Entscheidungsdatum
27.05.2019Norm
AuslBG §1 Abs2Spruch
W167 2217012-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daria MACA-DAASE als Vorsitzende und die fachkundigen Laienrichter DI Dr. Stefan EBNER und Mag. Johannes DENK als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz (belangte Behörde) nach Beschwerdevorentscheidung am XXXX , beschlossen:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben, die angefochtene Entscheidung behoben und gemäß § 3 Absatz 8 AuslBG in Verbindung mit § 1 Absatz 2 lit. l AuslBG bestätigt, dass die Beschwerdeführerin vom Geltungsbereich des AuslBG ausgenommen ist.
B)
Die Revision ist gemäß Artikel 133 Absatz 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Am XXXX langte der Antrag der Beschwerdeführerin nach § 3 Absatz 8 AuslBG (Ausnahmebestätigung) bei der belangten Behörde ein. In diesem Antrag wurde die Staatsangehörigkeit des Ehemanns der Beschwerdeführerin mit "Österreich" angegeben. Den Unterlagen ist auch eine Staatbürgerschaftsbescheinigung eines weiteren EU-Mitgliedsstaates für den Ehemann beigelegt.
2. Mit Bescheid vom XXXX lehnte die belangte Behörde den Antrag ab, da bisher keine Aufenthaltskarte als Angehörige eines Österreichers ausgestellt wurde.
3. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin rechtzeitig Beschwerde, in der sie auf ihre unionsrechtliche Berechtigung zum Aufenthalt als Familienangehörige nach Artikel 2 Ziffer 2 der Unionsbürger-Richtlinie hinwies und darauf, dass die Erteilung einer Aufenthaltskarte nur deklarativen Charakter habe und die belangte Behörde nicht berechtigt sei, die Überprüfung des Antrags auszusetzen.
4. Mit Beschwerdevorentscheidung wies die belangte Behörde die Beschwerde ab. Sie führte zusammengefasst unter Hinweis auf Judikatur des EuGH im Wesentlich aus, der Ehemann der Beschwerdeführerin habe nach der Aktenlage sein Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen. Zudem sei eine Entscheidung der Aufenthaltsbehörde im Hinblick auf § 1 Absatz 2 lit. m AuslBG konstitutiv.
5. Die Beschwerdeführerin stellte rechtzeitig einen Vorlageantrag. In diesem verwies sie auf Judikatur (u.a. VwGH 03.04.2009, 2009/22/0030, EuGH Rechtssache McCarthy C-434/09) und darauf, dass die Ausstellung der Aufenthaltskarte bloß deklarativer Natur sei.
6. Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.
7. Im Rahmen des Parteiengehörs verwies die Beschwerdeführerin auf ergänzende Judikatur des EuGH.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Entscheidung wird folgender Sachverhalt zugrunde gelegt:
1.1. Die Beschwerdeführerin ist mit einem Österreicher, welche darüber hinaus auch über eine weitere Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedsstaates ( XXXX ) verfügt, verheiratet. Dieser lebte bisher ausschließlich in Österreich und ist in Österreich beschäftigt bzw. in Bildungsteilzeit. Die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann haben einen gemeinsamen Wohnsitz in Österreich.
1.2. Die zuständige Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde hat der Beschwerdeführerin trotz Antrags bislang keine Aufenthaltskarte als Angehörige eines Österreichers ausgestellt.
1.3. Die Beschwerdeführerin verfügt aktuell über eine Aufenthaltsbewilligung Studierender ( XXXX ). Zudem wurde ihr antragsgemäß mit gesonderter Entscheidung der belangten Behörde eine Beschäftigungsbewilligung für 15 Wochenstunden als freie Dienstnehmerin erteilt ( XXXX ).
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich unstrittig aus dem bisherigen Verwaltungsverfahren.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zu A)
3.1.1. Maßgebliche Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG):
Gemäß § 3 Absatz 8 AuslBG hat die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Ausländern, die gemäß § 1 Abs. 2 oder aufgrund einer Verordnung gemäß § 1 Abs. 4 vom Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes ausgenommen sind, auf deren Antrag eine Bestätigung darüber auszustellen.
Gemäß § 1 Absatz 2 lit. l AuslBG sind die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sind nicht anzuwenden auf Ausländer, die aufgrund eines Rechtsaktes der Europäischen Union Arbeitnehmerfreizügigkeit genießen.
