TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/3 W253 2134225-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.05.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

03.05.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W253 2134225-1/29E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Jörg C. BINDER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Dr. Gerhard MORY, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.05.2017 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und stellte am 26.11.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Zuge seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 27.11.2014 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er sei am XXXX in der Provinz XXXX geboren, gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an und habe fünf Jahre die Grundschule besucht. Der Beschwerdeführer sei traditionell verheiratet und habe zwei Brüder. Seine Flucht begründete der Beschwerdeführer damit, dass die Taliban von ihm verlangt hätten, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Dieser Aufforderung sei der Beschwerdeführer nicht nachgekommen, weshalb er ungefähr vor einem Monat illegal aus Afghanistan ausgereist sei.

3. In seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 09.05.2016 führte der Beschwerdeführer zusammenfassend ergänzend aus, er sei sunnitischen Bekenntnisses und habe regelmäßig Kontakt zu seiner Familie, welche sich derzeit in der Stadt XXXX befinde. Der Vater des Beschwerdeführers habe als Verkäufer gearbeitet, wodurch er den Lebensunterhalt der Familie bestreiten habe können.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte der Beschwerdeführer aus, in seinem Heimatdorf XXXX würden die Taliban herrschen; diese hätten den Beschwerdeführer und seinen Cousin mitnehmen wollen. Nach drei Tagen hätten die Taliban das Haus der Familie angegriffen und den Cousin des Beschwerdeführers mitgenommen, woraufhin der Beschwerdeführer mit seinen Eltern in die Stadt XXXX geflüchtet sei. Vier Tage nach dem Vorfall hätten sie erfahren, dass der Cousin von den Taliban umgebracht worden wäre. Der Vater des Beschwerdeführers habe anschließend die Ausreise aus Afghanistan organisiert. Näher zu den Taliban befragt, gab der Beschwerdeführer an, er kenne diese Leute nicht und könne keine Namen nennen. Sie seien zu seinem Onkel gekommen, zumal er der Familienälteste sei. Der Beschwerdeführer sei nicht persönlich bedroht worden, jedoch hätten die Taliban ihn mitnehmen und ihn einer Kampfausbildung unterziehen wollen.

4. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ihm wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Der Begründung des im Spruch bezeichneten Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass sich der Beschwerdeführer in Bezug auf die versuchte Rekrutierung durch die Taliban in mehrere Widersprüche verstrickt habe. Individuelle Umstände, die dafürsprechen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan in eine derart extreme Notlage gelangen würde, die eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen würde, würden nicht vorliegen. In der Hauptstadt Afghanistans, Kabul, besitze der Beschwerdeführer eine innerstaatliche Lebens- und Wohnalternative. Weiters seien keine erheblichen Gründe hervorgetreten, welche auf eine besondere Bindung zu Österreich hinweisen würden.

Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die ARG Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

5. Mit Schreiben vom 26.07.2016 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen den gegenständlichen Bescheid, in welcher er seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Bestimmung des § 16 Abs. 1 BFA-VG ins Treffen führte und anregte, die Aufhebung dieser präjudiziellen Norm beim Verfassungsgerichtshof zu beantragen. Der Beschwerdeführer monierte, die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen seien unvollständig und würden sich nicht mit seinem konkreten Fluchtvorbringen auseinandersetzen. Es seien wesentliche Ermittlungen hinsichtlich Zwangsrekrutierungen unterlassen worden. Zudem seien die Länderberichte der belangten Behörde über die Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des afghanischen Staates unvollständig. Der Beschwerdeführer zitierte in diesem Zusammenhang diverse Länderberichte. Insgesamt habe das Bundesamt nach mangelhaftem Ermittlungsverfahren und Verletzung des Grundsatzes des Parteiengehörs das Verfahren mit einer mangelhaften Beweiswürdigung und Begründung belastet. In Bezug auf die Ausführungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, wonach der Beschwerdeführer einmal den Begriff "unser Haus" benutzt und ansonsten die Bedrohung und Entführung im Haus des Onkels geschildert hätte, hält der Beschwerdeführer weiters fest, dass er mit dem Begriff "unser Haus" ein Haus seiner Familie gemeint habe.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe dem Beschwerdeführer nicht offen, zumal die Taliban in ganz Afghanistan aktiv seien. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der kampffähigen Männer und aufgrund seiner unterstellten politischen Einstellung von den Taliban verfolgt werde, lasse für ihn die Definition des Flüchtlings im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zutreffen, weil sich die Verfolgungshandlungen und asylrelevanten Diskriminierungen unter Art. 10 Abs. 1 lit. a und d der Statusrichtlinie subsumieren ließen. Eine Rückkehr zu seinen Verwandten komme aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage nicht in Betracht. Letztlich sei dem Beschwerdeführer zumindest ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG zu gewähren. Dem Beschwerdeschriftsatz fügte der Beschwerdeführer abschließend diverse Integrationsbestätigungen bei.

6. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 06.09.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Mit Stellungnahme vom 05.09.2016 führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, als low-profile-Fall sei der Beschwerdeführer in Kabul keiner erhöhten Gefährdung ausgesetzt. Weiters sei es nur schwer vorstellbar, dass die mit dem Beschwerdeführer in Kontakt getretenen Taliban wie aus dem Nichts von der Ferne aufgetaucht und wieder in der Ferne verschwunden seien. Naheliegend sei, dass die Taliban aus dem Dorf oder der näheren Umgebung stammten; somit hätte der Beschwerdeführer die Taliban identifizieren können. Ferner hielt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest, es sei unverständlich, auf welchen Argumenten die "politische Einstellung" des Beschwerdeführers beruhe, sei sein bisheriges Leben bisher unpolitisch verlaufen. Abschließend hielt die belangte Behörde fest, der Besuch eines Deutschkurses oder eine Berufsausbildung allein würde noch kein schützenswertes Privatleben begründen.

7. Am 11.01.2018 wurde die Vollmacht von Rechtsanwalt Dr. Gerhard MORY bekanntgegeben und die Beschwerde wie folgt ergänzt: Die Heimatprovinz des Beschwerdeführers, XXXX , sei besonders stark von den Aktivitäten aufständischer Gruppen geprägt und überschattet. Junge, wehrfähige Männer und heranwachsende Jugendliche befänden sich in diesem Gebiet in besonderer Weise im Verfolgungsfokus der Aufständischen. Die relevanten, individuellen Verfolgungsvorfälle und Bedrohungsereignisse hätten im Zeitraum vom ungefähr 15. bis 20.10.2014 stattgefunden. Der Onkel des Beschwerdeführers sei in dem Heimatgebiet ein besonders angesehener Mann. In der Nachbarschaft würden Dorfbewohner leben, die mit den Taliban zusammenarbeiten. Diese hätten offensichtlich den Taliban Informationen über die Betroffenen gegeben, sodass die Taliban in das Haus des Onkels gegangen seien. Ebengenanntes Haus sei ungefähr fünfzehn bis zwanzig Minuten Gehstrecke vom Haus der Familie des Beschwerdeführers entfernt. Beim ersten Mal seien die Taliban in das Haus des Onkels gekommen und hätten gefordert, dass der Cousin des Beschwerdeführers und der Beschwerdeführer für die Taliban kämpfen und sich ihnen anschließen. Nach dieser ersten Bedrohung sei der Onkel zu Besuch in das Haus des Beschwerdeführers gekommen und habe vom Vorfall berichtet, wobei er diesen nicht ausreichend ernst genommen habe. Drei oder vier Tage später sei der Onkel erneut zum Beschwerdeführer und dessen Familie gekommen und habe ihnen erzählt, dass die Taliban seinen Sohn mitgenommen hätten. Am nächsten Tag sei der Beschwerdeführer mit seinen Eltern aus dem Dorf in die Stadt geflüchtet.

Entgegen den Ausführungen der belangten Behörde habe der Beschwerdeführer ein persönliches Zusammentreffen mit den Taliban in seinem eigenen Haus nicht geschildert. Hätte die Verwaltungsbehörde ihrer Verpflichtung entsprochen, die Aussage des Beschwerdeführers gesamthaft zu betrachten, zu analysieren und zu würdigen und dabei auf die besonderen Umstände abzustellen, unter denen derartige asylbehördliche Einvernahmen ablaufen, so hätte sie dem Beschwerdeführer wegen der in Rede stehenden, geringfügigen Ungereimtheit oder Unklarheit, im Punkte der Tatsachenfrage: "Hat es nun einen direkten Kontakt zwischen den die Zwangsrekrutierung fordernden / vornehmenden Taliban und dem Beschwerdeführer gegeben?" keinesfalls zur Gänze die Unglaubwürdigkeit absprechen dürfen.

Weiters bestehe für den Beschwerdeführer keinesfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative, zumal er als Taliban-Deserteur einer besonderen Verfolgungsgefährdung ausgesetzt sei. Ob dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe, lasse sich zudem nicht allgemein, abstrakt und generell beurteilen. In Bezug auf die Lage in Kabul verwies der Beschwerdeführer auf die gutachterliche Äußerung des Sachverständigen Dr. Rasuly zur AZ W217 2119069.

8. Mit Schriftsatz vom 26.04.2017 teilte der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers mit, er könne an der mündlichen Beschwerdeverhandlung nicht teilnehmen, und beantragte, ihm nach der mündlichen Verhandlung nochmals schriftliches Parteiengehör einzuräumen.

