Entscheidungsdatum
30.04.2019Norm
AsylG 2005 §12a Abs2Spruch
W107 2149691-2/6E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. Sibyll BÖCK über die durch mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX
A)
Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 22 BFA-VG ist rechtmäßig.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der von der gegenständlichen Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betroffene Asylwerber (im Folgenden: AW) reiste schlepperunterstützt und unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 02.11.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz.
Diesen begründete er in seiner Erstbefragung am 04.11.2015 damit, dass er in Afghanistan von den Taliban wegen seiner Tätigkeit bei Nationalarmee bedroht worden sei; deshalb habe er Afghanistan verlassen und sei in den Iran gegangen. Dort habe er keine Rechte gehabt; es habe die dauernde Gefahr bestanden, der er nach Afghanistan abgeschoben werde; in Afghanistan würde er aber umgebracht werden.
2. Am 13.12.2016 erfolgte die (erste) niederschriftliche Einvernahme des AW vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA).
3. In weiterer Folge legte der AW einen psychiatrischen Befund, datiert 01.02.2017, vor, welcher ihm eine posttraumatische Belastungsstörung mit selbstverletzendem Verhalten attestierte. Der AW wurde daraufhin am 06.02.2017 (neuerlich) vor dem BFA zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und insbesondere zu seinem Gesundheitszustand einvernommen.
4. Der (erste) Antrag auf internationalen Schutz vom 02.11.2015 wurde mit Bescheid des BFA vom 13.02.2017, Zl. XXXX , sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem AW nicht erteilt. Es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Weiters wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise des AW festgelegt.
5. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (in Folge: BVwG) vom 10.04.2018, GZ W263 2149691-1/39E, als unbegründet abgewiesen. Das Erkenntnis des BVwG wurde dem AW am 13.04.2018 wirksam zugestellt.
6. Mit Bescheid des BFA vom 14.05.2018 wurde dem AW gemäß § 46 FPG aufgetragen, sich an näher bezeichnetem Termin zur Einholung eines Ersatzreisedokuments an nähre bezeichnetem Ort einzufinden.
7. Mit Bescheid des BFA vom 23.05.2018 wurde der AW zu einer Amtshandlung zwecks Identitätsprüfung geladen.
8. Am selben Tag wurde die amtliche Abmeldung des Wohnsitzes des AW durchgeführt.
9. In weiterer Folge reiste der AW aus dem österreichischen Bundesgebiet aus und stellte in Frankreich, unter anderem Namen, einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz.
10. Am 24.05.2018 wurde gegen den AW ein Festnahmeauftrag gemäß § 34 Abs. 3 Z 1 FPG erlassen.
11. Am 16.10.2018 wurde der AW gemäß der Dublin-Verordnung von Frankreich in das österreichische Bundesgebiet rücküberstellt und nach Betreten des Bundesgebiets von der Fremdenpolizei festgenommen.
12. Der AW stellte am 16.10.2018 unmittelbar nach seiner Rücküberstellung in das österreichische Bundesgebiet wiederum einen Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag), zu welchem er durch einen Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari erstbefragt wurde. Hier gab er im Wesentlichen als Fluchtgründe an, psychische Probleme zu haben. Er mache sich sehr viel Sorgen und verletze sich dabei selbst im Gesicht und an den Händen. Er leide sehr darunter, dass in Afghanistan zwei seiner Brüder getötet worden seien.
13. Mit Bescheid des BFA vom 17.10.2018 wurde über den AW die Schubhaft verhängt.
14. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 19.10.2018 wurde dem AW mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Folgeantrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG aufzuheben. Mit weiterer Verfahrensanordnung des BFA vom selben Tag wurde der AW darüber in Kenntnis gesetzt, dass in seinem Fall ein beschleunigtes Verfahren gemäß § 27a AsylG durchgeführt werde.
15. Am 24.10.2018 wurde der AW vor dem BFA im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari und eines Rechtsberaters erstmals niederschriftlich zu seinem Folgeantrag auf internationalen Schutz einvernommen. Hier gab er wiederum im Wesentlichen an, sich selbst zu verletzen, wenn er traurig sei. Er stehe in ärztlicher Behandlung, habe aber keine Befunde. Die Fluchtgründe aus dem Erstverfahren halte er aufrecht. Befragt, ob er neue Fluchtgründe vorbringe, erklärte der AW, dass er wegen der Schwierigkeiten, die er habe und gehabt habe, nicht nach Afghanistan zurückkehren wolle und es auch nicht könne. Dort sei sein Leben in Gefahr. Neue Fluchtgründe habe er keine. Er habe schon vorher Schwierigkeiten mit den Taliban gehabt. Falls er nach Afghanistan zurückkehren müsse, würden "sie" sagen, dass er in einem ungläubigen Land gewesen sei, dass von Ungläubigen regiert werde und ihn deshalb auch als Ungläubigen ansehen. Befragt nach den Gründen für seinen Folgeantrag brachte der AW im Wesentlichen vor, er könne und wolle nicht nach Afghanistan zurück. Sein Leben sei dort in Gefahr. Würde er die Schwierigkeiten nicht gehabt haben, wäre er zurückgekehrt. Auch könne er wegen seiner Krankheit nicht zurück. Er trinke Alkohol, das beruhige ihn; das könne er aber in Afghanistan nicht machen. Zudem habe er in Österreich eine Freundin.
