TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/30 W210 2180329-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.04.2019
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Entscheidungsdatum

30.04.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W210 2180329-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anke SEMBACHER über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.06.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 06.11.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Der Beschwerdeführer wurde am 07.11.2015 von einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seiner Identität, seiner Reiseroute, seinem Fluchtgrund und einer allfälligen Rückkehrgefährdung befragt. Hier gab er als Geburtsdatum den XXXX an. Als Fluchtgrund führte er eine Bedrohung durch die Taliban an.

3. Aufgrund seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA, belangte Behörde) gehegter Zweifel an der behaupteten Minderjährigkeit des Beschwerdeführers wurde ein Sachverständigengutachten zur Bestimmung des Knochenalters des Beschwerdeführers eingeholt, dieses ergab als spätestmögliches Geburtsdatum des Beschwerdeführers den XXXX und somit die Volljährigkeit des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Antragstellung.

4. Der Beschwerdeführer wurde am 17.05.2017 vor dem BFA im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und allfälligen Rückkehrbefürchtungen einvernommen. Befragt zu seinem Fluchtgrund gab er an, dass er von den Taliban mehrfach dazu aufgefordert worden sei, mit ihnen in den Dschihad zu ziehen. Einen Monat lang sei er in einem Ausbildungslager der Taliban untergebracht gewesen. Die Taliban hätten ihm erlaubt, seine Familie zu besuchen aber verlangt, danach zu ihnen zurückkommen. Der Beschwerdeführer habe große Angst bekommen und sei geflüchtet.

5. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Unter Spruchpunkt IV. wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen [gemeint: 14 Tage] ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

6. Mit Schreiben vom 18.12.2017 erhob der Beschwerdeführer, unterstützt durch einen amtswegig beigegebenen Rechtsberater, vollumfängliche Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Unter einem wurden Berichte über die Talibanaktivität im Heimatdistrikt des Beschwerdeführers und eine Stellungnahme zu diesen Berichten sowie weitere Integrationsunterlagen vorgelegt.

7. Das BFA legte die Beschwerde und den Akt des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

8. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.04.2018 wurden der Beschwerdeführer, vertreten durch den ausgewiesenen Rechtsvertreter, und Vertreter der belangten Behörde zur mündlichen Verhandlung am 29.06.2018 geladen. Unter einem wurde den Parteien das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation übermittelt.

9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 29.06.2018 in Anwesenheit des ausgewiesenen Rechtsvertreters des Beschwerdeführers und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, im Zuge derer der Beschwerdeführer und eine stellig gemachte Zeugin einvernommen wurde. Die belangte Behörde verzichtete schriftlich auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung. Im Zuge der Verhandlung wurden aktuelle Länderberichte in das Verfahren eingeführt.

10. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.11.2018 wurden dem Beschwerdeführer im Rahmen einer Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme das aktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018, Stand: 29.10.2018, die aktuellen UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 in deutscher Sprache sowie drei Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation zur Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vom jeweils 09.11.2018 mit der Möglichkeit zur Stellungnahme binnen zweit Wochen zur Kenntnis gebracht.

11. Am 06.02.2019 erfolgte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zu den aktuellen Länderberichten.

12. Dem Beschwerdeführer wurden Aktualisierungen des Länderinformationsblatts der Staatendokumentation zu Afghanistan bis einschließlich 26.03.2019, die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 sowie die EASO Country-Guidance zu Afghanistan aus Juni 2018 (Auszüge zum subsidiären Schutz und zur innerstaatlichen Schutzalternative) mit der Möglichkeit zur Stellungnahme übermittelt. Unter einem wurde der Beschwerdeführer auf die Möglichkeit hingewiesen, die Anberaumung einer weiteren mündlichen Verhandlung zu beantragen, andernfalls dies als Verzicht auf eine weitere Verhandlung gewertet werde.

13. Mit Eingabe vom 17.04.2019 nahm der Beschwerdeführer verwies auf die Stellungnahme vom 06.02.2019 und nahm erneut Stellung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA und den hg. Akt des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Beschwerdeführer, durch Einsicht in die in das Verfahren eingebrachten Länderberichte sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers, seinem Leben und einer Rückkehr nach Afghanistan:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan und der Volksgruppe der Tadschiken sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Dari, er spricht auch Farsi. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer ist in der Provinz Herat, Distrikt XXXX , Dorf XXXX , geboren, wo er im Verband seiner afghanischen Familie - das sind seine Eltern, seine vier Brüder und seine drei Schwestern - aufgewachsen ist. Er lebte an keinem anderen Ort in Afghanistan. Der Beschwerdeführer besuchte in Herat mindestens sechs Jahre die Schule, kann lesen und schreiben. Er erhielt keine Berufsausbildung, verrichtete aber Hilfsarbeiten auf dem Bau und arbeitete in der familieneigenen Landwirtschaft sowie im Viehbetrieb mit.

Der Beschwerdeführer hat in seinem Heimatland weder eine Straftat begangen, noch besteht dort gegen seine Person ein Haftbefehl. Er war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei oder bewaffneten Gruppierung an.

Die Familie des Beschwerdeführers hält sich mittlerweile in Iran auf; in Afghanistan hat der Beschwerdeführer keine Familienangehörigen mehr.

Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan im Sommer 2015 und reiste über den Iran illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am 06.11.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Seither hielt er sich durchgehend im österreichischen Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer bezieht in Österreich Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig. Er besuchte eine Informationsveranstaltung des ÖIF, absolvierte einen Werte- und Orientierungskurs sowie einen Basisbildungskurs des BFI und erwarb nach der Teilnahme an einem Deutschkurs ein ÖSD-Zertifikat für das Deutsch-Niveau A1. Weitere Zertifikate legte er nicht vor. Der Beschwerdeführer zeigte sich in seinem Deutschkurs stets bemüht und engagiert. Er möchte in Österreich seinen Schulabschluss nachholen, einen Schulbesuch hat er bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht nachgewiesen. Er hat sich Anfang des Jahres 2018 für ehrenamtliche Tätigkeiten beim Roten Kreuz und bei einem Sozialmarkt angemeldet, hat aber bislang keine Rückmeldung erhalten. In seiner Freizeit spielt er Fußball und nimmt mit seiner Mannschaft an Turnieren teil.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten oder Familienangehörige. Er hat bei einem Deutschkurs eine afghanische Staatsbürgerin kennengelernt, mit der er sich nach eigenen Angaben eine gemeinsame Zukunft vorstellen kann. Er lebt mit dieser Person nicht im gemeinsamen Haushalt; ein (finanzielles) Abhängigkeitsverhältnis zu seiner Bekanntschaft besteht ebenfalls nicht.

Der Beschwerdeführer leidet an keiner lebensbedrohenden Krankheit. Er erlitt im Jahr 2017 einen Handgelenksbruch, zeitweise schmerzt ihn die Bruchstelle noch. Er nimmt keine Medikamente und benötigt keine medizinische Behandlung.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Dem Beschwerdeführer droht keine gegen ihn gerichtete Bedrohung oder Verfolgung, sei es durch staatliche Organe oder durch Private, aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Gesinnung (oder aus anderen Gründen) in Afghanistan.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers - Afghanistan:

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit letzter Kurzinformation vom 26.03.2019 - LIB 26.03.2019, S.16). Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (LIB 26.03.2019, S.59).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 26.03.2019, S.59). Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt

23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan; für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712. Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 60).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 26.03.2019, S.62). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S. 16).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S.70).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 26.03.2019, S.63).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 26.03.2019, S. 63). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 26.03.2019, S.63.).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, das Personenstands- und Urkundenwesen in Afghanistan ist kaum entwickelt. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (LIB 26.03.2019, S. 346 f.).

Zur Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers - Herat:

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (LIB 26.03.2019, S. 139). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler, etwa 10 km außerhalb von Herat-Stadt (LIB 26.03.2019, S. 261), wobei die Verbindungsroute in die Stadt bei Tageslicht jedenfalls sicher ist (EASO Country Guidance, S. 29), und ein militärischer in Shindand (LIB 26.03.2019, S. 139). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken. Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (LIB 26.03.2019, S.139).

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen Afghanistans gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (LIB 26.03.2019, S. 140); die Sicherheitslage in der Provinz Shindand ist vergleichsweise schlecht (LIB 26.03.2019, S. 139). Es gibt interne Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen. Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (LIB 26.03.2019, S. 142).

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB 26.03.2019, S. 140).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37 % im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 26.03.2019, S. 140 f.).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (LIB 26.03.2019, S. 141). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) zählt Herat neben den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar und Uruzgan zu den Provinzen Afghanistans, in welchen bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen stattfanden (LIB 26.03.2019, S. 16).

Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren in der Provinz Herat (mit Stand 19.03.2019) die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi von der Zerstörung und Beschädigung von Häusern infolge starker Regenfällen betroffen. Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der Herat (und die Provinz Badghis) am meisten betroffen war und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren) sie es weiterhin sind. In den beiden Provinzen wurden am 13.09.2018 ca. 266.000 IDPs (afghanische Binnenflüchtlinge) vertrieben; davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (LIB 26.03.2019, S. 12).

Die Versorgung mit Lebensmitteln erweist sich - wie im Rest von Afghanistan - als grundsätzlich gegeben (EASO Country Guidance, Seite 104), ist aber den Einflüssen von Wetterextremen wie der im Jahr 2018 herrschenden Dürre (UNHCR-Richtlinien, 30.08.2018, Seite 35) ausgesetzt.

Zur Provinz Balkh und der Hauptstadt Mazar-e Sharif:

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt. Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan] und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 26.03.2019, S. 102). Die Infrastruktur ist noch unzureichend, da viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, in schlechtem Zustand und in den Wintermonaten unpassierbar sind (LIB 26.03.2019, S. 103). Mazar-e Sharif ist jedoch grundsätzlich auf dem Straßenweg mittels Bus erreichbar, eine Fahrt kostet zwischen 400 und 1.000 Afghani (LIB 26.03.2019, S.258). In Mazar-e Sharif gibt es zudem einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt über den Luftweg von Kabul sicher zu erreichen ist (LIB 26.03.2019, S. 103 und 261). Der Flughafen befindet sich 9 km östlich der Stadt (EASO Country Guidance, S. 102), die Verbindungsroute in die Stadt ist bei Tageslicht jedenfalls sicher (EASO Country Guidance, S. 29).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften. Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 103 f.). Im Herbst 2018 wurde im Norden Afghanistans - darunter u.a. in der Provinz Balkh - eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden registriert; Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit (LIB 26.03.2019, S. 36).

