TE Bvwg Beschluss 2019/5/28 W132 2214200-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.05.2019
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Entscheidungsdatum

28.05.2019

Norm

BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W132 2214200-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula GREBENICEK als Vorsitzende und den Richter Mag. Christian DÖLLINGER sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Regina BAUMGARTL als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , bevollmächtigt vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich vom XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 Bundesbehindertengesetz (BBG), beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung:

Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) hat dem Beschwerdeführer am 11.03.2011 einen unbefristeten Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung in Höhe von 60 vH ausgestellt und die Zusatzeintragungen "D1" und "D3" vorgenommen.

2. Am 20.08.2018 hat der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde unter Vorlage eines Befundkonvolutes einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960) gestellt, welcher auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gilt.

Nachstehend angeführte medizinische Beweismittel wurden in Vorlage gebracht:

XXXX 2.1. Im zur Überprüfung des Antrages von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten Dris. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, wird basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 25.09.2018, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

-

Polyarthritis

-

Diabetes mellitus

-

Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule

-

Endoprothese des linken Kniegelenkes

-

Hypertonie

-

Coxarthrose der rechten Hüfte

Zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wird folgendes ausgeführt:

"Es liegen keine Funktionsbeeinträchtigungen vor, welche das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zulassen. Es bestehen degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und der Gelenke. Der festgestellte Bewegungsumfang ist jedoch ausreichend, um Stufen zu überwinden. Diese Leiden verursachen eine mäßige Reduktion der Gehstrecke, welche jedoch das Zurücklegen einer kurzen Gehstrecke (300 - 400m) noch ohne erhebliche Schwierigkeiten zulässt. Darüber hinaus liegt auch keine relevante muskuläre Schwäche vor, sodass insgesamt eine erhebliche Erschwernis der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht ausreichend begründet werden kann. Inbesondere ist auch das Erfordernis der Verwendung von Stützkrücken nicht ausreichend objektivierbar."

2.2. Im Rahmen des gemäß § 45 Abs. 3 AVG erteilten Parteiengehörs wurde von der bevollmächtigten Vertretung des Beschwerdeführers unter Vorlage von Beweismitteln im Wesentlichen vorgebracht, dass die Beurteilung des Leidenszustandes unter Berücksichtigung der vorliegenden Gesundheitsschädigungen nicht nachvollziehbar sei und auch nicht begründet worden sei. Auch seien nicht alle vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen berücksichtigt worden. Der Beschwerdeführer leide an einer erheblichen rheumatischen Erkrankung mit Schmerzen in den Gelenken, der Hüfte, der Knie sowie des Sprunggelenkes und befinde sich in ständiger Behandlung im Rheumazentrum Stockerau. Diese Schmerzen würden längeres Gehen und Stehen verunmöglichen. Er leide weiters an Herz- und Atemproblemen und es liege ein Restless leg Syndrom vor. Der Beschwerdeführer müsse nach 100 m bis 200 m Gehstrecke eine längere Pause einlegen und es sei die ständige Verwendung von Krücken erforderlich. Er könne öffentliche Verkehrsmittel auch nicht benützen, weil er nicht in der Lage sei, sich ausreichend und sicher abzustützen und sei die Bewältigung von längeren Treppen nicht möglich. Es werde beantragt Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Innere Medizin und Neurologie einzuholen.

Nachstehend angeführte medizinische Beweismittel wurden in Vorlage gebracht:

XXXX 2.3. Zur Überprüfung der Einwendungen wurde von der belangten Behörde ein medizinisches Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Fachärztin für Neurologie, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 06.12.2018 eingeholt, in welcher die Sachverständige im Wesentlichen Folgendes ausführt:

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

-

Polyarthritis

-

Insulinpflichtiger Diabetes mellitus

-

Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule

-

St.p. Hüft-Totalendoprothese rechts (zwischenzeitlich Implantiert)

-

St.p. Knie-Totalendoprothese links

-

Arterielle Hypertonie

-

Restless legs Syndrom

Zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wird folgendes ausgeführt:

"Es liegen keine Funktionsbeeinträchtigungen vor, welche das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zulassen. Es besteht eine leichte Gangbeeinträchtigung bei Polyarthritis und relativ kurz zurückliegender Operation eine Hüft-TEP rechts. Dem Antragsteller ist es jedoch möglich Wegstrecken von zumindest 300-400 m ohne erhebliche Erschwernis zurückzulegen. Eine ausreichende Trittsicherheit ist mit Schuhen gegeben, das sichere Ein- und Aussteigen sind möglich. An den oberen Extremitäten liegen keine höhergradigen Funktionseinschränkungen vor, Haltegriffe können benützt werden. Das behinderungsbedingte Erfordernis von zwei Stützkrücken ist aufgrund des festgestellten Funktionsdefizites sowie der objektivierbaren Leiden nicht gegeben. Nach erfolgter Einheilung der implantierten Hüft-TEP rechts und durchgeführter Rehab im Jänner 2019 ist eine weitere Gangverbesserung zu erwarten. Im Übrigen wurden keine Befunde vorgelegt noch im Untersuchungsbefund festgestellt, dass eine maßgebliche cardiale bzw. pulmonale Erkrankung besteht, sodass keine Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit hinsichtlich der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vorliegt"

2.4. Seitens der belangten Behörde wurde dem Beschwerdeführer keine Möglichkeit gegeben zum Ergebnis des erweiterten Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen.

2.5. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 04.01.2019 hat die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 BBG abgewiesen.

3. Gegen diesen Bescheid wurde von der bevollmächtigten Vertretung des Beschwerdeführers fristgerecht Beschwerde erhoben. Ohne Vorlage von Beweismitteln wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vorgebracht habe Gehstrecken von höchsten 100 m - 200 m - nur unter Verwendung von Krücken - bewältigen zu können, ihm längeres Stehen im öffentlichen Verkehrsmittel nicht möglich sei und auch ausreichendes Abstützen nicht möglich sei, was durch die vorgelegten Befunde Dris. XXXX und Dris. XXXX vom 20.11.2018 sowie Dris. XXXX vom 13.11.2018 bestätigt werde. Dennoch habe die Behörde die ursprüngliche Einschätzung wiederholt. Es sei nicht begründet worden, wie die Behördengutachter zu einer von den vorgelegten Befunden derart konträren Einschätzung gekommen seien. Der Widerspruch zu den vorgelegten fachärztlichen Befunden sei nachvollziehbar zu begründen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 29 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG sind die Erkenntnisse zu begründen. Für Beschlüsse ergibt sich aus § 31 Abs. 3 VwGVG eine sinngemäße Anwendung.

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes.

Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte aus.

Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zur ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:

Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)

Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist u.a. jedenfalls einzutragen:

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-

erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-

erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-

erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-

eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-

eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

(§ 1 Abs. 4 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen auszugsweise)

Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktions-beeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

(§ 1 Abs. 5 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen)

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128, und die dort angeführte Vorjudikatur sowie vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0242, vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186).

Maßgebend für die Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" ist die Feststellung der Art, des Ausmaßes und der Auswirkungen der beim Beschwerdeführer vorliegenden Gesundheitsschädigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.

Dazu hat die belangte Behörde im angefochtenen Verfahren nur ansatzweise Ermittlungen geführt.

Der Beschwerdeführer hat den gegenständlichen Antrag durch die Vorlage einer Vielzahl an orthopädischen, neurologischen, internistischen und radiologischen Befunden begründet.

Das von der belangten Behörde zuerst eingeholte Sachverständigengutachten wurde zwar basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers, jedoch lediglich durch einen Arzt für Allgemeinmedizin erstellt. Zwar hat die belangte Behörde zur Überprüfungen der im Rahmen des erteilen Parteiengehörs erhobenen Einwendungen ein neurologisches Sachverständigengutachten eingeholt, doch ist auch dieses nicht ausreichend zur Beurteilung der vom Beschwerdeführer vorgebrachten internistisch-rheumatologischen Leiden.

Es besteht zwar kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes. Es kommt jedoch auf die Schlüssigkeit der eingeholten Gutachten an. Gegenständlich ist die, durch einen Arzt für Allgemeinmedizin bzw. eine Fachärztin für Neurologie vorgenommene Beurteilung des Gesamtleidenszustandes offensichtlich sachwidrig erfolgt. Die vorgelegten Beweismittel enthalten konkrete Anhaltspunkte, dass die Einholung eines Gutachtens der Fachrichtung Innere Medizin zusätzlich erforderlich ist um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung zu gewährleisten.

