TE Vfgh Erkenntnis 1996/12/13 B1417/94

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Veröffentlicht am 13.12.1996
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Index

55 Wirtschaftslenkung
55/01 Wirtschaftslenkung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
MOG §79 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Nachforderung eines zusätzlichen Absatzförderungsbeitrages vom Rechtsnachfolger des Inhabers eines milcherzeugenden Betriebes infolge denkunmöglicher Auslegung einer durch die Novelle 1993 eingeführten Bestimmung des MOG

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit S 18.000,- bestimmten Kosten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Bescheid vom 11. Mai 1994 sprach der Vorstand für den Geschäftsbereich III der Agrarmarkt Austria unter Zugrundelegung der Bestimmungen des §76 Abs2 und des §79 Abs2 des Marktordnungsgesetzes (MOG), BGBl. 210/1985 idF der Novelle BGBl. 969/1993 aus, daß aufgrund der erfolgten Milchlieferungen des Herrn J S bis einschließlich 1987/88 entstandene Schulden bzw. Restschulden an zusätzlichem Absatzförderungsbeitrag des Herrn J S in näher bezeichnetem Ausmaß wegen Verjährung nicht nachgefordert und bis einschließlich 1990/91 entstandene Schulden bzw. Restschulden des Herrn J S an zusätzlichem Absatzförderungsbeitrag in näher bezeichnetem Ausmaß nachgefordert und Herrn J S (und nunmehrigen Beschwerdeführer) als Rechtsnachfolger des Herrn J S, vorgeschrieben werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher sich der Beschwerdeführer in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes verletzt erachtet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt.

Der Beschwerdeführer bringt im wesentlichen vor, daß die direkte Vorschreibung der Nachforderung eines zusätzlichen Absatzförderungsbeitrages an einen Milcherzeuger (bzw. seinen Rechtsnachfolger) erst aufgrund der Novelle BGBl. 969/1993 infolge Anfügung des Abs2 an §79 MOG ermöglicht wurde, sich jedoch die Nachforderung des zusätzlichen Absatzförderungsbeitrages an den Beschwerdeführer auf einen Zeitraum vor der Novelle beziehe (vor dieser Novelle konnte lediglich auf den zuständigen Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb gegriffen werden).

Der Beschwerdeführer sieht darin - iVm der Inkrafttretensregelung des §91c Abs1 Z4 MOG idF BGBl. 969/1993 (die Kundmachung der Novelle erfolgte am 30. Dezember 1993, das Inkrafttreten des §79 Abs2 leg.cit. mit 1. Jänner 1994) - das Problem der Rückwirkung der durch die Novelle eingeführten Norm des §79 Abs2 MOG in bezug auf das Vertrauen des Normunterworfenen in die geltende Rechtslage und hält die Möglichkeit der Einhebung des zusätzlichen Absatzförderungsbeitrages vom Rechtsnachfolger des betroffenen Milcherzeugers in §79 Abs2 MOG idF BGBl. 969/1993 für gleichheitswidrig.

3. Die belangte Behörde hat in einer Gegenschrift und in einer Replik die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die Beschwerde ist im Ergebnis im Recht. Die gerügte Verfassungswidrigkeit ist nicht dem Gesetz, sondern dem Vollzug anzulasten.

1.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann sohin nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985) nur vorliegen, wenn die Behörde der angewandten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

1.2. Ersteres ist dem angefochtenen Bescheid anzulasten. Gemäß §78 Abs1 MOG entsteht die Beitragsschuld mit der Übernahme der Milch und Erzeugnissen aus Milch sowie mit der Veräußerung an eine andere Person. Gemäß §78 Abs2 MOG gilt als Übernahme der Erwerb der Verfügungsmacht durch den Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb oder für dessen Rechnung.

Aus dieser Bestimmung ergibt sich, daß damit der Zeitpunkt der Entstehung der Abgabenschuld eindeutig bestimmt ist. Auch die belangte Behörde geht im bekämpften Bescheid davon aus, daß der Abgabentatbestand in den betreffenden Wirtschaftsjahren vor der Novelle BGBl. 969/1993 verwirklicht worden ist. Eine Nachforderung eines nicht entrichteten zusätzlichen Absatzförderungsbeitrages kann sich daher ebenso nur auf den Zeitpunkt der Übernahme der Milch beziehen.

Beitragsschuldner für zusätzliche Absatzförderungsbeiträge war bis zur Novelle BGBl. 969/1993 gemäß §79 MOG für Milch und Erzeugnisse aus Milch, die ein Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb übernimmt oder die von diesem gemäß §16 MOG verrechnet werden, derjenige, für dessen Rechnung der Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb geführt wird, sohin der Betriebsinhaber. In §80 Abs6 MOG wurde der Beitragsschuldner zur Überwälzung solcher Beiträge auf die einzelnen Milcherzeuger ermächtigt.