9. Am 02.05.2017 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner Vertreterin und einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu statt, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Beschwerdeführervertreterin stellte zum Beweis, dass die Taliban durchaus auf die vom Beschwerdeführer geschilderte Art operieren würden, den Antrag auf Einholung eines länderkundlichen Sachverständigengutachtens.

10. Mit Beschluss vom 18.05.2017 wurde Frau M XXXX XXXX D zur Sachverständigen aus dem Fachgebiet Länderkunde (Afghanistan) bestellt und mit der Erstattung eines schriftlichen Gutachtens beauftragt.

11. In der Stellungnahme vom 23.05.2017 führte der Beschwerdeführervertreter im Rahmen des ergänzend eingeräumten Parteiengehörs im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe durchaus schlüssig dargelegt, warum er eingangs der Verhandlung seinen Namen mit XXXX angeführt habe. Weiters wurde die Frage in den Raum gestellt, wie der Beschwerdeführer über die Taliban, deren Kommandostruktur etc. wissen könne, wo doch derartige Organisationen solche Internas nicht nach außen hin preisgeben würden und der Beschwerdeführer nie Mitglied dieser Organisation gewesen sei. Es sei keinesfalls unplausibel und widerspreche nicht der Lebenserfahrung, dass die Taliban die Weigerung des Onkels, seinen Sohn den Taliban zu überlassen, mit der Entführung des Sohnes sowie mit dessen Ermordung sanktioniert hätten. Ferner stelle die Vermutung, die Taliban wären nicht in der Lage, den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers anderswo in Afghanistan in Erfahrung zu bringen, eine reine Hypothese und Fiktion dar. So zeige der Artikel von Friederike Stahlmann, Bedrohungen im sozialen Alltag Afghanistans, Asylmagazin 3/2017, auf, dass es nicht möglich sei, in Afghanistan unter falscher Identität eine neue Existenz aufzubauen. Bei der Prüfung der wirtschaftlichen Bedürfnisse des Beschwerdeführers sei auch zu berücksichtigen, dass ihm das Recht zugestanden werden müsse, mit seiner Ehefrau zusammen zu leben, was auch den paschtunischen Traditionen entspreche. Es wäre daher eine Mindestexistenzsicherung für zwei Personen in Kabul oder einer anderen als Rückkehroption in Betracht gezogenen afghanischen Großstadt erforderlich. Daran anschließend brachte der Beschwerdeführervertreter ausführlich zur Lage in Afghanistan vor, insbesondere verwies er darauf, dass nach Stahlmann die Annahme, dass zumindest alleinstehende, junge und gesunde Männer und kinderlose Paare ihr Überleben aus eigener Kraft sichern können, durch die derzeitige humanitäre Lage inzwischen grundlegend in Frage zu stellen sei. Als aus Europa abgeschobener "verwestlichter", unter dem Verdacht des Glaubensabfalls stehender Rückkehrer wäre der Beschwerdeführer von Bedrohungen durch "Gewalt im sozialen Umfeld" in besonderer Weise betroffen. Abschließend führte der Beschwerdeführervertreterin Einwendungen zum Gutachten von Mag. Karl Mahringer ins Treffen.

Der Beschwerdeführervertreter stellte den Antrag, ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer ergänzenden Stellungnahme zum eingeholten Gutachten einzuräumen.

12. Am 21.01.2019 wurde dem erkennenden Gericht mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer mit XXXX aus der Grundversorgung des Landes XXXX aufgrund einer saisonellen Beschäftigung im Bundesland XXXX entlassen worden sei.

13. Mit Eingabe vom 22.02.2019 wurden diverse Integrationsbestätigungen in Vorlage gebracht.

14. Am 19.02.2019 übermittelte die Sachverständige M XXXX XXXX D das in Auftrag gegebene Gutachten, in welchem zusammenfassend ausgeführt wurde, die Angaben des Beschwerdeführers hätten insofern bestätigt werden können, als dass er tatsächlich aus dem Dorf XXXX , Distrikt

