TE Vwgh Beschluss 2019/6/5 Ra 2018/18/0443

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Veröffentlicht am 05.06.2019
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §21 Abs7
B-VG §133 Abs4
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des R D, vertreten durch Dr. Martin Wöll, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Templstraße 16, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2018, Zl. I416 2198716- 1/3E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist ein minderjähriger Staatsangehöriger Marokkos. Er stellte am 28. Jänner 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass sich sein Vater nach dem Tod seiner Mutter nicht mehr um ihn gekümmert habe. Da ihn sowohl sein Vater als auch seine Stiefmutter geschlagen hätten, habe er auf der Straße leben müssen, wo er Misshandlungen durch die Polizei und andere auf der Straße lebende Personen ausgesetzt gewesen sei. Er habe keine Zukunft in seiner Heimat.

2 Mit Bescheid vom 14. Mai 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Marokko zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters hielt die Behörde fest, dass gemäß § 55 Abs. 1a Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG 2005) keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.), und einer Beschwerde wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.). Gemäß § 15b Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) wurde dem Revisionswerber aufgetragen, in einem näher genannten Quartier Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VIII.).

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 27. Juni 2018 mit der Maßgabe ab, dass der Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides zu lauten habe, dass "eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde." Eine Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

4 Begründend erachtete das BVwG das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers aus näher genannten Gründen für nicht glaubhaft, weshalb ihm kein Asyl zu gewähren sei. Selbst bei Wahrunterstellung komme dem Fluchtvorbringen keine Asylrelevanz zu, zumal es an der für eine Verfolgung erforderlichen "erheblichen Intensität" mangle; im Übrigen sei eine fehlende Schutzfähigkeit oder -willigkeit Marokkos nicht ersichtlich. Zudem stünde dem Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Hinsichtlich der Nichtgewährung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten führte das BVwG aus, dass es für Minderjährige zahlreiche Anlaufstellen, wie etwa Kinderschutzzentren, Wohlfahrtsverbände und NGOs, gebe. Im Übrigen verfüge der Revisionswerber sehr wohl über Familienangehörige in Marokko, deren Unterstützung er sich bedienen könne.

5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 26. Februar 2019, Zl. E 3283/2018-18, gemäß Art. 144 Abs. 2 B-VG die Behandlung der Beschwerde ablehnte und diese dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung abtrat.

6 Die vorliegende außerordentliche Revision wendet sich zusammengefasst zum einen gegen die Beweiswürdigung des BVwG und bringt dazu insbesondere vor, die Minderjährigkeit des Revisionswerbers sei nicht berücksichtigt worden. Zudem beanstandet sie die Nichtberücksichtigung näher genannter Länderberichte bezüglich häuslicher Gewalt gegen Kinder in Marokko und das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung. Zum anderen würden im Falle des Revisionswerbers exzeptionelle Umstände vorliegen, die unter Berücksichtigung der ein erschreckendes Bild zeichnenden Länderberichte, die Gewährung subsidiären Schutzes gerechtfertigt hätten. Zuletzt richtet sich die Revision gegen die vorgenommene Art. 8 EMRK-Abwägung und bringt vor, das Kindeswohl sei nicht ausreichend berücksichtigt worden.

7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 11 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes im Allgemeinen nicht revisibel. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt in diesem Zusammenhang nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. VwGH 1.3.2019, Ra 2018/18/0552). Derartige Mängel der Beweiswürdigung des BVwG vermag die Revision nicht darzulegen. Entgegen dem Revisionsvorbringen ist das Alter des Revisionswerbers in den beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG berücksichtigt worden.

12 Soweit die Revision weiters vorbringt, das BVwG habe keine konkreten Länderberichte zu häuslicher Gewalt gegen Kinder in sein Erkenntnis aufgenommen, ist auszuführen, dass die Zulässigkeit einer Revision neben einem eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufwerfenden Verfahrensmangel voraussetzt, dass die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage abhängt. Davon kann im Zusammenhang mit einem Verfahrensmangel aber nur dann ausgegangen werden, wenn auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang dargetan wird, das heißt, dass dieser abstrakt geeignet sein muss im Falle eines mängelfreien Verfahrens zu einer anderen - für den Revisionswerber günstigeren - Sachverhaltsgrundlage zu führen (vgl. VwGH 14.3.2019, Ra 2019/18/0068-0072). Dem von der Revision ins Treffen geführte Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass es ihm - unter Berücksichtigung der vom BVwG herangezogenen Alternativbegründungen der mangelnden Asylrelevanz bei Wahrunterstellung des Vorbringens - nicht gelingt, die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels darzulegen. Im Übrigen sind den vom BVwG berücksichtigten Länderberichten sehr wohl Ausführungen zum verbreiteten Problem des Kindesmissbrauchs zu entnehmen. 13 Sofern die Revision die Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung moniert, ist festzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 21 Abs. 7 BFA-VG ein Absehen von der mündlichen Verhandlung dann gerechtfertigt ist, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017-0018, aus der jüngeren Rechtsprechung etwa VwGH 3.4.2019, Ra 2018/18/0426). 14 Das BVwG schloss sich den beweiswürdigenden Erwägungen des BFA an und der Revisionswerber trat diesen Erwägungen in der Beschwerde nicht substantiiert entgegen. Auch zu den bereits vom BFA herangezogenen Alternativbegründungen erstattete der Revisionswerber in der Beschwerde kein substantiiertes Vorbringen. Vor diesem Hintergrund vermag die Revision nicht darzulegen, dass das BVwG von den Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes, wann gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden darf, abgewichen wäre. 15 Unter Berücksichtigung des vom BVwG festgestellten Sachverhaltes (und der herangezogenen Alternativbegründungen) vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten hätte gewährt werden müssen. 16 Ebenso wenig ist die Einschätzung des BVwG, wonach keine Verletzung von Art. 3 EMRK bei der Rückkehr des Revisionswerbers nach Marokko vorläge, zu beanstanden. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK nicht ausreichend ist. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, dass exzeptionelle Umstände vorliegen (vgl. VwGH 18.3.2019, Ra 2018/18/0538). Dass solche Umstände vorliegen, vermag die Revision nicht darzutun.

17 Soweit die Revision schließlich die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK angreift, ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 28.2.2019, Ra 2019/18/0063, mwN). Eine solche Mangelhaftigkeit der vom BVwG fallbezogen vorgenommenen Interessenabwägung hat die Revision jedoch nicht aufgezeigt. 18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 5. Juni 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018180443.L00

Im RIS seit

19.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

19.07.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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