Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Y*****, vertreten durch Dr. Michael Battlogg, Rechtsanwalt in Schruns, gegen die beklagte Partei Vorarlberger Gebietskrankenkasse, 6850 Dornbirn, Jahngasse 4, wegen Kinderbetreuungsgeld, über den (richtig:) Rekurs und die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen den Beschluss und das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. August 2018, GZ 25 Rs 92/17s-26, womit aus Anlass der Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. August 2017, GZ 36 Cgs 276/16m-8, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 20. September 2017, GZ 36 Cgs 276/16m-14, und das ihm vorangegangene Verfahren im Umfang der erhobenen Feststellungsbegehren als nichtig aufgehoben und die Klage insoweit wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückgewiesen wurde und im Übrigen der Berufung der klagenden Partei nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Ein Kostenersatz findet nicht statt.
2. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Anlässlich der Geburt ihres Sohns am 27. 8. 2015 beantragte die Klägerin am 13. 11. 2015 die Zuerkennung von pauschalem Kinderbetreuungsgeld zu einem Tagsatz von 26,60 EUR für den Zeitraum 27. 8. 2015 bis 26. 11. 2016.
Die Beklagte sandte insgesamt fünf Mitteilungen über den Leistungsanspruch nach dem KBGG an die von der Klägerin ihr gegenüber angegebene Wohnadresse. Der darin ausgewiesene Leistungsanspruch erstreckte sich jeweils nicht auf den gesamten vom Antrag umfassten Zeitraum und enthielt hinsichtlich eines Teils des Zeitraums einen gekürzten Tagsatz. Mit Schreiben vom 4. 11. 2016 beantragte die Klägerin die Erlassung eines Bescheids. Dieses Schreiben beantwortete die Beklagte mit der Mitteilung, infolge Fehlens wesentlicher Unterlagen habe kein Bescheid erlassen werden können.
Die Klägerin begehrt die Leistung von Kinderbetreuungsgeld von 45,70 EUR täglich für den Zeitraum 27. 8. 2015 bis 27. 11. 2016 (Punkt 1.), sowie die Feststellungen, dass die Beklagte einen Bescheid über das der Klägerin zu gewährende Kinderbetreuungsgeld zu erlassen habe (Punkt 2.), mit der Erlassung eines solchen Bescheids säumig sei (Punkt 3.), die Klägerin im genannten Zeitraum „krankenzuversichern“ habe und ihr wegen Verstoßes gegen diese Verpflichtung hafte (Punkt 4.).
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage.
Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte, der Klägerin Kinderbetreuungsgeld von 17,80 EUR pro Tag für den Zeitraum 27. 8. 2015 bis 24. 10. 2015, von 26,60 EUR für die Zeiträume 25. 10. 2015 bis 2. 11. 2015 und 10. 12. 2015 bis 26. 11. 2016, sowie eine Beihilfe zum Kinderbetreuungsgeld von 6,06 EUR täglich vom 1. 4. 2016 bis zum 26. 11. 2016 zu zahlen, dies abzüglich bereits erfolgter Zahlungen. Das darüber hinausgehende Leistungsbegehren wies es ab. Auf das Feststellungsbegehren ging das Erstgericht nicht gesondert ein.
Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht wies die Feststellungsbegehren (Punkte 2. bis 4. des Klagebegehrens) wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück und hob das darüber abgeführte Verfahren als nichtig auf. Im Übrigen gab es der Berufung nicht Folge und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.
Rechtlich begründete es die Klagezurückweisung zusammengefasst mit einem Verstoß gegen den Grundsatz der sukzessiven Kompetenz. Die Verneinung des Leistungsanspruchs für den Zeitraum 3. 11. 2015 bis 9. 12. 2015 folge aus der fehlenden gemeinsamen Hauptwohnsitzmeldung der Klägerin und des Kindes.
Gegen diese Entscheidung richten sich das insofern als Rekurs zu wertende Rechtsmittel (vgl RIS-Justiz RS0036258) und die außerordentliche Revision der Klägerin, womit sie beantragt, dem Klagebegehren stattzugeben. Die Beklagte beteiligte sich nicht am Rekursverfahren.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt. Die außerordentliche Revision ist nicht zulässig.
1. Zum Rekurs
1.1. Greift erstmals das Berufungsgericht die Unzulässigkeit der Klage auf und weist die Klage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurück, so ist dagegen der Rekurs gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig (RS0043861; RS0116348), ohne dass es auf das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ankäme (RS0043882 [T3]).
1.2. Das Verfahren in Sozialrechtssachen kennt ebenso wie der allgemeine Zivilprozess sowohl Leistungs-, als auch Feststellungs- und Rechtsgestaltungsklagen (10 ObS 119/08k SSV-NF 22/67). Gemäß § 65 Abs 2 ASGG fallen in allen von § 65 Abs 1 ASGG erfassten Rechtssachen auch Klagen auf Feststellung unter die Sozialrechtssachen.
Auch für Feststellungsansprüche ist der in Sozialrechtssachen geltende Grundsatz der sukzessiven Kompetenz zu beachten. Demnach kann in einer Leistungssache – abgesehen vom hier nicht vorliegenden Fall des § 65 Abs 1 Z 3 ASGG und vorbehaltlich des ebenfalls nicht in Rede stehenden § 68 ASGG – das Gericht nur angerufen werden, wenn vom Versicherungsträger entweder „darüber“, das heißt über den der betreffenden Leistungssache zugrundeliegenden Anspruch des Versicherten, bereits ein Bescheid erlassen wurde oder der Versicherungsträger mit der Bescheiderlassung säumig geworden ist (§ 67 Abs 1 ASGG; RS0085867).
Insofern ist der mögliche Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens durch Antrag, Bescheid und Klagebegehren in dreifacher Weise eingegrenzt (Neumayr in ZellKomm3 § 67 ASGG Rz 4 mwH; RS0105139 [T1]). Im Fall der Säumnisklage wird der Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens durch das seinerzeitige Begehren des Versicherten (Leistungs- oder Feststellungsantrag gegenüber dem Sozialversicherungsträger) determiniert (Neumayr in ZellKomm³ § 68 ASGG Rz 17; Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen [1995] 327).
Der Streitgegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens muss demnach mit jenem des vorgeschalteten Verwaltungsverfahrens ident sein, ansonsten ist die Klage gemäß § 73 ASGG von Amts wegen wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen; ein davon betroffener Verfahrensteil ist als nichtig aufzuheben (RS0042080; vgl 10 ObS 125/18g; 10 ObS 53/17t ua).
1.3. Zulässiger Gegenstand des vorliegenden Verfahrens über die von der Klägerin erhobene Säumnisklage ist daher – entsprechend ihrem Antrag vom 13. 11. 2015 – die Erbringung von Leistungen nach dem KBGG anlässlich der Geburt ihres Kindes am 27. 8. 2015.
Der Umstand, dass § 27 KBGG den Sozialversicherungsträger unter bestimmten Voraussetzungen zur Erlassung eines Bescheids verpflichtet, betrifft die zur Entscheidung über den Antrag vorgesehene Erledigungsform. Die Bescheiderlassung als solche wird dadurch aber nicht zur begehrten Versicherungsleistung und schon deshalb nicht zum Gegenstand des Verwaltungsverfahrens. Ebenso wenig ist die Feststellung der Säumnis des Sozialversicherungsträgers Gegenstand des über die beantragte Versicherungsleistung abgeführten Verwaltungsverfahrens.
Das Berufungsgericht hat das Klagebegehren in seinen Punkten 2. und 3. daher zutreffend gemäß § 73 ASGG zurückgewiesen.
Zur Zurückweisung von Punkt 4. des Klagebegehrens enthält das Rechtsmittel der Klägerin keine inhaltlichen Ausführungen, sodass darauf nicht weiter einzugehen war.
1.4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.
2. Zur außerordentlichen Revision
2.1. Gemäß § 2 Abs 1 Z 2 KBGG hat ein Elternteil Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, wenn er mit diesem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt. Ein gemeinsamer Haushalt im Sinn dieses Gesetzes liegt gemäß § 2 Abs 6 KBGG (in der anzuwendenden Fassung vor BGBl I 2016/53) nur dann vor, wenn der Elternteil und das Kind auch an derselben Adresse hauptwohnsitzlich gemeldet sind.
Während eine idente Hauptwohnsitzmeldung vom Elternteil, der die Leistung beantragt und bezieht, und dem Kind vor der KBGG-Novelle BGBl I 2009/116 lediglich ein Indiz für das Vorliegen eines gemeinsamen Haushalts bildete, muss nach der Rechtslage seit dem BGBl I 2009/116 kumulativ zum gemeinsamen Haushalt eine „hauptwohnsitzliche Meldung“ am Ort des gemeinsamen Haushalts vorliegen, damit die Anspruchsvoraussetzung des gemeinsamen Haushalts von Elternteil und Kind erfüllt ist (10 ObS 61/18w; 10 ObS 69/14s SSV-NF 28/46).
Die fehlende gemeinsame hauptwohnsitzliche Meldung iSd § 2 Abs 6 KBGG bewirkt für den betroffenen Zeitraum einen Anspruchsverlust (10 ObS 40/18g; vgl 10 ObS 151/16b SSV-NF 30/77; 10 ObS 61/18w ua). Eine teleologische Reduktion des § 2 Abs 6 KBGG dahin, dass das Bestehen eines gemeinsamen Haushalts des Elternteils mit dem Kind auch auf andere Weise als durch die hauptwohnsitzliche Meldung an derselben Adresse nachgewiesen werden könne, hat der Oberste Gerichtshof jüngst gestützt auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 14. 10. 2016, G 121/2016 und die klare gesetzgeberische Absicht der Verwaltungsvereinfachung für den Krankenversicherungsträger mit ausführlicher Begründung abgelehnt (10 ObS 61/18w).
Auf eine derartige teleologische Reduktion zielt aber die Revision ab, wenn darin vorgebracht wird, die Klägerin habe das Kind im Zeitraum 3. 11. 2015 bis 9. 12. 2015 nur deshalb vom (tatsächlichen) gemeinsamen Wohnsitz ab- und an einer anderen Adresse angemeldet, um dort die rasche Ausstellung eines Reisepasses für das Kind zu erreichen. Mit dem Vorbringen, auf die Ummeldung des Hauptwohnsitzes des Kindes sei nicht Bedacht zu nehmen, weil sie nicht im Konsens mit dem zweiten obsorgeberechtigten Elternteil erfolgt sei, werden keine Gründe für ein Abgehen von der dargestellten Rechtsprechung des Senats, nach der die gemeinsame hauptwohnsitzliche Meldung kumulativ zum Erfordernis des gemeinsamen Haushalts erforderlich ist, aufgezeigt.
Mangels Darstellung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision daher zurückzuweisen.
Textnummer
E125423European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:010OBS00136.18Z.0528.000Im RIS seit
05.07.2019Zuletzt aktualisiert am
02.10.2019