Index
L7200 Beschaffung, VergabeNorm
B-VG Art14b Abs1, Art140 Abs1Leitsatz
Kompetenzwidrigkeit einer Bestimmung des Stmk VergaberechtsschutzG 2012; Zuständigkeit des Bundes zur Festlegung gesondert anfechtbarer Entscheidungen ist Teil des "materiellen Vergaberechts"Rechtssatz
Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Wortfolge "nicht prioritären Dienstleistungen und" in §2 Abs2 Satz 1 und Satz 2 Stmk VergaberechtsschutzG 2012 (StVergRG 2012) idF LGBl 23/2017. Einstellung der amtswegigen Prüfung der Anlage des StVergRG 2012 idF LGBl 87/2013.
Untrennbarer Zusammenhang von Satz 1 und 2 des §2 Abs2 StVergRG 2012 - kein untrennbarer Zusammenhang zwischen der Anlage zum StVergRG 2012 und §2 StVergRG 2012; Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens trotz Außerkrafttretens des §2 StVergRG 2012:
§2 StVergRG 2012 regelt in seinem Absatz 1 iVm der Anlage die gesondert anfechtbaren Entscheidungen in den einzelnen Vergabeverfahrensarten. Absatz 2 des §2 StVergRG 2012 bestimmt in seinem - im Anlassverfahren für den VfGH präjudiziellen - Satz 1 für Verfahren zur Vergabe von nicht prioritären Dienstleistungen und Dienstleistungskonzessionen, dass jede nach außen in Erscheinung tretende Festlegung des Auftraggebers als gesondert anfechtbare Entscheidung gilt. Diese Regelung steht allerdings, weil dem Landesgesetzgeber eine nur partielle Regelung der gesondert anfechtbaren Entscheidungen für einzelne Verfahrensarten nicht zusinnbar ist, mit Satz 2 des §2 Abs2 StVergRG 2012 in einem untrennbaren Zusammenhang. Demgegenüber besteht zu der (vollständigen) Regelung der gesondert anfechtbaren Entscheidungen für die von §2 Abs1 iVm der Anlage des StVergRG 2012 erfassten Verfahrensarten kein derartiger untrennbarer Zusammenhang, weil diese Bestimmungen auch nach Aufhebung des §2 Abs2 StVergRG 2012 ohne Schwierigkeiten anwendbar blieben und deren Anwendung auch dem Gesetzgeber zusinnbar ist.
§2 Abs2 StVergRG 2012 legt die gesondert anfechtbaren Entscheidungen in Verfahren zur Vergabe von nicht prioritären Dienstleistungen und von Dienstleistungskonzessionen fest. Um die Verfassungs- weil Kompetenzwidrigkeit dieser Festlegung durch den Steiermärkischen Landesgesetzgeber im Anlassverfahren, das ein Verfahren zur Vergabe nicht prioritärer Dienstleistungen betrifft, zu beseitigen, reicht es aus, in §2 Abs2 Satz 1 und in §2 Abs2 Satz 2 StVergRG 2012 jeweils die Wortfolge "nicht prioritären Dienstleistungen und" aufzuheben. Damit verbleibt nach Aufhebung der genannten Wortfolgen in §2 Abs2 StVergRG 2012 wiederum eine vollständige Regelung der in einem Verfahren zur Vergabe von Dienstleistungskonzessionen gesondert anfechtbaren Entscheidungen.
Am 09.07.2018 wurde in LGBl 62/2018 das Stmk VergaberechtsschutzG 2018 (StVergRG 2018) kundgemacht. Es trat mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft. Gemäß der Übergangsbestimmung in §36 StVergRG 2018 ist auf bei Inkrafttreten des StVergRG 2018 laufende Vergabeverfahren das StVergRG 2012 aber weiter anzuwenden, ebenso auf Verfahren, die beim Landesverwaltungsgericht Steiermark zu diesem Zeitpunkt anhängig waren. Dass das StVergRG 2012 bereits außer Kraft getreten ist, steht einer Erledigung des vorliegenden Gesetzesprüfungsverfahrens in der Sache nicht entgegen, weil dies keine Frage der Zulässigkeit einer Normenprüfung, sondern der Sachentscheidung ist.
Verstoß gegen die Kompetenzbestimmung des Art14b Abs1 B-VG:
Die Festlegung gesondert anfechtbarer Entscheidungen als Teil des "materiellen Vergaberechts" gemäß Art14b Abs1 B-VG fällt in die Zuständigkeit des Bundes und nicht als Teil der "Nachprüfung" in jene der Länder gemäß Art14b Abs3 B-VG (s VfGH 11.12.2018, G205/2018).
Soweit §2 Abs2 Satz 1 StVergRG 2012 festlegt, dass unter anderem in einem Verfahren zur Vergabe von nicht prioritären Dienstleistungen jede nach außen in Erscheinung tretende Festlegung des Auftraggebers als gesondert anfechtbare Entscheidung gilt, handelt es sich bei dieser Regelung nicht bloß um eine Anknüpfung an die vergleichbare Festlegung des §141 Abs5 BVergG 2006, der zufolge ebenfalls bei der Vergabe nicht prioritärer Dienstleistungsaufträge jede nach außen in Erscheinung tretende Festlegung des Auftraggebers als gesondert anfechtbare Entscheidung gilt. Zunächst kommt eine Anknüpfung an das BVergG 2006 im Wortlaut der Regelung des §2 Abs2 StVergRG 2012 nicht zum Ausdruck. Insbesondere folgt aber aus dem systematischen Zusammenhang des §2 StVergRG 2012, dass der Landesgesetzgeber eine eigenständige Festlegung von gesondert anfechtbaren Entscheidungen beabsichtigte, geht die Regelung auch für Verfahren zur Vergabe von nicht prioritären Dienstleistungen doch - wie §2 Abs2 Satz 2 StVergRG 2012 deutlich macht, der Festlegungen von gesondert anfechtbaren Entscheidungen enthält, die sich in §141 Abs5 BVergG 2006 nicht finden - über die Festlegungen des §141 Abs5 BVergG 2006 hinaus.
(Anlassfall E229/2019, E v 26.06.2019; Ablehnung der Beschwerdebehandlung: Die Feststellung, dass die genannten Wortfolgen in §2 Abs2 StVergRG 2012 verfassungswidrig waren, bewirkt jedoch nicht, dass eine für eine positive Erledigung des Nachprüfungsantrages der beschwerdeführenden Gesellschaft durch das LVwG erforderliche Rechtsgrundlage im StVergRG 2012 bestünde. Es ist daher von vornherein ausgeschlossen, dass sich die Anwendung der verfassungswidrigen Bestimmungen als nachteilig für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Gesellschaft erweist.).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Kompetenz Bund - Länder Vergabewesen, VfGH / Prüfungsumfang, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, VfGH / Präjudizialität, VfGH / PrüfungsgegenstandEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2019:G75.2019Zuletzt aktualisiert am
11.07.2019