TE Vwgh Beschluss 2019/5/21 Ra 2018/19/0620

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.05.2019
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

?

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler, die Hofrätin Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des M M in L, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21. September 2018, W264 2168270-1/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am 30. November 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er im Wesentlichen an, eine Verfolgung wegen einer Blutfehde zu befürchten. Aufgrund dessen habe seine gesamte Familie den Herkunftsstaat verlassen. 2 Mit Bescheid vom 20. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei, und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen fest. 3 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diesen Bescheid im vollen Umfang gerichtete Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG für nicht zulässig erklärt. 4 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, dass es das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers für glaubwürdig erachte, ihm jedoch eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat offenstehe, diese zumutbar sei und eine Rückkehrentscheidung keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Revisionswerbers darstelle.

5 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, zu deren Zulässigkeit zusammengefasst vorgebracht wird, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, da es in seinem Erkenntnis der Begründungspflicht hinsichtlich der innerstaatlichen Fluchtalternative nicht nachgekommen und deshalb die Entscheidung nicht objektiv nachvollziehbar sei. Zudem habe das BVwG seine Ausführungen auf veraltete Länderberichte gestützt, insbesondere habe es die Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 nicht herangezogen. Die Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK sei in einer unvertretbaren Weise erfolgt, da die familiären Bindungen des Revisionswerbers nicht ausreichend berücksichtigt worden seien.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 9 Insoweit die Revision die Beweiswürdigung hinsichtlich der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative rügt, ist auf die ständige Rechtsprechung zu verweisen, wonach der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig wird und zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung läge nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. für viele VwGH 1.2.2019, Ra 2019/01/0027, mwN).

10 Der Revision gelingt es mit ihren Ausführungen nicht, eine solche Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung darzulegen. Sie übersieht, dass das BVwG nicht angenommen hat, dass dem Revisionswerber in der Stadt Herat ein (staatlicher) Schutz vor Blutrache zukommen würde, sondern dass die ihn bedrohende Familie mangels näherer persönlicher Bekanntschaft und aufgrund eines fehlenden Meldewesens von seiner Anwesenheit in Afghanistan nichts erfahren und damit keine Bedrohung vorliegen würde. Dem ist die Revision nicht entgegengetreten.

11 Soweit die Revision vorbringt, das BVwG hätte die Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 nicht herangezogen, macht die Revision einen Verfahrensmangel geltend. Es reicht jedoch nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der genannten Verfahrensmängel in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 23.1.2019, Ra 2019/19/0009, mwN). Eine solche Relevanz zeigt die vorliegende Revision nicht auf.

12 Zur Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK:

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung, ob im Fall der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt. Maßgeblich sind dabei etwa die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (vgl. VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0683, mwN).

Das BVwG hat sich in Bezug auf das Familienleben mit den familiären Beziehungen des Revisionswerbers auseinandergesetzt und ist vertretbar zu der Auffassung gelangt, dass ein durch Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben fallbezogen nicht vorliegt. Das in der Revision erstmals konkret vorgebrachte mögliche Abhängigkeitsverhältnis des Vaters zum Revisionswerber unterliegt dem im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof aus § 41 VwGG abgeleiteten Neuerungsverbot (vgl. VwGH 22.7.2017, Ra 2016/20/0261).

Bei der Prüfung des Privatlebens des Revisionswerbers wurden die familiären Beziehungen nicht mehr berücksichtigt, es liegt daher insoweit ein Begründungsmangel vor. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht es nicht aus, in der Revision die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne in konkreter Weise die Relevanz dieses Verfahrensmangels darzulegen (vgl. VwGH 5.4.2018, Ra 2018/19/0154, mwN). Der Revision gelingt es mit ihren Ausführungen allerdings fallbezogen nicht darzulegen, dass - auch unter Berücksichtigung der familiären Beziehungen - die privaten Interessen gegenüber den öffentlichen Interessen überwiegen würden.

13 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.

Wien, am 21. Mai 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018190620.L00

Im RIS seit

26.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

26.07.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten