TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/22 W102 2210589-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.05.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

22.05.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W102 2210589-1/10E

W102 2210587-1/10E

W102 2210540-1/10E

W102 2210591-1/10E

Schriftliche Ausfertigung des am 01.04.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von 1. XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, 2. XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, 3. XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , StA. Afghanistan und 4. XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, vom 29.10.2018, 1. Zl. XXXX , 2. Zl. XXXX , 3. Zl. XXXX und 4. Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.04.2019 zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan wird stattgegeben und dieser gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. Den Beschwerden von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan wird stattgegeben und diesen gemäß §§ 3 und 34 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , XXXX und XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

1. XXXX , 2. XXXX , 3. XXXX , 4. XXXX

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin reiste mit ihrem Ehemann (dem Zweitbeschwerdeführer) und vier ihrer Kinder (zwei davon die damals minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer), alle afghanische Staatsangehörige und Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken, unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein. In der Folge stellte die Familie am 07.11.2015 erstmals im Bundesgebiet Anträge auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 07.11.2015 gab die Erstbeschwerdeführerin zum Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, in Afghanistan herrsche Krieg und es gebe keine Arbeit. Der Zweitbeschwerdeführer gab zum Fluchtgrund an, seine Brüder hätten Feinde in Afghanistan, diese hätten ihn und seine Familie bis in den Iran verfolgt. Im Iran seien sie illegal aufhältig gewesen, die Kinder hätten keine Schule besuchen dürfen. Seine Tochter sei aus dem Iran entführt worden. Sie hätten gehört, sie würde sich in Deutschland aufhalten. Auch deshalb hätten sie sich auf die Reise bzw. auf die Suche nach ihr gemacht. Der Drittbeschwerdeführer gab an, im Iran habe er keine Schule besuchen dürfen und keine richtige Arbeit gehabt. In Afghanistan gebe es keine Sicherheit, er habe Angst vor seinen Verwandten. Der Viertbeschwerdeführer gab an, im Iran hätten sie keine Papiere gehabt und in Afghanistan hätte seine Familie Feinde.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10.04.2018 führte die Erstbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, dass sie mit ihrem Mann wegen seiner Feinde geflüchtet sei. Auch wegen der häuslichen Gewalt könne sie nicht zurückkehren. Die Brüder ihres Mannes hätten sie geschlagen, sie habe dadurch Verbrennungen im Gesicht. Der Zweitbeschwerdeführer gab in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 11.04.2018 an, er sei von den Taliban festgenommen, festgehalten und gefoltert worden. Nach einem Monat habe er flüchten können. Er habe im Herkunftsstaat auch persönliche Feindschaften, dies seien Probleme aus Zeiten seiner Vorfahren. Seine Brüder hätten auch sein Vermögen an sich genommen. Seine Frau sei auch von den Brüdern geschlagen worden in seiner Abwesenheit. Der Drittbeschwerdeführer führte am 12.04.2018 aus, er habe so gut wie nie in Afghanistan gelebt. Die Probleme seines Vaters würden ihn auch betreffen. Er könne dort nicht leben, da seine Kultur und sein Dialekt anders seien. Der Viertbeschwerdeführer gab am 10.04.2018 an, sein Vater habe Feinde und sei von den Taliban gefangen genommen und gefoltert worden. Er selbst sei im Iran aufgewachsen, dort sei seine Schwester entführt worden. Im Iran hätten sie Angst vor der Polizei und den Feinden des Vaters gehabt.

2. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 29.10.2018, dem Viertbeschwerdeführer zugestellt am 31.10.2018, der Erstbeschwerdeführerin sowie dem Zweit- und Drittbeschwerdeführer zugestellt am 02.11.2018, wies die belangte Behörde die Anträge der Erstbeschwerdeführerin und der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung der Erstbeschwerdeführer und der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Begründend führte die belangte Behörde aus, die Fluchtgründe des Zweitbeschwerdeführers seien nicht glaubhaft.

3. Gegen die oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.10.2018 richten sich die am 27.11.2018 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde. Diese führt aus, die Erstbeschwerdeführerin wolle selbstständig sein, arbeiten und gehe allein einkaufen. Sie sei noch Analphabetin, besuche aber zweimal wöchentlich einen Deutschkurs und pflege Austausch mit der lokalen Bevölkerung. Die Familie lebe nicht religiös und helfe in der örtlichen römisch-katholischen Kirche mit. Der Erstbeschwerdeführerin und den Zweit- bis Viertbeschwerdeführern drohe im Fall der Rückkehr Verfolgung wegen westlicher Orientierung. Beantrag wurde auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 01.04.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der die Erstbeschwerdeführerin und die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer, deren bevollmächtigter Rechtsvertreter und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde die Erstbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen befragt.

Mit Schreiben vom 10.04.2019 beantragte die belangte Behörde die schriftliche Ausfertigung des am 01.04.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses.