Zwar werden die vorgelegten Beweismittel unter auszugsweiser Zitierung des Inhaltes in den eingeholten Gutachten aufgelistet, es wird jedoch nicht ausgeführt, welche Funktionsdefizite in den vorgelegten Befunden dokumentiert werden bzw. ob, gegebenenfalls in welcher Form, diese in der Beurteilung berücksichtigt worden sind. Ob bzw. inwieweit sich die in den vorgelegten Befunden bzw. Sachverständigengutachten dokumentierten Gesundheitsschädigungen des Beschwerdeführers auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirken, wird nicht dargelegt.

Insbesondere wird in den eingeholten Sachverständigengutachten nicht konkret dargestellt, worauf sich die Angaben zur vom Beschwerdeführer maximal zurücklegbare Gehstrecke gründen. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass in den vom Beschwerdeführer vorgelegten Befunden Dr. XXXX vom 13.11.2018 und Dr. XXXX vom 20.11.2018 beschrieben wird, dass der Beschwerdeführer auf Grund der polymorphen Beeinträchtigung der Mobilität maximal eine Gehstrecke von 100 m zurücklegen kann. Auch finden sich in den Gutachten keine Angaben zu der befunddokumentierten entzündlich rheumatischen Erkrankung, beschrieben im Befund Dris. XXXX vom 20.11.2018 und im Befund Dris. XXXX vom 13.11.2018, in welchem auch ausgeführt wird, dass die diastolische Relaxationsstörung zur Atemnot des Beschwerdeführers beiträgt.

Gleichermaßen lassen die eingeholten Sachverständigengutachten eine Auseinandersetzung mit der vom Beschwerdeführer vorgebrachten, und im Befund Dr. XXXX vom 20.11.2018 dokumentierten, Schmerzsymptomatik und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel missen. So wurde es von den Sachverständigen unterlassen, eine Stellungnahme zu Art und Ausmaß der Schmerzen sowie deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel abzugeben. Dies wäre aber - auch vor dem Hintergrund der diesbezüglichen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 23.05.2012, 2008/11/0128; 20.10.2011, 2009/11/0032; 27.01.2015, 2012/11/0186), im gegenständlichen Fall, auch im Hinblick auf die beim Beschwerdeführer festgestellten Funktionseinschränkungen, unbedingt erforderlich gewesen um beurteilen zu können, inwieweit der Beschwerdeführer dadurch an der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel (insbesondere beim Gehen, Stehen, Sitzen sowie Ein- und Aussteigen) gehindert wird.

Die seitens des Entscheidungsorganes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage nicht möglich. Der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis vermag die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen.

Es ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde darauf verzichtet hat, das Ermittlungsverfahren dahingehend zu erweitern, ein auf persönlicher Untersuchung basierendes Gutachten der Fachrichtung Innere Medizin einzuholen.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Das Verwaltungsgericht hat im Falle einer Zurückverweisung darzulegen, welche notwendigen Ermittlungen die Verwaltungsbehörde unterlassen hat. (Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015)

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde zumindest ein medizinisches Sachverständigengutachten der Fachrichtung Innere Medizin - basierend auf persönlichen Untersuchungen des Beschwerdeführers - zu den oben dargelegten Fragestellungen einzuholen und die Ergebnisse unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens und der vorliegenden medizinischen Beweismittel bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben.

Anschließend hat sich die belangte Behörde mit der Rechtsfrage auseinanderzusetzen, ob dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist.

Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen.

Die unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht läge angesichts des gegenständlichen gravierend mangelhaft geführten verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens nicht im Interesse der Raschheit und wäre auch nicht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Zu berücksichtigen ist auch der, mit dem verwaltungsgerichtlichen Mehrparteienverfahren verbundene, erhöhte Aufwand.

Im Übrigen scheint die Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde auch vor dem Hintergrund der seit 01.07.2015 geltenden Neuerungsbeschränkung in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 46 BBG zweckmäßig. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass dem Beschwerdeführer im Rahmen des verwaltungsbehördlichen Verfahrens keine Möglichkeit gegeben wurde, zum Ergebnis der Überprüfung des erweiterten Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer hatte sohin keine Gelegenheit, der sachverständigen Beurteilung konkret und substantiiert entgegenzutreten, und auszuführen ob, gegebenenfalls welche, gutachterlichen Ausführungen dem tatsächlichen Leidensausmaß widersprechen.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des Beschwerdeführers noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rascher und kostengünstiger festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016, Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015, Ra 2015/08/0171 vom 27.01.2016, Ra 2015/10/0106 vom 24.02.2016) ausgeführt, warum die Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen geboten war.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W132.2214200.1.00

Zuletzt aktualisiert am

09.07.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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