TE Vwgh Erkenntnis 1999/1/26 98/02/0406

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Veröffentlicht am 26.01.1999
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §38;
AVG §69 Abs1 Z2;
AVG §69 Abs1 Z3;
StVO 1960 §5 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Böhm, über die Beschwerde des KS in V, vertreten durch Dr. Hans Pernkopf, Rechtsanwalt in Wien I, Mölkerbastei 10, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 16. April 1998, Zl. UVS-03/V/38/00088/98, betreffend Wiederaufnahme eines Verwaltungsverfahrens in Angelegenheit Übertretung der StVO, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Wie sich aus der Beschwerde einschließlich der erstatteten Beschwerdeergänzung und der mit ihr vorgelegten Ausfertigung des angefochtenen Bescheides ergibt, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme des mit Berufungsbescheid vom 19. Februar 1996 abgeschlossenen Verfahrens betreffend Übertretung der StVO gemäß § 69 Abs. 4 AVG als unbegründet ab.

Mit dem zuletzt genannten Berufungsbescheid vom 19. Februar 1996 wurde der Beschwerdeführer u.a. für schuldig erkannt, ein dem Kennzeichen nach bestimmtes Fahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt zu haben, weshalb über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von S 14.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt wurde.

Gegen den angefochtenen Bescheid vom 16. April 1998 erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluß vom 29. September 1998, B 1091/98-9, die Behandlung der Beschwerde ab und trat diese mit weiterem Beschluß vom 27. November 1998 gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab, welcher nach Ergänzung der Beschwerde erwogen hat:

Gegen den angefochtenen Bescheid bringt der Beschwerdeführer u. a. vor, es sei der gerichtsmedizinische Gutachter der Universität Wien aufgrund des "im Strafverfahren" ermittelten Sachverhalts "zu einem anderen Kalkül" gekommen, als der "im Verwaltungsstrafverfahren vom UVS beigezogene Allgemeinmediziner". Es liege eine Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, weil in die Prüfung des Sachverhaltes, wie er aufgrund des gerichtlichen Verfahrens ermittelt werden habe können, nicht eingetreten worden sei. Hätte die Behörde dies getan, so hätte sie erkannt, daß der Sachverhalt hinsichtlich der als erweisbar hervorgekommenen und angenommenen Trinkmengen und des Trinkverhaltens sowie "im Bereich der Abbaumenge" (offenbar gemeint: des vom Beschwerdeführer konsumierten Alkohols), aber auch das das Gutachten im engeren Sinne darstellende Berechnungsergebnis in dem für den Beschwerdeführer relevanten Umfang zu seinen Gunsten gegenüber dem Ergebnis des Verfahrens vor der belangten Behörde abweiche.

Aus dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung sei es unerträglich, wenn die belangte Behörde sich eines "minder qualifizierten" Sachverständigen zulässigerweise bediene, sodann aber ein "besser qualifizierter Sachverständiger" in einem anderen Verfahren "dieselbe Vorfrage" prüfe und sogar das Strafgericht im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG zu einer anderen Entscheidung und Beurteilung "der Vorfrage", ob Alkoholisierung vorgelegen habe, komme, diese "nachträglich entstandene kontradiktorische Beurteilung" in das Verwaltungsstrafverfahren nicht einfließen lasse. Das Strafgericht sei aufgrund "eigenständiger Erhebungen" in Verbindung mit dem darauf gestützten Befund und Gutachten des Professors für gerichtliche Medizin zu dem Ergebnis gekommen, daß die Alkoholisierung vom Fahrtantritt bis zum Eintritt des Verkehrsunfalls den Blutalkoholwert von 0,8 Promille nicht erreicht oder überschritten habe.

Nach § 5 Abs. 1 StVO ist u.a. das Lenken eines Fahrzeugs in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand verboten. Tatbestandsmerkmal einer Übertretung nach § 5 Abs. 1 StVO ist lediglich das Vorliegen eines (die Fahruntüchtigkeit bewirkenden) durch Alkohol beeinträchtigten Zustandes, nicht aber die Höhe des Blutalkoholwertes (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 1992, Zl. 92/02/0065, m.w.N.). Hauptfrage - und nicht etwa, wie der Beschwerdeführer offenbar vermeint, "Vorfrage" im Sinne des § 38 AVG - des Verwaltungsstrafverfahrens betreffend § 5 Abs. 1 StVO ist daher, ob sich ein Beschuldigter in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden hat. Lag aber diesbezüglich keine von der Verwaltungsstrafbehörde zu beurteilende "Vorfrage" vor, so ist - entgegen der vom Beschwerdeführer vertretenen Auffassung - nicht ersichtlich, weshalb im Beschwerdefall etwa auch ein Wiederaufnahmegrund im Sinn des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG vorgelegen haben soll.

Vielmehr ist - wie die belangte Behörde erkennbar ihrer Entscheidung zugrundegelegt hat - zu prüfen, ob allenfalls ein Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG gegeben war.

Wie der Verwaltungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis vom 19. April 1994, Zl. 90/07/0124, ausgeführt hat, muß es sich bei den im § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG bezeichneten "Tatsachen und Beweismittel" um neu hervorgekommene, d.h. um solche handeln, die bereits im Zeitpunkt des Verfahrens bestanden haben, aber erst später, nach rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens bekannt wurden. Mit "Tatsachen" sind Geschehnisse im Seinsbereich, mit "Beweismittel" Mittel zur Herbeiführung eines Urteils über Tatsachen gemeint. Ausgehend von dieser Umschreibung des Wiederaufnahmegrundes gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG können weder ein einem Sachverständigen in seinem Gutachten unterlaufener Irrtum noch neue Schlußfolgerungen eines dem Verwaltungsverfahren nicht beigezogenen Sachverständigen - im Gegensatz zu neuen Befundergebnissen - einen solchen Wiederaufnahmegrund darstellen (vgl. das vorgenannte hg. Erkenntnis vom 19. April 1994 m.w.N.).

In seinem an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerdeschriftsatz führt der Beschwerdeführer u.a. aus, der gerichtsmedizinische Sachverständige habe in der (vom Landesgericht für Strafsachen Wien durchgeführten) Hauptverhandlung vom 7. März 1997 aufgrund der Ergebnisse dieser Verhandlung, wie auch ausgehend vom Protokoll über die Atemalkoholuntersuchung und unter Zugrundelegung der dort festgehaltenen Werte sowie der regelgerechten Wartung und richtigen technischen Bedienung des Gerätes (offenbar gemeint: des Alkomaten) dargestellt, daß die gemessenen Werte von 0,35 mg/l und 0,36 mg/l einem Blutalkoholgehalt von 0,7 und 0,72 Promille entsprechen würden. Die Rückrechnung auf den Unfallszeitpunkt unter Zugrundelegung "der selben Rückrechnungszeit und körperlichen Verhältnisse des Beschuldigten" würden einen Alkoholisierungsgrad von 0,85 Promille bis 0,87 Promille ergeben. Bei Berücksichtigung der knapp vor dem Unfall getrunkenen Alkoholmenge, die völlig vom Magen-Darm-Trakt in das Blut übergegangen sei, komme der Gutachter zu der "wegen der akademischen Qualifikation besserwertigen Aussage", daß im Unfallszeitpunkt ein Überschreiten "der relevanten 0,8%o nicht zu errechnen" sei.

Mit diesen Ausführungen zeigt jedoch der Beschwerdeführer nicht auf, daß der gerichtliche Sachverständige etwa aufgrund neuer Befundergebnisse zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Gutachten gekommen wäre. Auch in der ergänzenden Beschwerde erwähnt der Beschwerdeführer zutreffend und in Übereinstimmung mit seinen Ausführungen im verfassungsgerichtlichen Verfahren, daß der gerichtsmedizinische Sachverständige "zu einem anderen Kalkül" als der im Verwaltungsverfahren beigezogene Sachverständige gekommen sei. Andere Schlußfolgerungen eines dem Verwaltungsverfahren (hier: Verwaltungsstrafverfahren) nicht beigezogenen Sachverständigen stellen jedoch im Sinne der vorzitierten hg. Judikatur keinen Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG dar. Auf die Frage der Qualifikation des jeweiligen, von der Behörde beigezogenen Sachverständigen war daher in diesem Zusammenhang nicht mehr näher einzugehen.

Da bereits der Inhalt der vorliegenden Beschwerde erkennen läßt, daß die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 26. Jänner 1999

Schlagworte

Neu hervorgekommene entstandene Beweise und Tatsachen nova reperta nova producta Sachverständigengutachten Verhältnis zu anderen Normen und Materien

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1998020406.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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