Die Erstbeschwerdeführerin legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

* Teilnahmebestätigung für einen Werte- und Orientierungskurs am 26.11.2017

* Teilnahmebestätigungen für Deutschkurse

* Medizinische Unterlagen

* Zahlreiche Empfehlungsschreiben

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu Person und Lebensumständen im Herkunftsstaat

Die Erstbeschwerdeführerin und die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan und Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken. Sie bekennen sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Ihre Muttersprache ist Dari.

Die Erstbeschwerdeführerin trägt den im Spruch angeführten Namen und wurde spätestens im Jahr XXXX in einem Dorf in der Provinz Panjshir geboren, wo sie bis zu ihrer Hochzeit lebte. Die Erstbeschwerdeführerin hat bis zu ihrer Einreise ins Bundesgebiet keine Schule besucht und ist Analphabetin. Sie war bis dahin im Haushalt und mit der Kindererziehung beschäftigt.

Der Zweitbeschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen und wurde im Jahr XXXX in der Provinz Panjshir geboren.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind verheiratet und haben fünf gemeinsame Kinder, darunter der Dritt- und Viertbeschwerdeführer. Die Hochzeit fand in Pakistan statt. Die Familie lebte bis zur Einreise nach Österreich im November 2015 in Pakistan, Afghanistan und zuletzt etwa 15 Jahre im Iran.

Der Drittbeschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen und wurde im Jahr XXXX in Afghanistan geboren.

Der Viertbeschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen und wurde im Jahr XXXX in Afghanistan geboren.

Der älteste im Einreisezeitpunkt volljährigen Sohn der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers ist aktuell im Bundesgebiet aufhältig. Sein Verfahren ist vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängig. Gleiches gilt für die älteste im Einreisezeitpunkt volljährige Tochter.

Die ganze Familie lebt in einem gemeinsamen Haushalt und bezieht Grundversorgung.

Die jüngste Tochter wurde im Iran entführt und ist seither verschollen.

Die Erstbeschwerdeführerin und die Dritt- und Viertbeschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Lebensumständen der Erstbeschwerdeführerin in Österreich

Seit ihrer Einreise hat die Erstbeschwerdeführerin einen Werte- und Orientierungskurs und Deutsch- und Alphabetisierungskurse besucht. Auch aktuell besucht sie zwei Mal wöchentlich einen Deutschkurs.

Die Zweitbeschwerdeführerin nimmt außerdem regelmäßig an den Treffen des Handarbeitsvereins in ihrer Wohnsitzgemeinde teil, wo sie auch freundschaftliche Beziehungen zu einigen Mitgliedern und deren Familien aufgebaut hat. Der Kontakt zu ihnen findet etwa in der Handarbeitsrunde oder bei wechselseitigen Einladungen zum Essen statt.

Die Erstbeschwerdeführerin bringt sich aktiv in das öffentliche Leben in der Wohnsitzgemeinde ein. So hat sie beispielsweise beim jährlichen Marktfest und dem ebenso jährlichen Adventmarkt mitgearbeitet und afghanische Spezialitäten an einem Stand verkauft. Auch beim Spielnachmittag in der Gemeinde hat die Erstbeschwerdeführerin regelmäßig mitgeholfen.

Die Lebensmitteleinkäufe für die Familie erledigt die Erstbeschwerdeführerin alleine oder in Begleitung ihrer Kinder. Über die Angelegenheiten ihrer Familie weißt die Erstbeschwerdeführerin bestens bescheid. Die Erstbeschwerdeführerin hat klare Vorstellungen über die Zukunft ihrer Familie und möchte, dass ihre Kinder ihre Lebensentscheidungen selbst treffen.

Für die Zukunft hat die Erstbeschwerdeführerin den Wunsch, ihre Deutschkenntnisse zu verbessern und zu arbeiten.

Dass ihre älteste Tochter die Schule besuchen, einen Beruf ergreifen, ihre Lebensentscheidungen selbst treffen und sich frei bewegen kann, ist der Erstbeschwerdeführerin sehr wichtig. Sie und ihr Mann mischen sich nicht in die Lebensorganisation der Tochter ein. Aktuell besucht die älteste Tochter ein Gymnasium.

Die Erstbeschwerdeführerin hat während ihres Aufenthaltes in Österreich eine auf ein selbstbestimmtes Leben hin orientierte Lebensführung angenommen, lebt ihr Leben nicht nach afghanisch-konservativer Tradition und kann sich eine am afghanischen Frauenbild ausgerichtete Lebensführung auch nicht vorstellen. Ihre Lebensweise ist Bestandteil der Identität der Erstbeschwerdeführerin, die sie im Fall der Rückkehr nicht aufrechterhalten könnte.

Im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat würde sie aufgrund ihrer persönlichen und gelebten Werthaltung vom dortigen konservativen Umfeld als Frau angesehen, die ihren Lebensstil am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert und soziale und religiöse Normen überschreitet. Aus diesem Grund drohen der Erstbeschwerdeführerin im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Übergriffe durch private bzw. auch staatliche Akteure.

