TE OGH 2019/5/28 4Ob45/19z

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Veröffentlicht am 28.05.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

 Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Priv.-Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen P***** B*****, geboren am ***** 2006, und R***** B*****, geboren am ***** 2009, beide vertreten durch die Mutter R***** B*****, vertreten durch Gärner Perl-Böck Rechtsanwälte GmbH in Wien, Vater H***** B*****, vertreten durch Lirk Spielbüchler Hirtzberger Rechtsanwälte OG in Salzburg, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 17. Jänner 2019, GZ 21 R 254/18a-38, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom 12. Juni 2018, GZ 41 Pu 71/17m-30, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Den getrennt lebenden Eltern kommt die gemeinsame Obsorge für die Kinder zu. Nach dem Auszug der Mutter aus der ehemals gemeinsamen Wohnung im Oktober 2016 lebten die Kinder im Haushalt des Vaters, welcher sodann für sämtliche Kosten für die Kinder aufgekommen ist. Seit Mai 2017 wohnen die Kinder sowohl im Haushalt der Mutter als auch in jenem des Vaters. Die Eltern teilen sich nunmehr die Kosten für die Kinder. Der Vater verdient erheblich mehr als die Mutter.

Bis zu den Schulferien 2017 befanden sich die Kinder wochentags von Dienstag auf Mittwoch und von Mittwoch auf Donnerstag in Betreuung des Vaters, und zwar im Regelfall beginnend am Nachmittag ab etwa 16:30 Uhr bis 17:00 Uhr. R***** befand sich dienstags bis etwa 16:15 Uhr im Hort, P***** dienstags bis 14:00 Uhr in der Schule, dann bei der Mutter oder Großmutter, sodann beim Vater. Am darauffolgenden Morgen gingen die Kinder von der Wohnung des Vaters in die Schule. Jedes zweite Wochenende wurden die Kinder von Freitag Nachmittag (die Hausübungen wurden üblicherweise noch in Betreuung der Mutter gemacht) ab etwa 15:30 Uhr bis Sonntag 16:00 Uhr bzw 17:00 Uhr vom Vater betreut, teilweise auch bis Montag Morgen. Seit Schulbeginn 2017/18 erfolgt die Betreuung durch den Vater dergestalt, dass die Kinder von Dienstag zwischen 16:30 Uhr bis Mittwoch Schulbeginn bei ihm sind und am Mittwoch P***** direkt von der Schule zum Vater fährt und R***** vom Vater um 16:30 Uhr bei der Mutter abgeholt wird, und dass die Kinder 14-tägig von Freitag nach der Schule (ab 14:30 Uhr) bis Montag Schulbeginn beim Vater sind. Seit Schulbeginn 2017/18 befindet sich R***** am Montag Nachmittag im Hort. Auch an jenen Freitagen, an denen die Kinder bei der Mutter sind, betreut der Vater P***** beim Fußballtraining, dies auch „praktisch“ an allen Wochenenden. Im Sommer 2017 verbrachten die Kinder gemeinsam mit dem Vater etwa 3,5 Wochen einen Urlaub. Der Vater organisierte und bezahlte eine zweiwöchige halbtägige Urlaubsbetreuung. Auch in den Sommerferien wurden die Kinder vom Vater grundsätzlich in der oben festgestellten Weise von Dienstag auf Mittwoch und von Mittwoch auf Donnerstag betreut, dies jedoch flexibler als während des Schuljahrs. Die Betreuung der Kinder in schulischen Belangen (Hausübungen) erfolgt überwiegend durch die Mutter.

Mit Beschluss vom 17. 8. 2017 verpflichtete das Erstgericht den Vater, vorläufig an Unterhalt für P***** monatlich 138,80 EUR und für R***** 119,60 EUR zu zahlen. Am 13. 12. 2017 schlossen die Eltern vor Gericht einen bedingten Vergleich, mit dem sich der Vater zur Leistung eines monatlichen Unterhalts ab 1. 12. 2017 in Höhe von 450 EUR für P***** und von 330 EUR für R***** verpflichtete. Dieser Vergleich wurde von der Mutter namens der Kinder widerrufen.

Die Mutter beantragte in Vertretung der Kinder, den Vater zur Leistung eines monatlichen Unterhalts ab 1. 5. 2017 in Höhe von 570 EUR für P***** und von 490 EUR für R***** zu verpflichten.

Der Vater sprach sich dagegen aus und wandte im Wesentlichen ein, dass sich die Eltern die Betreuung etwa gleichteilig aufteilen würden.

Das Erstgericht leitete aus den eingangs wiedergegebenen Feststellungen zur Betreuungssituation ab, dass der Vater die Kinder jährlich etwa 132 bis 140 Tage, somit prozentuell etwa bis zu 38 %, betreue. Es sei daher die Prozentabzugsmethode anzuwenden. Von den tatsächlichen Betreuungstagen seien zunächst 52 Tage abzuziehen, der Rest von 80 bis 88 Tagen (im Schnitt daher 84) sei durch 52 zu dividieren. Demnach betreue der Vater die Kinder etwa 1,62 Tage pro Woche im unüblichen Ausmaß. Da bei der Anwendung der Prozentsatzmethode auch auf die Belastungen des geldunterhaltspflichtigen Elternteil Rücksicht zu nehmen sei, nahm das Erstgericht einen Abzug von 30 % vom rechnerischen Prozentunterhalt vor. Die monatliche Unterhaltsbemessungsgrundlage betrage 4.925,26 EUR. Bei einem Prozentunterhaltsanspruch von 19 % für P***** (20–1) und 16 % für R***** (18–2) ergebe sich ein Prozentunterhalt von 935 EUR für P***** und von 788 EUR für R*****. Da der Unterhaltsstopp bei Kindern im Alter von 6 bis 10 Jahren aktuell bei 674 EUR liege (doppelter Regelbedarf für R*****; 337 EUR x 2), sei bei R***** von einer Unterhaltsobergrenze von 674 EUR monatlich auszugehen. Diese Beträge seien um die Anrechnung der Familienbeihilfe zu kürzen, wonach sich monatliche Unterhaltsbeträge von 806 EUR für P***** und 581 EUR für R***** ergäben. Unter Berücksichtigung des Abzugs von 30 % wegen der überdurchschnittlichen Betreuungszeiten des Vaters ergäben sich 570 EUR für P***** und 410 EUR für R*****. In diesem Ausmaß verpflichtete das Erstgericht den Vater zur Zahlung von monatlichem Unterhalt für die Minderjährigen.

         Das Rekursgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichts und ergänzte sie im Sinne des eingangs wiedergegebenen Sachverhalts. Bei der Ermittlung der Betreuungszeiten stellte das Rekursgericht auf die Anzahl der Übernachtungen ab, zumal die Betreuung in den Morgen- und Abendstunden besonders strukturprägend sei und insofern auch qualitative Gesichtspunkte Berücksichtigung fänden; überdies lasse sich die Zahl der Übernachtungen leichter feststellen als der Anteil eines Elternteils an der Gesamtbetreuung. Ausgehend davon verbrächten die Kinder auf ein Jahr bezogen 31 Nächte (4 ½ Wochen) in den Ferien, 72 Nächte (3 x 24) an den Wochenenden (von Freitag Nachmittag bis Montag in der Früh) sowie 96 Nächte unter der Woche (2 x 48), in Summe daher 199 Nächte beim Vater. Auch wenn darauf Bedacht genommen werde, dass die Kinder dienstags und mittwochs jeweils nach der Schule bis 16:30 Uhr in den Haushalt der Mutter zurückkehrten, ändere dies nichts daran, dass bei einer globalen Betrachtung hier von annähernd gleichwertigen Betreuungsleistungen beider Eltern auszugehen sei, sodass das betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell durchaus in Betracht komme, zumal der Vater zusätzlich auch Naturalleistungen zumindest in annähernd gleichem Umfang wie die Mutter erbringe. Zur Berechnung des betreuungsrechtlichen Unterhaltsanspruchs der Kinder fehlten aber noch ausreichende Feststellungen zur Unterhaltsbemessungsgrundlage der Mutter. Das Rekursgericht hob daher den erstgerichtlichen Beschluss im bekämpften Umfang auf und verwies die Sache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Den Revisionsrekurs ließ es zur Frage zu, ob zur Ermittlung der Betreuungsleistungen auf die Verteilung der Anzahl der Übernachtungen abzustellen sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der – vom Vater beantwortete – Revisionsrekurs der (insoweit von der Mutter vertretenen) Minderjährigen. Sie machen geltend, dass für die Minderung der Geldunterhaltspflicht entscheidend sei, ob durch die Betreuungsleistungen eine nennenswerte Ersparnis des anderen Elternteils eintrete und dass mangels einer solchen Ersparnis weder Übernachtungsbesuche noch einzelne Stunden zu berücksichtigen seien und daher bei der Ermittlung der Betreuungsleistungen auf ganze Tage und allenfalls halbe Tage, aber nicht auf Übernachtungen abzustellen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, ist aber nicht berechtigt.

1.1. Betreut der geldunterhaltspflichtige Elternteil das Kind im Rahmen des üblichen Kontaktrechts in seinem Haushalt, hat dies keine Auswirkungen auf seine Unterhaltspflicht. Üblich ist nach ständiger Rechtsprechung die Mitbetreuung im Rahmen eines Kontaktrechts von zwei Tagen alle zwei Wochen sowie von vier Wochen in den Ferien, also etwa an 80 Tagen pro Jahr (vgl 10 Ob 17/15w; jüngst 4 Ob 22/18s; Gitschthaler, Unterhaltsrecht³ Rz 89; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht9 [2019] 120).

1.2. Unterhaltsentscheidungen sind grundsätzlich Ermessensentscheidungen, weshalb es problematisch ist, allgemein verbindliche, gleichsam rechenformelmäßige Prozentsätze für Abschläge für übermäßige Betreuungsleistungen des geldunterhaltspflichtigen Elternteils festzulegen (RIS-Justiz RS0047452 [T17]; RS0047419 [T19]; RS0047460 [T4]). Im Rahmen des Ermessens neigt die Rechtsprechung dazu, in der Regel den Unterhaltsanspruch altersunabhängig um 10 % pro wöchentlichen Betreuungstag zu reduzieren, an dem sich das Kind über das übliche Ausmaß des Kontaktrechts hinaus beim geldunterhaltspflichtigen Elternteil befindet. Ein Kontaktrechtstag pro Woche wird als unterhaltsneutral angesehen, für jeden weiteren eine Minderung von 10 % als angemessen erachtet (10 Ob 17/15w mwN; vgl RS0128043). Die 10 %-Rechtsprechung signalisiert allerdings nur eine generalisierende Untergrenze, mit der auf zusätzliche Belastungen jenes geldunterhaltspflichtigen Elternteils Bedacht genommen wird, zu dem mehr als im üblichen Ausmaß Kontakte bestehen (5 Ob 2/12y).

1.3. Fällt die Mitbetreuung intensiver aus, ist anerkannt, dass sich die Geldunterhaltspflicht des mitbetreuenden Elternteils noch weiter vermindern muss. Ob es nun im Einzelfall zu einer bloß 10%-igen Reduktion des Geldunterhalts kommt oder zu einer 20%-igen oder zu einer noch höheren, hängt davon ab, ob sich das tatsächliche Kontaktausmaß eher an der Grenze zum üblichen bewegt oder ob es sich eher bereits der gleichteiligen Betreuung annähert. Außerdem ist auch zu fragen, ob die Betreuung des geldunterhaltspflichtigen Elternteils regelmäßig erfolgt und somit auch zu einer regelmäßigen Entlastung des anderen Elternteils führt; je eher dies der Fall ist, desto eher wird man von einer „gemeinsamen Betreuung des Kindes durch beide Elternteile“ ausgehen können, was das sogenannte „betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell“ zur Anwendung bringt (Gitschthaler, Kinderbetreuung und Kindesunterhalt – ein Überblick, EF-Z 2018/3; vgl auch Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht9 [2019] 120 mwN).

1.4. Dieses Modell basiert auf dem Grundgedanken, dass der Geldunterhalt entfällt, wenn beide Elternteile gleiche Betreuungsleistungen (als Naturalunterhalt) erbringen. Dies ist allerdings nur dann sachgerecht, wenn das Einkommen der Eltern etwa gleich hoch ist oder den Eltern ein solches Einkommen zur Verfügung steht, das jeweils zu einem über der Luxusgrenze liegenden Unterhaltsanspruch des Kindes führt. Bei einem ins Gewicht fallenden Einkommensunterschied soll das Kind an den besseren Einkommensverhältnissen bzw am höheren Lebensstandard des besser verdienenden Elternteils teilhaben. Somit findet das betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell bei nahezu gleichwertigen Betreuungsleistungen und annähernd gleichwertigen sonstigen Naturalleistungen der Eltern auch dann Anwendung, wenn ein ins Gewicht fallender Einkommensunterschied besteht (vgl 8 Ob 89/17x mwN). Im Fall von maßgeblichen Einkommensunterschieden der Eltern steht dem Kind allerdings ein Restgeldunterhaltsanspruch gegen den leistungsfähigeren Elternteil zu, der das unterschiedliche Betreuungsverhältnis bzw den geringeren Lebensstandard, an dem das Kind beim andern Elternteil partizipieren kann, ausgleicht (vgl 1 Ob 158/15i).

2.1. Bei der Anrechnung der Anzahl der Kontakttage finden einzelne Stunden eines Aufenthalts beim anderen Elternteil grundsätzlich keine Berücksichtigung. Ein Wochenendaufenthalt von Freitag nach der Schule bis Sonntag schlägt sich nach der Rechtsprechung im Regelfall in zwei Tagen nieder (vgl 5 Ob 2/12y; 1 Ob 23/18s). Die Berechnung der Kontakttage erfolgt nicht exakt, sondern in einer wertenden Betrachtung (Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht9 [2019] 120). Eine bloße Übernachtung führt zu keiner Ersparnis des anderen Elternteils und ist daher – entgegen der Ansicht des Rekursgerichts – kein taugliches Kriterium für die Bewertung der Betreuungssituation (vgl 3 Ob 96/12g). Es kommt vielmehr auf eine wertende Gesamtbetrachtung der jeweiligen Betreuungsleistungen an.

2.2. Bei wertender Betrachtung der Betreuungssituation des konkreten Falls ist Folgendes zu berücksichtigen:

Der Vater betreut die Kinder Dienstag und Mittwoch jeweils von 16:30 Uhr bzw nach der Schule bis zum darauffolgenden Schulbeginn. Unter Berücksichtigung der noch von der Mutter betreuten Schulaufgaben sind dem Vater für diese Zeiträume 1,5 Betreuungstage zugute zu halten. Das vierzehntägige Wochenendkontaktrecht übt der Vater jeweils von Freitag nach der Schule bis Montag Schulbeginn aus. Unter Berücksichtigung seiner sportlichen Betreuung des Sohnes an allen Wochenenden sowie des Umstands, dass R***** montags nach der Schule im Hort (und insoweit nicht von der Mutter) betreut wird, sind ihm dafür drei Betreuungstage zuzuerkennen, somit im Jahresschnitt 1,5 Tage. Insgesamt kommt der Vater folglich auf drei Betreuungstage die Woche. Berücksichtigt man dazu noch, dass seine Ferienbetreuung jedenfalls jene der Mutter erreicht und seine Naturalleistungen ebenfalls nicht hinter jenen der Mutter zurückstehen, ist insgesamt von einer gleichteiligen Betreuung auszugehen. Dem Rekursgericht ist daher darin zu folgen, dass hier das betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell Anwendung zu finden hat.

2.3. Die unterschiedliche Einkommenssituation der Eltern führt zu einem Restgeldunterhalt der Kinder (vgl 10 Ob 17/15w; 8 Ob 89/17x). Zur Bemessung desselben bedarf es auch der Kenntnis der Unterhaltsbemessungsgrundlage der Mutter. Wenn das Rekursgericht diesbezüglich nähere Feststellungen für geboten hält, kann dem der Oberste Gerichtshof, der auch im Außerstreitverfahren nur Rechtsinstanz und nicht Tatsacheninstanz ist, nicht entgegentreten (vgl RS0006737).

3. Dem Revisionsrekurs der Minderjährigen ist somit nicht Folge zu geben. Es hat bei der Aufhebung und Zurückverweisung an die erste Instanz zu bleiben.

Textnummer

E125414

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00045.19Z.0528.000

Im RIS seit

05.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

13.12.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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