16. Der AW wurde am 08.03.2019 einer psychologischen Untersuchung (PSY III) unterzogen. Die daraufhin erstattete gutachterliche Stellungnahme vom 18.03.2019 führt aus, dass im Fall des AW eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung - konkret eine Anpassungsstörung, eine psychische Störung und eine Verhaltensstörung mit selbstverletzendem Verhalten durch unmäßigen Alkoholkonsum und Opiate - vorliege. Der AW sei emotional instabil, es bestehe der Verdacht auf Persönlichkeitsakzentuierung; für eine posttraumatische Belastungsstörung würden derzeit keine Kriterien nach ICD-10 vorliegen; eine akute Suizidalität liege aktuell ebenfalls nicht vor; es seien keine therapeutischen oder medizinischen Maßnahmen anzuraten.
17. Am XXXX wurde der AW neuerlich vor dem BFA im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari und eines Rechtsberaters niederschriftlich zu seinem Folgeantrag auf internationalen Schutz einvernommen. Befragt nach seinem Gesundheitszustand gab der AW nunmehr an, sich gut zu fühlen; er nehme weder Medikamente noch stehe er in ärztlicher Behandlung. Zu den Gründen für seinen Folgeantrag befragt führte der AW zusammengefasst im Wesentlichen aus, dass seine beiden Brüder am 20.08.2018 von unbekannten, bewaffneten Personen getötet worden seien. Außerdem leide er an Depressionen und verletze sich selbst; zudem habe er Tätowierungen auf der rechten Hand, was in Afghanistan verboten sei. Würde er von einem Taliban erwischt werden, würde er schon wegen seiner Tätowierungen umgebracht werden. Seine Familie werde ihn auch nicht akzeptieren, sein Vater sei ein sehr gläubiger Mensch und würde ihn den Behörden übergeben.
Im Anschluss an diese Einvernahme hob das BFA den faktischen Abschiebeschutz des AW gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 mit mündlich verkündetem Bescheid vom XXXX auf. Dies wurde im Protokoll der niederschriftlichen Einvernahme vom XXXX dokumentiert.
Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass sich aus dem Vorbringen des AW kein neuer, entscheidungswesentlicher Sachverhalt ergebe. Die nunmehr vorgebrachten Gründe gegen eine Rückkehr in den Herkunftsstaat würden keinen geänderten, entscheidungsrelevanten Sachverhalt begründen, dem Asylrelevanz zukomme. Der nunmehrige Antrag auf internationalen Schutz sei - im Rahmen einer Prognoseentscheidung - daher voraussichtlich zurückzuweisen. Auch die allgemeine Lage in Afghanistan habe sich nicht entscheidungswesentlich geändert, ebensowenig seine persönlichen Verhältnisse.
Der AW gab nach Verkündung des Bescheides zu Protokoll, gegen diese Entscheidung Beschwerde einbringen zu wollen. Das BFA protokollierte, dass der Verwaltungsakt unverzüglich von Amts wegen dem BVwG zur Überprüfung übermittelt würden, was als Beschwerde zu erachten sei.
18. Am 12.04.2019 langte der gegenständliche Verwaltungsakt bei der zuständigen Gerichtsabteilung des BVwG ein, worüber das BFA noch am selben Tag verständigt wurde.
19. Mit Schreiben vom 11.04.2019 erfolgte eine Stellungnahme des AW, vertreten durch den ausgewiesenen Rechtsvertreter, welche unter Verweis auf das Gutachten vom 18.03.2019 eine krankheitswerte psychische Störung des AW vorbringt und zudem eine asylrelevante Verfolgung des AW aufgrund seiner Tätowierung behauptet. Hierzu verweist die Stellungnahme auf eine ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan vom 08.02.2017 [a-10011-1): Lage von Personen mit Tätowierungen (insbesondere christlichen Symbolen); Lage von Personen, die einen westlichen Lebensstil führen bzw. westliche Lokale oder Geschäfte betreiben.
20. Mit Meldung vom 12.04.2019 wurde das BVwG über eine Festnahme des AW am 11.04.2019 wegen des Verdachts der Hehlerei informiert.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den vorgelegten Verwaltungsakt des BFA und den hg. Gerichtsakt, GZ W263 2149691-1, betreffend den AW.
1. Feststellungen:
Der AW ist Staatsbürger von Afghanistan. Er ist volljährig. Seine Identität steht nicht fest.
Der AW ist Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Dari. Er ist ledig und kinderlos.
Der AW stellte nach illegaler und schlepperunterstützter Einreise in das österreichische Bundesgebiet erstmals am 02.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er begründete diesen mit einer Verfolgung durch die Taliban aufgrund seiner behaupteten Tätigkeit für die afghanische Nationalarmee.