Dass die afghanischen Behörden die Erstbeschwerdeführerin vor diesen Übergriffen schützen wollen bzw. können, ist nicht zu erwarten.

Auch durch Niederlassung in einem anderen Landesteil kann sich die Erstbeschwerdeführerin den zu erwartenden Übergriffen nicht entziehen.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und Muttersprache der Erstbeschwerdeführerin und der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer ergeben sich aus deren gleichbleibenden und plausiblen Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Auch die belangte Behörde ging vom Zutreffen der diesbezüglichen Angaben aus.

Die Feststellungen zu Identität und Geburtsort der Erstbeschwerdeführerin basieren auf deren gleichbleibenden Angaben im Verfahren. Auch, dass sie Analphabetin ist, hat die Erstbeschwerdeführerin durchgehend angegeben. Die Feststellung, dass die Erstbeschwerdeführerin keine Schule besucht hat, beruht auf ihren Angaben. In der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 10.04.2018 zu Erwerbstätigkeit und Schulbesuch befragt, gab die Erstbeschwerdeführerin an. Sie habe den Haushalt gemacht und die Kinder großgezogen (Einvernahmeprotokoll S. 6, AS 121). Auf diesen plausiblen Angaben beruht auch die entsprechende Feststellung. Zum Geburtsdatum der Erstbeschwerdeführerin ist auszuführen, dass sie weder Geburtsjahr noch Datum genau angeben kann. Jedoch wurde bei der Erstbefragung protokolliert, sie sei im Jahr XXXX geboren und gab sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht an, XXXX Jahre alt zu sein (Verhandlungsprotokoll S. 4). Unter Berücksichtigung des Alters ihrer Kinder und des von ihr behaupteten Alters im Zeitpunkt der Hochzeit mit 19 Jahren erscheinen diese Angaben jedoch nicht konsistent. Auch der Ehemann der Beschwerdeführerin konnte ihr Alter nicht angeben, gibt deren Alter für den Zeitpunkt der Hochzeit allerdings mit 16 Jahren an und weiter, dass die älteste Tochter ein Jahr nach der Hochzeit geboren sei. Auch räumt er ein, seine Frau könnte älter sein, als im Zuge der Erstbefragung protokolliert (Einvernahmeprotokoll S. 3-5). Insgesamt lässt sich das Geburtsjahr aus den divergierenden, inkonsistenten Angaben im Verfahren daher nicht feststellen. Mangels Verfahrensrelevanz ist darauf jedoch nicht weiter einzugehen und behält das Bundesverwaltungsgericht die bisherige Verfahrensidentität der Erstbeschwerdeführerin bei.

Die Feststellungen zur Identität des Zweitbeschwerdeführers ergeben sich aus dessen Angaben, wobei er zu seinem bei der Erstbefragung protokollierten Geburtsjahr einräumt, es sei ihm gesagt worden, er sei XXXX oder XXXX (nach dem iranischen Kalender) geboren, er selbst glaube aber, noch älter zu sein (Einvernahmeprotokoll S. 4). Auch hier behalt das Bundesverwaltungsgericht die bisherige Verfahrensidentität mangels Verfahrensrelevanz des genauen Geburtsjahres oder -datums bei. Dass er in Panjshir geboren ist, gibt der Zweitbeschwerdeführer allerdings durchgehend an, weswegen eine entsprechende Feststellung getroffen wurde.

Die Feststellung, dass die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer verheiratet sind und fünf gemeinsame Kinder, darunter den Dritt- und Viertbeschwerdeführer, haben, beruht auf den durchgehend gleichbleibenden und plausiblen Angaben aller Familienmitglieder. Auch die belangte Behörde erachtete diese Angaben für glaubhaft und legte sie ihrer Entscheidung zugrunde. Die Feststellung zur Hochzeit in Pakistan beruht auf den übereinstimmenden Angaben der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers. Die Feststellung, dass die Familie bis zur Einreise nach Österreich in Pakistan, Afghanistan und zuletzt dem Iran lebte, beruht auf den gleichbleibenden Angaben aller Familienmitglieder.

Die Feststellung zum Geburtsjahr des Drittbeschwerdeführers beruht auf den übereinstimmenden und gleichbleibenden Angaben der Erstbeschwerdeführerin, des Zweitbeschwerdeführers und des Drittbeschwerdeführers. Zur Namensschreibweise folgt das Bundesverwaltungsgericht den Angaben des Drittbeschwerdeführers im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 12.04.2018 (Einvernahmeprotokoll S. 3 und 4). Dass der Drittbeschwerdeführer in Afghanistan geboren wurde, wurde den Angaben seiner Eltern entsprechend festgestellt. Gleiches gilt für den Viertbeschwerdeführer. Auch sein Geburtsjahr gaben seine Eltern und er selbst übereinstimmendend und gleichbleibend an, weswegen eine entsprechende Feststellung getroffen wurde.

Die Feststellung zu Aufenthalt und Verfahren des ältesten Sohnes und der ältesten Tochter ergibt sich aus dem jeweiligen Akt, in den das Bundesverwaltungsgericht Einsicht genommen hat.

Die Feststellung zum gemeinsamen Haushalt ergibt sich aus den Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.04.2019 und den diese Angaben bestätigenden aktuellen, im jeweiligen Akt einliegenden Auszügen aus dem zentralen Melderegister.

Die Feststellung zur jüngsten Tochter ergibt sich aus den gleichbleibenden Angaben aller Familienmitglieder im Verfahren.

Die Feststellungen zur Unbescholtenheit ergibt sich aus den in den jeweiligen Akten einliegenden Strafregisterauszügen.

2.2. Zu den Lebensumständen der Erstbeschwerdeführerin in Österreich

Die Feststellung zum von der Erstbeschwerdeführerin besuchten Kursangebot ergibt sich aus den von ihr vorgelegten Teilnahmebestätigungen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hat sie zudem angegeben, auch aktuell einen Deutschkurs zu besuchen. So geht etwa aus dem im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde 10.04.2018 durch die Erstbeschwerdeführerin vorgelegten Empfehlungsschreiben einer freiwilligen Deutschlehrerin hervor, dass die Erstbeschwerdeführerin, trotzdem sie nie eine Schule besucht hat und sich schwertut, jede Woche in den Deutschkurs kommt (AS. 153). Eine andere Deutschlehrerin berichtet von der regelmäßigen Teilnahme der Erstbeschwerdeführerin am Alphabetisierungskurs und ihren Bemühungen, Deutsch zu lernen (AS. 169). Darin zeigt sich der starke Wille der Erstbeschwerdeführerin, dass sie trotz aller Hürden und dem Umstand, dass sie nie eine Schule besuchen konnte, im Rahmen ihrer Möglichkeiten um Bildung bemüht ist, am öffentlichen Leben teilnehmen möchte und hierbei den Spracherwerb als grundlegende Voraussetzung erkennt.

Die Feststellung zur Teilnahme an den Treffen des Handarbeitsvereines in ihrer Wohnsitzgemeinde ergibt sich einerseits aus der vorgelegten, von einigen Mitgliedern unterschriebenen Teilnahmebestätigung (AS. 155). Dieser Bestätigung lässt sich die langjährige Teilnahme an den Treffen entnehmen. Empfehlungsschreiben einzelner Mitglieder berichten von einem intensiven wechselseitigen Kontakt, der insbesondere von der Erstbeschwerdeführerin und ihrer ältesten Tochter aufgebaut wurde (AS. 137).

Die Mithilfe der Erstbeschwerdeführerin am Spielenachmittag in der Gemeinde geht aus dem Empfehlungsschreiben der Leiterin der Initiative hervor (AS. 171), wobei die Autorin des Empfehlungsschreibens auch von privatem Kontakt mit unter anderem der Erstbeschwerdeführerin und ihrem allgemeinen Engagement in die lokale Gemeinschaft berichtet (Mithilfe beim Essensstand auf dem Adventmarkt und beim Marktfest). Zusätzlich ist die Teilnahme der Erstbeschwerdeführerin auf der Facebookseite der Spieleinitiative ersichtlich, wo die Erstbeschwerdeführerin auf einigen Fotos zu sehen ist. Die Mitarbeit an diversen Veranstaltungen der Gemeinde geht auch aus weiteren Empfehlungsschreiben hervor (AS. 173-174) und wird auch vom Sozialreferenten der Gemeinde bestätigt, dessen Empfehlungsschreiben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.04.2019 vorgelegt wurde. Auch der Altbürgermeister der Gemeinde berichtet in seinem in der mündlichen Verhandlung am 01.04.2019 vorgelegten Empfehlungsschreiben von der Teilnahme aller Familienmitglieder an den lokalen Veranstaltungen und am öffentlichen und auch am kirchlichen Leben.

Auch der Pfarrer der örtlichen römisch-katholischen Kirche beschreibt die Familie als sehr integrationswillig und kontaktsuchend (AS. 151) und berichtet, dass sich die Familie stark in der ehrenamtlichen Arbeit direkt in der Pfarre sowie im Pflegeheim der Caritas ("Fest der Nationen") einbringt (Im Zuge der mündlichen Verhandlung vorgelegtes Empfehlungsschreiben). Die Obfrau eines Pfarrvereines berichtet in ihrem im Zuge der mündlichen Verhandlung vorgelegten Empfehlungsschreiben von Hilfe der Familie bei verschiedenen Veranstaltungen und Tätigkeiten in der Pfarre.

Insgesamt ergibt sich daraus, dass die Beschwerdeführerin sich engagiert und stark in das lokale öffentliche Leben einbringt und ihren Aktionsradius damit bereits deutlich über den für Frauen im Herkunftsstaat üblichen Rahmen hinaus ausgedehnt hat, auch wenn sie bedingt dadurch, dass ihr im Herkunftsstaat grundlegende Bildung verwehrt wurde, was heute noch zu Barrieren etwa beim Spracherwerb führt (siehe dazu auch schon oben), die ihr grundsätzlich offen stehenden Möglichkeiten im Bundesgebiet noch nicht voll ausschöpfen kann.

Die Feststellung, dass die Erstbeschwerdeführerin sich allein oder in Begleitung ihrer Kinder um die Lebensmitteleinkäufe der Familie kümmert, ist auszuführen, dass die Erstbeschwerdeführerin dies in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht angab (Verhandlungsprotokoll S. 5) und dabei einen souveränen und selbstständigen Eindruck machte in dem sich insbesondere ausdrückte, dass es in ihrer Lebensführung selbstverständlich ist, dass sie sich (auch ohne ihren Mann oder ihre Kinder) in einem größeren Radius bis in die nächste Stadt bewegt, um etwa Lebensmittel oder Mode einzukaufen.

Zum festgestellten Arbeitswunsch der Erstbeschwerdeführerin ist auszuführen, dass sie im Zuge der mündlichen Verhandlung den persönlichen Eindruck deutlich vermitteln konnte, dass ihr ihre eigene Berufstätigkeit sehr am Herzen läge, dass ihr jedoch auch ins Bewusstsein eingeschrieben ist, dass ihre fehlende Schuldbildung und ihre dadurch bedingten Schwierigkeiten beim Erwerbs der deutschen Sprache dem zumindest im Wege stehen, weswegen sie sich einerseits - wie bereits oben ausgeführt - um ihren eigenen Spracherwerb bemüht ist und andererseits den Schulbesuch ihrer Tochter unterstützt. Insbesondere zeigte die Erstbeschwerdeführerin, als sie verneinte, in der Vergangenheit in Afghanistan, im Iran oder in Pakistan erwerbstätig gewesen zu sein eine Gemütsregung, die auf den Wunsch hindeutete, ihr Lebensweg wäre in diesem Aspekt anders verlaufen. Vom Schulbesuch ihrer Tochter sprach die Erstbeschwerdeführerin dagegen mit Stolz und betonte auch glaubhaft, sie wolle sich in die Lebensorganisation ihrer Tochter nicht einmischen und solle diese ihre eigenen Entscheidungen treffen (Verhandlungsprotokoll S. 6). Besonders die eigene und ungefährdete Bewegungsfreiheit für sich und ihre Tochter liegen der Erstbeschwerdeführerin am Herzen, was sich in der mündlichen Verhandlung darin ausgedrückt hat, dass die Erstbeschwerdeführerin davon berichtet, wie ihre Tochter alleine jeden Tag nach XXXX zur Schule fährt, während sie kurz darauf - einen gleichzeitig sorgenvollen und erleichterten Eindruck vermittelnd - von den Ängsten erzählt, die sie ausgestanden hat, wenn sie oder ihre Tochter in Afghanistan alleine Unterwegs waren (Verhandlungsprotokoll S. 6 und 7). Dementsprechend wurden die Wünsche der Erstbeschwerdeführerin für ihre Tochter festgestellt.

Die Feststellung dazu, dass die Erstbeschwerdeführerin klare Vorstellungen über die Zukunft ihrer Familie hat speist sich aus dem gesamten Eindruck, den die Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht machte, wo sie dem erkennenden Richter ohne Scheu begegnete und selbstverständlich und selbstbewusst aus dem Leben der Familie berichtete, ohne etwa den Blick ihres Mannes zu suchen. Auch über die Erkrankung ihrer Tochter wusste die Erstbeschwerdeführerin bestens Bescheid (Verhandlungsprotokoll S. 8-9). Dass die Erstbeschwerdeführerin möchte, dass ihre Kinder ihre Lebensentscheidungen selbst treffen, hat diese zunächst für ihre Tochter sehr deutlich (siehe dazu bereits oben) und auch für ihre Söhne glaubhaft versichert.

Zur Feststellung, dass die Erstbeschwerdeführerin während ihres Aufenthaltes in Österreich eine auf ein selbstbestimmtes Leben hin orientierte Lebensführung angenommen hat, dass dies Teil ihrer Identität geworden ist und dass sie sich eine am afghanischen Frauenbild ausgerichtete Lebensführung nicht vorstellen kann, ist auf die Ausführungen zu den obigen Feststellungen sowie die Feststellungen selbst zu verweisen.

Zur Feststellung, dass sie die Erstbeschwerdeführerin diese Lebensweise im Fall der Rückkehr nicht aufrechterhalten könnte, ist zunächst ein Vergleich mit den Möglichkeiten für Frauen im Herkunftsstaat anzustellen:

Das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 26.03.2019 (in der Folge: Länderinformationsblatt) berichtet zwar von einer Verbesserung der Lage afghanischer Frauen in den letzten 15 Jahren sowie von Bemühungen der Regierung, diese Errungenschaften zu verfestigen. Gleichzeitig wird jedoch berichtet, dass Afghanistan weiterhin als eines der gefährlichsten Länder für Frauen gilt. Insbesondere eine unnachgiebige konservative Einstellung gegenüber Frauen bestehe fort. Die theoretischen Rechte (die afghanische Verfassung verbietet etwa jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung und garantiert Gleiche Rechte und Pflichten aller Bürger - Männer wie Frauen - vor dem Gesetzt) würden in der Praxis jedoch kaum umgesetzt. So wird von einer Vielzahl von Hindernissen in Bezug auf die Berufstätigkeit von Frauen berichtet, sie seien Belästigung, Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt und würden auch von praktischen Hürden (z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und [Aus]Bildung) behindert (Länderinformationsblatt, Kapitel 17. Frauen, Abschnitt Berufstätigkeit). Viele Frauen vor allem im ländlichen Bereich würden aus Furcht vor sozialer Ächtung keiner Arbeit außerhalb des Hauses nachgehen und werde ein Arbeitsplatz häufig als schlechtes Umfeld für Frauen angesehen. Eine Position in der Öffentlichkeit sei für Frauen in Afghanistan noch immer keine Selbstverständlichkeit. Traditionelle Praktiken würden die Teilnahme von Frauen am politischen Geschehen und Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft weiterhin einschränken und sei der Bedarf einer männlichen Begleitung bzw. einer Arbeitserlaubnis weiterhin gängig (Abschnitt Politische Partizipation und Öffentlichkeit). Auch von einer weitgehenden Beschränkung der Reisefreiheit von Frauen, insbesondere wegen Sicherheitsbedenken, wird berichtet (Abschnitt Reisefreiheit). Die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (in der Folge UNHCR-Richtlinien) berichten von eingeschränktem Zugang zu Bildung- und Gesundheitswesen und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 7. Frauen mit bestimmten Profilen oder Frauen, die unter bestimmten Bedingungen leben, S. 77). Sexuelle Belästigung und tief verwurzelte Diskriminierung von Frauen seien endemisch (S. 78).

Aus dieser Berichtslage ergibt sich bereits, dass die Erstbeschwerdeführerin die Lebensweise, die sie nunmehr im Bundesgebiet pflegt, nicht weiterführen könnte, so wäre die eigenständige Teilnahme am öffentliche Leben, wie sie sie durch ihre Mitarbeit an Veranstaltungen und Aktivitäten in ihrer Wohnsitzgemeinde lebt, im Herkunftsstaat den oben zitierten Berichten zufolge nicht möglich. Auch der Bewegungsradius, wie ihn die Erstbeschwerdeführerin aktuell lebt, indem sie etwa in die nächste größere Stadt zum Einkaufen fährt, würde im Rückkehrfall nicht aufrechterhalten werden können. Weiter könnte es zur Verwirklichung ihres Wunsches nach Berufstätigkeit kaum kommen und ich ihre Alphabetisierungsbestrebungen müsste die Erstbeschwerdeführerin angesichts des schlechten Zugangs zu Bildung für Frauen voraussichtlich aufgeben.

Für Frauen, die sich an die oben beschriebenen Beschränkungen (Einschränkung der Bewegungsfreiheit, in Erscheinung treten in der Öffentlichkeit nur in männlicher Begleitung) nicht halten, berichten die UNHCR-Richtlinien von gesellschaftlicher Stigmatisierung und Diskriminierung sowie von einer Gefährdung ihrer Sicherheit (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 8. Frauen und Männer, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen, S. 87). So kommt es auch zu Bestrafungen aufgrund von Verletzungen des afghanischen Gewohnheitsrechts oder der Scharia, etwa wegen dem Erscheinen ohne angemessene Begleitung etc. (S. 88-89). Einem Großteil der in Afghanistan inhaftierter Frauen wurden den UNHCR-Richtlinien zufolge derartige Verstöße gegen die Sittlichkeit zur Last gelegt. Die Inhaftierten sind sodann häufig wieder Tätlichkeiten sowie sexueller Belästigung und Missbrauch ausgesetzt (S. 89-90).

Aus dieser Berichtslage ergibt sich klar, dass der Erstbeschwerdeführerin im Fall der Rückkehr Übergriffe durch private bzw. staatliche Akteure drohen, wenn sie ihre (neue) Lebensweise im Rückkehrfall beibehält. Daher wurde die entsprechende Feststellung getroffen.

Die Feststellung, dass die Erstbeschwerdeführerin mit Schutz vor den ihr für den Fall der Rückkehr drohenden Übergriffen durch die afghanischen Behörden nicht rechnen kann, speist sich insbesondere aus den UNHCR-Richtlinien (Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 7. Frauen mit bestimmten Profilen oder Frauen, die unter bestimmten Bedingungen leben S. 78), wo berichtet wird, das Gewaltakte gegen Frauen sehr oft straflose blieben sowie von der mangelhaften Umsetzung von Gesetzen zum Schutz von Frauen und der von der Verfassung garantierten Gleichberechtigung. Frauen hätten nur in geringem Maße Zugang zur Justiz (S. 79-80; siehe auch S. 84 und Länderinformationsblatt, Kapitel 17. Frauen).

Die Feststellung, dass die Erstbeschwerdeführerin sich dem nicht durch Niederlassung in einem anderen Landesteil entziehen kann, basiert etwa auf den UNHCR-Richtlinien (Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 7. Frauen mit bestimmten Profilen oder Frauen, die unter bestimmten Bedingungen leben S. 80), wo berichtet wird, dass die beschriebenen Menschenrechtsprobleme (siehe oben) für Frauen und Mädchen das gesamte Land betreffen).

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur Stattgebung der Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl)

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

"Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs als ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 umschreibt "Verfolgung" als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie, worunter - unter anderem - Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 MRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art. 2 MRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 MRK niedergelegte Verbot der Folter (zuletzt VwGH 31.07.2018 mwN).

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).

3.1.1. Zur westlichen Orientierung der Erstbeschwerdeführerin

Nach § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

§ 3 Abs. 2 AsylG 2005 ist Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über die Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes Abl L 337/9 vom 20.12.2011 (Statusrichtlinie), nachgebildet. Nach Art. 5 Abs. 2 Statusrichtlinie kann die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers nach Verlassen seines Herkunftslandes beruhen, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind.

Der VfGH hat ausgesprochen, dass asylrelevante Verfolgung gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 auch auf Aktivitäten beruhen kann, die der Fremde seit dem Verlassen des Herkunftsstaats gesetzt hat (VfGH 12.12.2013, U 2272/2012).

Auch der VwGH hat bereits erkannt, dass diese neuen - in Österreich eingetretenen - Umstände, mit denen ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung nunmehr begründet, grundsätzlich zur Asylgewährung führen können. Sie sind daher zu überprüfen, wenn sie geeignet sind, die Annahme "wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung" zu rechtfertigen (VwGH 18.09.1997, 96/20/0323).

Die Erstbeschwerdeführerin macht mit ihrem Vorbringen einer Verfolgungsgefahr wegen "westlicher" Orientierung einen subjektiven Nachfluchtgrund geltend.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden (vgl. etwa VwGH vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017-0018, mwN). Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen (zuletzt VwGH 28.06.2018, Ra 2017/19/0579). Dabei führt nicht jede Änderung in der Lebensführung während ihres Aufenthaltes in Österreich, die im Fall der Rückkehr nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, dazu, dass der Asylwerberin internationaler Schutz gewährt werden muss, sondern nur eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung, in der die Inanspruchnahme oder Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt und die im Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (zuletzt VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315).

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, konnte die Erstbeschwerdeführerin glaubhaft machen, dass sie eine Lebensweise angenommen hat, in der sie Bewegungsfreiheit, Teilnahme am öffentlichen Leben, Bildung und Berufstätigkeit und damit die Ausübung ihrer Grundrechte für sich beansprucht und diesen Anspruch in ihrer Lebensführung umsetzt. Weiter lässt sich den Feststellungen entnehmen, dass die Erstbeschwerdeführerin im Rückkehrfall mit Übergriffen von staatlicher und privater Seite zu rechnen hat, was sich wie beweiswürdigend ausgeführt, aus der allgemeinen, Frauen, die als soziale und religiöse Normen überschreitend wahrgenommen werden, betreffenden Lage im Herkunftsstaat ergibt. Die Erstbeschwerdeführerin hat diese Art der Lebensführung seit ihrer Einreise im Bundesgebiet aufgebaut und in diesem Zeitraum von etwa dreieinhalb Jahren zweifellos so weit verfestigt, dass von einer nachhaltigen Änderung der Lebensführung auszugehen ist. Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt geht die Übergriffsgefahr nicht nur von privaten sondern auch von staatlichen Akteuren aus und hat die Erstbeschwerdeführerin mit staatlichem Schutz vor diesen Übergriffen nicht zu rechnen. Damit konnte die Erstbeschwerdeführerin für den Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat im Sinne der oben zitierten Judikatur eine asylrelevante Verfolgungsgefahr wegen ihres "westlich" orientierten Lebensstils glaubhaft machen.

3.1.1. Zum Nichtvorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative

Nach § 3 Abs. 3 Z 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht.

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann.

Wie festgestellt bezieht sich die Verfolgungsgefahr auf das gesamte Staatsgebiet des Herkunftsstaates, weswegen der Erstbeschwerdeführerin eine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG nicht zur Verfügung steht.

Der Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin gegen den angefochtenen Bescheid war damit stattzugeben, ihr spruchgemäß der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG festzustellen, dass ihr damit Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.2. Zur Asylgewährung an die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist unter anderem Familienangehöriger wer Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers ist, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat.

Der Zweitbeschwerdeführer ist daher als Ehegatte, wobei die Ehe bereits vor der Einreise bestand und die Dritt- und Viertbeschwerdeführer als im Zeitpunkt der Antragstellung minderjährige Kinder der Zweitbeschwerdeführerin Familienangehörige iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005.

Gemäß § 34 Abs. 4 iVm Abs. 5 AsylG 2005 hat das Bundesverwaltungsgericht Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen. Die Verfahren sind unter einem zu führen. Unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 AsylG 2005 erhalten alle Familienangehörigen den Status des oder der Asylberechtigten.

Gemäß § 34 Abs. 2 iVm Abs. 5 AsylG hat das Bundesverwaltungsgericht aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn, dieser nicht straffällig geworden ist (Z 1) und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (Z 3).

Nachdem gegenteilige Anhaltspunkte im Verfahren nicht hervorgekommen sind, war den Beschwerden der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer daher stattzugeben, ihnen spruchgemäß im Familienverfahren Asyl zu gewähren und festzustellen, dass ihnen somit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.3. Zum Fluchtvorbringen der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer

Nach der Rechtsprechung des VwGH besteht kein "Recht auf originäre Zuerkennung des Status des Asylberechtigen." Weder kennt das Gesetz einen "originären" Status des Asylberechtigten, noch spricht das Gesetz in § 34 Abs. 4 AsylG davon, dass im Familienverfahren ein anderer, nur "abgeleiteter" Status zuzuerkennen ist. Im Gegenteil spricht der zweite Satz des § 34 Abs. 4 AsylG ausdrücklich davon, dass "der" Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist, was nur bedeuten kann, dass der Status des Asylberechtigten an sich (ohne weitere Differenzierung) zuzuerkennen ist. Auch der Status-Richtlinie 2011/95/EU lässt sich eine solche Differenzierung bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht entnehmen. Daher erübrigt sich in diesem Fall auch die Prüfung eigener Fluchtgründe, wenn einem Familienangehörigen ohnedies der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist (VwGH 30.04.2018, Ra 2017/01/0418).

Nachdem der Erstbeschwerdeführerin als Ehefrau des Zweitbeschwerdeführers und Mutter der (im Antragszeitpunkt minderjährigen) Dritt- und Viertbeschwerdeführer mit gegenständlichem Erkenntnis der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde und damit auch (wie unter 3.2. ausgeführt) den Zweit- bis Viertbeschwerdeführer im Familienverfahren der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen war, ist nach der oben zitierten Judikatur eine Auseinandersetzung mit deren eigenem Fluchtvorbringen nicht erforderlich und erfolgt eine solche auch nicht.

Insbesondere auf das Fluchtvorbringen des Zweitbeschwerdeführers wurde daher nicht gewürdigt.

3.4. Zur Nichtanwendbarkeit des § 3 Abs. 4 AsylG

Der Vollständigkeit halber wird angemerkt, dass § 3 Abs. 4 bis Abs. 4b AsylG idF BGBl. I Nr. 24/2016 nach § 75 Abs. 24 AsylG auf Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15.11.2015 gestellt haben, nicht anzuwenden. Nachdem die Erstbeschwerdeführerin und die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer ihre Anträge am 07.11.2015 2015 gestellt haben, sind die § 3 Abs. 4 bis 4b AsylG idF BGBl. I Nr. 24/2016 daher nicht anzuwenden.

Der Erstbeschwerdeführerin und den Zweit- bis Viertbeschwerdeführern kommt daher ex lege (VwGH 03.05.2018, Ra 2017/19/0373) als Asylberechtigte eine unbefristete Aufenthaltsberechtigung zu.

4. Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegt. In seiner rechtlichen Beurteilung der Asylrelevanz einer möglichen "westlichen" Orientierung folgt das Bundesverwaltungsgericht der unter 3.1.1. zitierten eindeutigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017-0018, mwN; VwGH 28.06.2018, Ra 2017/19/0579; VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315) mit der dieser die rechtlich relevanten Merkmale der "westlichen" Orientierung Schritt für Schritt konkretisiert hat. Für die Feststellung des erforderlichen Tatsachensubstrates waren dagegen beweiswürdigende Erwägungen maßgeblich. Auch das eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Fluchtvorbringen der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer angesichts des ihnen im Familienverfahren zu gewährenden Status des Asylberechtigten nicht erforderlich war, ergibt sich klar aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, der zu Folge es ein "originäres" Recht auf Asyl nicht gibt (VwGH 30.04.2018, Ra 2017/01/0418).

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, gesamtes Staatsgebiet,
geschlechtsspezifische Verfolgung, Nachfluchtgründe,
Schutzunwilligkeit, westliche Orientierung, wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W102.2210589.1.00

Zuletzt aktualisiert am

05.07.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten