TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/23 W102 2202097-1

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Veröffentlicht am 23.05.2019
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Entscheidungsdatum

23.05.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W102 2202097-1/19E

Schriftliche Ausfertigung des am 09.04.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Edward W. DAIGNEAULT, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle West, vom 27.06.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.10.2018 und am 09.04.2019 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, wird

stattgegeben und diesem gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, reiste damals minderjährig, gemeinsam mit seinem erwachsenen Bruder unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 16.11.2015 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 16.11.2015 gab der Beschwerdeführer zum Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, dass sein Bruder mit seiner jetzigen, im damaligen Zeitpunkt bereits traditionell verheirateten Frau, in den Iran geflüchtet sei. Danach sei der Beschwerdeführer mit seiner Familie ebenfalls in den Iran gezogen. Dort habe der Ex-Mann der Frau des Bruders sie gefunden und mit dem Tode bedroht, er sei reich und mächtig.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 29.03.2018 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, dass sein Bruder und seine Frau eine Feindschaft gehabt hätten. Der Beschwerdeführer sei von seiner Mutter plötzlich beim Spielen gerufen worden, sollte sich fertigmachen und die Familie sei ausgereist. Auch aus dem Iran sei der Beschwerdeführer auf Geheiß seines Bruders hin wegen dem Feind des Bruders mit diesem ausgereist.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 27.06.2018, zugestellt am 29.06.2018, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus der Beschwerdeführer habe sich lediglich auf die Fluchtgründe seines Bruders bezogen und seien diese nicht glaubhaft. Der Beschwerdeführer habe dazu im Wesentlichen keine Angaben machen können.

3. Gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.06.2018 richtet sich die am 26.07.2018 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde. In ihr wird ausgeführt, die Fluchtgründe des Bruders seien glaubhaft und der Beschwerdeführer von der gegen diesen gerichteten Verfolgung als enges Familienmitglied ebenfalls betroffen.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 22.10.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, seine bevollmächtigter Rechtsvertreter und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen, er werde als Angehöriger seines Bruders durch dessen Feind verfolgt im Wesentlichen aufrecht. Außerdem gab er im Wesentlichen an, er habe eine neue Religion kennengelernt und besuche nunmehr einen Glaubensgrundkurs. Bis zur Taufe würde es aber noch vier bis fünf Monate dauern.

Am 09.04.2019 wurde die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht fortgesetzt. Neben dem Beschwerdeführer, seinem Rechtsvertreter und der Dolmetscherin nahm ein im Akt namentlich genannter Zeuge an der Verhandlung teil. Die belangte Behörde verzichtete wieder auf die Teilnahme.

Mit Schreiben vom 15.04.2019 beantragte die belangte Behörde die schriftliche Ausfertigung des am 09.04.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

* Teilnahmebestätigungen für Deutschkurse und andere Bildungsangebote

* Bestätigungen über unterschiedliche gemeinnützige Tätigkeiten des Beschwerdeführers

* Deutsch-Prüfungszeugnis des ÖIF für das Niveau A1

* Teilnahmebestätigungen für Glaubensgrundkurse in zwei Gemeinden

* Teilnahmebestätigung für einen Werte- und Orientierungskurs

* Empfehlungsschreiben

* Austrittsbestätigung aus der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich

* Bestätigung der XXXX in XXXX über die Taufe des Beschwerdeführers

* Foto von der Taufe des Beschwerdeführers

* Gemeindebrief

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, geboren am XXXX in einem Dorf in der Provinz XXXX und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Er bekennt sich zum christlichen Glauben. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.

Der Beschwerdeführer wuchst zunächst im Herkunftsdorf auf und reiste im Alter von etwa sieben oder acht Jahren mit seiner Familie, bestehend aus Mutter, Bruder und Ehefrau des Bruders, in den Iran aus. Dort wurde der Lebensunterhalt der Familie vom Bruder des Beschwerdeführers bestritten.

Der Vater des Beschwerdeführers starb etwa eineinhalb Jahre vor der Ausreise der Familie in den Iran.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der erwachsene Bruder des Beschwerdeführers ist mit seiner Ehefrau und seinen beiden minderjährigen Kindern im Bundesgebiet aufhältig und ist sein Verfahren aktuell vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängig.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer wurde als schiitischer Moslem geboren und lebte auch im Herkunftsstaat und im Iran zunächst als Moslem. Im Sommer 2018 kam der Beschwerdeführer im Bundesgebiet erstmals mit dem Christentum in Kontakt.

Zunächst besuchte er die evangelische Pfarre in XXXX und nahm dort auch am Glaubensgrundkurs teil, konnte aber den Gesprächen wegen seiner noch nicht ausreichenden Deutschkenntnisse nicht so gut folgen. Darum wechselte der Beschwerdeführer in die XXXX in XXXX , wo er den farsisprachigen Glaubensgrundkurs besuchte. Seither besucht der Beschwerdeführer auch den Gottesdienst der Gemeinde.

Am 28.02.2019 wurde der Beschwerdeführer getauft und ist seither Mitglied der XXXX in XXXX .

Der Beschwerdeführer hat sich aus tiefer innerer Überzeugung vom Islam abgewendet und den inneren Entschluss gefasst, nach dem christlichen Glauben zu leben. Er ist zum Christentum konvertiert und bekennt sich auch offen zu diesem Entschluss.

Im Herkunftsstaat wäre der Beschwerdeführer, weil er sich vom Islam abgewandt hat und seinen neuen Glauben lebt und dies bekannt wird, Übergriffen durch Privatpersonen sowie der strafrechtlichen Verfolgung durch den Staat bis hin zur Todesstrafe ausgesetzt. Den ihm drohenden Übergriffen bzw. der ihm drohenden Strafverfolgung kann sich der Beschwerdeführer nicht durch Umzug innerhalb des Herkunftsstaates entziehen.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seinen Sprachkenntnissen sowie Lebensumstände und Lebenswandel bis zur Einreise nach Österreich ergeben sich aus seinen gleichbleibenden und plausiblen Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Auch die belangte Behörde ging in ihrem Bescheid bereits von der Glaubwürdigkeit der Diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers aus. Zur Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers siehe sogleich unter 2.2.

Dass sein Vater verstorben ist, hat der Beschwerdeführer ebenso durchgehend angegeben.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

Die Feststellungen zum Bruder des Beschwerdeführers samt Familie ergeben sich aus den Akten zu deren Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht, in die Einsicht genommen wurde.

2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ergeben sich aus den vorgelegten Unterlagen und Fotos sowie aus den Aussagen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 22.10.2018 und am 09.04.2019:

Der Beschwerdeführer machte insbesondere während seiner Befragung zu seinem neuen Interesse am Christentum im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 22.10.2018 - an der die belangte Behörde (entschuldigt) nicht teilnahm - einen gespannten und emotional bewegten Eindruck, sodass das Bundesverwaltungsgericht bereits in diesem Zeitpunkt zumindest von einem aufrichtigen Interesse des Beschwerdeführers am Christentum überzeugt war. Dieser Eindruck wurde auch von der nachvollziehbaren Schilderung der Gründe des Beschwerdeführers für sein neues Interesse am Christentum verstärkt. Insbesondere, als der Beschwerdeführer schilderte, das Christentum sei eine Religion der Liebe, wirkte er ehrlich berührt. Damit vermochte der Beschwerdeführer bereits einen persönlich glaubwürdigen Eindruck zu vermitteln.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 09.04.2019 - an der die belangte Behörde ebenso nicht teilnahm - konnte sich das Bundesverwaltungsgericht von der Nachhaltigkeit des Glaubenswechsels sowie von der Vertiefung des Beschwerdeführers in den christlichen Glauben überzeugen. Insbesondere erzählte der Beschwerdeführer mit bewegenden Worten von seiner Taufe und zeigte sichtlich erfreut das Foto seiner Taufe vor. Auch beschrieb der Beschwerdeführer lebhaft die Veränderungen, die er seit seiner Teilnahme am Glaubenskurs und seine Bibellektüre in seinem Verhalten und seinem Umgang mit Menschen an sich wahrgenommen hat.

Auch die - mit vorgelegten Bestätigungen nachgewiesene - regelmäßige Teilnahme des Beschwerdeführers am Glaubenskurs sowie seine ursprüngliche Bereitschaft, aufgrund von Sprachschwierigkeiten den weiteren Weg nach Linz in seine nunmehrige Gemeinde auf sich zu nehmen, um dem Kurs besser folgen zu können, zeugen nach Ansicht des Bundesverwaltungsgericht vom bereits ursprünglich aufrichtigen Interesse des Beschwerdeführers am Christentum, dass ihn schließlich zum Glaubenswechsel aus tiefer innerer Überzeugung und zur auch mit Bestätigung der XXXX in XXXX belegten Taufe geführt hat.

Insgesamt führt dieser im Zuge der beiden Verhandlungen vom Beschwerdeführer gewonnenen persönliche Eindruck zur Feststellung, dass der Beschwerdeführer sich aus tiefer innerer Überzeugung vom Islam abgewendet und den inneren Entschluss gefasst hat, nach dem christlichen Glauben zu leben.

Zur Feststellung, dass der Beschwerdeführer sich offen zu seinem Entschluss bekennt, ist auszuführen, dass er insbesondere am regelmäßigen Gottesdienst in seiner Pfarrgemeinde teilnimmt - auch diesbezüglich hat der Beschwerdeführer eine Bestätigung vorgelegt.

Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Übergriffe durch Privatpersonen sowie strafrechtliche Verfolgung durch den Staat bis hin zur Todesstrafe drohen, ergibt sich im Wesentlichen aus den Länderberichten:

Dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 26.03.2019 lässt sich entnehmen, dass es für christliche Afghanen keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens gibt. Lediglich ausländische Christen dürfen ihren Glauben diskret ausüben. Berichtet wird weiter von strafrechtlicher Verfolgung gegen Konvertiten sowie von Ausgrenzung und Angriffen durch die Gesellschaft. Afghanische Christen müssten ihren Glauben unbedingt geheim halten. Im Fall der Verweigerung, zum alten Glauben zurückzukehren, kommt es zu Zwangseinweisungen in psychiatrische Kliniken, zu Angriffen durch Nachbarn und Fremde, zur Zerstörung von Betrieben und Eigentum sowie zu Tötungen durch die eigene Familie (Kapitel 15.2. Christentum und Konversion zum Christentum). Unter dem Einfluss der Scharia kann für Apostasie auch die Todesstrafe drohen (Kapitel 14. Todesstrafe). Apostasie ist nach der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion. Kommt es binnen drei Tagen nicht zu einem Widerruf des Religionswechsels, so gilt die für Männer die Enthauptung als angemessene Strafe. Auch Missionierung ist illegal (Kapitel 15. Religionsfreiheit). Nachdem sich die beschriebene Situation auf das gesamte Staatsgebiet bezieht, wurde festgestellt, dass sich der Beschwerdeführer den ihm drohenden Übergriffen bzw. der ihm drohenden Strafverfolgung nicht durch Umzug innerhalb des Herkunftsstaates entziehen kann.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zum Fluchtvorbringen einer asylrechtliche relevanten Verfolgung wegen Apostasie

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, StF: BGBl. Nr. 55/1955 (in der Folge Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) droht.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht einer Person unter anderem, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Religion verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichthofes ist für den Flüchtlingsbegriff der GFK entscheidend, ob glaubhaft ist, dass den Fremden in ihrem Herkunftsstaat Verfolgung droht. Dies ist dann der Fall, wenn sich eine mit Vernunft begabte Person in der konkreten Situation der Asylwerber unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat fürchten würde (VwGH 24.06.2010, 2007/01/1199).

"Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs als ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 umschreibt "Verfolgung" als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie, worunter - unter anderem - Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 MRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art. 2 MRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 MRK niedergelegte Verbot der Folter (zuletzt VwGH 31.07.2018 mwN).

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).

Nach § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

§ 3 Abs. 2 AsylG 2005 ist Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über die Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes Abl L 337/9 vom 20.12.2011 (Statusrichtlinie), nachgebildet. Nach Art. 5 Abs. 2 Statusrichtlinie kann die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers nach Verlassen seines Herkunftslandes beruhen, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind.

Der VfGH hat ausgesprochen, dass asylrelevante Verfolgung gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 auch auf Aktivitäten beruhen kann, die der Fremde seit dem Verlassen des Herkunftsstaats gesetzt hat (VfGH 12.12.2013, U 2272/2012).

Auch der VwGH hat bereits erkannt, dass diese neuen - in Österreich eingetretenen - Umstände, mit denen ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung nunmehr begründet, grundsätzlich zur Asylgewährung führen können. Sie sind daher zu überprüfen, wenn sie geeignet sind, die Annahme "wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung" zu rechtfertigen (VwGH 18.09.1997, 96/20/0323).

Bedingt dadurch, dass der Beschwerdeführer im Verfahren seinen im Bundesgebiet gefassten inneren Entschluss, nach der christlichen Lehre seiner Gemeinde zu leben, glaubhaft machen konnte, macht er mit seinem Vorbringen einer Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat wegen seiner Konversion einen subjektiven Nachfluchtgrund geltend.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist in Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum entscheidend, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität der Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (zuletzt VwGH 07.05.2018, Ra 2018/20/0186). Es kommt auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an (VwGH 23.01.2019, Ra 2018/19/0260).

Dabei stellt der Verwaltungsgerichtshof bei einer Konversion zum Christentum nicht darauf ab, ob der Religionswechsel bereits - durch die Taufe - erfolgte oder bloß beabsichtigt ist. Wesentlich ist nur, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität der Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden. Die bloße Behauptung eines "Interesses am Christentum" reicht für die Geltendmachung einer asylrechtlich relevanten Konversion nicht aus (VwGH 23.01.2019, Ra 2018/19/0453 mwN).

Nach dem gemäß § 2 Abs. 1 Z 12 AsylG unmittelbar anwendbaren Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 AsylG "Statusrichtlinie") umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.

Nach dem mit "Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit" übertitelten Art. 10 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. C 202 vom 7.6.2016, S. 389-405, umfasst dieses Recht die Freiheit, die Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen.

Im Wesentlichen inhaltsgleich gewährt auch Art. 9 EMRK als in der EMRK gewährleistetes Grundrecht, die gemäß Art. 6 Abs. 3 Vertrag über die Europäische Union (EUV) als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind, Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.

Nach diesen normativen Vorgaben umfasst der Religionsbegriff des Art. 1 Abschnitt A, Z 2 GFK nicht nur die individuelle Glaubensfreiheit als Kern der Religionsfreiheit ("forum internum"), sondern auch das öffentliche Bekenntnis und die Freiheit zur Ausübung der Religion in den religiösen Vorschriften entsprechendem Verhalten ("forum externum"). Demnach ist es einem Asylwerber für den Rückkehrfall nicht zumutbar, seine Religion heimlich ausüben und seine innere Überzeugung verstecken zu müssen.

Für den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wurde festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, dass ihm im Fall des Bekanntwerdens seines inneren Entschlusses, etwa im Wege einer öffentlichen Glaubensbetätigung indem er seinen Glauben lebt (derer sich der Beschwerdeführer wie oben ausgeführt nicht enthalten muss) Übergriffe durch private Akteure sowie staatliche Strafmaßnahmen bis hin zur Todesstrafe drohen. Damit droht dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat Verfolgung sowohl durch staatliche als auch durch private Akteure. Und ist vor der Verfolgung durch Privatpersonen im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichthofes staatlicher Schutz bedingt durch die auch vom Staat selbst ausgehende Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer nicht zu erwarten.

Der Beschwerdeführer konnte damit glaubhaft machen, dass ihm im Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung droht.

Es sind im Verfahren auch keine Asylausschlussgründe gemäß § 6 AsylG hervorgekommen.

3.2. Zum Nichtvorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative

Nach § 3 Abs. 3 Z 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht.

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann.

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt kann sich der Beschwerdeführer den ihm drohenden privaten Übergriffen bzw. der ihm drohenden staatlichen Strafverfolgung nicht durch Umzug innerhalb des Herkunftsstaates entziehen. Auch ist es ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer sich dem durch Umzug innerhalb des Herkunftsstaates entziehen kann. Damit steht ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG nicht zur Verfügung.

3.3. Zum übrigen Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Zum weiteren Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, nämlich, dass ihm Verfolgung durch den Feind seines Bruders drohe, ist auszuführen, dass sich aufgrund der bereits bejahten Verfolgungsgefahr wegen der Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum eine Auseinandersetzung mit weiteren möglichen Fluchtgründen erübrigt.

3.4. Zur Anwendbarkeit des § 3 Abs. 4 AsylG:

Zu Anwendbarkeit des § 3 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 24/2016 ist anzumerken, dass die Bestimmung nach § 75 Abs. 24 AsylG auf Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15.11.2015 gestellt haben, nicht anzuwenden ist. Nachdem der Beschwerdeführer seinen Antrag auf internationalen Schutz am 16.11.2015 gestellt hat, kommt daher § 3 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 24/2016 zur Anwendung.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wird das Einreise- und Aufenthaltsrecht des Asylberechtigten unmittelbar kraft Gesetzes bestimmt. Die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter hat somit nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht zu erfolgen. Auch gemäß § 3 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 24/2016 kommt dem Asylberechtigten eine entsprechende Aufenthaltsberechtigung zu, ohne dass eine darüberhinausgehende Erteilung dieser Berechtigung vorzunehmen wäre (VwGH 03.05.2018, Ra 2017/19/0373).

Dem Beschwerdeführer war daher spruchgemäß nach § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Ihm kommt damit unmittelbar kraft Gesetzes (VwGH 03.05.2018, Ra 2017/19/0373) eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu, die (vorerst) für drei Jahre gilt.

4. Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 vorliegt. Dass eine Konversion als subjektiver Nachfluchtgrund zur Asylgewährung führe kann, ergibt sich klar aus der unter A) zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Ob ein Glaubenswechsel tatsächlich vollzogen wurde und dessen mögliche Folgen für den Beschwerdeführer im Herkunftsstaat sind dagegen auf Tatsachenebene zu beurteilen.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, befristete
Aufenthaltsberechtigung, gesamtes Staatsgebiet, Konversion,
Nachfluchtgründe, Religion, Schutzunwilligkeit, wohlbegründete
Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W102.2202097.1.00

Zuletzt aktualisiert am

08.07.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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