Dieser Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 10.04.2018, Zl. W263 2149691-1/39E, dem AW wirksam zugestellt am 13.04.2018, abgewiesen und mit einer Rückkehrentscheidung betreffend den Herkunftsstaat Afghanistan verbunden. Das Fluchtvorbringen des AW wurde für nicht glaubhaft erachtet. Diese Entscheidung ist rechtskräftig und durchsetzbar.
Nach negativ abgeschlossenem Erstverfahren reiste der AW zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt im Mai 2018 nach Frankreich aus, wo er sich bis 16.10.2018 durchgehend aufgehalten hat und einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz unter anderem Namen stellte. In seinen Herkunftsstaat kehrte der AW seit Abschluss des Erstverfahrens nicht zurück.
Nach Rückholung in das österreichische Bundesgebiet am 16.10.2018 stellte der AW noch am selben Tag einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag). Diesen begründete er in seiner Erstbefragung mit seinen psychischen Problemen. Er mache sich sehr viele Sorgen und verletze sich selbst. In Afghanistan seien zwei seiner Brüder getötet worden, darunter leide er sehr. Vor dem BFA führte er als weiteren Grund für seinen Folgeantrag an, dass er seit rund einem halben Jahr eine Tätowierung am rechten Arm habe, weswegen ihm Verfolgung sowohl durch die Taliban als auch durch seine eigene Familie drohe.
Der AW hat in Österreich - abgesehen von einem Onkel mütterlicherseits, den er gelegentlich besucht - keine Familienangehörigen oder Verwandten. Er hat in Österreich nach eigenen Angaben eine polnische Staatsbürgerin als Freundin, mit der er nach eigenen Angaben bis zu seiner Ausreise nach Frankreich zusammengelebt hat. Eine Lebensgemeinschaft des AW mit seiner ins Treffen geführten Freundin, die aktuell in Graz lebt, besteht nicht. Der AW ist in der Betreuungsstelle Traiskirchen untergebracht. Der AW brachte bereits im Erstverfahren im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 19.10.2017 vor, in Österreich eine Freundin zu haben, mit der er zusammenlebe. Im Erkenntnis des BVwG vom 10.04.2018 wurde diesbezüglich ausgeführt, dass eine Lebensgemeinschaft nicht festgestellt werden konnte. Der AW bezieht keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung; er ist nicht erwerbstätig.
Der AW ist strafrechtlich bescholten:
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX zu 016 HV 2/2017t vom 11.05.2017 wurde der AW wegen § 125 StGB rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von zwei Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX zu 181 HV 20/2017b vom 16.05.2017 wurde der AW wegen §§ 15 iVm 269 Abs. 1 erster Fall StGB, §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB und §§ 125, 126 Abs. 1 Z. 7 StGB rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX zu 221 HV 17/2017f vom 21.06.2017 wurde der AW wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall, 27 Abs. 2 SMG und § 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall SMG und § 27 Abs. 2a zweiter Fall SMG rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.
Am 11.04.2019 wurde der AW wegen des Verdachts der Hehlerei polizeilich festgenommen.
Der AW hat sich nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens am rechten Arm tätowieren lassen.
Der AW leidet an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung, die einer Rückführung in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen würde. Bereits im Erstverfahren wurde festgestellt, dass er an einer posttraumatischen Belastungsstörung, an einer Tramadol-Abhängigkeit und an selbstverletzendem Verhalten (ohne Suizidabsichten) leidet und in psychotherapeutischer Behandlung steht. Im gegenständlichen Asylverfahren wurde nach Durchführung einer PSY III-Untersuchung am 08.03.2019 in der gutachterlichen Stellungnahme vom 18.03.2019 ausgeführt, dass im Fall des AW eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung - konkret eine Anpassungsstörung, eine psychische Störung und eine Verhaltensstörung mit selbstverletzendem Verhalten durch unmäßigen Alkoholkonsum und Opiate - vorliegt; der AW ist emotional instabil; es besteht der Verdacht auf Persönlichkeitsakzentuierung; für eine posttraumatische Belastungsstörung liegen derzeit keine Kriterien nach ICD-10 vor; auch eine akute Suizidalität liegt derzeit nicht vor.
Die Lage im Herkunftsstaat des AW stellt sich gegenüber den im rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahren getroffenen Feststellungen im Wesentlichen unverändert dar.
2. Beweiswürdigung:
Der im Spruch angeführte Name und das im Spruch wiedergegebene Geburtsdatum des AW dienen ausschließlich für die Identifizierung seiner Person im Asylverfahren. Die Identität des AW konnte mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsnachweise nicht festgestellt werden, zumal der AW seinen Antrag auf internationalen Schutz in Frankreich unter Angabe eines anderen Namens gestellt hat.
Die Feststellungen zum ersten Antrag auf internationalen Schutz, zu dessen Erledigung sowie zum damaligen Vorbringen des AW ergeben sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsverfahrensaktes des BFA und dem hg. Gerichtsakt zum ersten Asylverfahren, GZ W263 2149691-1.
