TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/9 W261 2173251-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.05.2019
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Entscheidungsdatum

09.05.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W261 2173251-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS über die Beschwerde von XXXX geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Mag. Robert BITSCHE, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.09.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der nunmehrige Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 27.11.2015 in die Republik Österreich als unbegleiteter Minderjähriger Flüchtling ein und stellte am selben Tag gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am 27.11.2015 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass er gesehen habe, dass drei Personen zwei Männer getötet hätten. Davon habe er im Dorf erzählt. Er hätte von den Mördern eine Person gekannt, da diese aus dem Dorf gewesen sei. Deshalb sei er nach Europa geflüchtet, weil diese Männer auch ihn umbringen hätten wollen, weil er den Mord gesehen habe.

Mit Eingabe vom 02.09.2016 teilte die Rechtsanwältin MMag. Astrid ZÖRER, mit, dass sie von der " XXXX GmbH", der die Pflege und Erziehung des BF übertragen worden sei, mit der rechtlichen Vertretung des BF im Asylverfahren beauftragt worden sei und legte die entsprechende Vollmacht vor.

Am 08.09.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des mittlerweile volljährigen BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge belangte Behörde) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari. Er gab an, er sei in der Provinz Ghazni geboren, sei ledig, Hazara und schiitischen Glaubens. Er sei das älteste Kind seiner Familie, er habe noch zwei Brüder und fünf Schwestern. Seine Familie lebe nach wie vor in seinem Heimatort. Er habe regelmäßigen Kontakt mit seiner Familie. In Afghanistan würden noch drei Onkel väterlicherseits, drei bis vier Onkel mütterlicherseits, eine Tante väterlicherseits und drei Tanten mütterlicherseits leben. Eine Tante lebe in Kabul, ein Onkel lebe in Herat, zwei seiner Onkel würden im Iran arbeiten. Er habe Afghanistan verlassen, weil sein Leben in Gefahr gewesen sei. Er habe gemeinsam mit seinem Freund gesehen, wie drei Männer zwei Personen getötet hätten. Obwohl die Männer ihnen aufgetragen hätten, niemandem etwas davon zu erzählen, hätten sein Freund und er in der Moschee darüber berichtet, woraufhin die Mörder identifiziert worden seien. Die Familien der Mörder hätten mitbekommen, dass die beiden Burschen die Männer verraten hätten, woraufhin sein Freund einige Tage danach von irgendjemanden in seinem Garten umgebracht worden sei. Der BF habe Angst bekommen und habe sein Heimatland verlassen. Der BF legte eine Reihe von Integrationsunterlagen vor.

Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte die belangte Behörde dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt III.). Die belangte Behörde stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV).

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle einer Rückkehr stellte die belangte Behörde insbesondere fest, der BF habe eine Furcht vor Verfolgung durch die Männer, die einen Mord begangen haben sollen, nicht glaubhaft gemacht. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF einer konkreten persönlichen asylrelevanten Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt gewesen sei, bzw. eine solche zukünftig zu befürchten hätte. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Wunsch nach wirtschaftlicher und sozialer Besserstellung den BF veranlasst habe, Afghanistan zu verlassen. Zudem bestehe für den BF eine taugliche innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative in der Stadt Kabul. Der BF sei volljährig, gesund und arbeitsfähig und könne seinen Lebensunterhalt in Kabul bestreiten. Er liefe nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse nicht befriedigen zu können und in eine aussichtlose Lage zu geraten.

Der BF erhob mit Eingabe vom 27.09.2017 bevollmächtigt vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen diesen Bescheid fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und führte begründend aus, dass die belangte Behörde in der Begründung ihrer Entscheidung nicht ausreichend berücksichtigt habe, dass der BF Hazara und schiitischer Moslem sei. Im Falle seiner Rückkehr sei der BF, wie die zitierten Länderinformationen belegen würden, der ernstlichen Gefahr ausgesetzt, nicht nur von den Mördern, sondern auch aufgrund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit verfolgt bzw. bedroht zu werden. Die Behörde habe sich daher unzureichend mit den Fluchtgründen des BF auseinandergesetzt. Selbst für den Fall, dass dem Vorbringen des BF die Asylrelevanz abgesprochen werde, hätte dem BF jedenfalls subsidiärer Schutz gewährt werden müssen. Entgegen den Ausführungen der belangten Behörde stehe dem BF keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Der BF sei noch nie in Kabul gewesen, sei mit den Örtlichkeiten nicht vertraut, und er habe kein soziales Netzwerk in Kabul, auf welches er zurückgreifen könne. Laut den zitierten Länderinformationen hätten insbesondere Rückkehrer ohne Familienrückhalt, die aus armen Verhältnissen stammen, bei einer Rückkehr nach Kabul mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu rechnen. Die belangte Behörde habe es unterlassen, sämtliche von UNHCR vorgeschriebenen Aspekte einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu prüfen, weswegen beantragt werde, der Beschwerde stattzugeben.

Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 12.10.2017 beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein.

Mit Eingabe vom 12.02.2018 gab Mag. Robert BITSCHE, Rechtsanwalt, das Vollmachtsverhältnis mit dem BF bekannt. Der Verein Menschenrechte Österreich gab mit Eingabe vom 26.02.2018 die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses mit dem BF bekannt.

Das BVwG führte am 08.03.2018 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der die belangte Behörde entschuldigt nicht teilnahm. Der BF wurde im Beisein seiner Vertreterin und eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt und wurde ihm Gelegenheit gegeben, zu den aktuellen Feststellungen zur Situation in Afghanistan Stellung zu nehmen. Dabei brachte der BF unter anderem erstmals vor, dass er früher schiitischer Moslem gewesen sei, jetzt sei er "eigentlich nichts". Das BVwG legte im Rahmen der Verhandlung die aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan, genauer das Länderinformationsblatt Afghanistan in der Fassung vom 30.01.2018, einen Auszug aus der UNHCR Richtlinie vom 19.04.2016, eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 12.07.2017 zu AFGHANISTAN, Christen, Konvertiten, Abtrünnige in Afghanistan, vor und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von drei Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Der BF, bevollmächtigt vertreten durch seinen anwaltlichen Vertreter, führte in seiner Stellungnahme vom 13.03.2018 im Wesentlichen aus, dass er sich auf zwei Fluchtgründe stütze, einerseits auf sein Vorbringen, wonach er gemeinsam mit seinem Freund Zeuge eines Mordes geworden sei, und andererseits sei der BF nicht mehr religiös, da er nicht mehr bete und den Ramadan nicht mehr einhalte. Apostasie werde nach den UNHCR Richtlinien mit dem Tod bestraft. Der BF habe nur für drei Jahre die Schule besucht und sei Analphabet. Eine Rückkehr nach Ghazni sei ihm aufgrund der volatilen Sicherheitslage nicht möglich. Bei einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative müsse der BF den Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk haben, wie dies auch die Afghanistan-Spezialistin Friederike Stahlmann in ihrem Artikel im Asylmagazin bestätigt habe. Der BF sei sehr an seiner Integration interessiert, er besuche Deutsch- und andere Kurse, er zeige große Begabung und Interesse für den handwerklichen Bereich, insbesondere hinsichtlich der Metallverarbeitung. Mit Zunahme der Aufenthaltsdauer trete der Aspekt des aufenthaltsrechtlichen Status zunehmend in den Hintergrund, sodass sich die in diesem Zeitraum entstandene persönliche oder gar familiäre Bindung auf die Interessensabwägung mitunter entscheidend zugunsten einer Abstandnahme von einer Ausweisung auswirken könne. Der BF sei zudem in Österreich nicht straffällig geworden. Der BF könne zukünftig in der Metallverarbeitung arbeiten und sei dann sohin selbsterhaltungsfähig. Kontakte zu seinem Herkunftsland würden nicht mehr bestehen. Es sei von einer umfassenden Integration des BF in Österreich auszugehen. Es werde beantragt, dem BF Asyl zu gewähren, in eventu, ihm subsidiären Schutz zu gewähren, in eventu, die Rückkehrentscheidung für dauerhaft unzulässig zu erklären. Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

Der anwaltliche Vertreter des BF übermittelte mit Schreiben vom 27.03.2019 weitere Integrationsunterlagen, wie Empfehlungsschreiben. Das BVwG übermittelte diese mit Schreiben vom 28.03.2019 zur Kenntnis an die belangte Behörde.

Mit Schreiben vom 17.04.2019 übermittelte das BVwG den Parteien des Verfahrens die aktuellen Länderinformationen, genauer das Länderinformationsblatt zu Afghanistan in der Fassung vom 26.03.2019, die aktuelle UNHCR Richtlinie vom 30.08.2018 und Auszüge aus den EASO Leitlinien vom Juni 2018 und räumte die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer bestimmten Frist eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Das BVwG führte am 02.05.2019 eine Abfrage im GVS System durch, wonach der BF seit 28.11.2015 Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung bezieht. Aus dem vom BVwG am selben Tag eingeholten Auszug aus dem Strafregister ist ersichtlich, dass im Strafregister der Republik Österreich für den BF keine Verurteilungen aufscheinen.

Der BF führte in seiner Stellungnahme vom 07.05.2019 durch seinen bevollmächtigten Vertreter im Wesentlichen aus, dass der BF im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan wegen des geschilderten Vorfalles von Blutrache und Blutfehde betroffen sei. Die namentlich zitierten Länderinformationen würden belegen, dass es keine festen Regeln, wie beispielsweise ein Mindestalter für Blutrache gebe und, dass Blutrache auch nach Jahren und Jahrzehnten noch ausgeübt werden könne. Auch die aktuelle UNHCR Richtlinie vom 30.08.2019 würde ein eigenes Risikoprofil für Personen, die in Blutfehden verwickelt sind, ausweisen. Darüber hinaus habe der BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgebracht, dass er vom Islam abgefallen sei, nicht mehr bete und nicht mehr faste. Das Leben des BF in Österreich und dessen Wertehaltung würden einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den islamischen gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen. Es könne dem BF nicht zugemutet werden, seine Meinung nicht frei zu äußern, die islamischen Glaubensriten zu praktizieren und sich den streng islamischen Werten und Normen, welche in Afghanistan herrschen, zu unterwerfen. Darüber hinaus befinde sich der BF seit ca. 3,5 Jahren im "Westen", das heiße in Österreich. Der BF würde allein aufgrund des langen Aufenthaltes im Westen bei einer Rückkehr unterstellt werden, ungläubig geworden und vom Islam abgefallen zu sein. Dem BF drohe nach den diversen zitierten Länderinformationen wegen Apostasie in Afghanistan die Todessstrafe, weswegen ihm jedenfalls internationaler Schutz zu gewähren sei. Auch in den EASO Leitlinien vom Juni 2018 seien Apostaten in den Risikoprofilen aufgelistet. Auch Blasphemie werde in Afghanistan laut EASO bestraft. Zudem sei die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan auch für ZivilistInnen nach wie vor äußerst prekär. Zudem gehöre der BF der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Moslems an. Es finde eine soziale Diskriminierung der Hazara in Afghanistan statt, wie die zahlreichen zitierten Länderinformationen belegen würden. Zudem hätten Rückkehrer und Binnenvertriebene einen begrenzten Zugang zu Unterkunft, Lebensmitteln, Wasser und sanitären Einrichtungen. Auch sei die Arbeitsmöglichkeit laut den zitierten Länderinformationen vom Vorhandensein sozialer Netzwerke abhängig, die der BF nicht habe. Auch die Gesundheitsversorgung sei wegen der großen Korruption ein Problem. Eine Rückkehr nach Herat oder Mazar-e Sharif sei daher nicht möglich. Eine innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative in der Stadt Kabul sei laut UNHCR angesichts der derzeit dort herrschenden Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Situation grundsätzlich nicht verfügbar. Ausgehend von der umfassend zitierten Länderinformation ergebe sich mit Blick auf die persönliche Situation des BF, dass auch dieser individuell von der prekären Sicherheitssituation im Falle einer Rückkehr betroffen sei. Es sei kein ausreichendes familiäres oder soziales Netzwerk im Falle seiner Rückkehr vorhanden. Der BF sei daher im Falle seiner Rückkehr von Obdachlosigkeit bedroht und erheblichen Schwierigkeiten ausgesetzt. Die Unterstützungsleistungen, die im Falle einer Rückkehr angeboten werden würden, seien in keinem Fall ausreichend, um selbstständig ohne Unterstützung eines sozialen Netzwerkes überleben zu können. Der BF habe mit niemandem in Afghanistan Kontakt und er wisse auch nicht, wo sich seine Familie aufhalte. Es sei dem BF daher jedenfalls subsidiärer Schutz zu gewähren. Der BF habe sich in Österreich nachhaltig sozial und sprachlich integriert, weswegen sich eine Rückkehrentscheidung in diesem besonderen Einzelfall als unverhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK erweisen würde. Der BF legte eine Reihe von Integrationsunterlagen vor. Das BVwG übermittelte der belangten Behörde mit Schreiben vom 09.05.2019 diese Stellungnahme zur Information. Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , im Dorf XXXX , im Distrikt Jaghori, in der Provinz Ghazni, ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an, ist schiitischer Moslem, gesund, volljährig, ledig und hat keine Kinder. Die Muttersprache des BF ist Dari. Der BF wuchs in seinem Heimatdorf auf. Der BF besuchte drei Jahre lang die Schule, hat jedoch keine Berufsausbildung absolviert.

