Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Musger und Priv.-Doz. Dr. Rassi, die Hofrätin Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** H*****, vertreten durch Mag. Max Verdino und andere Rechtsanwälte in St. Veit/Glan, gegen die beklagte Partei Dr. U***** R*****, vertreten durch die Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG, als Insolvenzverwalterin im Insolvenzverfahren über das Vermögen der N***** GmbH, wegen Feststellung von Insolvenzforderungen (Streitwert 23.916,51 EUR), Zahlung von 18.916,51 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), im Verfahren über den (richtig) Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. Februar 2019, GZ 3 R 2/19i-18, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 21. November 2018, GZ 6 Cg 60/18f-14, infolge Berufung der klagenden Partei aufgehoben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Haftet ein Luftfahrtunternehmen, das nach Art 5 Abs 1 lit b der VO (EG) Nr 261/2004 (FluggastrechteVO) Unterstützungsleistungen nach Art 9 Abs 1 lit b dieser VO zu erbringen hat, aufgrund dieser Verordnung für Schäden aufgrund einer Verletzung des Fluggasts, die dieser aufgrund fahrlässigen Verhaltens von Mitarbeitern des vom Luftfahrtunternehmen beigestellten Hotels erlitten hat?
2. Falls Frage 1 verneint wird:
Beschränkt sich die Verpflichtung des Luftfahrtunternehmens nach Art 9 Abs 1 lit b der VO (EG) Nr 261/2004 darauf, dem Fluggast ein Hotel zu vermitteln und die Kosten der Unterbringung zu übernehmen, oder schuldet das Luftfahrtunternehmen die Unterbringung als solche?
II. Das Verfahren wird gemäß § 90a Abs 1 GOG bis zum Einlangen der Vorabentscheidung ausgesetzt.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
A. Sachverhalt
Die beklagte Anwältin ist Insolvenzverwalterin eines österreichischen Luftfahrtunternehmens. Dieses Unternehmen hatte für die in Österreich ansässige Klägerin im Rahmen eines Pauschalreisevertrags einen Flug von Mallorca nach Wien durchzuführen. Wegen der Annullierung dieses Fluges erfolgte eine Umbuchung auf den Abend des nächsten Tages. Aus diesem Grund hatte das Unternehmen nach Art 5 Abs 1 lit b iVm Art 9 Abs 1 lit b VO (EG) Nr 261/2004 (FluggastrechteVO) eine Hotelunterbringung anzubieten. Diese Pflicht erfüllte es durch Unterbringung der Klägerin in einem örtlichen Hotel.
Die Klägerin ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Sie machte am Folgetag mit ihrem Ehemann, der sie im Rollstuhl schob, einen Spaziergang. Bei der Rückkehr zum Hotel blieb der Rollstuhl mit den Vorderrädern in einer Querrinne im Asphalt des Weges hängen. Die Klägerin fiel nach vorne aus dem Rollstuhl und verletzte sich schwer.
B. Vorbringen und Anträge der Parteien
Die Klägerin macht Schadenersatz geltend. Einerseits begehrt sie die Feststellung ihrer im Insolvenzverfahren angemeldeten, aber dort von der beklagten Insolvenzverwalterin bestrittenen Ersatzforderung als Insolvenzforderung, andererseits beantragt sie die Verurteilung der Insolvenzverwalterin zur Zahlung bei sonstiger Exekution in den Deckungsanspruch gegen die Haftpflichtversicherung des Luftfahrtunternehmens. Sie bringt vor, dass sich der Unfall auf dem Hotelgelände ereignet habe und die Mitarbeiter des Hotelbetreibers fahrlässig gehandelt hätten, weil sie die Querrinne im Weg weder beseitigt noch sonst abgesichert hätten.