Durch die Novelle BGBl. 969/1993 wurde §79 MOG durch Beifügung eines Absatzes 2 erweitert. Dieser hat folgenden Wortlaut:

"Sofern die Nachforderung oder Rückforderung nicht zumindest teilweise auch auf eine Mitbeteiligung des Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetriebs zurückzuführen ist, ist nach einer Veranlagung gemäß §80 Abs5 abweichend von Abs1 bei einer Nachforderung des allgemeinen oder zusätzlichen Absatzförderungsbeitrags oder bei einer Rückforderung von Lieferrücknahmeprämien der Milcherzeuger oder sein Rechtsnachfolger Schuldner des Nachforderungs- oder Rückforderungsbetrags. Sind dies mehrere Personen, so sind sie Gesamtschuldner. An jenen Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb oder an jene Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetriebe, die während des Zeitraums, auf den sich die Nachforderung oder Rückforderung bezieht, hinsichtlich des Milcherzeugers der zuständige Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb war, hat eine Abschrift des Bescheids über die Nachforderung oder Rückforderung zu ergehen."

Die Neuerungen des §79 MOG, die sich für den Beschwerdeführer somit aus der Novelle BGBl. 969/1993 ergeben, liegen darin, daß nunmehr bei Nachforderung eines Absatzförderungsbeitrages unter der Voraussetzung, daß die Nachforderung nicht zumindest teilweise auch auf eine Mitbeteiligung des Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetriebes zurückzuführen ist (was im gegenständlichen Fall nach Ansicht der belangten Behörde der Fall ist und im Beschwerdevorbringen unwidersprochen geblieben ist), nicht nur direkt auf den Milcherzeuger als Beitragsschuldner gegriffen werden kann, sondern auch der Rechtsnachfolger (anders als bei der Überwälzung der Beitragsschuld des Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetriebes auf den Milcherzeuger bezüglich der Rückforderung von Lieferrücknahmeprämien gemäß §73 Abs11 MOG) als Beitragsschuldner des Nachforderungsbetrages herangezogen werden kann.

Eine Regelung diesen Inhaltes ist an sich verfassungsrechtlich unbedenklich (zur Frage der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des Überganges von Abgabenforderungen vom Rechtsvorgänger auf den Rechtsnachfolger eines Betriebes s. zB VfSlg. 5369/1966).

Der Beschwerdeführer hat jedoch den milcherzeugenden Betrieb vor Inkrafttreten der Bestimmung des §79 Abs2 MOG von seinem Rechtsvorgänger übernommen. Erst diese Bestimmung hat die gesetzliche Möglichkeit geschaffen, auch vom Rechtsnachfolger den zusätzlichen Absatzförderungsbeitrag nachzufordern. Der Gesetzgeber hat aber nicht angeordnet, daß diese Bestimmung auch auf Rechtsnachfolger in einem milcherzeugenden Betrieb, die dies vor Inkrafttreten der Novelle BGBl. 969/1993 wurden, anzuwenden ist.

In Hinblick auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zur Gleichheitswidrigkeit rückwirkender Steuergesetze, aber auch zur Rückwirkung in anderen Bereichen der finanziellen Belastung von Normunterworfenen (so zB VfSlg. 12186/1989, 12688/1991, 13020/1992) bedarf es nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes keiner näheren Erläuterung, daß die Belastung des Beschwerdeführers mit der bescheidmäßigen Nachforderung des zusätzlichen Absatzförderungsbeitrages bei Übernahme des milcherzeugenden Betriebes für diesen nicht vorhersehbar war und sohin einen Eingriff von erheblichem Gewicht in seine Rechtsposition darstellt. Da keine besonderen Umstände zu finden sind, die einen derartigen rückwirkenden Eingriff verlangen, hat die belangte Behörde bei Auslegung dieser Bestimmung dieser einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt und somit den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.000,-

enthalten. Barauslagen werden nicht zugesprochen, weil diese bereits im Pauschalsatz enthalten sind. Kosten für die Einbringung einer Stellungnahme des Beschwerdeführers zur Gegenschrift der belangten Behörde werden ebenfalls nicht zugesprochen, weil es sich dabei um keinen abverlangten Schriftsatz handelt (s. zB VfSlg. 10957/1986).

Schlagworte

Marktordnung, Milchwirtschaft, Absatzförderungsbeitrag, Rückwirkung, Vertrauensschutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B1417.1994

Dokumentnummer

JFT_10038787_94B01417_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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