Der Vater des BF heißt XXXX , er ist ca. 44 Jahre alt. Seine Mutter heißt XXXX , sie ist ca. 39 Jahre alt. Der BF hat jüngere Geschwister, zwei Brüder und fünf Schwestern. Die Eltern und die Geschwister des BF leben mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nach wie vor im Heimatdorf des BF. Die Familie des BF ist Eigentümerin eines Hauses und von Grundstücken im Heimatdorf des BF. Die Familie lebte von der familieneigenen Landwirtschaft und von dem Einkommen, das der Vater des BF als Bauarbeiter verdiente. Der BF half seinem Vater in der Landwirtschaft und am Bau. Der BF ist Zivilist.

Der BF hat in Afghanistan drei Onkel väterlicherseits, drei bis vier Onkel mütterlicherseits, eine Tante väterlicherseits und drei Tanten mütterlicherseits. Eine Tante lebt in Kabul, ein Onkel lebt in Herat, die restlichen Verwandten leben in der Provinz Ghazni, im Distrikt Jaghori.

Der BF reiste im Jahr 2015 aus Afghanistan aus und gelangte über den Iran, die Türkei über Griechenland und weitere Staaten nach Österreich, wo er am 27.11.2015 als unbegleiteter Minderjähriger Flüchtling illegal einreiste und am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.2 Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Das vom BF dargelegte Fluchtvorbringen betreffend die Gefahr, von drei Männern bzw. deren Familien, die einen Mord an zwei Personen ausgeführt haben sollen, verfolgt und getötet zu werden, da der BF Zeuge des Mordes geworden sein soll und in der Moschee der Dorfbevölkerung davon erzählt habe, was zur Verhaftung der Männer geführt haben soll, ist nicht glaubhaft.

Der BF betet in Österreich nicht mehr und hält den Ramadan nicht ein. Der BF hat niemandem aus seinem Bekannten- und Verwandtenkreis erzählt, dass er ohne Bekenntnis sei.

Der BF war in seinem Heimatland Afghanistan keiner psychischen oder physischen Gewalt aus Gründen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt, noch hat er eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten.

Der BF wurde in Afghanistan nie persönlich bedroht oder angegriffen, es droht ihm auch künftig keine psychische und/oder physische Gewalt von staatlicher Seite, und/oder von Aufständischen, und/oder von sonstigen privaten Verfolgern in seinem Herkunftsstaat.

Dem BF droht wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur schiitischen Religion konkret und individuell keine physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan. Nicht jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara oder der schiitischen Religion ist in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.

Es ist nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass konkret der BF auf Grund der Tatsache, dass er sich seit dreieinhalb Jahren in Europa aufhält bzw. dass jeder afghanische Staatsangehörige, der aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre. Ebenso wenig kann mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass dem BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner "westlichen Wertehaltung" psychische und/oder physische Gewalt drohen würde.

Auch sonst haben sich keine Hinweise für eine dem BF in Afghanistan individuell drohende Verfolgung ergeben.

1.3 Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der BF befindet sich seit seiner Antragstellung am 27.11.2015 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet. Er bezieht seit seiner Einreise Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung.

Der BF besuchte Deutschkurse und verfügt über Kenntnisse der deutschen Sprache. Er besuchte in Österreich in der Zeit vom 18.09.2017 bis 09.02.2018 einen Basisbildungskurs kompakt in Deutsch, Mathematik und Informations- und Kommunikationstechnologie. In der Zeit vom 05.09.2016 bis 24.12.2016 nahm er am Qualifizierungsprogramm XXXX im Bereich Metall teil. Er nahm in der Zeit vom 05.09.2016 bis 31.08.2017 an dem Projekt " XXXX " im Ausbildungsbereich Metall teil. Der BF besucht im Schuljahr 2018/2019 die XXXX in XXXX . Der BF nahm am 09.02.2019 an einem Workshop " XXXX " bei der Caritas XXXX teil. In seiner Freizeit spielt der BF Beachvolleyball und Fußball bzw. geht er spazieren. Da der BF keine Arbeitserlaubnis hat, kann er in Österreich nicht arbeiten. Der BF hat in Österreich keine Familienangehörigen. Neben Freundschaften konnten keine weiteren substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens des BF in Österreich festgestellt werden. Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.4 Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem BF bei einer Überstellung in seine Herkunftsprovinz Ghazni aufgrund der volatilen Sicherheitslage und der dort stattfinden willkürlichen Gewalt im Rahmen von internen bewaffneten Konflikten ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.

Dem BF steht als interstaatliche Flucht- und Schutzalternative eine Rückkehr in die Stadt Mazar-e Sharif zur Verfügung, wo es ihm möglich ist, ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können bzw. in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Dem BF droht bei seiner Rückkehr in diese Stadt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.