XXXX , Provinz XXXX stamme. Die Vorortrecherche habe ergeben, dass der Vater des Beschwerdeführers in der Stadt XXXX ein Geschäft geführt und gelegentlich seine Söhne mitgenommen habe. Bewohner des Dorfes hätten weiters bestätigt, dass der Vater und auch der Onkel des Beschwerdeführers bei Ratsversammlungen des Dorfes hinzugezogen worden seien. Die Taliban seien in der gesamten Provinz XXXX präsent und in mehreren Distrikten vorherrschend, weshalb Zwangsrekrutierungen durch die Taliban in dieser Provinz nicht ausgeschlossen werden könnten. Auch Bewohner aus der Heimatregion des Beschwerdeführers hätten von Fällen von Zwangsrekrutierung durch die Taliban erzählt. Die Probleme der Großfamilie mit den Taliban, insbesondere im Zusammenhang mit der Entführung und der anschließenden Tötung des Cousins des Beschwerdeführers durch die Taliban seien den Bewohnern weitgehend bekannt. Der Onkel des Beschwerdeführers lebe mit dessen XXXX und Töchtern nach wie vor im Heimatdorf. Dorfbewohner hätten erzählt, dass die Taliban über hinreichend Einfluss im Dorf verfügen würden und von vielen Bewohnern, darunter auch Dorfälteste freiwillig unterstützt werden würden. Regierungstruppen hätten zu vielen Dörfern in der Provinz

XXXX keinen Zugang. Jugendliche, die der Forderung der Taliban, sich ihnen anzuschließen, nicht Folge leisten würden, würden sich der Verfolgung der Taliban aussetzen. Wenn solch ein Jugendlicher nicht greifbar sei, müsse sich das Familienoberhaupt des jungen Mannes vor den Taliban direkt oder über eine Kontaktperson (zum Beispiel über den Mullah der Dorfmoschee) gegenüber den Taliban verantworten. Es gebe Fälle, in denen das Familienoberhaupt von den Taliban getötet worden sei. Dies trete insbesondere dann auf, wenn die Taliban herausfinden, dass das Familienoberhaupt den Jugendlichen zum Beispiel bei der Flucht unterstützt habe. Der Onkel des Beschwerdeführers sei eine ältere Person, weshalb er von den Taliban nicht dazu aufgefordert werde, für sie Dienste zu erbringen. Mit der Ermordung von dessen Sohn hätten die Taliban die zu erwartende Bedrohung umgesetzt. Die Taliban würden über ein Informationsnetzwerk verfügen.

Bei Paschtunen sei es ferner üblich, dass vor allem männliche Gäste nur in Anwesenheit einer männlichen Person im Haus empfangen und bewirtet werden. Zur Ehe des Beschwerdeführers führte die Sachverständige aus, dass einer der befragten Dorfbewohner angegeben habe, dass der älteste Sohn von XXXX vor vielen Jahren seine Cousine geheiratet hätte.

15. Am 06.03.2019 wurde dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde das Ergebnis der Beweisaufnahme sowie die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 sowie der Landinfo report zu Afghanistan übermittelt und ihnen eine Frist zur allfälligen Stellungnahme von zwei Wochen eingeräumt.

16. In der daraufhin eingelangten Stellungnahme vom 18.03.2019 brachte der Beschwerdeführervertreter im Wesentlichen vor, es könne nicht zweifelhaft sein, dass der Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Heimatprovinz und seines Heimatgebietes von asylrelevanter, hinreichend eingriffsintensiver Verfolgung durch die Taliban bedroht sei und diese Verfolgung auf einer der in der Konvention genannten Gründe - auf politischen oder religiösen Gründen - beruhe. Die Vorstellung, der Beschwerdeführer könne zum Beispiel in Kabul oder Mazar-e Sharif als Fremder untertauchen, ohne dass seine Verfolger davon Kenntnis erlangen würden, sei schlichtweg naiv und realitätsfern. Es sei konkret zu befürchten, dass sich der Beschwerdeführer auf der schwarzen Todesliste der Taliban befinde. Im Falle einer Ansiedlung in einer der Großstädte habe der Beschwerdeführer damit zu rechnen, dass über bestehende soziale Netzwerke diese Ansiedlung früher oder später auch in seiner Herkunftsgemeinde bekannt werde und dort den Taliban verraten werde. Letztlich sei dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative jedenfalls nicht zumutbar, zumal er nicht in der Lage wäre, seine elementarsten Versorgungsbedürfnisse aus eigener Kraft abzudecken. Dabei verwies er erneut auf die Gefährdung des Beschwerdeführers als Rückkehrer aus Europa und zitierte diverse Länderberichte. In Hinblick auf den EASO-Länderbericht von August 2017 wurde ausgeführt, in Afghanistan gebe es schlichtweg keine realistischen sozio-ökonomischen Überlebens-und Existenzmöglichkeiten. In der Stadt Mazar-e Sharif gebe es seit 2013 einen wirtschaftlichen Einbruch; Gelegenheitsarbeiter hätten weniger Jobmöglichkeiten und würden die Löhne stagnieren oder gar sinken. Wer keine Tazkira habe, könne im Bereich einer weiten Bandbreite von "elementaren Rechten" einschließlich Wohnen, Gesundheitsdienste, Bildung, humanitäre Unterstützung, öffentliche Dienstleistungen benachteiligt werden. Weiters verschärfe sich die humanitäre Krise durch die anhaltende Dürre in Afghanistan. Eine Zuflucht in Kabul, Herat, Mazar-e Sharif oder einer anderen Großstadt sei aufgrund des mangelnden Zugangs zu lebensunterhalterwirtschaftender Arbeit und mangelnder, zumutbarer, nicht schwer gesundheitsschädlicher Unterkunft, fehlender medizinischer Notfall- und Grundversorgung, mangelndem sauberen Trinkwasser und ausreichenden Nahrungsmitteln unzumutbar. In weiterer Folge führte der Beschwerdeführervertreter zum Länderinformationsblatt vom 31.01.2019 zusammenfassend aus, die Sicherheitslage in Afghanistan sei extrem volatil und im ganzen Land herrsche ein sehr hohes Maß an willkürlicher Gewalt gegen die Zivilbevölkerung.