Gemäß § 1 Absatz 2 lit. m AuslBG sind die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sind nicht anzuwenden auf Ehegatten [...] österreichischer Staatsbürger, die zur Niederlassung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, berechtigt sind.
3.1.2. Maßgebliche Bestimmungen der Unionsbürgerrichtlinie
Die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, [...] lautet auszugsweise:
"Artikel 2
Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
1. "Unionsbürger" jede Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt;
2. "Familienangehöriger"
a) den Ehegatten;
b) [...];
c) [...];
d) [...];
3. "Aufnahmemitgliedstaat" den Mitgliedstaat, in den sich der Unionsbürger begibt, um dort sein Recht auf Freizügigkeit oder Aufenthalt auszuüben.
"Artikel 3
Berechtigte
(1) Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Artikel 2 Nummer 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.
[...]"
"Artikel 7
Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate
(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er
a) Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder
b) [...]
c) [...]
d) ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen des Buchstaben a, b oder c erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht.
(2) Das Aufenthaltsrecht nach Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen, sofern der Unionsbürger die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchstabe a, b oder c erfüllt.
(3) Für die Zwecke des Absatzes 1 Buchstabe a bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft dem Unionsbürger, der seine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger nicht mehr ausübt, in folgenden Fällen erhalten:
a) [...]
b) [...]
c) [...]
d) er beginnt eine Berufsausbildung; die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft setzt voraus, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.
(4) [...]"
"Artikel 23
Verbundene Rechte
Die Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt in einem Mitgliedstaat genießen, sind ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit berechtigt, dort eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger aufzunehmen."
"KAPITEL VI
Beschränkungen des Einreise- und Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit
[...]"
3.1.3. Maßgebliche Judikatur
Eine Aufenthaltskarte nach § 54 NAG 2005 gehört zu den Dokumentationen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts. In diesen Fällen ergibt sich das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht nicht aus einer nationalen gesetzlichen Berechtigung, sondern Kraft unmittelbar anwendbaren Unionsrechts. Diese Bescheinigung hat bloß deklaratorische Wirkung. Ein das Aufenthaltsrecht konstitutiv begründender Aufenthaltstitel liegt mit der Aufenthaltskarte damit nicht vor (vgl. E 26. Juni 2012, 2010/22/0035, wonach einer Aufenthaltskarte gemäß Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG als bloße Anmeldebescheinigung keine Bindungswirkung für die nationale Behörde zukommt). Dies deckt sich im Ergebnis mit den E 4. September 2006, 2006/09/0070, und vom 24. April 2012, 2012/09/0003; diese sehen grundsätzlich nur außerhalb der Freizügigkeitssachverhalte ein Recht auf Aufenthalt (oder Niederlassung) mit einem Aufenthaltstitel mit konstitutiver Wirkung eingeräumt. Im Falle einer Aufenthaltskarte nach § 54 Abs. 1 NAG 2005 "dokumentiert" - also bescheinigt - diese die Berechtigung für Angehörige eines EWR-Bürgers zum Aufenthalt für mehr als drei Monate (und iVm Art. 23 der Richtlinie 2004/38/EG auch zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger). Aus der Aufenthaltskarte ist keine Bindungswirkung für das AMS abzuleiten, sondern stellt die erwähnte Aufenthaltskarte bloß eine Bescheinigung dar. Im Verfahren über die Ausstellung einer Bestätigung nach § 3 Abs. 8 AuslBG sind die diesbezüglichen Voraussetzungen zu prüfen. Die dafür zuständige Behörde hat darzutun, ob sie die erwähnte Dokumentation/das Vorliegen einer Bescheinigung für die Annahme der Tatbestandsmerkmale als ausreichend erachtet oder nicht. (VwGH 26.04.2016, Ra 2015/09/0137)
Wurde mit Bescheid ausgesprochen, dass der Ausländer gemäß § 3 Abs. 8 iVm § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG vom Anwendungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes ausgenommen ist, so ist das Arbeitsmarktservice verpflichtet, dem Ausländer eine Bestätigung gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG iVm § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG auszustellen. Eine Bestätigung für in der Vergangenheit liegende Zeiträume sieht das Gesetz nicht vor. (VwGH 09.09.2014, 2013/09/0184)
Die Art 9 und 10 sowie 7 Abs 2 der Richtlinie 2004/38/EG entfalten unmittelbare Wirkung, sodass sie entgegenstehende nationale Regelungen, [...], kraft des dem unmittelbar wirkenden Gemeinschaftsrecht inhärenten Anwendungsvorranges verdrängen. (VwGH 22.01.2009, 2008/21/0671)
3.1.4. Für den Beschwerdefall bedeutet das:
Strittig ist im Beschwerdefall, ob die Ausstellung der Aufenthaltskarte deklarativer oder konstitutiver Natur und dementsprechend Voraussetzung für die Erteilung einer Bestätigung gemäß § 8 Absatz 3 AuslBG ist sowie weiters ob der Ehemann der Beschwerdeführerin in Österreich im Hinblick auf seine beiden Staatsangehörigkeiten bereits einen Freizügigkeitssachverhalt gesetzt hat.
