Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei I*****, vertreten durch RAe Gruber Partnerschaft KG in Wien, gegen die beklagte Partei Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, 3100 St. Pölten, Kremser Landstraße 3, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. November 2018, GZ 8 Rs 100/18m-11, mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 23. April 2018, GZ 9 Cgs 27/18s-7, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 504,31 EUR (darin enthalten 84,05 EUR USt) bestimmten Kosten der Revision zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Anlässlich der Geburt ihres Sohnes am 16. 5. 2012 wurde der Klägerin pauschales Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 4.455 EUR für den Zeitraum 1. 1. 2013 bis 15. 5. 2013 zuerkannt und ausgezahlt.
Mit Bescheid vom 8. 1. 2018 widerrief die beklagte Niederösterreichische Gebietskrankenkasse die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes für diesen Zeitraum in Höhe von 4.455 EUR und verpflichtete die Klägerin zur Rückzahlung.
Die Klägerin hat ihr Einkommen aus selbständiger Tätigkeit erst nach Ablauf der zweijährigen Frist des § 8 Abs 1 Z 2 Satz 3 KBGG im Gerichtsverfahren abgegrenzt. Es ist nicht strittig, dass ihre von 1. 1. 2013 bis 15. 5. 2013 erzielten Einkünfte umgerechnet auf das Kalenderjahr die Zuverdienstgrenze (16.200 EUR) nicht überschreiten, der Gesamtbetrag der Einkünfte des Kalenderjahres 2013 diese Grenze jedoch übersteigt.
Die Klägerin begehrt in ihrer Klage erkennbar die Feststellung, dass der Anspruch der Beklagten auf Rückersatz des von 1. 1. 2013 bis 15. 5. 2013 bezogenen pauschalen Kinderbetreuungsgeldes nicht zu Recht besteht.
Nach Ansicht der Beklagten rechtfertigt es die Versäumung der zweijährigen Frist, von den gesamten im Jahr 2013 erzielten Einkünften aus selbständiger Erwerbstätigkeit auszugehen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Rechtlich prüfte es das Vorliegen des ausschließlich auf die objektive Überschreitung der Zuverdienstgrenze abstellenden Rückforderungstatbestands des § 31 Abs 2 Satz 2 vierter Fall KBGG und folgte dem Standpunkt der Beklagten, bei Versäumung der zweijährigen Frist für die Abgrenzung der im Anspruchszeitraum angefallenen Einkünfte seien die gesamten im Kalenderjahr des Bezugs erzielten Einkünfte maßgeblich. Der Oberste Gerichtshof habe zwar zu 10 ObS 146/17v eine Rückforderung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes abgelehnt, wenn der betreffende Elternteil nach Ablauf der zweijährigen Frist für die Abgrenzung der Einkünfte erst im Gerichtsverfahren nachweist, dass er mit den im Anspruchszeitraum erzielten Einkünften die Zuverdienstgrenze des § 24 Abs 1 Z 3 KBGG nicht überschritten hat. Dabei habe er auf den Wortlaut des § 24 Abs 1 Z 3 KBGG verwiesen, der auf die während des Bezugs des Kinderbetreuungsgeldes erzielten Einkünfte abstelle, während nach dem Wortlaut des § 2 Abs 1 Z 3 KBGG das Jahreseinkommen im Kalenderjahr maßgeblich sei. Die in der zitierten Entscheidung dargelegte unterschiedliche Regelung der Anspruchsberechtigung von pauschalem und einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld rechtfertige nach Auffassung des Berufungsgerichts auch eine Differenzierung hinsichtlich der Versäumung der zweijährigen Frist (§ 8 Abs 1 Z 2 Satz 3 KBGG). Die Revision wurde zur Klärung der Frage zugelassen, ob auch bei Bezug des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes der Nachweis der Abgrenzung noch erfolgreich erbracht werden kann.
Rechtliche Beurteilung
Die – beantwortete – Revision der Klägerin ist zulässig und berechtigt.
1. § 2 KBGG regelt unter dem Titel „Anspruchsberechtigung“ die Voraussetzungen für den Anspruch auf pauschales Kinderbetreuungsgeld. Dazu zählt, dass der Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte (§ 8 Abs 1 KBGG) des Elternteils im Kalenderjahr den absoluten Grenzbetrag von 16.200 EUR oder den höheren individuellen Grenzbetrag nach § 8b KBGG nicht übersteigt (§ 2 Abs 1 Z 3 KBGG).
2. § 8 Abs 1 Z 2 Satz 3 und 4 KBGG lauten in der hier anzuwendenden (§ 50 Abs 2 KBGG) Fassung BGBl I 2011/139:
„Wird bis zum Ablauf des zweiten auf das betreffende Kalenderjahr folgenden Kalenderjahres dem Krankenversicherungsträger nachgewiesen, in welchem Ausmaß Einkünfte vor Beginn oder nach Ende des Anspruchszeitraums (Z 1) angefallen sind, sind nur jene Einkünfte zu berücksichtigen, die während des Anspruchszeitraums angefallen sind. Im Falle eines derartigen Nachweises, der den steuerrechtlichen Bestimmungen zu entsprechen hat, sind die während des Anspruchszeitraums angefallenen Einkünfte auf einen Jahresbetrag umzurechnen.“
3. Der Gesetzgeber begründete die Einführung der zweijährigen Frist in § 8 Abs 1 Z 2 Satz 3 KBGG insbesondere wie folgt (ErläutRV 1552 BlgNR 24. GP 4 f):
„Derzeit grenzen manche selbständig tätige Eltern ihre Einkünfte – trotz Aufforderung – nicht ab, sodass der Krankenversicherungsträger schließlich die Zuverdienstberechnung anhand der Jahreseinkünfte vornehmen und bei Überschreitung einen Rückforderungsbescheid erlassen muss. Gegen diesen Bescheid wird dann von den Eltern Klage erhoben. Im Gerichtsverfahren werden schließlich doch die Einkünfte mittels Nachweisen … abgegrenzt. Diese unnötigen Gerichtsverfahren auf Kosten des FLAF gilt es zu vermeiden. Für den Nachweis der abgegrenzten Einkünfte ist daher eine (großzügige) Frist von zwei Jahren ab Ende des betreffenden Kalenderjahres (= Bezugsjahres) einzuführen. Wer diese Frist versäumt, kann in einem Gerichtsverfahren nicht mehr erfolgreich die Nachweise erbringen, sondern ist hier der Zuverdienst – wie für solche Fälle vorgesehen – anhand der gesamten Jahreseinkünfte (mittels der von der Finanzbehörde übermittelten Daten) zu berechnen …“
4. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 10 ObS 146/17v zu den Rechtsfolgen der Versäumung dieser Frist bei Bezug von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens (einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld) ausführlich Stellung genommen. Danach kann der Bezieher trotz Unterlassung einer fristgerechten Zuordnungserklärung noch im gerichtlichen Verfahren über eine Rückforderung nach § 31 Abs 2 Satz 2 KBGG darlegen, dass er die Zuverdienstgrenze während des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld nicht überschritten hat. Wesentliches Argument dafür war, dass nur § 24 Abs 1 Z 3 KBGG die Anspruchsvoraussetzungen regle und für den Begriff des „Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte“ (ebenso wie § 2 Abs 1 Z 3 KBGG für das pauschale Kinderbetreuungsgeld) auf § 8 KBGG verweise. Diese Bestimmung regle lediglich, welche Einkünfte als maßgebliche Einkünfte für die Beurteilung des Erreichens der Zuverdienstgrenze heranzuziehen und wie diese zu ermitteln seien. Der in den Gesetzesmaterialien enthaltene Ausschluss eines Zuordnungsnachweises finde im Wortlaut des § 24 KBGG keine Grundlage. Bloße Äußerungen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens stellten keine authentische Interpretation dar.
5. Der Oberste Gerichtshof hat mittlerweile in mehreren Entscheidungen zum einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld an diesen Grundsätzen festgehalten und die von der Beklagten auch hier in der Revisionsbeantwortung (großteils) gebrachten Argumente als nicht überzeugend angesehen (10 ObS 15/19g; 10 ObS 20/19t ua). Damit liegt eine gefestigte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor, die bei der Rückforderung von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld wegen objektiver Überschreitung der Zuverdienstgrenze zwischen Anspruchsvoraussetzung (§ 24 Abs 1 Z 3 KBGG) und Ermittlung der für die objektive Überschreitung der Zuverdienstgrenze maßgeblichen Einkünfte (§ 8 Abs 1 KBGG) differenziert.
6. Wie die Beklagte in der Revisionsbeantwortung selbst erkennt, ist es sachlich nicht gerechtfertigt, Bezieher von pauschalem Kinderbetreuungsgeld (seit BGBl I 2016/53 für Geburten ab 1. 3. 2017 in der Kontovariante) dadurch schlechter zu behandeln als die Bezieher von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld, dass die erste Gruppe nach Ablauf der zweijährigen Frist keinen Zuordnungsnachweis mehr erbringen darf:
7. Nach § 24e Satz 1 KBGG ist – als eine von vielen – die Bestimmung des § 8 KBGG sowohl auf das pauschale als auch auf das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld anzuwenden. Sowohl § 2 als auch § 24 KBGG regeln – wie schon ihre gleichlautende Überschrift „Anspruchsberechtigung“ unschwer erkennen lässt – jeweils die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug. § 2 Abs 1 Z 3 KBGG enthält – insoweit wortident mit § 24 Abs 1 Z 3 KBGG – folgende Formulierung: „… Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte (§ 8 Abs. 1) ...“ Der Unterschied besteht darin, dass das Gesetz in der Pauschalvariante unabhängig von der Dauer des Bezugs immer auf die im Kalenderjahr erzielten Einkünfte abstellt, beim einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld hingegen auf die während des Bezugs (Bezugszeitraum) erzielten Einkünfte, was mit dem Ziel der Leistung zu erklären ist: Das mit BGBl I 2009/116 eingeführte „Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommen“ sollte nach den Vorstellungen des Gesetzgebers den mit der Betreuung eines Kleinkindes im Bezugszeitraum verbundenen Einkommensentfall zumindest teilweise ausgleichen. Die im Vergleich zur Pauschalvariante deutlich geringere Zuverdienstgrenze des § 24 Abs 1 Z 3 KBGG sollte dieser (teilweisen) Einkommensersatzfunktion Rechnung tragen und wurde an die sozialversicherungsrechtliche Geringfügigkeitsgrenze (bei ganzjährigem Bezug 14 mal jährlich) angepasst (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 4, 17).
8. Wenn der Oberste Gerichtshof in 10 ObS 146/17w (Punkt 4.2 letzter Satz) auf den Unterschied zwischen „Kalenderjahr“ und „während des Bezugs des Kinderbetreuungsgeldes erzielten Einkünfte“ hinweist, gibt er den unterschiedlichen Gesetzestext wieder. Er trifft aber keine Aussage dazu, welche Rechtsfolgen die Unterlassung einer fristgerechten Zuordnungserklärung bei Bezug von pauschalem Kinderbetreuungsgeld hat. Der Umkehrschluss, dass Bezieher von pauschalem Kinderbetreuungsgeld die Möglichkeit zur Vornahme einer Zuordnungserklärung endgültig verloren hätten, findet in dieser Entscheidung keine Deckung (10 ObS 20/19t).
9. Ergebnis:
Wenn ein Bezieher von pauschalem Kinderbetreuungsgeld die zweijährige Frist zur Abgrenzung seiner im Anspruchszeitraum erzielten Einkünfte (§ 8 Abs 1 Z 2 Satz 3 KBGG) versäumt, kann er im Verfahren über die Rückforderung nach § 31 Abs 2 Satz 2 vierter Fall KBGG darlegen, dass er objektiv die Zuverdienstgrenze im Kalenderjahr des Bezugs nicht überschritten hat.
Diesen Nachweis hat die Klägerin unstrittig erbracht. Ihr Klagebegehren ist berechtigt, weshalb das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen ist.
10. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 2 Z 2 lit a ASGG. In diesem Rückforderungsverfahren ist § 77 Abs 2 ASGG nicht anzuwenden (RIS-Justiz RS0085754). Bemessungsgrundlage ist der zurückgeforderte Betrag von 4.455 EUR.
Textnummer
E125432European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:010OBS00035.19Y.0528.000Im RIS seit
08.07.2019Zuletzt aktualisiert am
16.09.2020