Die Rechtskraft des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.04.2018, GZ W263 2149691-1/39E, mit welchem die Beschwerde gegen die Abweisung des (ersten) Antrags auf internationalen Schutz vom 02.11.2015 in allen Spruchpunkten als unbegründet abgewiesen wurde, ergibt sich daraus, dass diese Entscheidung dem AW am 13.04.2018 nachweislich zugestellt wurde. Das Protokoll über die erfolgte Zustellung liegt im Akt W263 2149691-1 auf.
Die Feststellungen zur Ausreise des AW nach Frankreich, zu seinem Aufenthalt in Frankreich von Mai 2018 bis 16.10.2018, zu seiner dortigen Asylantragstellung (unter anderem Namen) und seiner Rücküberstellung in das österreichische Bundesgebiet am 16.10.2018 ergeben sich allesamt zweifelsfrei aus dem vorgelegten Verwaltungsverfahrensakt des BFA.
Anhaltspunkte dafür, dass der AW seit rechtskräftigem Abschluss seines Erstverfahrens in seinen Herkunftsstaat zurückgekehrt ist, ergaben sich hingegen keine. In seiner Einvernahme vor dem BFA am 24.10.2018 erklärte der AW explizit, nicht in seinem Heimatland gewesen zu sein. Er sei nach Frankreich gereist, um einer drohenden Abschiebung zu entgehen. Auch in seiner Erstbefragung am 16.10.2018 gab er auf die Frage, in welchen Ländern er sich seither aufgehalten habe, ausschließlich seinen Aufenthalt in Frankreich an.
Die Feststellungen zum zweiten Antrag auf internationalen Schutz und dem hierzu erstatteten Vorbringen des AW ergeben sich zweifelsfrei aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsverfahrensakts des BFA.
Dass der AW am rechten Arm tätowiert ist, wurde im verwaltungsbehördlichen Akt des BFA festgehalten. Im Zuge seiner Einvernahme am XXXX erklärte er, die Tätowierung seit zirka einem halben Jahr zu haben. Aus dieser Angabe ergibt sich, dass der Zeitpunkt der Tätowierung nach dem Abschluss des Erstverfahrens am 13.04.2018 liegt, zumal sich in den Akten des Erstverfahrens keine Hinweise auf eine Tätowierung des AW finden.
Die Feststellungen zum Privat- und Familienleben des AW in Österreich gründen ebenfalls auf dessen Angaben in Zusammenschau mit der eigeholten Abfrage aus der Speicherdatenbank des Grundversorgungssystems GVS. Dass der AW in Österreich einen Onkel mütterlicherseits hat, den er gelegentlich besucht, wurde bereits im Erkenntnis des BVwG vom 10.04.2018, GZ W263 2149691-1/39E, festgestellt. Anhaltspunkte für weitere Verwandte oder Familienangehörige im österreichischen Bundesgebiet ergaben sich im Erstverfahren nicht. Dass sich daran seit Abschluss des Erstverfahrens etwas geändert hätte, wurde weder behauptet noch gibt es hierfür Hinweise.
Anhaltspunkte dafür, dass in Österreich aktuell eine Lebensgemeinschaft des AW mit einer in Österreich aufhältigen Person besteht, sind im Verfahren ebenfalls nicht hervorgekommen. Der AW brachte bereits im Erstverfahren vor, in Österreich eine Freundin zu haben, mit der er zusammenlebe. Im Erkenntnis des BVwG vom 10.04.2018 wurde diesbezüglich jedoch ausgeführt, dass eine Lebensgemeinschaft nicht festgestellt werden konnte. Der AW hat auch gemäß seinen Angaben im Folgeverfahren in Österreich eine Freundin und gab hierzu an, mit dieser bis zu seiner Ausreise nach Frankreich zusammengelebt zu haben; nunmehr lebe diese in Graz. Aus diesem Vorbringen resultiert jedoch, dass spätestens seit seiner Rücküberstellung nach Österreich keine Hausgemeinschaft mehr mit seiner Freundin und somit jedenfalls keine Lebensgemeinschaft besteht.
Die strafrechtliche Bescholtenheit des AW ergibt sich aus der eingeholten Strafregisterauskunft und den im Verwaltungsverfahrensakt einliegenden (gekürzten) Urteilsausfertigungen des Straflandesgerichts.
Die Feststellung zur polizeilichen Festnahme des AW am 11.04.2019 wegen des Verdachts der Hehlerei gründet auf der diesbezüglichen polizeilichen Mitteilung vom 12.04.2019, die ebenfalls im Akt einliegt.