§ 3 Absatz 8 AuslBG stellt auf die Verwirklichung eines der in § 1 Absatz 2 AuslBG aufgezählten Ausnahmebestände (lit a bis lit m) ab.
Im Beschwerdefall war bereits im Antragszeitpunkt bekannt, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin neben der österreichischen noch über eine weitere Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates der EU verfügt. Darüber hinaus ist er in Österreich erwerbstätig bzw. in Bildungsteilzeit.
Das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht für Angehörige eines EWR-Bürgers ergibt sich Kraft unmittelbar anwendbarem Unionsrecht. Aufenthaltskarten gemäß § 54 NAG 2005 dokumentieren zwar dieses unionsrechtliche Aufenthaltsrecht, haben als Bescheinigungen aber bloß deklaratorische Wirkung. Aus der Aufenthaltskarte ist auch keine Bindungswirkung für das AMS abzuleiten, weshalb dieses im Verfahren über die Ausstellung einer Bestätigung nach § 3 Absatz 8 AuslBG die diesbezüglichen Voraussetzungen zu prüfen hat und darzutun hat, ob sie die erwähnte Dokumentation/das Vorliegen einer Bescheinigung für die Annahme der Tatbestandsmerkmale als ausreichend erachtet oder nicht (vergleiche dazu VwGH 26.04.2016, Ra 2015/09/0137, oben 3.1.3.)
Zuerst ist zu klären, ob der Ehemann der Beschwerdeführerin einen "Freizügigkeitssachverhalt" gesetzt hat. Nach dem Vorbringen der Parteien ist zu prüfen, ob die Berufstätigkeit des Ehemanns der Beschwerdeführerin in Österreich - im Hinblick auf Doppelstaatsbürgerschaft - ausreichend für die Inanspruchnahme der Freizügigkeit ist. Für das Beschwerdeverfahren ist von der Staatsangehörigkeit des Ehemanns der Beschwerdeführer zu einem weiteren EU-Mitgliedstaat auszugehen. Da er in Österreich bereits gearbeitet hat und derzeit Bildungsteilzeit in Anspruch nimmt, bleibt seine Erwerbstätigeneigenschaft aufrecht (vergleiche Artikel 7 Absatz 3 lit. c Unionsbürgerrichtlinie) und er verwirklicht einen Freizügigkeitssachverhalt. Soweit unterscheidet sich der Beschwerdefall auch von EuGH 05.05. 2011, C-434/09 (Rechtssache McCarthy), dem ein anderer Sachverhalt (nämlich der Bezug von Sozialleistungen durch die in Großbritannien lebende britisch-irische Staatsangehörige, die deshalb laut EuGH nie einen Freizügigkeitssachverhalt gesetzt hat) zugrunde lag.
Daher erfüllt auch seine drittstaatsangehörige Ehefrau als Angehörige im Sinne der Unionsbürgerrichtlinie die Voraussetzungen gemäß § 1 Absatz 2 lit. l AuslBG und damit die des § 3 Absatz 8 AuslBG.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Das Dokument "Bestätigung gemäß § 3 Absatz 8 AuslbG" ist von der belangten Behörde auszustellen (vergleiche VwGH 09.09.2014, 2013/09/0184). Eines eigenen Ausspruches darüber bedarf es nicht. Diese Verpflichtung der Behörde besteht ex lege (Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, 2. überarbeitete Auflage, § 28 VwGVG K 39).
Das Bundesverwaltungsgericht erachtete die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 VwGVG für nicht erforderlich, da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde und dem Vorlageantrag geklärt erscheint und eine reine Rechtsfragenbeurteilung vorliegt.
3.2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Doppelstaatsbürger, Familienangehöriger, Recht auf Freizügigkeit,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W167.2217012.1.00Zuletzt aktualisiert am
09.07.2019