TE Vfgh Erkenntnis 1996/12/13 B235/96

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Veröffentlicht am 13.12.1996
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

AufenthaltsG §5 Abs1
EMRK Art8

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch die Versagung einer Aufenthaltsbewilligung wegen nicht gesicherten Lebensunterhalts infolge grober Verkennung der Rechtslage und Unterlassung der gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in dem durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit 18.000,-- S bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger des ehemaligen Jugoslawien und lebt - den unwidersprochen gebliebenen Beschwerdeausführungen zu Folge - seit 1991 in Österreich. Er ist mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet; auch seine drei Kinder aus erster Ehe leben hier. Zunächst hielt er sich auf Grund von Sichtvermerken im Bundesgebiet auf.

Mit Bescheid vom 13. April 1994 wurde sein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mit der Begründung abgewiesen, daß der Unterhalt nicht gesichert sei, da der Antragsteller nur Krankengeld beziehe. Die dagegen erhobene Berufung wies der Bundesminister für Inneres mit dem angefochtenen Bescheid gemäß §5 Abs1 Aufenthaltsgesetz ab, weil der Unterhalt des Beschwerdeführers nicht gesichert sei. Dazu ist im Bescheid auch noch folgendes ausgeführt:

"Diese Einwendungen haben allerdings nicht belegen können, aus welchen Gründen die Ermessensausübung der Behörde bei der Beurteilung des gesicherten Lebensunterhaltes gesetzwidrig gewesen wäre. Sie sind somit Ihrer Pflicht am Verfahren entsprechend mitzuwirken nicht ausreichend nachgekommen."

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, mit der insbesondere die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Der angefochtene, die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz versagende Bescheid greift in das dem Beschwerdeführer durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein, weil der Beschwerdeführer schon seit mehreren Jahren mit seiner Ehefrau (einer österreichischen Staatsbürgerin) in Österreich lebt.

1.2. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall läge nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hätte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

2. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 16.3.1995, B2259/94, mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung der in §5 Abs1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungstatbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

3. Die belangte Behörde hat angenommen, daß §5 Abs1 AufG der Behörde Ermessen einräume. Beim Begriff "Lebensunterhalt ... für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert" handelt es sich aber um einen unbestimmten Gesetzesbegriff, und nicht, wie die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage annimmt, um die Einräumung von Ermessen an die Behörde durch den Gesetzgeber.

Die Annahme der belangten Behörde, §5 Abs1 AufG räume ihr Ermessen ein, bedeutet ein grobes Verkennen der Rechtslage, das in die Verfassungssphäre reicht.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von 3.000,-- S enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Ermessen, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B235.1996

Dokumentnummer

JFT_10038787_96B00235_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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