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer (LIB 26.03.2019, S. 104).

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen. Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (LIB 26.03.2019, S. 105).

Die Versorgung mit Lebensmitteln erweist sich - wie im Rest von Afghanistan - als grundsätzlich gegeben (EASO Country Guidance, Seite 104), ist aber den Einflüssen von Wetterextremen wie der im Jahr 2018 herrschenden Dürre (UNHCR-Richtlinien 30.08.2018, Seite 35) ausgesetzt.

Wirtschaft:

Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Dennoch ist das Land weiterhin arm und von Hilfeleistungen abhängig. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 26.03.2019, S. 353). Mehr als 60% der afghanischen Arbeitskräfte arbeiten im Landwirtschaftssektor, dieser stagniert. Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. 55% der afghanischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans ist nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 26.03.2019, S. 354, UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, Seite 19 und 20).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus dem Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus den an Afghanistan angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (LIB 26.03.2019, S. 366).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 26.03.2019, S. 367 f.)

Die Organisationen IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden. Die internationale Organisation für Migration IOM bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an. Das Norwegian Refugee Council (NRC) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die Afghanistan Independent Human Rights Commission. Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben (LIB 26.03.2019, S. 369 f.). Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft. Seit 2016 erhalten Rückkehr/innen Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (LIB 26.03.2019, S. 370).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 26.03.2019, S. 370 f.).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 26.03.2019, S. 371).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 26.03.2019, S. 370 f.).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben mehr als 34.1 Millionen Menschen. Es sind ca. 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken (LIB 26.03.2019, S. 314). Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist somit die zweitgrößte und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan (LIB 26.03.2019, S. 319). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten, wo diese mehrheitlich gesprochen werden, eingeräumt (LIB 26.03.2019, S. 315).

Religionen:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert. Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (LIB 26.03.2019, S. 304 f.).

1.3. Zur Rekrutierung durch die Taliban:

Im Februar 2016 trat das Gesetz über das Verbot der Rekrutierung von Kindern im Militär in Kraft. Berichten zufolge rekrutieren die ANDSF und andere regierungsfreundliche Milizen in limitierten Fällen Kinder; die Taliban und andere regierungsfeindliche Gruppierungen benutzen Kinder regelmäßig für militärische Zwecke (LIB 26.03.2019, S. 342).

Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden. Regierungsfeindliche Kräfte rekrutieren weiterhin Kinder, um sie für Selbstmordanschläge, als menschliche Schutzschilde oder für die Beteiligung an aktiven Kampfeinsätzen zu verwenden, um Sprengsätze zu legen, Waffen und Uniformen zu schmuggeln sowie als Spione, Wachposten oder Späher für die Aufklärung (UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, S. 59 f.)

Das Konfliktschema in Afghanistan hat sich seit der Übergangsperiode 2014 verändert, die Taliban konzentrieren sich seither auf den Aufbau einer professionelleren militärischen Organisation. Das hat Folgen für die Rekrutierung, sowohl im Hinblick auf das Profil der rekrutierten Personen, als auch im Hinblick auf ihre Ausbildung. Religion und die Idee des Dschihad spielen bei der Rekrutierung weiterhin eine bedeutsame Rolle, ebenso die wirtschaftlichen Gegebenheiten. Es sind Fälle von Zwangsrekrutierung dokumentiert, sie bilden allerdings die Ausnahme. Die Rekrutierung durch die Taliban ist nicht durch Zwang, Drohungen und Gewalt gekennzeichnet (Landinfo-Bericht zur Rekrutierung durch die Taliban vom 29.06.2017, S. 3).

Die Veränderungen des Konfliktschemas wirken sich auf die Rekrutierungsstrategien der Taliban aus, sowohl im Hinblick auf das Profil der rekrutierten Personen als auch auf die Ausbildung der Rekruten. Das Profil hat sich insofern verändert, als es sich nun um Personal handelt, das im direkten Konflikt mit dem Feind stehen wird. Das lässt vermuten, dass die Taliban sich aktiver als bisher bemühen, Personal mit militärischem Hintergrund und/oder militärischen Fertigkeiten zu rekrutieren. Da nun ein stärkerer Schwerpunkt auf militärisches Wissen und Erfahrung gelegt wird, ist auch das wahrscheinliche Durchschnittsalter der Rekruten gestiegen (Landinfo-Bericht zur Rekrutierung durch die Taliban vom 29.06.2017, S. 8). Die Rekrutierung für die Streitkräfte erfolgt über bestehende traditionelle Netzwerke und organisierte Aktivitäten im Zusammenhang mit religiösen Institutionen (Landinfo-Bericht zur Rekrutierung durch die Taliban vom 29.06.2017, S. 12).

