Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Juni 2019 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Rathgeb in der Strafsache gegen Robert K***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendgeschworenengericht vom 19. Dezember 2018, GZ 615 Hv 6/18y-127, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil im Wahrspruch der Geschworenen zur Zusatzfrage 1./ und demgemäß im Schuld- und im Strafausspruch, im Ausspruch über die Unterbringung nach § 21 Abs 2 StGB sowie im Adhäsionserkenntnis aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien als Jugendgeschworenengericht verwiesen.
Mit ihren Berufungen werden sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Robert K***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und nach § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.
Danach hat er am 11. Mai 2018 in W***** die siebenjährige H***** G***** getötet, indem er sie zuerst würgte und dann in die Duschkabine drängte, wo er ihren Kopf mit der linken Hand festhielt und mit einem Messer mit einer 15 bis 20 cm langen und gezackten Klinge mehrfach auf ihre linke und rechte Halsseite, ihre rechte Schlüsselbeinregion, ihre Mundboden-Kinnregion sowie Brustkorbmittelregion zustach und an der linken Halsvorderseite Sägebewegungen durchführte, sodass H***** G***** nach einem Halsschnitt, der mit einer Durchtrennung der linken Halsschlagader sowie der Wirbelsäule samt des Rückenmarks und einem massiven Blutverlust einherging, infolge einer Sauerstoffunterversorgung des Gehirns an zentraler Atemlähmung verstarb.
Die Geschworenen bejahten die nach dem Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB gestellte Hauptfrage 1./ und verneinten die nach dem Vorliegen einer Zurechnungsunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit (§ 11 StGB) gestellte Zusatzfrage 1./.
Weitere Fragen wurden nicht gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Darin weist der Beschwerdeführer – unabhängig von der Unbeachtlichkeit seines (im Zusammenhang mit dem hier in Rede stehenden Antrag erstmals in der Verfahrensrüge erstatten) Vorbringens zur mangelnden Kompetenz des Sachverständigen Univ.-Doz. Dr. Peter H***** (vgl ON 126 S 107 f; RIS-Justiz RS0099117 [T20], RS0126626) – zu Recht darauf hin, dass die Abweisung des mit Blick auf die unvereinbaren Ergebnisse der Gutachten der bis dahin beigezogenen Sachverständigen Univ.-Doz. Dr. Peter H***** und HR Prof. Dr. Werner G***** letztlich gemeinsam von ihm und der Staatsanwaltschaft gestellten Antrags auf Einholung eines Obergutachtens aus dem Fachgebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen nach den §§ 11 bzw 21 Abs 1 und Abs 2 StGB (ON 126 S 107 f und S 113 f) Grundsätze eines (hier:) die Verteidigung sichernden, fairen Verfahrens verletzte.
Weichen die Angaben zweier Sachverständiger über die von ihnen wahrgenommenen Tatsachen oder die hieraus gezogenen Schlüsse erheblich voneinander ab und lassen sich die Bedenken nicht durch Befragung beseitigen, so ist ein weiterer Sachverständiger beizuziehen (§ 127 Abs 3 erster Satz StPO).
Bei miteinander nicht vereinbaren Ergebnissen der Gutachten zweier Sachverständiger ist daher zunächst durch deren abermalige Befragung zu versuchen, diese Divergenzen zu beseitigen. Erst nach erfolglos gebliebenem Verbesserungsversuch ist – allenfalls auch von Amts wegen – das Gutachten eines dritten Sachverständigen einzuholen (RIS-Justiz RS0120023; Hinterhofer, WK-StPO § 127 Rz 47; Kirschenhofer in Schmölzer/Mühlbacher, StPO1 § 127 Rz 22 f; Fabrizy, StPO13 § 127 Rz 5).
Dies gilt nicht, wenn das zweite Gutachten gemäß § 127 Abs 3 StPO bereits wegen eines sich aus der Unbestimmtheit des Befunds oder aus der Widersprüchlichkeit oder sonstigen Ursachen ergebenden – nicht durch einen (zuvor zwingend durchzuführenden [Hinterhofer, WK-StPO § 127 Rz 30]) Verbesserungsversuch behebbaren – Mangels des ersten Gutachtens eingeholt (Hinterhofer, WK-StPO § 127 Rz 32) und keine Mangelhaftigkeit des Befunds oder des Gutachtens des zweiten Sachverständigen aufgezeigt wurde (RIS-Justiz RS0117263).
Umgekehrt ist bei unvereinbaren Ergebnissen der Beiziehung zweier Sachverständiger gerade dann ein drittes Gutachten einzuholen, wenn bis dahin bei keinem der beiden bereits vorhandenen Gutachten ein Mangel auszumachen ist.
Im vorliegenden Fall gelangten der im Ermittlungsverfahren zur Klärung der Frage des Vorliegens der medizinischen Voraussetzungen der §§ 11 bzw 21 Abs 1 und Abs 2 StGB zum Tatzeitpunkt gerichtlich bestellte Sachverständige Univ.-Doz. Dr. Peter H***** (ON 16) einerseits und der nach Erhebung der Anklage, jedoch vor Durchführung der Hauptverhandlung (zur Abklärung von Unstimmigkeiten zwischen dem ersten Gutachten [ON 94] und anderen zwischenzeitlich eingelangten Stellungnahmen [vgl ON 101 und 106], allerdings in Abweichung von dem in § 127 Abs 3 erster Satz StPO für die Verbesserung unbestimmter Befunde oder mangelhafter [erster] Gutachten vorgesehenen Vorgehen) ausdrücklich mit der Klärung der selben Frage gerichtlich beauftragte Sachverständige HR Prof. Dr. Werner G***** (ON 108) andererseits zunächst aufgrund (auch) eigener Befundaufnahmen (vgl ON 126 S 28 f, 64 und 81 f) zu einer unterschiedlichen Einschätzung des geistigen Zustands des Angeklagten zur Tatzeit (ON 94 S 96, ON 114, ON 122 S 161 sowie ON 126 S 23, 37 ff, 62 und 74 ff).
Da in der Hauptverhandlung (von Amts wegen) versucht wurde, die Divergenzen zwischen den Gutachten durch nochmalige Befragung der betreffenden Sachverständigen unter Konfrontation mit dem gegenteiligen Ergebnis des jeweils anderen Sachverständigen zu beseitigen (ON 126 S 74 ff), diese in Bezug auf den geistigen Zustand des Angeklagten zur Tatzeit – aufgrund dieser Erörterung letztlich auf der gleichen Befundgrundlage (vgl ON 126 S 94, S 105 letzte Zeile bis S 107) und im Übrigen ohne erkennbare wissenschaftliche Divergenzen (vgl etwa ON 126 S 99; siehe dazu Hinterhofer, WK-StPO § 127 Rz 45) – dennoch zu miteinander nicht vereinbaren Schlussfolgerungen gelangten bzw ihr eigenes Ergebnis jeweils aufrecht erhielten (ON 126 S 95 erste Zeile, S 106 letzter Absatz und S 107 oben), gleichzeitig aber eine Mangelhaftigkeit eines dieser Gutachten bis dahin nicht aufgezeigt werden konnte (vgl ON 126 S 114 letzter Absatz), wäre der Schwurgerichtshof nach diesem erfolglosen Verbesserungsversuch – bei sonstiger Nichtigkeit (§ 345 Abs 1 Z 5 StPO) – verpflichtet gewesen, dem gemeinsamen Antrag der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten Folge zu geben und ein weiteres (drittes) Gutachten einzuholen (vgl RIS-Justiz RS0120023 [T2]; Hinterhofer, WK-StPO § 127 Rz 47).
Inhaltlich betrifft die erforderliche Einholung eines weiteren Gutachtens lediglich die auf die Klärung des Zustands des Angeklagten zur Tatzeit im Sinn des § 11 StGB gerichtete Zusatzfrage 1./, nicht jedoch den unabhängig davon mit der Hauptfrage 1./ beantworteten Umstand der Tötung des Opfers durch den Angeklagten an sich, sodass der Wahrspruch der Geschworenen zur Hauptfrage 1./ unberührt zu bleiben hatte (§ 349 Abs 2 StPO).
Das angefochtene Urteil war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 344, 285e StPO) im Wahrspruch der Geschworenen zur Zusatzfrage 1./ und demgemäß im Schuld- und Strafausspruch, im Ausspruch über die Unterbringung nach § 21 Abs 2 StGB sowie im Adhäsionserkenntnis aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien als Jugendgeschworenengericht zu verweisen (§ 349 Abs 1 StPO).
Im zweiten Rechtsgang wird das Geschworenengericht seiner Entscheidung den unberührt gebliebenen Teil des Wahrspruchs (Bejahung der Hauptfrage 1./) mit zugrunde zu legen haben (§ 349 Abs 2 StPO; 15 Os 38/15z).
Mit ihren Berufungen waren sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
Textnummer
E125466European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0120OS00029.19K.0627.000Im RIS seit
10.07.2019Zuletzt aktualisiert am
20.10.2020