Der BF ist jung und arbeitsfähig. Seine Existenz kann er in Mazar-e Sharif - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, eine einfache Unterkunft zu finden. Der BF hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, sodass er im Falle der Rückkehr - neben den eigenen Ressourcen - auf eine zusätzliche Unterstützung zur Existenzsicherung greifen kann. Diese Rückkehrhilfe umfasst jedenfalls auch die notwendigen Kosten der Rückreise. Er hat eine dreijährige Schulausbildung, weiters hat er bereits erste Berufserfahrungen in Afghanistan in der Landwirtschaft und am Bau gesammelt, die er auch in Mazar-e Sharif wird nutzen können. In Österreich eignete er sich weitere Kenntnisse im Bereich Metallverarbeitung an, die ihm in Mazar-e Sharif auch zugutekommen werden.

Der BF ist gesund. Der BF läuft im Falle der Rückkehr in eine nach Mazar-e Sharif nicht Gefahr, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten, oder dass sich eine Erkrankung in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern wird. Es sind auch sonst keine objektivierten Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere schwerwiegende körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des BF in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

1.5 Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Stand vom 26.03.2019, in den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018, den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 und den in der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu AFGHANISTAN, Christen, Konvertiten, Abtrünnige in Afghanistan vom 12.07.2017 enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

1.5.1 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren.

1.5.1.1 Herkunftsprovinz Ghazni

Ghazni, die Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers, ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistans. Ghazni liegt 145 km südlich von Kabul Stadt entfernt und liegt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Ghazni grenzt im Norden an die Provinzen (Maidan) Wardak und Bamyan, im Osten an Logar, Paktia und Paktika, im Süden an Zabul und im Westen an Uruzgan und Daikundi. Laut dem afghanischen Statistikbüro (CSO) ist Ghazni die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl, die auf 1.270.3192 Bewohner/innen geschätzt wird. Hauptsächlich besteht die Bevölkerung aus großen Stämmen der Paschtunen sowie Tadschiken und Hazara; Mitglieder der Bayat, Sadat und Sikh sind auch dort vertreten, wenngleich die Vielzahl der Bevölkerung Paschtunen sind.

Die Provinz Ghazni zählt zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes zählt. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv, wobei es in der Provinz kommt zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen kommt.

Im Zeitraum 01.01.2017-30.04.2018 wurden in der Provinz 163 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten/willkürlichen Tötungen. Dies bedeutet einen Rückgang von 11% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

Sowohl das Haqqani-Netzwerk, als auch die Taliban sind in manchen Regionen der Provinz aktiv. Sicherheitsbeamte sprechen von mehreren Gruppierungen, die in der Provinz aktiv sind, während die Taliban selbst behaupten, die einzige Gruppierung in der Provinz Ghazni zu sein. Basierend auf geheimdienstlichen Informationen, bestritt das afghanische Innenministerium im Jänner 2018, dass der IS in der Provinz Ghazni aktiv sei. Für den Zeitraum 01.01.-15.07.2017 wurden IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet - insbesondere an der Grenze zu Paktika. Zwischen 16.07.2017 - 31.01.2018 wurden hingegen keine Vorfälle registriert.

Die Provinz Ghazni zählt laut EASO zu jenen Provinzen Afghanistans, wo willkürliche Gewalt stattfindet und allenfalls eine reelle Gefahr festgestellt werden kann, dass der BF ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie nehmen könnte - vorausgesetzt, dass er aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse von derartigen Risikofaktoren konkret betroffen ist.

1.5.1.2 Provinz Balkh

Hingegen handelt es sich bei der Provinz Balkh, mit deren Hauptstadt Mazar-e Sharif, laut EASO um einen jener Landesteile, wo willkürliche Gewalt ein derart niedriges Ausmaß erreicht, dass für Zivilisten im Allgemeinen keine reelle Gefahr besteht, von willkürlicher Gewalt im Sinne von Art 15 (c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen zu sein.

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte. Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt. Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben.

1.5.2 Sichere Einreise

Die Stadt Mazar-e Sharif ist über den internationalen Flughafen sicher erreichbar. Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher.

1.5.3 Wirtschafts- und Versorgungslage

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut auch im Jahr 2018 weiterhin zu.

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten im Jahr 2018 als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können.

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant.

1.5.3.1 Wirtschafts- und Versorgungslage der Stadt Mazar-e Sharif

Mazar-e Sharif ist ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. In Mazar-e Sharif besteht laut EASO grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Als Alternative dazu stehen ferner günstige Unterkünfte in "Teehäusern" zur Verfügung. Generell besteht in Mazar-e Sharif laut EASO, trotz der im Umland herrschenden Dürre, keine Lebensmittelknappheit. In Mazar-e Sharif haben die meisten Leute laut EASO Zugang zu erschlossenen Wasserquellen sowie auch zu besseren Sanitäreinrichtungen. Schulische Einrichtungen sind in Mazar-e Sharif vorhanden.

