, die die Vornahme von Eintragungen im Behindertenpass rechtfertigen, in einer Verordnung geregelt werden sollen.
Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde.
Schlagworte
Behindertenpass, Sachverständigengutachten, ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W162.2210752.1.00Zuletzt aktualisiert am
10.07.2019