TE Vwgh Erkenntnis 2019/5/28 Ra 2018/22/0024

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Veröffentlicht am 28.05.2019
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E19104000
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §18 Abs4
AVG §39 Abs2
AVG §56
AVG §8
EURallg
NAG 2005 §11 Abs2 Z3
NAG 2005 §64 Abs1 Z2
NAGDV 2005 §8 Z7 lita
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §28 Abs2
VwGVG 2014 §28 Abs3
VwRallg
32016L0801 Studenten-RL Art11 Abs1 lita

Betreff

?

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 25. Oktober 2017, VGW- 151/011/12790/2017-2, betreffend Aufenthaltsbewilligung (mitbeteiligte Partei: Z R, z.Hd. Migrantinnenverein St. Marx, Pulverturmgasse 4/2/R01, 1090 Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Die Mitbeteiligte, eine iranische Staatsangehörige, stellte am 19. September 2016 bei der Österreichischen Botschaft Teheran einen Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung "Studierende" nach § 64 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).

2 Mit Bescheid vom 12. April 2017 wies der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde, Revisionswerber) diesen Antrag gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG ab, weil der Aufenthalt der Mitbeteiligten zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 25. Oktober 2017 gab das Verwaltungsgericht Wien der dagegen erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten statt und behob den Bescheid vom 12. April 2017. Der Mitbeteiligten wurde ein Aufenthaltstitel für den Zweck Studierende erteilt, der ab Rechtskraft dieses Erkenntnisses befristet auf ein Jahr auszustellen sei. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für unzulässig erklärt.

Das Verwaltungsgericht verwies auf die dem Akt angeschlossenen, von der Mitbeteiligten vorgelegten Unterlagen. Auf Grund der Einkommensunterlagen gelangte das Verwaltungsgericht zur Feststellung, dass "auch die finanziellen Grundlagen ausreichend vorhanden und nachgewiesen" seien. In seiner rechtlichen Beurteilung hielt das Verwaltungsgericht fest, dass die Erteilungsvoraussetzungen somit vollständig erfüllt und auch die finanziellen Nachweise vollständig beigebracht worden seien. Eine - von der belangten Behörde abschlägig vorgenommene - Beurteilung nach § 11 Abs. 3 NAG erübrige sich somit. 4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde. 5 Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision zunächst vor, dass die im Beschwerdeverfahren angefochtene Erledigung die Voraussetzungen einer Ausfertigung im Sinn des § 18 Abs. 4 AVG nicht erfülle. Es sei weder eine wirksame Zustellung noch die Heilung eines Zustellmangels nach § 7 Zustellgesetz erfolgt. Das Verwaltungsgericht, das die genaueren Umstände der erfolgten Zustellung nicht geprüft habe, hätte "die gegen den ,Nichtbescheid' erhobene Beschwerde (...) als unzulässig zurückweisen müssen."

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgehalten, dass die Frage, ob ein Bescheid (dort: allen Verfahrensparteien) zugestellt wurde oder nicht, nicht bloß eine Rechtsfrage, sondern auch eine Sachverhaltsfrage darstellt (vgl. VwGH 23.10.2014, 2012/07/0288).

Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung erkennbar zugrunde gelegt, dass der bei ihm bekämpfte Bescheid der Mitbeteiligten gegenüber erlassen worden ist. Die belangte Behörde ihrerseits hat die Beschwerde der Mitbeteiligten in ihrem (in den Verwaltungsakten einliegenden) Vorlageschreiben an das Verwaltungsgericht als rechtzeitig eingebracht qualifiziert. Diese Beurteilung setzt die - im Gegensatz zur nunmehr in der Revision vertretenen Auffassung stehende - Annahme voraus, dass der Bescheid erlassen worden ist. Hinweise darauf, dass die belangte Behörde in Abkehr von dieser Annahme in weiterer Folge die unterbliebene Erlassung der angefochtenen Erledigung im Beschwerdeverfahren releviert habe, finden sich im Verfahrensakt nicht.

Ausgehend davon verstößt das erstmals im Revisionsverfahren erstattete Vorbringen, das jedenfalls auch Vorbringen auf Sachverhaltsebene enthält, gegen das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot (vgl. wiederum VwGH 2012/07/0288, mwN), sodass darauf inhaltlich nicht einzugehen war.

8 Daneben bringt der Revisionswerber zur Zulässigkeit seiner Revision unter anderem vor, dass es an der besonderen Erteilungsvoraussetzung des § 64 Abs. 1 Z 2 NAG in Verbindung mit § 8 Z 7 lit. a Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (NAG-DV) fehle, weil aus dem vorgelegten Zulassungsbescheid der Medizinischen Universität Wien hervorgehe, dass sich die Mitbeteiligte bis spätestens 30. April 2017 inskribieren hätte müssen, und somit keine aufrechte Aufnahmebestätigung einer Universität mehr vorgelegen sei. Zudem habe das Verwaltungsgericht die Prüfung der Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 3 NAG außer Acht gelassen und die Aufenthaltsbewilligung trotz fehlendem Krankenversicherungsschutz erteilt. Das Verwaltungsgericht habe keine Feststellungen zum Nachweis nach § 11 Abs. 2 Z 3 NAG getroffen, die aktenkundige iranische Bestätigung über die Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen bis Juni 2016 stelle keinen derartigen Nachweis dar.

Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig und berechtigt.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt festgehalten, dass das Verwaltungsgericht vor Erteilung eines Aufenthaltstitels das Vorliegen sämtlicher Erteilungsvoraussetzungen zu prüfen hat, nicht nur jener, die im behördlichen Verfahren als nicht vorliegend erachtet worden sind (vgl. VwGH 8.11.2018, Ra 2018/22/0168, Rn. 10, mwN). Hat die belangte Behörde Ermittlungen zu den weiteren Erteilungsvoraussetzungen unterlassen, kann dies im Rahmen der Beurteilung eines Vorgehens nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eine Rolle spielen (vgl. VwGH 8.11.2018, Ra 2018/22/0232, Rn. 10), entbindet das Verwaltungsgericht bei einer Entscheidung in der Sache selbst aber nicht von der Prüfung des Vorliegens aller Erteilungsvoraussetzungen.

10 Gemäß § 11 Abs. 2 Z 3 NAG darf einem Fremden ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn er über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist. Nach § 7 Abs. 1 Z 6 NAG-DV ist dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels hinsichtlich der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 3 NAG der Nachweis über einen in Österreich leistungspflichtigen und alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz, insbesondere durch eine entsprechende Versicherungspolizze, sofern kein Fall der gesetzlichen Pflichtversicherung bestehen wird oder besteht, anzuschließen.

Der vorliegenden Entscheidung lässt sich nicht entnehmen, weshalb das Verwaltungsgericht diese Erteilungsvoraussetzung als erfüllt bzw. den geforderten Nachweis als erbracht angesehen hat. Die bei der Darlegung des Verfahrensganges erfolgte Auflistung der vorgelegten Unterlagen enthält keinen Hinweis auf einen von der Mitbeteiligten erbrachten Nachweis eines entsprechenden Krankenversicherungsschutzes (und ein derartiger Hinweis lässt sich auch den vorgelegten Verwaltungsakten selbst nicht entnehmen; Hinweise auf das Bestehen einer gesetzlichen Pflichtversicherung gibt es ebenfalls nicht; vgl. zur Verpflichtung zum initiativen Nachweis durch den Antragsteller bereits VwGH 6.8.2009, 2008/22/0391). Schon aus diesem Grund erweist sich das angefochtene Erkenntnis als rechtswidrig.

11 Gemäß § 64 Abs. 1 Z 2 NAG kann Drittstaatsangehörigen eine Aufenthaltsbewilligung für Studierende ausgestellt werden, wenn sie ein ordentliches oder außerordentliches Studium an einer Universität (oder einer anderen der aufgezählten Bildungseinrichtungen) absolvieren. Zum Nachweis dieser besonderen Erteilungsvoraussetzung ist dem Antrag nach § 8 Z 7 lit. a NAG-DV eine Aufnahmebestätigung der Universität (oder der jeweiligen Bildungseinrichtung) anzuschließen. Weder das NAG noch die NAG-DV enthalten nähere Regelungen zur angesprochenen Aufnahmebestätigung. Erwägungsgrund 17 zur Richtlinie (EU) 2016/801 vom 11. Mai 2016 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit hält zur entsprechenden Richtlinienregelung in Art. 11 Abs. 1 Buchst. a (der zufolge nachzuweisen ist, dass "der Drittstaatsangehörige von einer Hochschuleinrichtung zu einem Studium zugelassen worden ist") fest, dass als Nachweis für die Annahme eines Drittstaatsangehörigen an einer Hochschuleinrichtung "unter anderem eine schriftliche Zusicherung der Aufnahme oder eine Einschreibebestätigung gelten" könnte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auf eine "aufrechte" Zulassung an einer Universität - als besondere Erteilungsvoraussetzung für die Aufenthaltsbewilligung "Studierende", deren Nichterfüllung zur Abweisung des Antrages führt - abgestellt und es als bedeutsam angesehen, dass die Frist, innerhalb derer eine persönliche Einschreibung zu erfolgen hatte, zum Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichtes noch offen war (vgl. VwGH 25.4.2019, Ra 2018/22/0272, Rn. 11 und 13).

Der Revisionswerber bringt - insoweit in Einklang mit den vorliegenden Verwaltungsakten - vor, dass die Mitbeteiligte nach dem von ihr vorgelegten Zulassungsbescheid der Medizinischen Universität Wien vom 3. März 2016 berechtigt war, bis spätestens zum 30. April 2017 zu inskribieren. Aus welchen Gründen das Verwaltungsgericht den vorgelegten Zulassungsbescheid ungeachtet der darin enthaltenen (zum Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht mehr offenen) Frist für sich genommen (also etwa ohne eine neuerliche Zulassung oder eine allfällige Verlängerung der Frist) als eine aufrechte Zulassung (im Sinn der oben zitierten Rechtsprechung) erachtet hat, lässt sich der angefochtenen Entscheidung mangels dazu ergangener Begründung nicht entnehmen. 12 Da das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis aus den dargestellten Erwägungen mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet hat, war es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 28. Mai 2019

Schlagworte

Besondere RechtsgebieteGemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltParteibegriff Parteistellung strittige Rechtsnachfolger ZustellungRechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der Rechtswirkungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018220024.L00

Im RIS seit

25.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

25.07.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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