1.5.4 Medizinische Versorgung

Medizinische Versorgung ist in Afghanistan insbesondere in größeren Städten wie etwa auch in Mazar-e Sharif sowohl in staatlichen als auch privaten Krankenhäusern verfügbar. In Mazar-e Sharif zählt dazu das Abu Ali Sinha Regional Hospital und das privat geführte Alemi Krankenhaus. Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar.

1.5.5 Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen.

Die schiitische Minderheit der Hazara, zu welchen der BF zählt, macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten.

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können.

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert; vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert.

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft. So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt. Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke.

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf; soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen.

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert.

1.5.6 Religion

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 10-15 % Schiiten, wie es auch der BF ist.

Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS.

Abtrünnige bekennen sich üblicherweise in Afghanistan nicht öffentlich. Sollten sie ihre Meinung öffentlich kundtun und sich auf Diskussionen einlassen, um ihren abtrünnigen Glauben vergleichend mit dem Islam zu verteidigen, werden sie von der Gesellschaft schlecht behandelt. Staatliche Behörden werden nur dann eingreifen, wenn sich Abtrünnige öffentlich äußern und soziale Probleme hervorrufen.

Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen. Es gibt in Afghanistan viele Menschen, die während des Ramadans nicht fasten und freitags nicht beten. In ländlichen Gebieten wird diesen Personen von der Gesellschaft nahegelegt, (zumindest) das Freitags- und Ramadan-Gebet einzuhalten. Die Gesellschaft behandelt das Nichtbeten als kleine Vergehen. Das Nicht-Fasten ist in ländlichen Gebieten eine heiklere Angelegenheit. Vorfälle schlechter Behandlung wegen Nicht-Fastens durch die Gesellschaft kommen vor. Es gibt keine Berichte zur offiziellen Strafverfolgung wegen des Nicht-Fastens zu Ramadan. In städtischen Gebieten ist die Gesellschaft flexibler und weniger streng.

1.5.7 Rückkehrer

In der Zeit von 2012 bis 2017 sind 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei der Großteil der Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran kommen. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. In der Provinz Balkh ließen sich von den insgesamt ca. 1,8 Millionen Rückkehrer/innen in der Zeit von 2012 bis 2017 109.845 Personen nieder.

Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen besteht auch für zurückkehrende Flüchtlinge das Risiko, in die Armut abzurutschen. Sowohl das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme) als auch andere UN-Organisationen arbeiten mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen und Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen.

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen. Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (BFA Staatendokumentation 4.2018). Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist.

Die Großfamilie ist für Zurückkehrende die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen. Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren.

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit sowie zu den Aufenthaltsorten, Familienangehörigen, Sprachkenntnissen, der Schulbildung und Berufserfahrung des BF beruhen auf dessen plausiblen, im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben im Laufe des Asylverfahrens. Die Angaben dienen zur Identifizierung im Asylverfahren.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 145/2017, (in der Folge: AsylG 2005) liegt es auch am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd § 274 ZPO zu verstehen. Ausgehend von § 274 Abs. 1 letzter Satz ZPO eignet sich nur eine Beweisaufnahme, die sich sofort ausführen lässt (mit Hilfe so genannter "parater" Bescheinigungsmittel) zum Zwecke der Glaubhaftmachung (VwGH 27.05.2014, 2014/16/0003 mwN), wobei der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen seiner asylrechtlichen Spruchpraxis von dieser Einschränkung abweicht.

Mit der Glaubhaftmachung ist auch die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).

Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.

Unter diesen Maßgaben ist das Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen. Dabei ist v.a. auf folgende Kriterien abzustellen: Zunächst bedarf es einer persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers, die insbesondere dann getrübt sein wird, wenn sein Vorbringen auf ge- oder verfälschte Beweismittel gestützt ist oder er wichtige Tatsachen verheimlicht respektive bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegründet und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert. Weiters muss das Vorbringen des Asylwerbers - unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten - genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen; diese Voraussetzung ist u.a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

Vor diesem Hintergrund geht die zur Entscheidung berufene Richterin des BVwG auf Grund ihres in der mündlichen Verhandlung erhaltenen persönlichen Eindrucks, sowie der im Akt einliegenden niederschriftlichen Erstbefragung und Ersteinvernahme des BF davon aus, dass ihm hinsichtlich seines Fluchtvorbringens (betreffend die Gefahr, von den Familien der Männer, die der BF als Mörder identifiziert und die daraufhin verhaftet worden seien, verfolgt zu werden) keine Glaubwürdigkeit zukommt:

In seiner Erstbefragung gab der BF noch an, er habe gesehen, dass drei Personen zwei Männer getötet hätten und habe das in seinem Dorf erzählt. Einer der Mörder stamme aus dem Dorf des BF, der BF kenne ihn vom Sehen, aber kenne seinen Namen nicht. Die Männer hätten den BF umbringen wollen, da der BF Zeuge des Mordes geworden sei, weshalb er nach Europa geflüchtet sei (vgl. AS 9). In der Folge steigerte der BF in der Einvernahme vor der belangten Behörde am 08.09.2017 und in der Verhandlung vor dem BVwG sein Fluchtvorbringen und führte aus, dass er mit seinem Freund XXXX auf dem Heimweg von Volleyball spielen gewesen sei, als die beiden Schüsse gehört hätten. Sie hätten nachgesehen, was los sei und hätten drei Personen stehen und zwei Personen auf dem Boden liegen gesehen. Einer der Männer habe ihnen gesagt, dass sie nicht weitererzählen dürften, was sie gesehen hätten, da sie sonst auch getötet würden. Zuhause habe der BF seinem Vater davon erzählt, welcher ihn ebenfalls davor gewarnt habe, von dem Vorfall zu sprechen. Am nächsten Tag hätten der BF und sein Freund XXXX in der Moschee den anwesenden Leuten jedoch davon erzählt. Aufgrund der Täterbeschreibung seien die Mörder identifiziert und verhaftet worden. Einige Tage später sei XXXX getötet worden, vermutlich von der Familie oder den Freunden der Mörder. Der BF habe Angst gehabt, ebenfalls getötet zu werden, weshalb er Afghanistan verlassen habe (vgl. Seiten 10ff der Niederschrift der belangten Behörde vom 08.09.2017 und Seite 12ff der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung am 08.03.2018).

Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 dient die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden und hat sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen (vgl. hierzu auch VfGH 27.06.2012, U 98/12), ein Beweisverwertungsverbot ist damit jedoch nicht normiert; die Verwaltungsbehörde bzw. das BVwG können in ihrer Beweiswürdigung also durchaus die Ergebnisse der Erstbefragung in ihre Beurteilung miteinbeziehen.

Es wird im vorliegenden Fall zwar nicht verkannt, dass sich die Erstbefragung BF nicht in erster Linie auf seine Fluchtgründe bezog, und diese daher nur in aller Kürze angegeben und protokolliert wurden. Ebenso wird berücksichtigt, dass der BF zum Zeitpunkt seiner Erstbefragung noch minderjährig war. Dass der BF seinen Freund XXXX , die Verhaftung der Täter sowie die darauffolgende Tötung von XXXX - und damit die eigentlichen Ausreisegründe aus Afghanistan - zunächst nicht einmal ansatzweise erwähnte, ist für das BVwG jedoch nicht nachvollziehbar. Dabei ist hervorzuheben, dass der BF grundsätzlich in der Lage sein muss, umfassende und inhaltlich übereinstimmende Angaben zu den konkreten Umständen und dem Grund der Ausreise aus dem Herkunftsstaat zu machen, zumal eine Person, die aus Furcht vor Verfolgung ihren Herkunftsstaat verlassen hat, gerade in ihrer ersten Einvernahme auf konkrete Befragung zu ihrer Flucht die ihr gebotene Möglichkeit wohl kaum ungenützt lassen wird, die Umstände und Gründe ihrer Flucht in umfassender und in sich schlüssiger Weise darzulegen, um den beantragten Schutz vor Verfolgung möglichst rasch erhalten zu können. Es entspricht auch der allgemeinen Lebenserfahrung, dass eine mit Vernunft begabte Person, die behauptet, aus Furcht vor Verfolgung aus ihrem Herkunftssaat geflüchtet zu sein, über wesentlich Ereignisse im Zusammenhang mit ihrer Flucht, die sich im Bewusstsein dieser Person einprägen, selbst nach einem längeren Zeitraum noch ausreichend konkrete, widerspruchsfreie und nachvollziehbare Angaben machen kann.