Abschließend hielt der Beschwerdeführervertreter fest, beim Beschwerdeführer liege eine gut gelungene Integration in sprachlicher, zivilgesellschaftlicher und privater Hinsicht vor. Der Beschwerdeführer sei vom XXXX .2018 bis XXXX .2019 als Abwäscher tätig gewesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde sowie der Beschwerdeergänzung gegen den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Stellungnahmen, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, des eingeholten Sachverständigengutachtens, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 26.11.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ihm wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 26.07.2016 fristgerecht Beschwerde, woraufhin am 02.05.2017 vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner Vertreterin und einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu stattfand, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen. Mit Beschluss vom 18.05.2017 wurde Frau M XXXX XXXX D zur Sachverständigen aus dem Fachgebiet Länderkunde (Afghanistan) bestellt und mit der Erstattung eines schriftlichen Gutachtens beauftragt. Am 19.02.2019 übermittelte die Sachverständige das in Auftrag gegebene Gutachten, in welchem sie die Angaben des Beschwerdeführers im Wesentlichen bestätigte.

1.2. Zum Beschwerdeführer:

Der volljährige und kinderlose Beschwerdeführer führt den Namen XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger und wurde am XXXX in der Provinz XXXX , im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX geboren. Er gehört der Volksgruppe der Paschtunen an, ist sunnitischer Muslim und seine Muttersprache ist Paschtu. Der Beschwerdeführer ist mit seiner Cousine väterlicherseits ungefähr seit seinem XXXX Lebensjahr traditionell verheiratet.

Die Kernfamilie des Beschwerdeführers besteht aus seinen Eltern, seinen zwei jüngeren Brüdern sowie seiner Ehefrau, welche seit der Ausreise des Beschwerdeführers in der Nähe von XXXX , Afghanistan, leben. Seine Ehefrau wird vom Vater des Beschwerdeführers finanziell versorgt.

Der Beschwerdeführer ist im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX aufgewachsen und hat ebendort fünf Jahre die Schule besucht. Sein Vater hat in der Provinzhauptstadt XXXX ein Textilgeschäft geführt und wurde dabei im Verkauf gelegentlich vom Beschwerdeführer unterstützt. Die Führung des Textilgeschäftes obliegt nunmehr dem Onkel väterlicherseits des Beschwerdeführers, wobei sein Vater für die Verwaltung des Geldes zuständig ist. Der Beschwerdeführer steht in Kontakt mit seiner Familie.

Der Beschwerdeführer ist im erwerbsfähigen Alter und gesund. Er ist mit der afghanischen Tradition und Lebensweise vertraut.

Der Beschwerdeführer verfügt in Afghanistan neben seiner Kernfamilie noch über einen Onkel väterlicherseits und dessen Familie, welche sich nach wie vor im Heimatdorf des Beschwerdeführers aufhalten; zu diesen pflegt der Beschwerdeführer keinen Kontakt.

Der Beschwerdeführer beherrscht die deutsche Sprache gut und hat das Österreichische Sprachdiplom Deutsch (in Folge kurz "ÖSD") -Zertifikat auf dem Sprachniveau A2 mit gutem Erfolg bestanden. Zuletzt hat der Beschwerdeführer einen Deutschkurs auf dem Sprachniveau B1 besucht. Zusätzlich hat er den Pflichtschulabschluss am XXXX .07.2017 erworben und am Clearing für die Aufnahme in das Ausbildungsprojekt XXXX teilgenommen. In seiner Freizeit spielt der Beschwerdeführer freitags für zwei Stunden Fußball in einem Verein und hilft bei Bedarf seinem Unterkunftgeber, dem Pfarrer XXXX . Der Beschwerdeführer pflegt Freundschaften zu Österreichern. Im Zeitraum vom XXXX .2018 bis XXXX .2019 war er als Abwäscher im XXXX beschäftigt und selbsterhaltungsfähig[l1]. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine Verwandten.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Onkel des Beschwerdeführers wurde im Jahr 2014 von den Taliban, welche in der Heimatregion des Beschwerdeführers präsent sind, aufgefordert, seinen Sohn sowie seinen Neffen (den Beschwerdeführer), als Rekruten zu übergeben. Nachdem dieser der Forderung nicht nachgekommen ist, wurde der Sohn des Onkels von den Taliban entführt und in weiterer Folge getötet.