Die Beklagte wendet ein, dass sich weder aus der VO (EG) Nr 261/2004 noch aus dem nationalen Recht eine Haftung des Luftfahrtunternehmens für fahrlässiges Verhalten der Mitarbeiter des Hotelbetreibers ergebe. Vielmehr stehe die Verordnung einer solchen Haftung entgegen, weil sich die Pflichten des Luftfahrtunternehmens auf das Anbieten einer Unterkunft beschränkten. Eine auf nationales Recht gestützte Haftung würde die Einstandspflicht des Luftfahrtunternehmens überspannen. Im Übrigen hätten die Hotelmitarbeiter nicht fahrlässig gehandelt; die Klägerin müsse beweisen, dass sich die Querrinne am Hotelgelände befunden habe und nicht abgesichert gewesen sei.
C. Bisheriges Verfahren
Das Erstgericht wies die Klage ab. Die Klägerin könne aus der VO (EG) Nr 261/2004 keine Ansprüche ableiten, da das Luftfahrtunternehmen nur verpflichtet gewesen sei, eine Unterkunft beizustellen; eine Haftung für Folgeschäden aufgrund angeblich fahrlässigen Verhaltens von Hotelmitarbeitern ergebe sich daraus nicht. Auch das nationale Recht biete keine Anspruchsgrundlage, weil zwischen der Klägerin und dem Luftfahrtunternehmen keine Vertragsbeziehung bestanden habe und im außervertraglichen Bereich nur eingeschränkt für Gehilfen gehaftet werde; insofern habe die Klägerin kein taugliches Vorbringen erstattet. Aufgrund dieser Rechtsauffassung traf das Erstgericht keine Feststellungen zur Frage, ob sich der Unfall überhaupt am Hotelgelände ereignet habe und ob Hotelmitarbeiter fahrlässig gehandelt hätten.
Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.
Das ausführende Luftfahrtunternehmen sei im konkreten Fall zur Leistung nach Art 9 Abs 1 lit b VO (EG) Nr 261/2004 verpflichtet gewesen. Hätte es diese Verpflichtung nicht erfüllt, so hätte es der Klägerin im Rahmen des Angemessenen und Zumutbaren Ersatz für dadurch verursachte Aufwendungen leisten müssen. Dieser Anspruch ergebe sich als Folge der Nichterfüllung aus dem nach Art 12 VO (EG) Nr 261/2004 neben dieser VO anwendbaren nationalen Recht. Gleiches müsse für den hier behaupteten Fall einer Schlechterfüllung durch den vom Luftfahrtunternehmen beauftragten Hotelbetreiber (bzw dessen Mitarbeiter) gelten. Auch eine solche Schlechterfüllung begründe einen Anspruch nach nationalem Recht, wobei das Luftfahrtunternehmen nach österreichischem Recht für fahrlässiges Verhalten der Hotelmitarbeiter hafte. Da das Erstgericht aufgrund seiner anderen Rechtsansicht keine Feststellungen zu den näheren Umständen des Unfalls getroffen habe, sei das angefochtene Urteil aufzuheben und dem Erstgericht die Ergänzung des Verfahrens aufzutragen.
Der Oberste Gerichtshof hat über einen Rekurs der Beklagten zu entscheiden, mit dem sie die Wiederherstellung des abweisenden Ersturteils anstrebt. Das Luftfahrtunternehmen habe seine Pflichten nach Art 9 VO (EG) Nr 261/2004 durch unentgeltliches Beistellen der Unterkunft erfüllt. Eine auf Art 12 VO (EG) Nr 261/2004 gestützte Anwendung nationalen Rechts dürfe nicht dazu führen, dass dem Luftfahrtunternehmen im Ergebnis weitergehende Pflichten auferlegt würden. Das folge aber aus der Auffassung des Berufungsgerichts, weil das Luftfahrtunternehmen zur Vermeidung einer Haftung die von ihm angebotenen Hotelanlagen überprüfen müsste. Abgesehen davon seien auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zum österreichischen Recht aus näher dargestellten Gründen verfehlt.
D. Rechtsgrundlagen
1. Die Verpflichtung des Luftfahrtunternehmens zur Erbringung von Unterstützungsleistungen ergibt sich aus folgenden Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91:
Art 5: Annullierung
(1) Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen [...]
b) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a) und Absatz 2 angeboten und im Fall einer anderweitigen Beförderung, wenn die nach vernünftigem Ermessen zu erwartende Abflugzeit des neuen Fluges erst am Tag nach der planmäßigen Abflugzeit des annullierten Fluges liegt, Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstaben b) und c) angeboten […]
Artikel 9: Anspruch auf Betreuungsleistungen
(1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so sind Fluggästen folgende Leistungen unentgeltlich anzubieten:
a) Mahlzeiten und Erfrischungen in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit,
b) Hotelunterbringung, falls
- ein Aufenthalt von einer Nacht oder mehreren Nächten notwendig ist oder
- ein Aufenthalt zusätzlich zu dem vom Fluggast beabsichtigten Aufenthalt notwendig ist,
c) Beförderung zwischen dem Flughafen und dem Ort der Unterbringung (Hotel oder Sonstiges). [...]
2. Art 12 Abs 1 VO (EG) Nr 261/2004 sieht Folgendes vor:
Art 12: Weiter gehender Schadensersatz
(1) Diese Verordnung gilt unbeschadet eines weiter gehenden Schadensersatzanspruchs des Fluggastes. Die nach dieser Verordnung gewährte Ausgleichsleistung kann auf einen solchen Schadensersatzanspruch angerechnet werden.
3. § 1313a des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) lautet wie folgt:
Wer einem andern zu einer Leistung verpflichtet ist, haftet ihm für das Verschulden seines gesetzlichen Vertreters sowie der Personen, deren er sich zur Erfüllung bedient, wie für sein eigenes.
E. Begründung der Vorlage
1. Zu Frage 1
1.1. Aus dem Wortlaut der VO (EG) Nr 261/2004 ergibt sich zunächst nur die Pflicht des Luftfahrtunternehmens, im Fall des Art 5 Abs 1 lit b, 2. Alternative, unentgeltlich eine Hotelunterbringung anzubieten. Der EuGH hat allerdings ausgesprochen, dass sich aus der Nichterfüllung dieser Pflicht ein Ausgleichsanspruch des Fluggasts ergibt, der nicht als „Schadenersatz“ im Sinn von Art 12 VO (EG) Nr 261/2004 qualifiziert werden kann (EuGH C-83/10, Sousa Rodriguez, Rn 43 f). Die Entschädigung darf das Ausmaß nicht übersteigen, das unter den konkreten Umständen notwendig, angemessen und zumutbar ist, um den Ausfall der Betreuung durch das Luftfahrtunternehmen auszugleichen (EuGH C-12/11, McDonagh, Rn 51).
1.2. Nach Auffassung des Senats ergibt sich aus den Ausführungen des EuGH eindeutig, dass es sich dabei um einen unmittelbar auf der Verordnung beruhenden Anspruch handelt. Ein Rückgriff auf Anspruchsgrundlagen des nationalen Rechts ist daher nicht erforderlich (so auch die weit überwiegende Auffassung im jüngeren deutschsprachigen Schrifttum; vgl etwa Hopperdietzel in Schmid, Fluggastrechte-Verordnung [2018] Art 9 Rn 20; Marti, Fluggastrechte gemäß der Verordnung (EG) Nr 261/2004 [2017] 335 f; Keiler in Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-Verordnung [2016] Art 9 Rn 29; Bollweg in Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-Verordnung Art 12 Rn 21 [mwN in FN 53]; Führich, Reiserecht7 [2015] § 42 Rn 20; für den Rückgriff auf nationales Recht hingegen, weil methodisch „sauberer“, Hausmann, Europäische Fluggastrechte im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung und großer Verspätung von Flügen [2012] 477; offen gelassen in BGH X ZR 128/11, Rz 33; anders für die Nichterfüllung von Leistungen nach Art 8 VO (EG) Nr 261/2004 OGH 1 Ob 133/18t).