Der BF steigerte sein Vorbringen auch zwischen der Einvernahme vor der belangten Behörde und dem BVwG weiter. Gab er vor der belangten Behörde noch an, er wisse nicht, wer seinen Freund umgebracht habe, nannte er in der Beschwerdeverhandlung Familie bzw. Freunde eines Täters als Mörder von XXXX . Weiters brachte er vor der belangten Behörde zunächst vor, nicht persönlich bedroht worden zu sein, sondern nur durch seinen Vater erfahren zu haben, verfolgt zu werden. In der Beschwerdeverhandlung sprach der BF erstmals von persönlichen Bedrohungen, um auf Nachfrage der erkennenden Richterin zunächst ausweichende Antworten zu geben ("Ich habe diese Personen nie gesehen, die waren ganz "anders", die Leute. Ob es seine Freunde waren, keine Ahnung. Sie haben mich bedroht" vgl. S 13 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 08.03.2018) und nach weiterer Nachfrage erneut lediglich eine indirekte Bedrohung anzugeben, von der er über seinen Vater bzw. nicht näher genannte Freunde erfahren habe (vgl. S 14 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 08.03.2018).

In der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG legte der BF dann erstmals ein "Bestätigungsschreiben des Distriktsvorstehers von Jaghori" vor. Darin ist der vom BF geschilderte Vorfall zusammengefasst und mit Fingerabdrücken und Namen der Dorfältesten seines Heimatdorfes sowie zwei Stempeln versehen. Auf Befragen der erkennenden Richterin, woher der BF dieses Schreiben habe, gab der BF an, sein Vater habe es ihm geschickt. Er wisse nicht, wann das gewesen sei, im Heimatdorf gebe es auch kein Internet, deshalb habe es sein Vater jemandem gegeben, der es dem BF über den Facebook Messenger geschickt habe. Auf weitere Nachfrage, wann er diese Nachricht erhalten habe, gab der BF ausweichende Antworten, wonach er nicht sooft im Facebook Messenger online sei, eines Tages habe er das Schreiben dort gesehen. Auf Vorhalt, dass man im genannten Nachrichtendienst sehen kann, wann eine Nachricht gesendet wurde, gab der BF an, er habe nicht nachgeschaut. Auf Aufforderung der erkennenden Richterin in der Beschwerdeverhandlung, nachzusehen, wann und von wem er die Nachricht erhalten habe, gab der BF nach kurzem Suchen in seinem Mobiltelefon an, er könne es nicht finden, es sei "schon weg" (vgl. Seite 15 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung am 08.03.2018).

Diese Steigerung des Fluchtvorbringens und die Vorlage des "Bestätigungsschreibens", von welchem der BF weder sagen kann, von wem noch wann er es erhalten habe, ist als Indiz für ein insgesamt nicht glaubhaftes Vorbringen zu werten. Die Echtheit des Schreibens darf bezweifelt werden und ist vielmehr davon auszugehen, dass das vorgelegte Schreiben dazu dienen soll, das Fluchtvorbringen des BF zu untermauern. Es entspricht nicht der Lebensrealität, dass man bezüglich eines Schriftstücks, das zum Beweis des eigenen Fluchtgrundes dienen soll, weder den Zeitpunkt des Erhalts noch den Absender kennt, insbesondere da einem diese Informationen im Facebook Messenger automatisch angezeigt werden, und auch kein Interesse ob der Herkunft des Schreibens zeigt. Es ist nach Ansicht des BVwG weiters auch nicht plausibel, dass der BF zwar einerseits verneint, nach den angeblichen Bedrohungen seitens der Angehörigen der Mörder zur Polizei gegangen zu sein, da diese laut seinen Angaben "ja auch nichts machen" würde, er andererseits die Verhaftung der Mörder durch die Polizei - und demnach sehr wohl ein Aktivwerden der Sicherheitskräfte - als Auslöser seiner Bedrohung nannte. Daher erscheint auch insbesondere im Lichte der allgemeinen Verhältnisse in Afghanistan nicht lebensnah, dass der Distriktsvorsteher und die Dorfältesten als lokale Machthaber die angeblichen Vorkommnisse schriftlich bestätigen und sich hinter den BF stellen würden, die örtliche Polizei den BF als ihren Hinweisgeber jedoch nicht vor Angriffen der Familien der Mörder schützen würde. Die Eltern und Geschwister des BF leben mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit weiterhin im Heimatdorf, auch wenn der BF erstmals in seiner Stellungnahme vom 07.05.2019 behauptet, nicht zu wissen, wo dieses sich aufhalten würden. Es befinden sich jedenfalls auch mehrere Onkel und eine Tante des BF in Afghanistan, die meisten davon im Herkunftsdistrikt des BF, Jaghori, und gibt es keine Hinweise darauf, dass der Rest der Familie gefährdet ist. Dem BF gelang es darüber hinaus nicht nachvollziehbar darlegen, warum er überhaupt im Dorf von dem Mord erzählt habe, nachdem er zuvor sowohl von

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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