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32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag;Norm
EStG 1988 §20 Abs1 Z4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Graf, Mag. Heinzl und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Doralt, über die Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Kärnten gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Kärnten (Berufungssenat I) vom 9. Dezember 1997, Zl. RV 5/1 - 7/97, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 1992 und 1993 (mitbeteiligte Partei: AM in V, vertreten durch Dr. Friedrich Studentschnig, Rechtsanwalt in Klagenfurt, Karfreitstraße 4/II), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Mitbeteiligte, die einen Blumenhandel betreibt, wies in ihrer Einkommensteuererklärung für 1991 Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, aus Kapitalvermögen und aus Gewerbebetrieb aus. In der Bilanz zum 31. Dezember 1991, die den Abgabenerklärungen angeschlossen war, findet sich unter den Passiva (I. Kapital) eine Position "Leibrente Gärtnerei" in der Höhe von S 180.000,--. Die Veranlagung erfolgte erklärungsgemäß mit Bescheid vom 2. März 1993.
Der steuerliche Vertreter der Mitbeteiligten richtete folgendes Schreiben vom 8. April 1993 an das Finanzamt:
"Im Zuge der Nachkontrolle des Einkommensteuerbescheides 1991 vom 2.3.1993 haben wir festgestellt, daß es irrtümlich unterblieben ist, die im Jahresabschluß ausgewiesene Unterhaltsrentenzahlung noch weiter zu erläutern.
Gemäß des Notariatsaktes vom 18.4.1991 hat Frau W die Gärtnerei an ihre Verwandte, T, gegen eine Leibrentenzahlung übergeben. Die Einnahmen sind in der Bilanz unter Kapital angeführt und betrugen im Jahr 1991 S 180.000,00.
Infolge des Auseinanderklaffens zwischen Rentenzahlung von S 20.000,00 pro Monat für die Jahre 1914 geborene Mandantin und dem Wert des übergebenen Vermögens von einigen 1.000 m2 im Stadtgebiet, liegt hier beim Empfänger eine steuerfreie Unterhaltsrente und beim Übernehmer eine nicht abzugsfähige Unterhaltsrentenzahlung vor.
Wir bitten um Kenntnisnahme und Beilage zum Akt."
In der am 19. November 1993 überreichten Einkommensteuererklärung der Mitbeteiligten für 1992 findet sich unter der Position Sonstige Einkünfte der Hinweis "Unterhaltsrente steuerfrei". In der am 17. November 1994 überreichten Einkommensteuererklärung für 1993 findet sich an der gleichen Stelle der Hinweis "steuerfreie Unterhaltsrente S 249.768,00".
Die Veranlagungen für 1992 und 1993 erfolgten erklärungsgemäß mit den Bescheiden vom 26. November 1993 bzw. 29. November 1994.
Im Mai 1995 fand bei der Mitbeteiligten eine abgabenbehördliche Prüfung statt, die u.a. die Einkommensteuer 1991 bis 1993 umfaßte. In seinem Bericht vom 10. Juli 1995 führte der Prüfer unter Tz 12 folgendes aus:
"Mit Übergabs- und Leibrentenvertrag vom 18. April 1991 erfolgte die Übertragung der Liegenschaft Trattengasse 5.
Im Punkt III des Vertrages wurde eine im vorhinein zu bezahlende Leibrente in Höhe von ATS 20.000,-- (wertgesichert) sowie das Wohnrecht für die Übergeberin vereinbart.
Weiters wird im Punkt XII ausdrücklich auf eine schenkungsweise Übergabe hingewiesen.
Der Wert des übertragenen Vermögens wurde mit
ATS 6,309.577,--, der Wert der Gegenleistung mit ATS 1,597.200,--
festgestellt.
Die Abweichung beträgt sohin rd. 75 %.
Nach Ansicht der Bp liegt demnach eine gemischte Schenkung
vor, wobei infolge Wertabweichung der Gegenleistung zum Wert des
übertragenen Vermögens von rd. drei Viertel eine
sog. Versorgungsrente als vereinbart gilt.
Es liegen daher beim Rentenempfänger sofort steuerpflichtige
sonstige Einkünfte gem. § 29 Z. 1 EStG 88 vor."
Im Rahmen der Schlußbesprechung vom 5. Juli 1995 äußerte der Prüfer die Auffassung, daß die im Notariatsakt vom 18. April 1991 vereinbarte Leibrente eine sofort steuerpflichtige Versorgungsrente darstelle, daß allerdings für 1992 und 1993 infolge Offenlegung keine Wiederaufnahmsgründe vorlägen. Der Vertreter der Mitbeteiligten äußerte die Auffassung, daß wegen des Unterhaltscharakters eine Unterhaltsrente angenommen werde.
Mit Bescheid vom 26. Juli 1995 nahm das Finanzamt das Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 1991 gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder auf. Im Rahmen des neuen Sachbescheides setzte sie die erhaltenen Leibrentenbeträge in der Höhe von insgesamt S 180.000,-- als sonstige Einkünfte an.
Die dagegen erhobene Berufung der Mitbeteiligten wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 20. Juni 1996 als unbegründet abgewiesen.
Mit den Bescheiden vom 1. Oktober 1996 nahm das Finanzamt die Verfahren betreffend Einkommensteuer 1992 und 1993 gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder auf und erließ neue Sachbescheide, in denen es die erhaltenen Leibrentenbeträge als sonstige Einkünfte behandelte. In der Begründung vertrat das Finanzamt zur Wiederaufnahme die Auffassung, das Schreiben des steuerlichen Vertreters der Mitbeteiligten vom 8. April 1993 lasse nicht erkennen, um welche Art von Rente es sich gehandelt habe. Erst die abgabenbehördliche Prüfung und die Einsichtnahme in den Übergabsvertrag hätten ergeben, daß der Wert des übergebenen Gärtnereibetriebes den Rentenbarwert um das Vier- bis Fünffache übersteige und daher in steuerlicher Hinsicht eine Versorgungsrente vorliege.
Gegen diese Bescheide erhob die Mitbeteiligte Berufung, in der sie im wesentlichen die Auffassung vertrat, es liege keine neu hervorgekommene Tatsache vor, weil der Sachverhalt dem Finanzamt bereits vor Erlassung der Bescheide für 1992 und 1993 bekannt gewesen sei. Außerdem sei die Ermessensentscheidung des Finanzamtes verfehlt, weil die Abgabenbehörde jedenfalls ein Verschulden daran treffe, wenn ihr der maßgebliche Sachverhalt nicht bereits vor Erlassung der Bescheide bekannt gewesen sei. Ein derartiges Verschulden sei bei der Ermessensentscheidung ebenso zu berücksichtigen wie die Tatsache, daß das Finanzamt bei der Betriebsprüfung davon ausgegangen sei, der Sachverhalt sei für 1992 und 1993 rechtzeitig offengelegt worden. Die Mitbeteiligte vertrat weiters - unter ausdrücklicher Ablehnung der einschlägigen Verwaltungspraxis und Rechtsprechung - die Auffassung, trotz des Mißverhältnisses zwischen dem Wert des übergebenen Vermögens und der kapitalisierten Rente sei diese nicht als Versorgungsrente anzusehen.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung gegen die Bescheide betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens Folge, hob diese ersatzlos auf und sprach aus, daß dadurch das Verfahren gemäß § 307 Abs. 3 BAO in die Lage zurücktrete, in der es sich vor der Wiederaufnahme befunden habe.
In der Begründung ihres Bescheides führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Verfahrensverlaufes aus, bereits vor Erlassung der Einkommensteuerbescheide für 1992 und 1993 sei hervorgekommen, daß der Gärtnereibetrieb der Mitbeteiligten gegen Rentenzahlung veräußert worden sei und dabei der Wert des übertragenen Vermögens den Rentenbarwert um das Vier- bis Fünffache übersteige. Dies ergebe sich aus den von der Mitbeteiligten abgefaßten Erklärungen und Beilagen (insbesondere den Hinweisen unter der Position "Sonstige Einkünfte"), jedenfalls aber aus dem - oben wiedergegebenen - Schreiben ihres steuerlichen Vertreters vom 8. April 1993, aufgrund dessen das Finanzamt die Rentenzuflüsse - selbst für den Fall der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen - als steuerpflichtige Versorgungsrente hätte erkennen müssen. Es liege daher keine neu hervorgekommene Tatsache gemäß § 303 Abs. 4 BAO vor.
Dagegen richtet sich die vorliegende - auf Art. 131 Abs. 2 B-VG in Verbindung mit § 292 BAO - gestützte Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion Kärnten, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Dem Beschwerdeführer ist einzuräumen, daß zwar neue Tatsachen hervorgekommen sind, die - unter Zugrundelegung der zum EStG 1972 (und den Vorgängergesetzen) ergangenen Rechtsprechung zur steuerlichen Behandlung der sogenannten Versorgungsrente (siehe dazu insbesondere Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuer-Handbuch, § 29 Tz 10 f und 13) - zu im Spruch anders lautenden Bescheiden betreffend Einkommensteuer für 1992 und 1993 geführt hätten. Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich jedoch nicht veranlaßt, diese Rechtsprechung im Geltungsbereich des EStG 1988 aufrechtzuerhalten (zur Kritik an der bisherigen Praxis siehe u.a. Doralt, Die Versorgungsrente - ein Steuersparmodell, RdW 1998, 517).
Wird ein Wirtschaftsgut gegen eine Rente übertragen, die als angemessene Gegenleistung angesehen werden kann, dann liegt eine Gegenleistungsrente vor. Wird hingegen ein Wirtschaftsgut gegen eine Rente übertragen, die nicht als angemessene Gegenleistung qualifiziert werden kann, muß von einer freiwilligen Zuwendung bzw. einer Unterhaltsrente im Sinne des § 20 Abs. 1 Z. 4 EStG 1988 ausgegangen werden. Im Bereich der Übertragung von Wirtschaftsgütern gegen Rente ist für eine weitere Rentenkategorie kein Raum.
Im vorliegenden Fall übersteigt nach den Sachverhaltsannahmen der belangten Behörde der Wert des übertragenen Vermögens den Rentenbarwert um das Vier- bis Fünffache, sodaß von einer Gegenleistungsrente keine Rede sein kann. Die Übertragung des Vermögens ist vielmehr als gemischte Schenkung anzusehen, wobei die unentgeltliche Komponente der Vermögensübertragung weit überwiegt. Aufgrund dessen unterliegt der gesamte Vorgang den Bestimmungen über die unentgeltliche Vermögensübertragung. Im Hinblick auf den mangelnden Gegenleistungscharakter der Rente handelt es sich bei den Zahlungen um nach § 20 Abs. 1 Z. 4 EStG 1988 nicht abzugsfähige freiwillige Zuwendungen, die bei der Empfängerin (der Mitbeteiligten) nicht der Einkommensteuerpflicht unterliegen. Die Kenntnis der neu hervorgekommenen Umstände war daher nicht geeignet, im Spruch anders lautende Bescheide betreffend Einkommensteuer 1992 und 1993 herbeizuführen. Der angefochtene Bescheid erweist sich daher im Ergebnis als nicht rechtswidrig.
Die Beschwerde war nach dem Gesagten gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 26. Jänner 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998140045.X00Im RIS seit
21.02.2002Zuletzt aktualisiert am
10.07.2013