Die Mitglieder werden auf der Grundlage ihrer Beziehung, ihres Rufes und ihrer Position von den Kommandanten persönlich rekrutiert. Ohne Zustimmung der Familie, insbesondere des Familienoberhaupts, wird für gewöhnlich nicht rekrutiert. Diejenigen zwischen 15 und 18 Jahren, die den Taliban eingegliedert werden, werden vermutlich nur nach Einsatzfähigkeit und Qualifikationen beurteilt, d.h. man wird mobilisiert, wenn man als tauglich befunden wird Landinfo-Bericht zur Rekrutierung durch die Taliban vom 29.06.2017, S. 9 und 22 f.).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person und zum Leben des Beschwerdeführers sowie zu seiner Rückkehr nach Afghanistan:

Der im Spruch angeführte Name dient mangels Vorlage eines geeigneten Identitätsnachweises lediglich zur Identifizierung des Beschwerdeführers als Verfahrenspartei und wurde auch schon von der belangten Behörde verwendet, was in der Beschwerde nicht beanstandet wird.

Das Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem vom BFA in Auftrag gegeben Sachverständigengutachten (BFA-Akt, AS 103 ff.). Der Beschwerdeführer gab in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll, das Ergebnis der Altersfeststellung zu akzeptieren (BVwG-Akt, OZ 8, S. 4).

Die weiteren Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, sohin zu seiner Herkunftsprovinz, seinen Sprachkenntnissen, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seinem Familienstand, gründen auf den gleichlautenden und daher glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (BFA-Akt, AS 134 f. und 140; BVwG-Akt, OZ 8, S. 3, 4 und 7).

Zur Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers ist festzuhalten, dass dieser sowohl im verwaltungsbehördlichen Verfahren als auch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht stets angab, sunnitischer Moslem zu sein (BFA-Akt, AS 3 und 140; BVwG-Akt, OZ 8, S. 7). Selbst über Vorhalte der erkennenden Richterin, dass der vom Beschwerdeführer angeführte Nachname schiitisch klinge und in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers (neben einer weiteren Provinz) die einzigen tadschikischen Schiiten leben würden, blieb der Beschwerdeführer bei seinen Angaben zu seiner Religionszugehörigkeit und bekräftigte, sunnitischer Moslem zu sein (BVwG-Akt, OZ 8, S. 7). Der Beschwerdeführer versicherte somit trotz gegenteiliger Anhaltspunkte glaubhaft, der Religionsgemeinschaft der Sunniten anzugehören, weshalb die entsprechende Feststellung zu treffen war.

Die Feststellungen zur Schulbildung und Berufserfahrung des Beschwerdeführers in Afghanistan basieren auf dessen Angaben im Verfahren. Im Rahmen seiner Erstbefragung gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, sechs Jahre die Grundschule in Herat besucht und als Bauarbeiter gearbeitet zu haben (BFA-Akt, AS 4 f.). In seiner Einvernahme vor dem BFA erklärte er, insgesamt acht Jahre die Schule besucht zu haben und bestätigte, gelegentlich Hilfstätigkeiten auf dem Bau verrichtet sowie in der Landwirtschaft und im Viehbetrieb mitgearbeitet zu haben, einen Beruf habe er nicht erlernt (BFA-Akt, S. 136 f.). Vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der Beschwerdeführer letztlich an, in Afghanistan sieben Jahre die Schule besucht und Hilfstätigkeiten bei Bauarbeiten sowie in der Landwirtschaft seines Vaters verrichtet zu habe (BVwG-Akt, VP, S. 5 und 8). Aufgrund der leicht abweichenden Angaben des Beschwerdeführers zur Dauer seines Schulbesuchs war daher die Feststellung zu treffen, dass der Beschwerdeführer über eine mindestens sechsjährige Schulbildung und über entsprechende Berufserfahrung verfügt. Dass der Beschwerdeführer sowohl lesen als auch schreiben kann, gab dieser ebenfalls selbst zu Protokoll (BFA-Akt, AS 136).

Der Beschwerdeführer verneinte vor dem BFA, in seinem Heimatland eine Straftat begangen zu haben, politisch tätig gewesen zu sein und einer politischen Partei oder bewaffneten Gruppierung angehört zu haben. Ebenso negierte er, dass in seinem Heimatland ein Haftbefehl gegen seine Person bestehe (BFA-Akt, AS 141 f.). Zudem gab er vor dem BFA selbst zu Protokoll, keine Probleme mit den Behörden in seinem Heimatland gehabt zu haben (BFA-Akt, AS 142).

Dass der Beschwerdeführer - abgesehen von seiner Herkunftsprovinz Herat - sonst an keinem anderen Ort Afghanistans aufhältig war, gab dieser im Verfahren konsistent an (BFA-Akt, AS 134; BVwG-Akt, OZ 8, S. 9).

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan über keine Familienangehörigen mehr verfügt, entspringt den Aussagen des Beschwerdeführers im Verfahren. In seiner Erstbefragung nannte der Beschwerdeführer als derzeitigen Aufenthaltsort seiner Eltern und sechs seiner Geschwister noch "Afghanistan", lediglich der älteste Bruder habe sich bereits zum damaligen Zeitpunkt im Iran aufgehalten (BFA-Akt, AS 7). Im Zuge seiner Einvernahme vor der belangten Behörde gab der Beschwerdeführer sodann an, dass seine Familie mittlerweile ebenfalls aus Afghanistan ausgereist und in den Iran gezogen sei (BFA-Akt, AS 135). Zudem erklärte er hier, noch eine Tante zu haben, die auch im Iran lebe; Onkel habe er keine (BFA-Akt, AS 137). Vor dem Bundesverwaltungsgericht bestätigte der Beschwerdeführer seine Aussage vor dem BFA, wonach seine gesamte Familie mittlerweile im Iran lebe (BVwG-Akt, OZ 8, S. 5).

Die Feststellungen zum (ungefähren) Ausreisedatum des Beschwerdeführers gründen auf dessen Angaben vor der belangten Behörde, wonach er glaube, seine Flucht Ende des Sommers 2015 angetreten zu haben (BFA-Akt, AS 138). Auch in seiner Erstbefragung Anfang November 2015 erklärte der Beschwerdeführer vor (damals) fünfzig Tagen - somit Mitte September - aus Herat ausgereist zu sein.

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich gründen auf dessen Angaben in der mündlichen Verhandlung (BVwG-Akt, OZ 8, S. 9-11) in Zusammenschau mit den im Verfahren vorgelegten Integrationsunterlagen des Beschwerdeführers (BFA-Akt, AS 153-157, 441 und 445; BVwG-Akt, OZ 8, Beilagen ./1 und ./2). Die einvernommene Zeugin legte in der mündlichen Verhandlung zudem dar, dass sich der Beschwerdeführer im Deutschkurs sehr engagiert und bemüht gezeigt habe und sehr freundlich sowie wertschätzend sei (BVwG-Akt, OZ, S. 13). Dass der Beschwerdeführer Leistungen aus der Grundversorgung bezieht und nicht erwerbstätig ist, ergibt sich zudem aus den eigeholten Auszügen der GVS-Datenbank.

Der Beschwerdeführer gab in der mündlichen Verhandlung an, in Österreich seinen Schulabschluss nachholen zu wollen und sich diesbezüglich bereits in einer Schule für die Aufnahmeprüfung im September [Anm.: 2018] angemeldet zu haben. Er habe eine schriftliche Einladung zur Teilnahme an der Aufnahmeprüfung bekommen (BVwG-Akt, OZ 8, S. 9). Dass der Beschwerdeführer aktuell eine Schule besucht, hat er bis zum Entscheidungszeitpunkt jedoch nicht nachgewiesen. Zudem erklärte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung, sich Anfang des Jahres 2018 für ehrenamtliche Tätigkeiten beim Roten Kreuz und bei einem Sozialmarkt angemeldet, bislang aber keine Rückmeldung erhalten zu habe (BVwG-Akt, OZ 8, S. 10). Dies wurde durch die einvernommene Zeugin bestätigt, welche diesbezüglich erklärte, dass die Freiwilligenarbeiten bislang an den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers gescheitert seien, sich diese aber verbessert hätten (BVwG-Akt, OZ 8, S. 13).

Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer in Österreich Verwandte oder Familienangehörige hat, ergaben sich bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht. Der Beschwerdeführer verneinte die diesbezügliche Frage vor dem BFA explizit (BFA-Akt, AS 137), weder in der Beschwerde noch in der mündlichen Verhandlung wurde Gegenteiliges behauptet.

Dass der Beschwerdeführer in Österreich eine afghanische Staatsbürgerin kennengelernt hat, mit der er sich eine gemeinsame Zukunft vorstellen könne, gab dieser erstmals in der mündlichen Verhandlung an. Hier erklärte er äußerst unkonkret, es könne sein, dass sie sich dazu entschließen würden, zu heiraten. Über Rückfrage der erkennenden Richterin vermeinte der Beschwerdeführer, dass "das noch nicht fix" sei und er daher glaube, dass es keine gute Idee sei, nähere Angaben zu seiner Bekanntschaft zu machen. Nach Rechtsbelehrung der erkennenden Richterin über die Notwendigkeit dieser Angaben im Hinblick auf eine Prüfung eines Eingriffs in das Privat- oder Familienlebens des Beschwerdeführers in Österreich erklärte dieser - nach Nennung des Namens und des Aufenthaltsstatus seiner Bekanntschaft -, dass er sie persönlich kenne und sie sich schon unterhalten, aber noch nicht über eine gemeinsame Zukunft gesprochen hätten. Er glaube, dass sie nichts dagegen hätte, habe aber ihre Eltern noch nicht um ihre Hand gefragt. Dass der Beschwerdeführer mit seiner Bekanntschaft zusammenlebt, verneinte dieser (BVwG-Akt, OZ 8, S. 5). Unter Zugrundelegung dieser Angaben war die Negativfeststellung hinsichtlich des Vorliegens einer Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich bzw. hinsichtlich des Bestehens eines gemeinsamen Haushaltes oder einer (finanziellen) Abhängigkeit zu treffen.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers gründen auf dessen Angaben in der mündlichen Verhandlung (BVwG-Akt, OZ 8, S. 3).

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers in Österreich ergibt sich aus der eingeholten Strafregisterauskunft.

2.2. Zu den Feststellungen hinsichtlich des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers:

Voranzustellen ist, dass es Aufgabe des Asylwerbers ist, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.03.1999, 98/20/0559). Es entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes bzw. Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens - niederschriftlichen Einvernahmen - unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen, oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, 95/20/0650; vgl. auch Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2004/83/EG - StatusRL, ABl. L Nr. 304, 12, sowie Putzer, Leitfaden Asylrecht2, [2011], Rz 31). Kann ein Beschwerdeführer sein Vorbringen nicht durch Bescheinigungsmittel untermauern, ist es umso wichtiger, sein Vorbringen gleichbleibend, konkret und nachvollziehbar zu gestalten. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen jedenfalls für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007). Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem in mehreren Erkenntnissen betont, dass die Aussage des Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt und daher der persönliche Eindruck des Asylwerbers für die Bewertung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben von Wichtigkeit ist (VwGH 24.06.1999, 98/20/0453; VwGH 25.11.1999, 98/20/0357).

Im vorliegenden Verfahren hat der Beschwerdeführer zunächst in seiner Erstbefragung und sodann in einer ausführlichen Einvernahme vor dem BFA Gelegenheit gehabt, seine Fluchtgründe umfassend darzulegen. Aus dem Protokoll der niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA geht hervor, dass die belangte Behörde Rückfragen tätigte und dem Beschwerdeführer Gelegenheit gab, sein Vorbringen zu konkretisieren. Die erkennende Richterin konnte zudem im Zuge der mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer gewinnen und sich von der Glaubwürdigkeit seines Vorbringens ein eigenes Bild machen. Der Beschwerdeführer hatte somit ausreichend Zeit und Gelegenheit, seine Fluchtgründe umfassend und im Detail darzulegen sowie allfällige Beweismittel und geeignete Nachweise zur Untermauerung seines Vorbringens vorzulegen. Er wurden mehrmals zur umfassenden und detaillierten Schilderung seiner Fluchtgründe aufgefordert sowie über die Folgen unrichtiger Angaben belehrt. Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ist unter diesen Gesichtspunkten zu würdigen und ist hierzu Folgendes auszuführen:

Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ist im gesamten Verfahren auf eine behauptete (Zwangs-)Rekrutierung des Beschwerdeführers durch die Taliban und eine befürchtete Verfolgung seiner Person infolge seiner Ausreise aus Afghanistan und einer ihm deswegen (unterstellten) politischen Gesinnung gerichtet. Dem Beschwerdeführer ist es jedoch nicht gelungen, eine nachvollziehbare und plausible Sachverhaltsdarstellung hinsichtlich dieses Fluchtvorbringens glaubhaft zu machen.

Vor dem BFA gab der Beschwerdeführer in freier Erzählung an, die Taliban seien mehrmals zu seiner Familie gekommen und hätten zum Beschwerdeführer gesagt, dass er sich ihnen anschließen müsse. Der Beschwerdeführer habe das verneint; manchmal hätten sie ihn auch bedroht, aber er habe ihre Forderungen nicht akzeptiert. Einmal hätten sie den Beschwerdeführer mitgenommen und in ein Ausbildungsquartier gebracht. Dort sei er ein Monat lang im Dschihad unterrichtet worden. Während seines Aufenthaltes im Ausbildungslager hätten die Taliban von ihm ein Foto gemacht und alle Daten aufgenommen. Nach diesem Monat habe der Beschwerdeführer große Angst bekommen und den Taliban erklärt, dass er zu seiner Familie müsse. Sie hätten zu ihm gesagt, dass er von selbst zurückkommen solle oder sie ihn holen würden. Sein Vater habe dann die Flucht des Beschwerdeführers organisiert (BFA-Akt, AS 142 f.). In der mündlichen Verhandlung erklärte der Beschwerdeführer, zu seinen Fluchtgründen, wie er sie im verwaltungsbehördlichen Verfahren vorgebracht habe, nichts ergänzen zu wollen; er wolle lediglich darauf hinweisen, dass es im Internet sehr viele Berichte und YouTube-Videos über die Aktivitäten der Taliban in seinem Wohnsitzgebiet gebe (BVwG-Akt, OZ 8, S. 8 f.).

Auch wenn der Beschwerdeführer sein Verfolgungsvorbringen im Verlauf des Verfahrens oberflächlich gleichlautend erstattet hat, ergaben sich dennoch Unstimmigkeiten in den relevanten Einzelheiten und blieb das Vorbringen insgesamt zu vage und unsubstantiiert, um daraus eine individuelle, konkret den Beschwerdeführer treffende Verfolgung ableiten zu können. In Gesamtschau seines Aussageverhaltens vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vermochte der Beschwerdeführer bloß eine grobe Rahmengeschichte wiederzugeben und seine Fluchtgeschichte erst auf Nachfragen mit Details auszugestalten. Der Beschwerdeführer beschränkte sich sohin weitgehend auf die Wiedergabe einiger weniger Eckpunkte der Fluchtgeschichte. Auch dabei vermochte er aber keine konkreten und lebensnahen Details zu nennen, die für die erkennende Richterin den Eindruck erweckt hätten, die vom Beschwerdeführer geschilderten Ereignisse seien tatsächlich so vorgefallen.

So machte der Beschwerdeführer äußerst vage und oberflächliche Angaben zum Ausbildungslager der Taliban, in dem er angeblich ein Monat verbracht habe ("Das war wie ein Garten mit hohen Wänden. Dort hat es auch eine Moschee gegeben. Dort waren die Taliban aktiv.") und zu seinem dortigen Tagesablauf ("In der Früh sind wir aufgestanden, haben gebetet und den Koran gelesen. Danach hat ein Lehrer bzw. Führer uns unterrichtet. Er hat uns gesagt, dass wir Waffen tragen und kämpfen sollen."). Auch konnte er den Namen der Waffen, an denen er angeblich - wenn auch nur grundlegend - ausgebildet worden sei, nicht einmal ansatzweise nennen (BFA-Akt, AS 145). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Asylwerber, der aus Furcht um sein Leben sein Heimatland verlassen hat, versucht, von sich aus detailliert, umfangreich und lebensnah die ihm widerfahrenen Bedrohungssituationen zu schildern. Die sehr rudimentär gehaltenen Schilderungen des Beschwerdeführers erwecken hingegen nicht den Eindruck, dass sich dieser tatsächlich in einem Ausbildungslager der Taliban aufgehalten hat.

Zu unkonkret und ungefähr sind in diesem Zusammenhang auch die Zeitangaben des Beschwerdeführers. So antwortete er auf die Frage des BFA, wann diese "Schwierigkeiten" konkret angefangen hätten, lediglich: "Das hat 2015 begonnen." Genau wisse er es nicht. Nochmals rückgefragt vermeinte der Beschwerdeführer sodann, es sei im Herbst gewesen (BFA-Akt, AS 143). Über Vorhalt, dass der Beschwerdeführer gemäß seinen eigenen Angaben bereits im Sommer 2015 aus Afghanistan ausgereist sei (BFA-Akt, AS 138), räumte er schließlich ein, sich nicht mehr genau daran erinnern zu können (BFA-Akt, AS 143). Auch in diesem Punkt ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer zu einem derart einschneidenden Ereignis, wie es eine Mitnahme und Festhaltung durch die Taliban zweifelsohne darstellen würde, keine näheren Zeitangaben machen konnte und das angebliche fluchtauslösende Ereignis letztlich einem Zeitpunkt zugeordnet hat, zu dem er gemäß seinen ursprünglichen Angaben bereits sein Herkunftsland verlassen hat.

Ferner stimmen die Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA und vor dem BVwG in mehrfacher Hinsicht nicht überein: Betreffend die Tageszeit, zu der er von den Taliban mitgenommen worden sei, gab der Beschwerdeführer vor dem BFA noch an, dass die Taliban "abends, bei Sonnenuntergang" zu ihm nachhause gekommen seien (BFA-Akt, AS 144). Widersprüchlich hierzu meinte er vor dem Bundesverwaltungsgericht, dass es damals zehn Uhr vormittags gewesen sei (BVwG-Akt, OZ, S. 12). Auch erklärte der Beschwerdeführer vor dem BFA, sein Vater habe eine Rekrutierung des Beschwerdeführers stets mit der Begründung abgelehnt, dass der Beschwerdeführer noch zu jung sei und in die Schule gehen sollen (BFA-Akt, AS 144). Vor dem BVwG gab der Beschwerdeführer über Rückfrage der erkennenden Richterin jedoch an, die Schule nur bis zu seinem 13. oder 14. Lebensjahr besucht und Afghanistan im Alter von etwa 17 Jahren verlassen zu haben. Das erste Mal seien die Taliban ein Jahr vor seiner Flucht - sohin zu einem Zeitpunkt als der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben etwa 16 Jahre alt war - zu seinem Vater gekommen. Die Frage, ob er zum damaligen Zeitpunkt nicht mehr in der Schule gewesen sei, bejahte der Beschwerdeführer (BVwG-Akt, OZ 8, S. 11). Dass der Vater des Beschwerdeführers die Rekrutierungsversuche der Taliban somit stets mit einem erforderlichen Schulbesuch des Beschwerdeführers abgewendet haben will, obwohl der Beschwerdeführer zum damaligen Zeitpunkt bereits seit mehreren Jahren nicht mehr die Schule besucht hat, ist unschlüssig und nicht nachvollziehbar.

Gänzlich unplausibel und in sich widersprüchlich stellt sich zudem die Schilderung des Beschwerdeführers vor dem BFA dar, wonach er während seines Aufenthalts im Ausbildungslager über das Handy eines Taliban Kontakt mit seinem Vater habe aufnehmen dürfen. Danach befragt, ob er während seines Ausbildungsmonats Kontakt zu seinen Eltern gehabt habe, erklärte der Beschwerdeführer, nur einmal mit ihnen Kontakt gehabt zu haben und begründete dies selbst damit, dass sie keine Mobiltelefone hätten mitnehmen dürfen. Nachgefragt, wie er den Kontakt dann hergestellt habe, vermeinte der Beschwerdeführer lapidar "per Telefon". Über weitere Rückfrage konkretisierte er, dass er den Kontakt nicht via Festnetz, sondern über ein Handy aufgenommen habe. Über Vorhalt seiner eigenen Angaben, wonach er kein Mobiltelefon habe mitnehmen dürfen, erläuterte der Beschwerdeführer sodann, dass es das Handy eines Taliban gewesen sei. Man habe ihm erlaubt, seinen Vater anzurufen, da sich seine Eltern Sorgen gemacht hätten. Bezüglich des Inhalts des Telefongesprächs mit seinem Vater gab der Beschwerdeführer anfangs an, er habe seinem Vater erklärt, dass er bei den Taliban sei und habe zu ihm gesagt "schauen wir einmal, wie ich wieder herauskomme". Auf die Rückfrage, ob er heimlich telefoniert oder einen Aufpasser gehabt habe, gab der Beschwerdeführer an, dass jemand dabeigestanden sei. Über Vorhalt der Unstimmigkeit, in Gegenwart eines Aufpassers laut über ein mögliches Entkommen aus dem Lager zu überlegen, dementierte der Beschwerdeführer seine ursprünglichen Angaben und erklärte entgegen seiner vorherigen Aussage, nicht gesagt zu haben, dass er rauskommen wolle, sondern nur gesagt zu haben, er schaue einmal, was noch passieren werde (BFA-Akt, AS 145 f.). Abgesehen davon, dass es befremdlich anmutet, von den Taliban die Möglichkeit für ein Telefongespräch mit den Eltern erhalten zu haben, nur, weil diese sich Sorgen um den Beschwerdeführer gemacht haben, ist zu diesem Vorbringen festzuhalten, dass der Beschwerdeführer auch hier erst über mehrmaliges Nachfragen konkrete Angaben zu dieser Situation gemacht und seine ursprünglichen Angaben nach Vorhalt einer Unstimmigkeit korrigiert bzw. geleugnet hat.

Letztlich gelang es dem Beschwerdeführer nicht, plausibel darzulegen, weshalb gerade seine Person in den Fokus der Taliban geraten sein soll. Zwar wird eine Talibanaktivität in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers, wie sie auch den der Beschwerde beigefügten Berichten zu entnehmen ist, grundsätzlich nicht in Abrede gestellt; doch wird in den ins Verfahren eingeführten Länderberichten - insbesondere im Landinfo-Bericht "Rekrutierung durch die Taliban" - zur Rekrutierung von Jugendlichen zwischen 15 und 18 Jahren festgehalten, dass "diejenigen, die den Taliban eingegliedert werden, (...) vermutlich nur nach Einsatzfähigkeit und Qualifikationen beurteilt werden, d.h. man wird mobilisiert, wenn man als tauglich befunden wird.". Der Beschwerdeführer besuchte rund sechs Jahre die Schule, verfügt über keine Berufsausbildung und verrichtete lediglich Hilfsarbeiten auf dem Bau sowie auf der familieneigenen Landwirtschaft, fällt also eindeutig nicht unter diese Gruppen. Diesem Dokument ist zudem zu entnehmen, dass die Taliban nunmehr verstärkt Personal mit militärischem Hintergrund und/oder militärischen Fähigkeiten rekrutieren, da sie sich auf den Aufbau einer professionelleren militärischen Organisation konzentrieren. Dass der Beschwerdeführer über verwertbare militärische Kenntnisse oder Beziehungen zu den Taliban verfügen würde, ist im gesamten Verfahren nicht hervorgekommen. Der Beschwerdeführer entspricht somit nicht der Zielgruppe einer Rekrutierung durch die Taliban. Zudem geht aus dem oben angeführten Landinfo-Bericht hervor, dass die Taliban ohne Zustimmung der Familie, insbesondere des Familienoberhaupts, für gewöhnlich nicht rekrutieren (vgl. dazu die auf diesem Bericht basierenden Feststellungen unter II.1.3). Die Darstellung des Beschwerdeführers, dass eines Tages drei oder vier vermummte, bewaffnete Personen zu ihm nachhause gekommen und ihn ins Auto gesetzt hätten, sein Vater und er aber nichts dagegen unternehmen hätten können (BVwG-Akt, OZ 8, S. 12), stimmt somit ebenfalls nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten überein. Der vom Beschwerdeführer behauptete Rekrutierungsversuch durch die Taliban ist daher nicht lebensnah.

In einer Gesamtschau entstand für die erkennende Richterin der Eindruck, dass der Beschwerdeführer das von ihm geschilderte Fluchtvorbringen nicht selbst erlebt hat, da die Angaben in maßgeblichen Eckpunkten uneinheitlich sind, sich im gesamten Verfahren als zu vage dargestellt haben und in weiten Teilen nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers übereinstimmen. Aus all diesen Gründen konnte dieses Vorbringen nicht als glaubwürdig gewertet werden.

Andere Anhaltspunkte, die eine mögliche Verfolgung des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat für wahrscheinlich erscheinen lassen, sind im gesamten Verfahren nicht hervorgekommen. Der Beschwerdeführer verneinte zudem explizit, in seinem Heimatland eine Straftat begangen zu haben, politisch tätig gewesen zu sein und einer politischen Partei oder bewaffneten Gruppierung angehört zu haben. Zudem gab er vor dem BFA selbst zu Protokoll, keine Probleme mit den Behörden in seinem Heimatland gehabt zu haben (BFA-Akt, AS 142).

2.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan und zur Rekrutierungssystematik durch die Taliban:

Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan stützen sich auf objektives, in das Verfahren eingebrachte und dem Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Stellungnahme zur Kenntnis gebrachte Berichtsmaterial. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen so

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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