1.3. Führt die Nichterfüllung der Betreuungspflicht unmittelbar aufgrund der Verordnung zu einem Entschädigungsanspruch des Fluggasts, so ist nicht ausgeschlossen, den Fall der Schlechterfüllung gleich zu behandeln. Es könnte daher angenommen werden, dass ein Luftfahrtunternehmen, das eine Hotelunterbringung anzubieten hat, unmittelbar aufgrund der Verordnung für eine mangelhafte Leistung des von ihm damit beauftragten Hotelbetriebs einzustehen hat.
1.4. Gegen diese Auffassung spricht allerdings, dass die Entschädigung wegen Nichterfüllung (oben 1.1.) als Äquivalent zur nicht erbrachten Leistung anzusehen ist. Damit liegt ein unmittelbar auf die Verordnung gegründeter (Sekundär-)Anspruch nahe, und zwar auch deshalb, weil sonst die Nichterfüllung des primären Anspruchs unionsrechtlich sanktionslos bliebe. Hingegen geht es im Fall der Schlechterfüllung um den Ersatz von Schäden, die über den Aufwand für die Unterbringung hinausgehen und daher nach der Systematik der Verordnung unter deren Art 12 fallen. Damit wären die diesbezüglichen Ansprüche – außer bei Anwendbarkeit eines Internationalen Übereinkommens – nach dem anwendbaren nationalen Recht zu beurteilen.
1.5. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass der Europäische Gerichtshof – etwa mit dem Ziel der Schaffung einheitlicher Rahmenbedingungen für alle in der Union tätigen Luftfahrtunternehmen (Erwägungsgrund 4 der VO [EG] Nr 261/2004) – die Schlechterfüllung der Nichterfüllung gleichstellt und auch in diesem Fall einen Entschädigungsanspruch unmittelbar aufgrund der Verordnung annimmt. Der Klärung dieser Frage dient Punkt 1 des Vorabentscheidungsersuchens.
2. Zu Frage 2
2.1. Führt das (behauptete) Fehlverhalten der Hotelmitarbeiter zu keinem Anspruch unmittelbar aufgrund der Verordnung, so ist zu prüfen, ob ein Anspruch auf Schadenersatz im Sinn von Art 12 VO (EG) Nr 261/2004 besteht. Ob das zutrifft, ist nach allenfalls anwendbaren internationalen Übereinkommen, sonst nach dem anwendbaren nationalen Recht zu beurteilen.
2.2. Im konkreten Fall ist unstrittig, dass sich der Schaden außerhalb des Obhutszeitraums nach Art 17 Abs 1 des Übereinkommens von Montreal ereignet hat, sodass der Ersatzanspruch jedenfalls nicht auf diese Bestimmung gestützt werden kann. Auch ein Verspätungsschaden im Sinn von Art 19 dieses Übereinkommens liegt nicht vor, weil die Klägerin das Luftfahrtunternehmen nicht wegen der Verspätung eines Fluges in Anspruch nimmt, sondern wegen der mangelhaften Erbringung von Unterstützungsleistungen nach der VO (EG) Nr 261/2004. Diese Leistungen fallen nicht in den Anwendungsbereich des Übereinkommens (EuGH C-344/04, IATA, Rn 44 ff, zu Unterstützungsleistungen nach Art 6 VO [EG] Nr 261/2004). Gleiches muss für Ansprüche wegen der Nicht- oder Schlechterfüllung solcher Leistungen gelten.
2.3. Bei Verneinung von Frage 1 könnte sich ein Anspruch der Klägerin daher nur aus dem anwendbaren nationalen Recht ergeben. Da wegen des Schadenseintritts in Spanien ein Sachverhalt mit Auslandsberührung vorliegt, ist dieses Recht nach den Regeln des Internationalen Privatrechts zu ermitteln. Dabei kann im konkreten Fall offen bleiben, ob der Anspruch der Klägerin als vertraglich oder außervertraglich zu qualifizieren ist. Denn alle in Betracht kommenden Kollisionsnormen verweisen auf österreichisches Recht: Bei vertraglicher Qualifikation (für Ansprüche unmittelbar aus der VO EuGH C-274/16, C-447/16 und C-448/16, flightright GmbH ua) ergäbe sich dessen Anwendung aus Art 5 Abs 2 Rom I-VO (gewöhnlicher Aufenthalt der Klägerin und Bestimmungsort des Transports in Österreich), bei außervertraglicher Qualifikation aus Art 4 Abs 2 iVm Art 23 Abs 1 Rom II-VO (gewöhnlicher Aufenthalt der Klägerin und des Luftfahrtunternehmens in Österreich). Zudem könnte aus dem Umstand, dass beide Parteien ein Vorbringen zu Bestimmungen des österreichischen Rechts erstattet haben, eine konkludente Wahl dieses Rechts nach Art 3 Abs 1 iVm Art 5 Abs 2 Rom I-VO oder nach Art 14 Abs 2 Rom II-VO abgeleitet werden (vgl RIS-Justiz RS0040169).
2.4. Die Haftung des Luftfahrtunternehmens setzt nach österreichischem Recht voraus, dass diesem ein fahrlässiges Verhalten der Hotelmitarbeiter zugerechnet werden kann. Mögliche Grundlage dafür ist § 1313a ABGB, wonach derjenige, der einem andern zu einer Leistung verpflichtet ist, für das Verschulden jener Personen haftet, deren er sich zur Erfüllung dieser Verpflichtung bedient. Diese Bestimmung erfasst zwar in erster Linie die Verletzung von Vertragspflichten; nach ständiger Rechtsprechung ist sie aber auch dann anzuwenden, wenn Pflichten verletzt werden, die sich ohne Bestehen eines Vertrags aus einer gesetzlichen Sonderbeziehung ergeben (OGH 5 Ob 76/12f mwN; RS0028527). Eine solche Sonderbeziehung liegt hier aufgrund der Unterstützungspflicht nach Art 5 Abs 1 lit b iVm Art 9 Abs 1 lit b VO (EG) Nr 261/2004 vor.
2.5. Das Verhalten einer Person wird dem Schuldner allerdings nur dann zugerechnet, wenn die Person bei der Erfüllung der dem Schuldner obliegenden Pflichten tätig wird (OGH 2 Ob 205/17m mwN; RS0028729). Damit ist von entscheidender Bedeutung, welche Pflicht das Luftfahrtunternehmen im konkreten Fall traf. Da sich diese Pflicht aus Art 5 Abs 1 lit b iVm Art 9 Abs 1 lit b VO (EG) Nr 261/2004 ergibt, handelt es sich dabei um eine unionsrechtliche Frage. Nach Auffassung des Senats sind zwei Auslegungen denkbar:
(a) Einerseits könnte das Luftfahrtunternehmen nur zur Organisation der Übernachtung, also zur Vermittlung eines Hotels und zur Übernahme der Kosten verpflichtet sein. Vertragspartner des Hotelbetreibers würde in diesem Fall der Fluggast selbst, allenfalls beim Vertragsschluss vertreten durch das Luftfahrtunternehmen. In diesem Fall würde das Luftfahrtunternehmen nur für ein Verschulden bei der Auswahl des Hotels haften; Schäden wegen eines fahrlässigen Verhaltens von Hotelmitarbeitern müsste der Fluggast demgegenüber gegen den Hotelbetreiber geltend machen. Im konkreten Fall ist ein Auswahlverschulden – auch unter Bedachtnahme auf Art 9 Abs 3 VO (EG) Nr 261/2004 (Berücksichtigung der Bedürfnisse von Personen mit eingeschränkter Mobilität) – nicht zu erkennen. Die Klage wäre daher abzuweisen.
(b) Andererseits kann die Auffassung vertreten werden, dass das Luftfahrtunternehmen die Unterbringung als solche schuldet. Diese Unterbringung könnte unter Umständen in einem Hotel des Unternehmens selbst erfolgen, sonst dadurch, das das Luftfahrtunternehmen zu diesem Zweck Verträge mit dritten Hotelbetreibern schließt. In diesem Fall bediente sich das Luftfahrtunternehmen des Hotelbetreibers zur Erfüllung eigener Pflichten. Dies führte nach österreichischem Recht zur Haftung für fahrlässiges Verhalten der Hotelmitarbeiter, wobei das Luftfahrtunternehmen bei einem objektiven Mangel in der Sphäre des Hotels das Nichtvorliegen von Verschulden beweisen müsste (OGH 10 Ob 53/15i mwN). Denn auch ein selbständiges Unternehmen und dessen Mitarbeiter können nach ständiger Rechtsprechung Personen sein, derer sich jemand zur Erfüllung seiner eigenen Pflichten bedient und für deren Verschulden er daher einzustehen hat (OGH 6 Ob 146/18s mwN). Die Haftung würde auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Luftfahrtunternehmen nicht in der Lage wäre, den Hotelmitarbeitern nähere Anweisungen zu geben oder ihr Verhalten zu überwachen (OGH 4 Ob 251/06z; 6 Ob 146/18s; RS0121746).
2.6. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshof ist aber auch die Auslegung denkbar, dass das Luftfahrtunternehmen die Unterbringung als solche schuldet.
Zwar verlangt der Wortlaut von Art 9 Abs 1 lit b VO (EG) Nr 261/2004 nur das „Anbieten“ der Hotelunterbringung, was auf eine bloße Pflicht zur Vermittlung eines Hotels samt Kostenübernahme deuten könnte. Die Verordnung verfolgt allerdings nach ihrem Erwägungsgrund 1 das Ziel, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ein solches Schutzniveau wäre nicht gewährleistet, wenn das Luftfahrtunternehmen tatsächlich nur diese eingeschränkten Pflichten träfen. Denn in diesem Fall würde der Fluggast Vertragspartner des Hotelbetreibers und müsste Schadenersatzansprüche wegen mangelhafter Leistung gegen diesen geltend machen. Dafür stünde ihm nur dann das Gericht an seinem gewöhnlichen Aufenthalt zur Verfügung, wenn die Voraussetzungen des Art 17 Brüssel Ia-VO erfüllt wären (Ausrichten der Tätigkeit des Hotelbetreibers auf den Verbraucherstaat); sonst müsste der Fluggast nach Art 4 Brüssel Ia-VO im Staat des Hotelbetreibers klagen. Hingegen steht für Klagen gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen regelmäßig das Gericht am Ankunftsort zur Verfügung (EuGH C-204/08, Rehder, zuletzt C-274/16, C-447/16 und C-448/16, flightright GmbH ua), was die Anspruchsverfolgung erheblich erleichterte. Umgekehrt würde das Luftfahrtunternehmen durch eine Schadenersatzpflicht nicht unverhältnismäßig belastet, weil es den Schaden im Fall der Haftung ohnehin nicht endgültig tragen müsste, sondern nach Maßgabe seines Vertrags mit dem Hotelbetreiber Rückgriff nehmen könnte. Da der Fluggast nur wegen eines (zumindest objektiven) Mangels in der Sphäre des Luftfahrtunternehmens im von diesem beigestellten Hotel übernachten musste, liegt nahe, das Risiko der Auslandsklage und der Einbringlichkeit einer Regressforderung dem Unternehmen und nicht dem Fluggast aufzuerlegen.
2.7. Die Haftung nach österreichischem Recht hängt somit von der unionsrechtlichen Vorfrage ab, wie weit die Pflichten des Luftfahrtunternehmens nach Art 5 Abs 1 lit b iVm Art 9 Abs 1 lit b VO (EG) Nr 261/2004 reichen. Dies soll durch Frage 2 geklärt werden.
C. Verfahrensrechtliches
1. Weder zu Frage 1 noch zu Frage 2 liegt ein acte clair oder eine Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union vor. Daher ist der Oberste Gerichtshof als letztinstanzliches Gericht zur Vorlage verpflichtet.
2. Bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist das Verfahren über den Rekurs der Klägerin auszusetzen.
Textnummer
E125433European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0170OB00008.19D.0617.000Im RIS seit
08.07.2019Zuletzt aktualisiert am
17.02.2021