Dass der AW schon vor Abschluss des Erstverfahrens an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer Tramadol-Abhängigkeit und an selbstverletzendem Verhalten (ohne Suizidabsichten) gelitten hat, ist insbesondere dem im verwaltungsbehördlichen Erstverfahren vorgelegten psychiatrischen Befund vom 01.02.2017 zu entnehmen und wurde bereits dem rechtskräftigen Erkenntnis des BVwG vom 10.04.2018, GZ W263 2149691-1/39E, zu Grunde gelegt. Die Feststellungen zum aktuellen Gesundheitszustand des AW gründen auf dem im Folgeverfahren von der belangten Behörde eingeholten psychologischen Gutachten vom 18.03.2019, das als hinreichend aktuell anzusehen ist und auf das auch der selbst AW in seiner Stellungnahme vom 11.04.2019 verweist. Zudem gab der AW in seiner letzten Einvernahme vor dem BFA am XXXX selbst zu Protokoll, sich gut zu fühlen, weder Medikamente zu nehmen, noch in ärztlicher Behandlung zu stehen. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung des AW, die seiner Rückführung nach Afghanistan entgegenstehen könnte, sind nicht hervorgekommen.
Dass die allgemeine Situation in Afghanistan seit rechtskräftigem Abschluss des Vorverfahrens (13.04.2018) im Wesentlichen unverändert geblieben ist und sich die maßgebliche Lage in Afghanistan für den AW nicht geändert hat, ergibt sich aus den in den Bescheiden des BFA sowie im Erkenntnis des BVwG enthaltenen Feststellungen zu Afghanistan. Das Erkenntnis des BVwG, mit welchem die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 13.02.2017 abgewiesen und die Rechtmäßigkeit der Rückkehrentscheidung bestätigt wurde, datiert mit 10.04.2018. Der Bescheid über die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes wurde am XXXX - sohin ein Jahr nach rechtskräftiger Beendigung des ersten Asylverfahrens - erlassen. Die letzten Anschläge in Afghanistan veranlassten eine Aktualisierung der Berichte dahingehend, ergeben jedoch keine wesentliche Lageänderung, zumal die Sicherheitslage in Afghanistan regional von Provinz zu Provinz und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt unterschiedlich ist jedenfalls Teile Afghanistans (darunter insbesondere die Regionen Herat-Stadt und Mazar-e Sharif) nach wie vor als hinreichend sicher und stabil eingestuft werden können.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts und zum anwendbaren Recht:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss.
Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 10.10.2018 zu G 186/2018 ua. wurden verwaltungsgerichtliche Normanfechtungsanträge zur Überprüfung von ua. § 22 Abs. 10 dritter, vierter und fünfter Satz AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 68/2013, sowie gegen § 22 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 68/2013 abgewiesen, im Übrigen wurden die Anträge zurückgewiesen.
3.2. Zu A) Bestätigung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes:
3.2.1. Maßgebliche Rechtsgrundlagen:
§ 12a AsylG 2005 lautet auszugsweise:
"Faktischer Abschiebeschutz bei Folgeanträgen
§ 12a. (1) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG gestellt, kommt ihm ein faktischer Abschiebeschutz nicht zu, wenn
1. gegen ihn eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG erlassen wurde,
2. kein Fall des § 19 Abs. 2 BFA-VG vorliegt und
3. im Fall des § 5 eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt und sich seit der Entscheidung gemäß § 5 die Umstände im zuständigen anderen Staat im Hinblick auf Art. 3 EMRK nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit maßgeblich verschlechtert haben, und
4. eine Abschiebung unter Berücksichtigung des Art. 8 EMRK (§ 9 Abs. 1bis 2 BFA-VG) weiterhin zulässig ist.
(2) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gestellt und liegt kein Fall des Abs. 1 vor, kann das Bundesamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn
1. gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG besteht,
2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und
3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
...
(6) Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 FPG bleiben 18 Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht, es sei denn es wurde ein darüber hinausgehender Zeitraum gemäß § 53 Abs. 2 und 3 FPG festgesetzt. Anordnungen zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG und Ausweisungen gemäß § 66 FPG bleiben 18 Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht. Dies gilt nicht für Aufenthaltsverbote gemäß § 67 FPG, die über einen darüber hinausgehenden Zeitraum festgesetzt werden."
§ 22 Abs. 10 AsylG 2005 lautet:
"Entscheidungen des Bundesamtes über die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 ergehen mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung gemäß § 62 Abs. 2 AVG gilt auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG. Die Verwaltungsakten sind dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht; dies ist in der Rechtsmittelbelehrung anzugeben. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss zu entscheiden."
§ 22 BFA-VG lautet:
"§ 22. (1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2 AsylG 2005), ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 20 gilt sinngemäß. § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.
(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakte bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.
(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden."
3.2.2. Daraus folgt für das gegenständliche Verfahren:
Das Verfahren über den ersten Antrag des AW auf internationalen Schutz vom 02.11.2015 wurde mit Bescheid des BFA vom 13.02.2017 und Abweisung der dagegen erhobenen Beschwerde durch das BVwG am 10.04.2018 im Zeitpunkt der wirksamen Zustellung der Entscheidung des BVwG am 13.04.2018 rechtskräftig abgeschlossen. Beim Antrag des AW auf internationalen Schutz vom 16.10.2018 handelt es sich somit um einen Folgeantrag iSd § 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005.
Der Bescheid vom 13.02.2017 ist mit abweisendem Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.04.2018 in Rechtskraft erwachsen. Es liegt somit kein Fall des § 12a Abs. 1 AsylG 2005 vor.
Die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG des BFA vom 13.02.2017 wurde somit mit Erlassung (Zustellung) des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts am 13.04.2018 ebenfalls am 13.04.2018 rechtskräftig.
Der AW hat das Bundesgebiet nach der Abweisung seines ersten Schutzbegehrens und nach Rechtskraft der erlassenen Rückkehrentscheidung nach Frankreich im Mai 2018 verlassen und wurde am 16.10.2018 gemäß der Dublin-Verordnung in das österreichische Bundesgebiet rücküberstellt. In sein Herkunftsland ist der AW seit Abschluss des Erstverfahrens nicht zurückgekehrt.
Gemäß § 12a Abs. 6 AsylG 2005 bleiben Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 FPG 18 Monate ab Ausreise des Fremden aufrecht. Zudem ist festzuhalten, dass die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungs-RL), welche national durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, BGBl. Nr. 38 (FrÄG 2011) umgesetzt wurde, grundsätzlich in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gilt und das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten (außer Irland und das Vereinigte Königreich Großbritanniens). Der AW hat dieses Hoheitsgebiet seit seiner erstmaligen Einreise ins Bundesgebiet nicht verlassen.
In Ansehung dessen ist die Voraussetzung des § 12a Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 (aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG) jedenfalls erfüllt. Die Zulässigkeit der Abschiebung ist daher trotz der (vorübergehenden) Ausreise des AW aus dem österreichischen Bundesgebiet weiterhin aufrecht.
Eine Prognoseentscheidung ergibt, dass der zweite Antrag des AW auf internationalen Schutz vom 16.10.2018 voraussichtlich zurückzuweisen sein wird, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist: Eine entscheidungswesentliche Sachverhaltsänderung wurde weder substantiiert behauptet noch ergibt sich eine solche aus der Aktenlage. Der AW gab in seiner niederschriftlichen Einvernahme im Folgeverfahren ausdrücklich an, keine neuen Fluchtgründe zu haben; seine Fluchtgründe aus dem Erstverfahren seien noch aufrecht; die im zweiten Verfahren vorgebrachten Schwierigkeiten habe er schon damals gehabt.
Der AW brachte im Rahmen seines Folgeantrags im Wesentlichen vor, er könne und wolle nicht nach Afghanistan zurück, da er an Depressionen leide und sich selbst verletze, wenn er Stress habe. Zudem seien im August 2018 seine beiden Brüder von unbekannten, bewaffneten Personen getötet worden, worunter er auch sehr leide. Die psychische Erkrankung des AW war bereits Gegenstand des Erstverfahrens und wurde schon diesem zugrunde gelegt. Bereits im Erstverfahren wurde festgestellt, dass der AW an einer posttraumatischen Belastungsstörung, an einer Tramadol-Abhängigkeit und an selbstverletzendem Verhalten (ohne Suizidabsichten) leidet und in psychotherapeutischer Behandlung steht. Im zweiten Asylverfahren wurde der AW am 08.03.2019 - sohin zu einem Zeitpunkt nach der angeblichen Tötung seiner Brüder im August 2018 - einer PSY III-Untersuchung zur Feststellung seines aktuellen Gesundheitszustandes unterzogen. Die daraufhin erstattete gutachterliche Stellungnahme vom 18.03.2019 hat befundet, dass im Fall des AW eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung - konkret eine Anpassungsstörung, eine psychische Störung und eine Verhaltensstörung mit selbstverletzendem Verhalten durch unmäßigen Alkoholkonsum und Opiate - vorliegt. Weiter ergibt sich aus dem Gutachten, dass der AW emotional instabil ist und ein Verdacht auf Persönlichkeitsakzentuierung besteht. Zugleich wird jedoch festgehalten, dass für eine posttraumatische Belastungsstörung derzeit keine Kriterien nach ICD-10 vorliegen und auch eine akute Suizidalität des AW derzeit nicht vorliegt. Eine entscheidungswesentliche Änderung hat sich somit im Vergleich zum Erstverfahren nicht ergeben. Zudem gab der AW in seiner letzten Einvernahme vor dem BFA am XXXX selbst zu Protokoll, sich gut zu fühlen, weder Medikamente zu nehmen, noch in ärztlicher Behandlung zu stehen.
Auch ist die ins Treffen geführte psychische Erkrankung mit Blick auf die ständige Rechtsprechung des EGMR, wonach im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinische Unterstützung in Anspruch zu nehmen (vgl. EGMR 13.12.2016, 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 189 ff), im Sinne einer Prognoseentscheidung nicht geeignet, eine anderslautende Entscheidung herbeizuführen.
Zudem wurde weder behauptet noch dargelegt, dass sich der Gesundheitszustand des AW in seinem Herkunftsstaat verschlechtern würde. Wie den sowohl im Erstverfahren als auch im Folgeverfahren getroffenen Länderfeststellungen zu entnehmen ist, sind Behandlungsmöglichkeiten auch im Herkunftsstaat des AW grundsätzlich verfügbar und zugänglich. Dass eine Behandlung im Herkunftsstaat unter Umständen nicht den gleichen Standard wie in Österreich aufweist oder allenfalls kostenintensiver ist, ist in diesem Zusammenhang nicht relevant (vgl. EGMR 13.12.2016, 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 189 ff).
Im Ergebnis ist daher mit der belangten Behörde auszuführen, dass im Hinblick auf den aktuellen psychischen Gesundheitszustand des AW keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist.
Auch kann dem Vorbringen des AW, wonach seine Brüder kürzlich getötet worden seien, - unabhängig von der für den AW daraus resultierenden psychischen Belastung - für sich alleine keine entscheidungswesentliche Sachverhaltsänderung entnommen werden. In seiner Einvernahme vom XXXX brachte der AW diesbezüglich lediglich vor, dass seine Brüder am 20.08.2018 von unbekannten, bewaffneten Personen getötet worden seien. Es seien ihnen Geld und Handys gestohlen worden. Der AW erklärte über Rückfrage, dies von seiner Mutter und Schwester am Telefon erfahren zu haben, an den Zeitpunkt könne er sich aufgrund seiner Gedächtnisprobleme nicht erinnern, er glaube aber, dass es eine Woche nach der Tötung seiner Brüder gewesen sei. Dieses Vorbringen ist zum einen äußerst vage und steht zum anderen in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der vom AW selbst behaupteten asylrelevanten Verfolgung seiner Person.
Im Zuge seiner neuerlichen Einvernahme vor dem BFA am XXXX führte der AW als weiteren Grund für seinen Folgeantrag auf internationalen Schutz erstmals seine Tätowierung auf seinem rechten Arm ins Treffen, welche er seit zirka einem halben Jahr habe. Er gab diesbezüglich an, dass Tätowierungen in Afghanistan verboten seien, weshalb er in seinem Herkunftsstaat verhaftet und schikaniert werden würde. Er befürchte aufgrund seiner Tätowierung, sowohl eine Verfolgung durch die Taliban als auch durch seine eigene, strenggläubige Familie. Auch dieses Vorbringen erscheint - nach einer Grobprüfung - nicht geeignet, eine entscheidungswesentliche Änderung im Sachverhalt herbeizuführen, zumal sich dieses Vorbringen nicht mit den im Verfahren herangezogenen Länderberichten in Einklang bringen lässt. Die vom AW im Rahmen seiner Stellungnahem vom 11.04.2019 selbst zitierte ACCORD-Anfragebeantwortung zu Tätowierungen in Afghanistan verweist zwar darauf, dass Tätowierungen als etwas nach islamischen Recht Verbotenes angesehen werde und vor allem Mullahs Tätowierungen extrem kritisch gegenüberstehen würden. Eine gezielte, systematische Verfolgung und drohende Lebensgefahr von Personen mit Tätowierungen in Afghanistan geht aber daraus nicht hervor.
Soweit der AW in seiner (ersten) Einvernahme im Folgeverfahren am 24.10.2018 letztlich vorbringt, im Falle einer Rückkehr in sein Herkunftsland aufgrund seines Aufenthalts im Westen bzw. in Europa, einer Verfolgung als "Ungläubiger" ausgesetzt zu sein, da dies in Afghanistan als "ungläubiges Land", das von "Ungläubigen regiert" werde, angesehen werde, ist auch damit keine entscheidungswesentliche Sachverhaltsänderung dargetan worden. Zum einen traf dieser Umstand bereits im rechtskräftig abgeschlossenen Erstverfahren auf den AW zu, denn auch hier wäre seiner Rückkehr nach Afghanistan ein mehrjähriger Aufenthalt in Europa vorausgegangen, sodass es sich bei dieser geltend gemachten Rückkehrbefürchtung nicht um einen Sachverhalt handelt, der erst nach Beendigung des Verfahrens über den ersten Antrag auf internationalen Schutz am 13.04.2018 verwirklicht wurde. Zum anderen ist aus den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten nicht ersichtlich, dass bei Männern alleine eine westliche Geisteshaltung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung asylrelevanter Intensität auslösen würde und ist auch eine von individuellen Aspekten unabhängige "Gruppenverfolgung" von Rückkehrern aus Europa nicht zu bejahen.
Dem Vorbringen des AW ist somit - nach einer Grobprüfung und im Sinne einer Prognoseentscheidung - insgesamt keine entscheidungswesentliche Änderung des Sacherhalts zu entnehmen. Eine Sachentscheidung über den Folgeantrag selbst ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
Mit der belangten Behörde ist festzuhalten, dass sich beim AW zusammengefasst - nicht zuletzt vor dem Hintergrund seiner Ausreise aus dem Bundegebiet, um einer Abschiebung in seinen Herkunftsstaat zu entgehen, und dem in Frankreich unter Verwendung einer anderen Identität gestellten neuerlichen Asylantrag - im zweiten Asylverfahren das Bild ergibt, dass dieser schlicht nicht gewillt ist, Österreich zu verlassen und nach Afghanistan zurückzukehren.
Zudem ergibt sich aus den von der belangten Behörde ins Folgeverfahren eingebrachten Länderberichten, dass auch im Hinblick auf die allgemeine Situation im Herkunftsstaat des AW keine maßgebliche Änderung der Lage im Vergleich zum vorangegangenen Bescheid vom 13.02.2017 bzw. dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.04.2018 eingetreten ist.
Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise - für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status - auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem AsylG 2005 aus: Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH 29.06.2011, U1533/10; VwGH 19.2.2009, 2008/01/0344 mwN). Auch diesbezüglich wurden keine entscheidungswesentlichen Sachverhaltsänderungen vorgebracht.
Im vorliegenden Fall gibt es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Abschiebung des AW nach Afghanistan eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur EMRK darstellen würde. Bereits im ersten Verfahrensgang wurde festgehalten, dass der AW bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keiner realen Gefahr einer Verletzung der Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht (§ 50 FPG). Auch im Folgeverfahren sind keine Risiken für den AW im Sinne von § 12a Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 hervorgekommen oder substantiiert behauptet worden.
Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063). Das Vorliegen solch exzeptioneller Umstände ist vor dem Hintergrund der Feststellungen jedenfalls zu verneinen.
Darüber hinaus ist auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte zu verweisen, wonach es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 05.10.2016, Ra 2016/19/0158, mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden, Appl. 61.204/09 mwH).
Es sind auch - unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes des AW im Folgeverfahren - keine erheblichen in der Person des AW liegenden neuen Sachverhaltselemente bekannt geworden, die eine umfassende Refoulementprüfung für notwendig erscheinen lassen würden.
Ebenso wenig sind Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass bezogen auf den AW ein "reales Risiko" einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK erschlossenen Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht. Der AW hat auch solche Umstände weder in der Erstbefragung noch in der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgebracht.
Im Hinblick auf Art. 8 EMRK hat der AW bereits im ersten Asylverfahren angegeben, in Österreich - abgesehen von einem Onkel, den er gelegentlich besucht - keine Familienangehörigen zu haben. Gegenteiliges wurde auch im gegenständlichen Verfahren nicht behauptet. Zu der vom AW ins Treffen geführten Beziehung mit seiner Freundin ist festzuhalten, dass auch diese bereits Gegenstand des Erstverfahrens war, wobei hier das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft verneint wurde. Auch im Folgeverfahren haben sich hierfür keine Anhaltspunkte ergeben, gab der AW doch selbst an, lediglich bis zu seiner Ausreise nach Frankreich im Mai 2018 mit seiner Freundin zusammengelebt zu haben.
Eine besondere Aufenthaltsverfestigung des AW im Bundegebiet kann angesichts der vergleichsweise kurzen Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet (Einreise im November 2015), der seit rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens unrechtmäßig ist und durch die Ausreise des AW nach Frankreich unterbrochen wurde, nicht angenommen werden. In Anbetracht der mehrfachen strafgerichtlichen Verurteilungen des AW in Österreich kann von einer lediglich aufgrund der Aufenthaltsdauer begründeten besonderen sozialen Verfestigung keinesfalls gesprochen werden, wird die für die Integration eines Fremden wesentliche soziale Komponente doch erheblich durch die vom Fremden begangene Straftaten beeinträchtigt (vgl. VwGH 19.11.2003, 2002/21/0181). Es kann daher auch keine Verletzung seines Rechts auf Privat- oder Familienleben durch eine Abschiebung festgestellt werden.
Entsprechend den obigen Ausführungen stellt - nach einer Grobprüfung des Aktes - die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des AW in seinen Herkunftsstaat für ihn somit keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK dar bzw. ist ein Eingriff in allfällig bestehende Rechte nach Art. 8 EMRK gerechtfertigt. Es besteht für ihn als Zivilperson auch keine ernsthafte Bedrohung seines Lebens und seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.
Da somit alle Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 AsylG 2005 erfüllt sind, ist spruchgemäß festzustellen, dass die mit mündlich verkündetem Bescheid vom XXXX ausgesprochene Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes rechtmäßig war.
Gemäß § 22 Abs. 1 BFA-VG war ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden.
Soweit das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Protokoll der niederschriftlichen Einvernahme vom XXXX schriftlich festgehalten hat, dass der AW gegen den mündlich verkündeten Bescheid vom XXXX Beschwerde erheben wolle, ist der Vollständigkeit halber auszuführen, dass bereits die Vorlage der Akten gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gilt und eine gesonderte Beschwerde aus Eigenem gegen den Bescheid, mit dem der faktische Abschiebeschutz aberkannt wurde, nicht zulässig ist (vgl. RV 330 BlgNR 24. GP 21; vgl. dazu VfSlg. 19.215/2017).
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
aufrechte Rückkehrentscheidung, faktischer Abschiebeschutz -European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W107.2149691.2.00Zuletzt aktualisiert am
04.07.2019