Weder der Beschwerdeführer noch seine Kernfamilie wurden von den Taliban jemals persönlich bedroht oder verfolgt.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer eine konkrete Verfolgung oder Bedrohung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hat. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan (Mazar-e Sharif oder Herat) Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Insgesamt kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Mazar-e Sharif oder Herat ausschließen, konnten ebenfalls nicht festgestellt werden. Er kann dort seine Existenz - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Es kann nicht festgestellt werden, dass er nicht in der Lage ist, in Mazar-e Sharif oder Herat eine einfache Unterkunft zu finden. Mazar-e Sharif und Herat sind über die dort vorhandenen Flughäfen sicher erreichbar.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht von seiner Familie finanziell unterstützt werden kann.

1.5. Zur Situation im Herkunftsstaat:

Das Bundesverwaltungsgericht trifft aufgrund der im Beschwerdeverfahren eingebrachten aktuellen Erkenntnisquellen folgende entscheidungsrelevante Feststellungen:

1.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation vom 31.01.2019 [l2](in Folge kurz "LIB"):

1.5.1.1. Zur Sicherheitslage in Afghanistan im Allgemeinen (LIB Kapitel 3.):

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil. Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben.

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert; auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen. Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant.

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben. Dies deutet auf einen Rückgang von drei Prozent im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nichtziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016.

Im Jänner 2018 waren 56,3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14,5% der Distrikte kontrollierten bzw unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29,2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw dem Einfluss der afghanischen Regierung.

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte) zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen.

Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern, bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben. Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen. Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen.

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die Afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu.

1.5.1.2. Neueste Ereignisse (LIB Kapitel 1.):

Am Samstag dem 26.01.2019 endete die sechstägige Friedensgesprächsrunde in Doha, Katar, zwischen dem U.S.-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Taliban-Vertretern. Quellen zufolge wurde ein erster Vertragsentwurf ausgehandelt, wonach sich die Taliban dazu verpflichten würden, ausländische Terrororganisationen von Afghanistan fernzuhalten, und die USA würden im Gegenzug dazu ihren Truppenabzug aus Afghanistan innerhalb von 18 Monaten garantieren. Dieser sei jedoch an weitere Bedingungen gebunden, die noch genau besprochen werden müssen, wie die Ausrufung eines Waffenstillstands zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung sowie die Forderung von direkten Gesprächen zwischen diesen beiden Akteuren. Inoffiziellen Quellen zufolge wurde bei den Gesprächen u.a. die Schaffung einer Interimsregierung, in der auch die Taliban vertreten sein sollen, angedacht, was jedoch von Khalilzad dementiert wurde. Die nächste Friedensgesprächsrunde wird voraussichtlich Ende Februar 2019 stattfinden. Der afghanische Präsident Ashraf Ghani äußerte während einer Fernsehansprache am 28.01.2019 sein Unbehagen bzgl. eines voreiligen Abzugs der U.S.-Truppen aus Afghanistan und erinnerte an die dramatischen Auswirkungen des sowjetischen Abzuges Ende der 1980er Jahre, dem Anarchie und die Ermordung des ehemaligen Präsidenten Mohammad Najibullah folgten. Ghani, der die Taliban mehrmals dazu aufgefordert hatte, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln, zeigte sich des Weiteren über den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen besorgt. Während sich einige Quellen hinsichtlich gründlicher Friedensgespräche und eines effizient ausgehandelten Abkommens optimistisch zeigen, fürchten andere, dass ein Abzug der amerikanischen Truppen den Zusammenbruch der afghanischen Regierung wegen der Taliban und vorhersehbarer Machtkämpfe zwischen den verschiedenen lokalen Akteuren zur Folge haben könnte.

Bei einem Anschlag auf einen Stützpunk des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.01.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben. Quellen zufolge begann der Angriff am Montagmorgen, als ein Humvee-Fahrzeug der U.S.amerikanischen Streitkräfte in den Militärstützpunkt gefahren und in die Luft gesprengt wurde. Daraufhin eröffneten Angreifer das Feuer und wurden in der Folge von den Sicherheitskräften getötet. Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war. Am selben Tag verkündeten die Taliban die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den U.S.-amerikanischen Vertretern in Doha, Katar.

Am Vortag, dem 20.01.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere.

Des Weiteren detonierte am 14.01.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe. Quellen zufolge starben bei dem Anschlag fünf Menschen und über 100, darunter auch Zivilisten, wurden verletzt. Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban.

Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD 16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung. Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben. Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag.

Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl Am 06.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig. Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert. Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet. Am 08.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige. Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10 % der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden. Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange. Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint. Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht. Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.04.2019 auf den 20.07.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach den Parlamentswahlen im Oktober genannt.

1.5.1.3. Zur Sicherheitslage in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers, Kunar (LIB Kapitel 3.4.):

Die Provinz Kunar befindet sich in Ostafghanistan. Sie grenzt im Norden an die Provinz Nuristan, im Süden an die Provinz Nangarhar, im Westen an die Provinz Laghman und im Osten an die Durandlinie.

Kunar hat folgende Distrikte: Asadabad, Khas Kunar/Khaskunar, Noorgul/Noorgul, Sawkai/Chawki, Narang, Sarkano/Sarkani, Marawar/Marawara, Shigal/Shigal Wa Sheltan, Dangal/Dangam, Asmar, Ghazi Abad/Ghaziabad, Nari, Watapur, Chapa Dara/Chapadara und Dara-e-Pech/Pech; die Provinzhauptstadt ist Asadabad. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 465.706 geschätzt. In der Provinz leben Teilstämme der Paschtunen und Nuristani.

In Kunar stieg die Opium-Produktion im Jahr 2017 (+358 Hektar), wenngleich nicht so stark wie in der Provinz Nangarhar. Insgesamt wurden im selben Jahr in Kunar 31 Hektar an Opiumfeldern umgewidmet.

In den ersten zwei Monaten des Jahres 2018 zählte Kunar zu den relativ volatilen Provinzen Ostafghanistans: Aufständische der Taliban und des IS waren in einigen Distrikten aktiv. Verlautbart wurde auch, dass al-Qaida-Aufständische in einigen Distrikten aktiv sind.

Kunar gehört zu den Provinzen, in denen sicherheitsrelevante Vorfälle bedeutend waren. Auch zählt Kunar zu jenen Provinzen, in denen eine hohe Anzahl an Zivilisten aufgrund explosiver Kampfmittelrückstände und indirekter Waffeneinwirkung ums Leben kam. Obwohl die Anzahl der Gefechte in Kunar zunahm, wurden in der Provinz weniger zivile Opfer in Folge von Bodenoffensiven registriert. Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 120 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden in Kunar 224 zivile Opfer (70 getötete Zivilisten und 154 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gezielte Tötungen und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 43% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

In der Provinz werden regelmäßig militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien. Dabei werden u.a. Taliban und IS-Kämpfer getötet. Im Rahmen von Luft- bzw. Drohnenangriffen werden Aufständische getötet. Auch wurden Anführer des IS in Afghanistan, wie z.B. Abu Sayed, getötet. Im Rahmen von Luftangriffen wurden auch Mitglieder der pakistanischen Taliban Tehreek-e-Taliban (TTP) getötet. Unter ihnen befand sich der Sohn des pakistanischen TTP-Chefs Mullah Fazlullah.

In der Provinz kam es zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen. Pakistanische Sicherheitskräfte feuern Granaten und Mörser auf die Provinz Kunar ab. Betroffen sind die Distrikte Asmar, Shigal wa Sheltan, Marwara, Sarkano, Dangam, Nari und Khaskunar; zahlreiche Familien mussten Ende 2017 aus den betroffenen Distrikten flüchten.

Unterschiedliche terroristische Organisationen sind in der Provinz in abgelegenen Distrikten aktiv; zu diesen Gruppierungen zählen die Taliban, der IS und auch al-Qaida. Konflikte zwischen aufständischen Gruppierungen fanden statt. In der Provinz sind Taliban-Kämpfer aktiv, insbesondere Mitglieder der TTP, einer Taliban-Gruppierung deren Kämpfer aufgrund von Angriffen der pakistanischen Streitkräfte aus Pakistan in die Grenzprovinzen Ostafghanistans geflüchtet sind. Die TTP hat in der Vergangenheit enge Kontakte zu al-Qaida gepflegt. Die konkrete Mitgliederanzahl der al-Qaida, unter anderem in der Provinz Kunar, ist umstritten.

Die konkrete Anzahl von IS-Kämpfern in Kunar ist nicht bekannt, Schätzungen zufolge soll es sich um einige Hunderte handeln. Die afghanische Regierung wurde bezichtigt, landesweit die Zahlen zu IS-Kämpfern aufzublähen. Die IS-Kämpfer in der Provinz Kunar sollen angeblich von Ausländern ausgebildet werden. IS-Anführer hatten im Juli 2017 in der Provinz Kunar, im Distrikt Shigal wa Sheltan, ihren Stützpunkt. Berichten zufolge sollen Sympathisanten des Islamischen Staates angefangen haben, in der Provinz Kunar Mitglieder zu rekrutieren; die Zielgruppe der Rekrutierungen sind insbesondere die zahlreichen arbeitslosen Jugendlichen. Trotzdem ist fraglich, ob der IS tatsächlich Kontrolle in der Provinz Kunar ausübt.

Im Zeitraum 01.01.2017 - 31.01.2018 wurden IS-bezogene sicherheitsrelevante Vorfälle in der Provinz Kunar registriert.

1.5.1.4. Zur Sicherheitslage in der Stadt Herat, der Hauptstadt der Provinz Herat (LIB Kapitel 3.13.):

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt.

In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken. Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden. Anfang Jänner 2018 wurde ein Labor zur Kontrolle der Safran-Qualität in Herat errichtet. Die Safran-Produktion garantierte zB auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Insgesamt wurden 2017 in der Provinz min 8 Tonnen Safran produziert; im Vorjahr 2016 waren es 6.5 Tonnen. Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten.

Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat.

Mitte März 2018 wurde der Bau der TAPI-Leitung in Afghanistan eingeweiht. Dabei handelt es sich um eine 1.800 Km lange Pipeline für Erdgas, die Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien 30 Jahre lang mit 33 Billionen m³ turkmenischem Erdgas versorgen soll. Die geplante Leitung wird sich entlang der Herat-Kandahar-Autobahn erstrecken. Somit wird sie durch Gegenden, auf die die Taliban einen starken Einfluss haben, verlaufen. Jedoch erklärten die Taliban, TAPI sei ein "wichtiges Projekt" und sie würden es unterstützen. Im Rahmen des TAPI-Projekts haben sich 70 Taliban bereit erklärt, an den Friedensprozessen teilzunehmen. Um Sicherheit für die Umsetzung des TAPI-Projekts zu gewähren, sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden.

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat. Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern. Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge.

Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt; dabei wurden Taliban getötet. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen.

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren. Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an. Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen. Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen.

Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden. ACLED registrierte für den Zeitraum 01.01.2017 - 15.07.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat.

1.5.1.5. Zur Sicherheitslage in der Stadt Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh (LIB Kapitel 3.5.):

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich von Balkh. Die Provinzen Kunduz und Samangan liegen im Osten, Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden. Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten: Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt.

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar. In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen.

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren.

Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur. Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren.

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte.

In der Provinz befindet sich ua das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North), sowie auch das Camp Shaheen.

Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68 % im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt.

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen. Im Zeitraum 01.01.2017 - 15.07.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.07.2017 - 31.01.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert.

1.5.1.6. Zur Lage der Paschtunen (LIB Kapitel 16.1.):

Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; die meisten ihrer Regierungsvertreter sprechen auch Dari. Die Pashtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments - jedoch nicht mehr als 50% der Gesamtsitze. Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert.

Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden, und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben.

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen.

1.5.1.7. Religionsfreiheit (LIB Kapitel 15.):

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan.

1.5.2. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge (LIB Kapitel 20.):

Wegen des Konflikts wurden im Jahr 2017 insgesamt 475.433 Menschen in Afghanistan neu zu Binnenvertriebenen (IDPs). Im Zeitraum 2012 bis 2017 wurden insgesamt 1.728.157 Menschen im Land zu Binnenvertriebenen. Zwischen 01.01.2018 und 15.05.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23 % davon sind erwachsene Männer, 21 % erwachsene Frauen und 55 % minderjährige Kinder.

Vertriebene Bevölkerungsgruppen befinden sich häufig in schwer zugänglichen und unsicheren Gebieten, was die afghanischen Regierungsbehörden und Hilfsorganisationen bei der Beurteilung der Lage bzw bei Hilfeleistungen behindert. Ungefähr 30 % der 2018 vertriebenen Personen waren mit Stand 21.03.2018 in schwer zugänglichen Gebieten angesiedelt. Mit Stand Dezember 2017 lebten 54 % der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten. Dies führte zu weiterem Druck auf die bereits überlasteten Dienstleistungen sowie die Infrastruktur sowie zu einem zunehmenden Kampf um die Ressourcen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung.

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung gegenüber vulnerablen Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, um die erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen zu fördern. Im Rahmen der humanitären Hilfe wurden IDPs je nach Region und klimatischen Bedingungen unterschiedlich unterstützt, darunter Nahrungspakete, Non-Food-Items (NFI), grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, Hygienekits usw.

1.5.3. Grundversorgung und Wirtschaft (LIB Kapitel 21.):

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu. Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich sechs Prozent prognostiziert. Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die and

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten