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E000 EU- Recht allgemeinNorm
AsylG 2005 §5Betreff
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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel, den Hofrat Mag. Stickler sowie die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, in der Revisionssache des C in W, vertreten durch Mag. Christoph Henseler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Nibelungengasse 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24. April 2017, W153 2148196-1/8E, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 und Anordnung zur Außerlandesbringung nach dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger von Nigeria, gelangte über Niger und Libyen nach Europa und stellte am 1. November 2016 in Österreich den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Bei seiner Erstbefragung am 2. November 2016 gab er an, über Italien in das Gebiet der Europäischen Union gelangt zu sein. Danach sei er in die Schweiz gereist, wo er sich von Juni 2013 bis Juni 2016 aufgehalten und einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Dieser wurde laut "Eurodac-Treffer" am 24. Juni 2013 aufgenommen. In der Folge habe sich der Revisionswerber vier Monate in Italien aufgehalten und sich anschließend nach Österreich begeben.
2 Am 11. November 2016 wurde ein Konsultationsverfahren mit der Schweiz eingeleitet und ein Wiederaufnahmeersuchen nach Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-Verordnung) gestellt. In der Folge teilte die Schweizer Asylbehörde mit, dass sie selbst ein Konsultationsverfahren (Aufnahmeverfahren) mit Frankreich geführt habe, und der Revisionswerber nach Zustimmung Frankreichs am 26. Februar 2015 dorthin überstellt worden sei. Erst in der Revision gab der Revisionswerber an, dass er sich im Anschluss an seine Einreise über Italien für drei Tage in Frankreich befunden habe und dann in die Schweiz weitergereist sei.
3 Aufgrund der Auskunft der Schweizer Asylbehörden wurde am 18. November 2016 ein Wiederaufnahmegesuch gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-Verordnung an Frankreich gerichtet, welches mit Mitteilung vom 24. November 2016 der Wiederaufnahme ("reprise en charge") des Antragstellers gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. a Dublin III-Verordnung zustimmte.
4 Nach einer niederschriftlichen Einvernahme des Revisionswerbers wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 AsylG 2005 zurück und stellte fest, dass gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. a Dublin III-Verordnung Frankreich zur Prüfung des Antrags zuständig sei. Zudem wurde die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass eine Abschiebung nach Frankreich zulässig sei. Die Zuständigkeit Frankreichs ergebe sich aus dessen Zustimmung vom 24. November 2016.
5 In der dagegen erhobenen Beschwerde wurden sämtliche Spruchpunkte des Bescheids angefochten. Im Rahmen einer ergänzenden Stellungnahme brachte der Revisionswerber vor, dass der zur Begründung der Zuständigkeit Frankreichs herangezogene Art. 18 Abs. 1 lit. a Dublin III-Verordnung kein eigenes Zuständigkeitskriterium sei, sondern die Pflichten eines Mitgliedstaates für den Fall seiner Zuständigkeit normiere. Darüber hinaus hätte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl feststellen müssen, dass der Revisionswerber über Italien eingereist sei und sich daraus eine Zuständigkeit Italiens nach Art. 14 der Dublin III-Verordnung ergeben würde.
6 Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Erkenntnis vom 24. April 2017 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 Fremdenpolizeigesetz 2005
als unbegründet ab. Im Erwägungsteil seiner Entscheidung schloss sich das Bundesverwaltungsgericht den Feststellungen zur "Allgemeinsituation" in Frankreich an und hielt beweiswürdigend fest, dass sich die festgestellten Tatsachen hinsichtlich der illegalen Einreise des Revisionswerbers in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten sowie dessen Asylantragstellung in Frankreich aus den Angaben des Revisionswerbers im Rahmen seiner Einvernahmen, aus den Informationen der Schweizer Behörden sowie der Zuständigkeitserklärung der französischen Behörde ergebe. In der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass aufgrund der Information der Schweizer Behörden feststehe, dass sich Frankreich bereits damals gegenüber der Schweiz bereit erklärt habe, den Revisionswerber zu übernehmen und demnach seine Zuständigkeit zur Führung des Verfahrens des Revisionswerbers bekundet habe. Anschließend habe die Überstellung des Revisionswerbers stattgefunden. Nach neuerlichen Konsultationen habe Frankreich erneut zugestimmt, das Asylverfahren des Revisionswerbers zu führen. Es bestünden weder Zweifel an der Zuständigkeit Frankreichs noch Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates als Frankreich. Zudem sprach es aus, dass gegen diese Entscheidung die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
7 In der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Revision bringt der Revisionswerber zur Zulässigkeit zusammengefasst vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, wann von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden könne, abgewichen. Weiters sei die Begründung einer Zuständigkeit Frankreichs gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. a Dublin III-Verordnung nicht zulässig. Damit sei das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung zur Ermittlung des zuständigen Mitgliedstaates nach der Dublin III-Verordnung abgewichen. Aufgrund des Vorbringens des Revisionswerbers wäre eine Zuständigkeit Italiens nach Art. 14 Dublin III-Verordnung zu prüfen gewesen.
8 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erstattete nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Abweisung der Revision. 9 Mit Vorlageentscheidung vom 27. September 2017 (C- 583/17) legte der Raad van State (Niederlande) dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:
"1. Ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180), dahin auszulegen, dass nur der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, mit der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats betraut ist, mit der Folge, dass ein Ausländer nur in diesem Mitgliedstaat gemäß Art. 27 der Dublin-Verordnung gegen die fehlerhafte Anwendung eines der in Kapitel III, darunter Art. 9, der Dublin-Verordnung festgelegten Zuständigkeitskriterien rechtlich vorgehen kann?
2. Inwiefern ist bei der Beantwortung der ersten Frage von Bedeutung, dass in dem ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, bereits eine Entscheidung über diesen Antrag ergangen ist oder der Ausländer den Antrag vorzeitig zurückgenommen hat?"
10 Mit Beschluss vom 13. Dezember 2017 hat der Verwaltungsgerichtshof das Revisionsverfahren bis zur Vorabentscheidung durch den EuGH über die mit Vorlageentscheidung des Raad van State (Niederlande) vom 27. September 2017 (C-583/17) vorgelegten Fragen ausgesetzt. Der EuGH beantwortete die Vorlagefrage in seinem Urteil vom 2. April 2019 (H., C-582/17 und R., C-583/17).
11 Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
12 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist der Verwaltungsgerichtshof an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 13 Ausgehend davon werden in der Revision keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme:
14 Das Bundesverwaltungsgericht kam mit näherer Begründung zu dem Schluss, dass es für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates als Frankreich keine Anhaltspunkte gäbe und keine Bedenken an der Annahme der Zuständigkeit Frankreichs bestünden, weshalb die Beschwerde des Revisionswerbers abzuweisen sei. Im Rahmen seiner beweiswürdigenden Überlegungen legte es dar, dass sich die Tatsachen hinsichtlich der illegalen Einreise in das Hoheitsgebiet sowie die Asylantragstellung des Revisionswerbers in Frankreich aus seinen Angaben im Rahmen seiner Einvernahmen ergeben würden, sowie aus den Informationen der Schweizer Behörden sowie der Zustimmungserklärung der französischen Behörden. 15 Diesen beweiswürdigenden Überlegungen tritt die Revision nicht entgegen bzw. vermag sie diese Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts mangels entsprechenden Vorbringens auch nicht zu erschüttern. Daher ist von den verwaltungsgerichtlichen Feststellungen auszugehen, die in ihrer Gesamtheit die rechtliche Beurteilung der Zuständigkeit Frankreichs zur Prüfung des Antrages des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zu tragen vermögen.
16 Mit Urteil vom 2. April 2019, C-582/17 und C-583/17, hat der EuGH die ihm vorgelegten Fragen wie folgt beantwortet:
"Die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist dahin auszulegen, dass sich ein Drittstaatsangehöriger, der in einem ersten Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, dann diesen Mitgliedstaat verlassen und in einem zweiten Mitgliedstaat einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat,
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im Rahmen eines Rechtsbehelfs gemäß Art. 27 Abs. 1 dieser Verordnung in diesem zweiten Mitgliedstaat gegen die gegen ihn ergangene Überstellungsentscheidung grundsätzlich nicht auf das in Art. 9 der Verordnung niedergelegte Zuständigkeitskriterium berufen kann;
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im Rahmen eines solchen Rechtsbehelfs in einem von Art. 20 Abs. 5 dieser Verordnung erfassten Fall ausnahmsweise auf dieses Zuständigkeitskriterium berufen kann, soweit der Drittstaatsangehörige der zuständigen Behörde des ersuchenden Mitgliedstaats Informationen vorgelegt hat, die eindeutig belegen, dass er gemäß diesem Zuständigkeitskriterium als der für die Prüfung des Antrags zuständige Mitgliedstaat anzusehen ist."
17 Zusammengefasst folgerte der EuGH, dass die zuständigen Behörden in den in Art. 23 Abs. 1 und in Art. 24 Abs. 1 der Dublin III-Verordnung genannten Fällen nicht verpflichtet seien, vor der Vorlage eines Gesuchs auf Wiederaufnahme in einem anderen Mitgliedstaat auf der Grundlage der in dieser Verordnung festgelegten Zuständigkeitskriterien zu bestimmen, ob dieser letztgenannte Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags zuständig sei. Da in einem Fall der Art. 18 Abs. 1 lit. b bis d der Dublin III-Verordnung die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrages bereits feststehe, erübrige sich in einem solchen Fall eine erneute Anwendung der Regeln über das Verfahren zur Bestimmung dieser Zuständigkeit, darunter in erster Linie der in Kapitel III dieser Verordnung niedergelegten Kriterien (Rn. 66 und 67 sowie 80).
18 Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung erweist sich auch der Hinweis des Revisionswerbers in der Zulässigkeitsbegründung auf Art. 14 Dublin III-Verordnung (Einreise über Italien), ohne die vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen substantiiert in Frage zu stellen, als nicht geeignet, eine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 B-VG aufzuzeigen.
19 Dem weiteren Vorbringen in der Revision, wonach ein Verstoß gegen die Verhandlungspflicht vorliege, ist entgegenzuhalten, dass im asylrechtlichen Zulassungsverfahren besondere Verfahrensvorschriften zu beachten sind. Mit dem zwischen den Absätzen 3, 6a und 7 des § 21 BFA-VG zueinander bestehenden Verhältnis hat sich der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 30. Juni 2016, Ra 2016/19/0072, näher befasst. Dass das Bundesverwaltungsgericht von den dort genannten Leitlinien abgewichen wäre, legt die Revision nicht dar (vgl. dazu VwGH 31.1.2019, Ra 2018/14/0367, mwN).
20 Die Revision war somit in einem nach § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
21 Die Zuerkennung von Aufwandersatz für die Revisionsbeantwortung hatte zu unterbleiben, weil ein solcher nicht beantragt wurde.
Wien, am 12. Juni 2019
Gerichtsentscheidung
EuGH 62017CJ0582 H. und R. VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2017190206.L00Im RIS seit
22.07.2019Zuletzt aktualisiert am
22.07.2019