Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** S***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Mag. Florian Traxlmayr, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Stadtgemeinde F*****, vertreten durch Mag. Michael Raffaseder, Rechtsanwalt in Freistadt, und die Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 9.136,32 EUR sA, über die Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 4. Februar 2019, GZ 4 R 109/18d-25, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 27. April 2018, GZ 31 Cg 12/17a-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:
Spruch
Der Revision der klagenden Partei wird teilweise und jener der beklagten Partei zur Gänze Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin bestätigt, dass das Urteil des Erstgerichts als Teilurteil lautet:
„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 1.844,64 EUR samt 4 % Zinsen aus diesem Betrag seit 22. März 2017 zu zahlen, wird abgewiesen.“
Im Übrigen, also im Umfang der Stattgebung des Klagebegehrens von 3.329,88 EUR sA und der Abweisung des Klagebegehrens über weitere 3.961,80 EUR sA werden die Urteile der Vorinstanzen einschließlich der Kostenentscheidungen aufgehoben. Insofern wird die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Verfahrenskosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin betreibt an einem Standort im Gebiet der beklagten Stadt ein seit 1977 (auch gewerbebehördlich) bewilligtes Mineralöltanklager mit Betriebszeiten zwischen 0:00 Uhr und 24:00 Uhr. Auf einem an die Betriebsliegenschaft angrenzenden Grundstück errichtete eine Nachbarin ein (Büro-)Gebäude, das sie mittlerweile mit ihrer Familie bewohnt. Ursprünglich war der Neubau eines Bürogebäudes beantragt und mit Bescheid der Baubehörde der Beklagten vom 17. 1. 2013 bewilligt worden. Am 5. 8. 2014 zeigte die Nachbarin die Baufertigstellung des Gebäudes an; bereits am 25. 8. 2014 zeigte sie der Beklagten jedoch die teilweise Änderung des Verwendungszwecks durch die Nutzung als Wohngebäude (ab 1. 9. 2014) an.
Aufgrund einer nachfolgenden Anzeige des Ehemanns der Nachbarin leitete die zuständige Bezirkshauptmannschaft ein Verfahren nach § 79 GewO gegen die Klägerin ein und schränkte schließlich mit Bescheid vom 9. 3. 2016 die Betriebszeiten des Tanklagers auf die Zeit zwischen 6:00 Uhr und 22:00 Uhr ein. Die Klägerin hatte im gewerbebehördlichen Verfahren eingewendet, beim Nachbargebäude handle es sich um ein Bürogebäude und für die Verwendung als Wohngebäude bestehe kein baurechtlicher Konsens. Die Nachbarin sei daher nicht gefährdet und habe auch keine Parteistellung. Eine entsprechende Anfrage der Bezirkshauptmannschaft beantwortete der zuständige Sachbearbeiter der Beklagten mit E-Mail vom 9. 3. 2016 dahin, dass auf dem benachbarten Grundstück mit Bescheid vom 17. 1. 2013 der Neubau eines Bürogebäudes bewilligt worden sei. Mit Anzeige vom 25. 8. 2014 sei von der Eigentümerin des Nachbargrundstücks eine teilweise Wohnnutzung des Gebäudes angezeigt worden. Angegeben sei worden, dass im Erdgeschoss ein Wohn-Esszimmer mit Küche und im Dachgeschoss neben einem Büro ein Schlafzimmer errichtet werde. Diese Maßnahme sei gemäß § 25 Abs 1 Z 2b Oö BauO 1994 angezeigt worden. Die Änderung sei „als Anzeige zur Kenntnis genommen [worden], weil sich durch diese geringe Änderung der Nutzung keine wesentliche Änderung der Emissionen ergibt, die eine Bewilligungsfähigkeit gemäß § 24 [Abs] 1 [Z] 3 Oö Bauordnung auslösen würde“.
Die Klägerin bekämpfte den ihre Betriebszeiten einschränkenden Bescheid der Bezirkshauptmannschaft erfolgreich beim zuständigen Landesverwaltungsgericht.
Im gewerbebehördlichen Verfahren wurde die Klägerin zunächst von einem Rechtsanwalt vertreten, der für sie zwei Stellungnahmen erstattete. Die Beschwerde gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft verfasste bereits der nunmehrige Klagevertreter. In der Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht am 15. 6. 2016 schritten für die Klägerin sowohl dieser als auch der frühere Rechtsanwalt ein. Während des vor dem Landesverwaltungsgericht anhängigen Verfahrens verwies die Beklagte im Schreiben vom 24. 5. 2016 an den Rechtsvertreter der Klägerin darauf, dass kein Grund vorgelegen sei, die angezeigte Änderung des Verwendungszwecks zu untersagen, weshalb die Benützung des Gebäudes durch die Nachbarin „für teilweise Wohnnutzung“ dem baurechtlichen Konsens entspreche.
Die Klägerin beschäftigt etwa fünf bis sechs Dienstnehmer, ihr jährlicher Umsatz beträgt etwa 3 bis 4 Millionen EUR. Die Einschränkung der Betriebszeiten hätte für sie wesentliche wirtschaftliche Nachteile zur Folge gehabt.
Sie begehrt nun die Kosten für ihre anwaltliche Vertretung im gewerberechtlichen Verfahren von insgesamt 9.136,32 EUR als Schadenersatz nach dem Amtshaftungsgesetz von der Beklagten, weil deren Auskunft an die Gewerbebehörde vom 9. 3. 2016, die Widmung des Gebäudes als Wohngebäude sei baurechtlich als genehmigt zu qualifizieren, unvertretbar falsch gewesen sei. Außerdem hätte die Beklagte die Anzeige der Widmungsänderung nicht ohne Bauverhandlung hinnehmen dürfen; es habe sich um eine bewilligungspflichtige Maßnahme gehandelt. Dies habe die Beklagte zumindest seit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zu B 917/2012 wissen müssen. Im Anzeigeverfahren habe die Klägerin keine Parteistellung gehabt und deshalb keine Kenntnis von der Anzeige der Änderung des Verwendungszwecks. Sie habe zur Abwehr der Einschränkung der Betriebszeiten Kosten in Höhe des Klagsbetrags aufwenden müssen. Auch die Vertretung durch zwei Rechtsanwälte im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht sei angesichts der Wichtigkeit der Rechtssache erforderlich gewesen.
Die Beklagte bestritt insbesondere ihre Passivlegitimation, weil schon nach den Behauptungen der Klägerin die im gewerbebehördlichen Verfahren geäußerte Rechtsansicht nicht von ihr, sondern von der Bezirkshauptmannschaft stamme. Ihre Rechtsansicht sei nicht unvertretbar, sondern richtig gewesen. Das anderslautende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs sei ihrem zuständigen Organ nicht bekannt gewesen; auch die Klägerin habe darauf im gesamten Verfahren nicht hingewiesen. Ihre Stellungnahme stelle kein hoheitliches Handeln dar; es handle sich um eine bloße Mitteilung. Das baurechtliche Thema der Nutzung zu Wohnzwecken hätte im Gewerbeverfahren als Vorfrage beurteilt oder zumindest das Verfahren bis zur Klärung dieser Frage durch die Beklagte unterbrochen werden können. Die Bezirkshauptmannschaft habe sich entschieden, diese Vorfrage selbst zu lösen. Das Klagebegehren sei überhöht; die gleichzeitige Vertretung durch zwei Rechtsanwälte sei zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich gewesen.
Die Nebenintervenientin brachte ergänzend vor, dass die Rechtsansicht der Beklagten nicht unvertretbar gewesen sei, weil die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zu einer anderen Rechtslage ergangen sei.
Das Erstgericht gab der Klage im Umfang von 3.329,88 EUR sA statt; das Mehrbegehren von 5.806,44 EUR sA wies es ab. Die Beklagte habe § 24 Abs 1 Z 3 Oö BauO 1994 so interpretiert, dass dabei ausschließlich zusätzliche schädliche Umwelteinwirkungen relevant seien, die von dem Grundstück ausgingen, dessen Verwendungszweck geändert werde. Sie sei daher davon ausgegangen, dass die Anzeige der Änderung des Verwendungszwecks ausreichend und eine Bewilligung nicht erforderlich sei. Diese Rechtsansicht widerspreche der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zu B 917/2012, mit der klargestellt worden sei, dass es auch auf Einwirkungen ankommen müsse, die auf dieses Grundstück einwirkten. Die Richtigkeit dieser Rechtsansicht liege auf der Hand. Der vorliegende Fall sei gerade das beste Beispiel dafür, dass durch die nachträgliche Anzeige (der Änderung) des Verwendungszwecks auf unzumutbare Weise in die Rechte des benachbarten Betriebs eingegriffen werden könne und deshalb ein Bewilligungsverfahren unumgänglich sei. Das Ignorieren dieser höchstgerichtlichen Rechtsprechung mache „die Entscheidung“ unvertretbar falsch. Der Umstand, dass die Entscheidung des VfGH dem erkennenden Organ nicht bekannt gewesen sei, spiele keine Rolle. Dieses Erkenntnis sei so eindeutig, dass von einer gesicherten Rechtsprechung gesprochen werden könne, obwohl dazu keine weitere Entscheidung ergangen sei. Die zwischenzeitliche Änderung der Oö BauO spiele in diesem Zusammenhang keine relevante Rolle. Dadurch, dass das zuständige Organ der Beklagten die angezeigte Änderung des Verwendungszwecks binnen der achtwöchigen Frist (des § 25a Abs 1 Z 3 Oö BauO 1994) nicht untersagt habe, sei „eine Entscheidung getroffen“ worden. Die Bezirkshauptmannschaft sei daher im gewerbebehördlichen Verfahren „an diese Entscheidung gebunden“ gewesen und habe diese Frage nicht mehr als Vorfrage klären können. Aus diesem Grund sei „die Entscheidung“ der Beklagten alleine ursächlich für den der Klägerin dadurch entstandenen Schaden. Die Beklagte hafte daher für die der Klägerin zur Abwehr der ihr verursachten Rechtsnachteile entstandenen Kosten.
Gerechtfertigt seien allerdings die Einwände zur Höhe des Anspruchs. Die Klägerin habe nicht überzeugend darstellen können, warum für ihre Vertretung in der Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht zwei Rechtsanwälte erforderlich gewesen seien. Richtig sei auch, dass die Bemessungsgrundlage überhöht gewählt worden sei; Einigkeit herrsche darüber, dass zur Beurteilung der Bemessungsgrundlage § 5 Z 13 AHK heranzuziehen sei. Demnach gelte in Gewerbesachen für Kleinbetriebe eine Bemessungsgrundlage von 13.100 EUR, für mittlere Betriebe eine solche von 43.200 EUR. Nach einer Definition der EU-Kommission, die auf Mitarbeiteranzahl, Umsatz- oder Bilanzsumme und Eigenständigkeit abziele, seien Kleinunternehmen solche, die bis 49 Mitarbeiter beschäftigten und/oder einen Umsatz kleiner als 10 Millionen EUR jährlich hätten. Unter Berücksichtigung dieser Umstände liege auf der Hand, dass es sich beim Betrieb der Klägerin jedenfalls um ein Kleinunternehmen handle. Die Bemessungsgrundlage sei daher mit 13.100 EUR anzunehmen. Daraus ergebe sich rechnerisch ein – näher aufgeschlüsselter – Schadenersatzanspruch von 3.329,88 EUR.
Das Berufungsgericht gab den von beiden Parteien erhobenen Berufungen nicht Folge. Rechtlich führte es zur Berufung der Klägerin aus, im gewerberechtlichen Verwaltungsverfahren vor der Bezirkshauptmannschaft sei es um die Frage der bewilligten Betriebszeiten gegangen; es habe sich um ein Rechtsproblem gehandelt, das „keiner besonderen Rechtskenntnis“ bedurft habe. Es sei nicht notwendig gewesen, zwei Rechtsanwälte zu beschäftigen. Bei der Klägerin handle es sich um ein Kleinunternehmen. Unabhängig davon, ob die Definition von Kleinunternehmen der Europäischen Kommission (2003/361/EG) auf die AHK anwendbar seien, sei von der Klägerin als Kleinunternehmen auszugehen, weil sie etwa fünf bis sechs Dienstnehmer beschäftige und einen jährlichen Umsatz von etwa 3 bis 4 Millionen EUR erziele. Bei dieser Größenordnung von einem mittelständischen Unternehmen zu sprechen, wäre schon deshalb nicht angebracht, „weil sich dann die Frage stellen würde, wie ein Kleinunternehmen zu definieren wäre“. Zur Berufung der Beklagten führte es aus, die Kenntnisnahme der bloßen Anzeige der teilweisen Umwidmung des bewilligten Bürogebäudes auf eine Wohnnutzung durch die Beklagte stelle „auch eine Entscheidung“ bzw ein „Verhalten“ im Sinn des § 1 Abs 1 AHG dar. Schon der Wortlaut des § 24 Abs 1 Z 3 Oö BauO 1994 sei so eindeutig, dass die Beklagte sich nicht mit der bloßen Anzeige der Änderung des Verwendungszwecks des Bürogebäudes begnügen hätte dürfen. Vielmehr hätte ein Verfahren eingeleitet werden müssen, in dem die Klägerin Parteistellung gehabt hätte. Der Verfassungsgerichtshof habe in der Entscheidung zu B 917/2012 nur klargestellt, was ohnehin aus dem Gesetz hervorgehe, dass es nämlich nicht nur um zusätzliche schädliche Umwelteinwirkungen gehe, die vom betroffenen Grundstück ausgingen, dessen Verwendungszweck geändert werde, sondern dass es auch auf Einwirkungen ankommen müsse, die auf dieses Grundstück einwirkten. Die Änderung des Verwendungszwecks von Büro- auf Wohngebäude stelle eine wesentliche Änderung dar. Eine solche Änderung des Widmungszwecks bedürfe nach § 24 Abs 1 Z 3 Oö BauO 1994 eines Bewilligungsverfahrens. Der Einwand mangelnder Passivlegitimation der Beklagten sei nicht berechtigt, weil sich die Bezirkshauptmannschaft „richtigerweise an die Rechtsansicht der Beklagten gebunden erachtete, weil sie in baurechtlichen Angelegenheiten nicht zuständig und daher an die Bewilligungen der Baubehörde gebunden war. Es handelte sich daher bei der Frage der Baubewilligung um keine selbst zu lösende Vorfrage, sondern um eine von einer anderen zuständigen Behörde zu lösende bzw bereits gelöste Rechtsfrage“.
Das Berufungsgericht sprach nachträglich gemäß § 508 Abs 3 ZPO aus, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei, weil beide Revisionswerber eine „Vielzahl von Aktenwidrigkeiten, Begründungsmängeln und Rechtsirrtümern“ zur Darstellung brächten.
Die Revisionen beider Parteien sind zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Die Revision der Beklagten ist im Sinn des Aufhebungsbegehrens zur Gänze berechtigt, jene der Klägerin ist insofern teilweise berechtigt. Beide Rechtsmittel werden wegen ihres thematischen Zusammenhangs gemeinsam behandelt.
Rechtliche Beurteilung
1. Gemäß § 1 Abs 1 AHG haftet unter anderem eine Gemeinde nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben. Ein derartiges rechtswidriges und schuldhaftes Organhandeln in Vollziehung der Gesetze, das den Rechtsträger zum Schadenersatz verpflichtet, kann auch in einer Unterlassung behördlicher Maßnahmen bestehen, wenn eine Pflicht des Organs zum Tätigwerden gegeben war und pflichtgemäßes Handeln den Schadenseintritt – zumindest teilweise – verhindert hätte (RIS-Justiz RS0081378 [T3]). Den Geschädigten trifft auch im Amtshaftungsverfahren grundsätzlich die Beweislast für den Kausalzusammenhang zwischen dem haftungsbegründenden Ereignis und dem eingetretenen Schaden (RS0022469 [T2]; RS0022686 [T6]).
2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (Ra 2017/04/0033 ua mwN [betreffend das Verfahren der Klägerin gemäß § 79 Abs 1 GewO 1994]) ist der Inhalt einer Baubewilligung den eingereichten und allenfalls im Zuge des Bauverfahrens geänderten, dem Baubewilligungsbescheid zugrunde gelegten Plänen und der Baubeschreibung zu entnehmen; die von der Behörde mit dem Genehmigungsvermerk versehenen Pläne und Baubeschreibungen bilden einen wesentlichen Bestandteil der Baubewilligung. Ein Baubewilligungsverfahren ist ein Projektgenehmigungsverfahren und daher ist das gegenständliche Projekt maßgeblich. Grundsätzlich ist dabei der vom Bauwerber angegebene Verwendungszweck im Bauverfahren maßgeblich, weshalb eine allenfalls erteilte Baubewilligung immer nur für diesen im Bauansuchen angegebenen Verwendungszweck gilt.
Mit Bescheid der Baubehörde vom 17. 1. 2013 wurde der Nachbarin die Errichtung eines Bürogebäudes bewilligt und von dieser am 5. 8. 2014 die Baufertigstellung des Bürogebäudes angezeigt. Gegenstand des Baubewilligungsverfahrens war daher ein bloßes Bürogebäude. Konsensumfang der Baubewilligung ist unstrittig nur die Nutzung als Bürogebäude.
3. Nach Abschluss des Verfahrens über das Bauvorhaben zeigte die Nachbarin mit Schreiben vom 25. 8. 2014 der Beklagten die teilweise Änderung des Verwendungszwecks auf Wohnnutzung des Gebäudes an. Obwohl die Klägerin auf der benachbarten Betriebsliegenschaft ein Mineralöltanklager betrieb, beurteilte die Beklagte die Anzeige – wie aus ihrer E-Mail vom 9. 3. 2016 an die Bezirkshauptmannschaft hervorgeht – lediglich als anzeigepflichtiges Bauvorhaben gemäß § 25 Abs 1 Z 2b Oö BauO 1994. Sie nahm die Änderungsanzeige nur zur Kenntnis, weil sich durch die geringe Änderung der Nutzung keine wesentliche Änderung der Emissionen ergäbe, die eine Bewilligungsfähigkeit gemäß § 24 Abs 1 Z 3 Oö BauO 1994 auslösen würde. Diese Unterlassung ist rechtswidrig und der Beklagten als Verschulden anzulasten.
Gemäß § 24 Abs 1 Z 3 Oö BauO 1994 idF LGBl 2013/34 bedarf insbesondere die Änderung des Verwendungszwecks von Gebäuden (Gebäudeteilen), wenn dadurch zusätzliche schädliche Umwelteinwirkungen zu erwarten sind, einer Bewilligung der Baubehörde (Baubewilligung), soweit die §§ 25 und 26 leg cit nichts anderes bestimmen. Gemäß § 25 Abs 1 Z 2b Oö BauO 1994 idF LGBl 2013/34 ist insbesondere die Änderung des Verwendungszwecks von Gebäuden (Gebäudeteilen) gemäß § 24 Abs 1 Z 2 leg cit, wenn dadurch ein Einfluss auf die Festigkeit tragender Bauteile, den Brandschutz, die gesundheitlichen oder hygienischen Verhältnisse zu erwarten ist, der Baubehörde vor Beginn der Bauausführung anzuzeigen (Bauanzeige).
Der Verfassungsgerichtshof geht seit seinem Erkenntnis B 1368/87 (= VfSlg 12468 [zu § 6 Abs 8 der Wiener BauO]) davon aus, dass einer Vorschrift, die die Errichtung von Betrieben in Wohngebieten beschränkt, ein allgemeiner Grundsatz zu entnehmen ist, der insbesondere die Qualität der Wohnverhältnisse sicherstellen will. Bei einer verfassungskonformen Auslegung einer Bestimmung über die Parteistellung eines Nachbarn wegen einer Beeinträchtigung durch Immissionen hat der Inhaber einer bestehenden benachbarten gewerblichen Betriebsanlage Parteistellung im baurechtlichen Verfahren gegen eine heranrückende Wohnbebauung. Diese Rechtsansicht hat der Verfassungsgerichtshof in zahlreichen nachfolgenden Erkenntnissen, insbesondere auch zur Oö BauO (B 614/92 ua = VfSlg 13210), wiederholt.
§ 24 Abs 1 Z 3 Oö BauO 1994 ist daher so zu verstehen, dass diese Bestimmung nicht ausschließlich die Emissionswirkungen des Gebäudes, sondern auch Immissionen auf das Gebäude zum Gegenstand hat, welche von einem in der Nachbarschaft bestehenden Betrieb ausgehen. Wird daher ein Bürogebäude zu einem Wohngebäude umgeändert, entsteht eine Bewilligungspflicht, wenn von einer bestehenden benachbarten Betriebsanlage ausgehende Umwelteinwirkungen zu erwarten sind, die eine Verwendung als Wohngebäude beeinträchtigen könnten. Es würde nämlich dem Zweck dieser Bestimmung widersprechen, wenn die vom Gesetz verpönten, erwarteten schädlichen Umwelteinwirkungen nur dann eine Bewilligungspflicht auslösten, wenn die Quelle der Umwelteinwirkungen geschaffen wird, nicht jedoch wenn erst durch die Änderung des Verwendungszwecks die – bereits bestehenden – Umwelteinwirkungen ihre allfällige schädigende Wirkung entfalten können. Daher können im baurechtlichen Bewilligungsverfahren Eigentümer von Grundstücken mit bestehenden Betriebsanlagen, die aufgrund des gewerberechtlichen Immissionsschutzes im Falle heranrückender Wohnbebauung mit zusätzlichen Auflagen nach § 79 Abs 2 GewO zu rechnen hätten, Einwendungen gemäß § 31 Abs 5 Oö BauO 1995 erheben (VfGH B 917/2012; Madlsperger in Pabel, Oö Baurecht [2019] § 24 Rz 25).
Da von der Betriebsliegenschaft der Klägerin, die für ihr bewilligtes Mineralöltanklager über gewerbebehördlich bewilligte Betriebszeiten zwischen 0:00 Uhr und 24:00 Uhr verfügte, jedenfalls in der Nacht von einer Lärmbelästigung auszugehen war und dadurch schädliche Umwelteinwirkungen auf die Liegenschaft der Nachbarin, die teilweise als Wohngebäude genutzt werden soll, zu erwarten waren, hätte die Änderung des Verwendungszwecks der Nachbarliegenschaft der Einholung einer Baubewilligung bedurft (§ 24 Abs 1 Z 3 Oö BauO 1994). Die Beklagte (Baubehörde) hätte daher innerhalb von acht Wochen ab Einlangen der vollständigen und ordnungsgemäß belegten Bauanzeige die Ausführung des Bauvorhabens zu untersagen gehabt, weil das angezeigte Bauvorhaben einer Bewilligung nach § 24 Abs 1 leg cit bedarf (§ 25a Abs 1 Z 3 Oö BauO 1994). In diesem Zusammenhang ist der Baubehörde eine Ermessensentscheidung nicht eingeräumt, vielmehr besteht für die Untersagung der Bauausführung eine Handlungspflicht (Neuhofer, Oberösterreichisches Baurecht7 [2014] § 25a Erl 3, S 224; Madlsperger aaO § 25a Oö BauO Rz 4). Das unterließ die Beklagte schuldhaft.
Die Unterlassung der Untersagung des angezeigten Bauvorhabens ändert aber nichts an einer erforderlichen Baubewilligung für das angezeigte Bauvorhaben. Die Baubewilligungspflicht wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass aufgrund der Bauanzeige das Bauvorhaben nicht innerhalb von acht Wochen untersagt wurde. Wird ein Bauvorhaben aufgrund einer Bauanzeige errichtet, obwohl hiefür eine Baubewilligung erforderlich gewesen wäre, liegt eine bewilligungslose Bauführung vor. Die Baubehörde hätte daher nach § 49 Oö BauO 1949 dem Eigentümer des bewilligungslosen Bauvorhabens auftragen müssen, um eine nachträgliche Baubewilligung anzusuchen oder die bauliche Anlage zu beseitigen; hiebei sind auch die Nachbarrechte zu schützen (Neuhofer aaO Erl 4 zu § 25a Oö BauO 1994 mwN zur Rechtsprechung des VwGH und VfGH). Dieses pflichtgemäße Verhalten unterließ die Beklagte schuldhaft, obwohl sie in Kenntnis der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs sein hätte müssen.
Der Kenntnisnahme einer erstatteten Bauanzeige durch die Baubehörde kommt keine Bescheidqualität zu, sodass keine bindende Entscheidung der Beklagten über die Bewilligungspflicht vorliegt. Ein an sich bewilligungspflichtiges Bauvorhaben wird durch die Erstattung der Anzeige auch nicht zu einem anzeigepflichtigen Bauvorhaben (VwGH 2012/05/0089 [zu § 25 Oö BauO 1994]; Madlsperger aaO § 25a Rz 4). Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen liegt daher hinsichtlich der Änderung des Verwendungszwecks des Nachbargebäudes keine „Entscheidung“ der Beklagten vor, an die die Bezirkshauptmannschaft im gewerbebehördlichen Verfahren gebunden gewesen sein hätte können.
4. Aus der auf einer unrichtigen Einschätzung beruhenden Auskunft der Beklagten als der nach der Oö BauO 1994 zuständigen Behörde gegenüber der Bezirkshauptmannschaft kann die Klägerin den eingeklagten Ersatz der Kosten ihrer Rechtsvertretung mangels Kausalität nicht ableiten. Die zuständige Bezirkshauptmannschaft leitete das Verfahren gemäß § 79 Abs 1 GewO nach einer Anzeige des Ehemanns der Nachbarin von Amts wegen ein, ohne dass die Beklagte darauf Einfluss genommen hätte. Die beiden Stellungnahmen der Klägerin im gewerbebehördlichen Verfahren erfolgten vor der Auskunft der Beklagten im Rahmen der „Amtshilfe“ gemäß Art 22 B-VG. Sie sind daher unabhängig von der unrichtigen Auskunft der Beklagten mit E-Mail vom 9. 3. 2016 erfolgt. Ihnen fehlt die kausale Verbindung mit der fehlerbehafteten Einschätzung der Rechtslage durch die Beklagten.
Wurde eine Vorfrage, die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von Gerichten zu entscheiden wäre, noch nicht rechtskräftig entschieden, so kommt § 38 AVG zur Anwendung. Die Bezirkshauptmannschaft hatte die Möglichkeit, die Vorfrage über das Bestehen eines Baukonsenses selbständig zu beurteilen (§ 38 Satz 1 AVG), wobei sie die Rechtsansicht der Beklagten im E-Mail zugrunde legte. Darin, dass die Bezirkshauptmannschaft in selbständiger rechtlicher Beurteilung davon ausging, dass das Wohngebäude baurechtlich als genehmigt zu qualifizieren ist, liegt kein kausales Verhalten der Beklagten. Vielmehr hat amtshaftungsrechtlich der für die Bezirkshauptmannschaft verantwortliche Rechtsträger für diese unzutreffende Rechtsansicht einzustehen. Eine bindende Entscheidung der Beklagten hinsichtlich des Vorliegens einer Baubewilligung für das teilweise von der Nachbarin als Wohngebäude genützte Bürogebäude lag ja gerade nicht vor. Damit kann die Klägerin infolge fehlender Kausalität im Sinn einer Zurechenbarkeit auch ihre im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht entstandenen Rechtsanwaltskosten nicht deshalb von der Beklagten ersetzt verlangen, weil diese – im Sinn einer Amtshilfe gemäß Art 22 B-VG – im gewerbebehördlichen Verfahren eine inhaltlich unrichtige Stellungnahme abgegeben hat.
5.1. Von der Bezirkshauptmannschaft wurde nach Anzeige des Ehemanns der Nachbarin von Amts wegen ein Verfahren gemäß § 79 Abs 1 GewO 1994 eingeleitet. § 79 GewO enthält die gesetzliche Ermächtigung der Behörde, nach Abschluss eines Verfahrens zur Genehmigung einer Betriebsanlage und ungeachtet der Rechtskraft des Genehmigungsbescheids andere oder zusätzliche Auflagen vorzuschreiben, sofern mit den bis dahin vorgeschriebenen Auflagen nicht das Auslangen gefunden werden kann, um die in § 74 Abs 2 GewO umschriebenen Interessen hinreichend zu schützen (Abs 1). Zugunsten von Personen, die erst nach Genehmigung der Betriebsanlage Nachbarn im Sinn des § 75 Abs 2 und 3 GewO geworden sind, sind Auflagen nur soweit vorzuschreiben, als diese zur Vermeidung einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit dieser Person notwendig sind (§ 79 Abs 2 GewO). Aus dem Wortlaut des § 75 Abs 2 GewO ergibt sich, dass als Nachbar – nicht bloß vorübergehender Aufenthalt vorausgesetzt – jede Person anzusehen ist, die sich rechtmäßig in der Nähe der Betriebsanlage aufhält, und zwar ohne Rücksicht auf den ihrem Aufenthalt zugrunde liegenden Rechtstitel (VwGH Ra 2017/04/0033 ua [betreffend das Verfahren der Klägerin gemäß § 79 Abs 1 GewO 1994]). Im gewerbebehördlichen Verfahren nach § 79 Abs 1 GewO war daher maßgeblich als Vorfrage zu prüfen, ob sich die Nachbarin und ihr Ehemann rechtmäßig zu Wohnzwecken auf der Nachbarliegenschaft aufhalten.
Mangels bindender Entscheidung der Baubehörde betreffend die teilweise Änderung der Widmung der Büroliegenschaft zu Wohnzwecken durch die Nachbarin wurde diese Vorfrage gemäß § 38 AVG sowohl von der Bezirkshauptmannschaft als auch vom Landesverwaltungsgericht selbständig beurteilt.
5.2. In diesem Zusammenhang brachte die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren vor, die Beklagte hätte die Anzeige der Widmungsänderung nicht ohne Bauverhandlung hinnehmen dürfen, es habe sich um eine bewilligungspflichtige Maßnahme gehandelt. Die Beklagte hätte hinsichtlich der Widmungsänderung von Bürogebäude in Wohngebäude ein Baubewilligungsverfahren abführen müssen, in dem insbesondere ihre Rechte als Eigentümerin der benachbarten Betriebsliegenschaft wegen der heranrückenden Bebauung gewahrt werden hätten müssen.
Die Klägerin muss (wie bereits dargelegt) als Geschädigte im Amtshaftungsprozess die Rechtsverletzung durch das Organ und deren Kausalität für den eingetretenen Schaden behaupten und beweisen (RS0022469). Behauptungen und Vorbringen, inwiefern die pflichtwidrig unterlassene Durchführung eines Baubewilligungsverfahrens (zur Wahrung ihrer nach § 31 Abs 5 Oö BauO 1994 geschützten Interessen) die der Klägerin im gewerbebehördlichen Verfahren entstandenen Kosten verursacht hatte, stellte die Klägerin
– ohne dass dies von der Beklagten eingewendet oder vom Erstgericht erörtert worden wäre – nicht auf. Zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung (vgl RS0037300; RS0108816) ist der Klägerin daher Gelegenheit zu geben, ausreichendes Vorbringen zur Kausalität der pflichtwidrig unterlassenen Durchführung eines Bewilligungsverfahrens für die ihr im gewerbebehördlichen Verfahren entstandenen Anwaltskosten zu erstatten; vom Erstgericht sind auf dieser Grundlage gegebenenfalls entsprechende Feststellungen zu treffen.
6. Anwaltskosten, die aufgewendet werden, um eine drohende nachträgliche Einschränkung der gewerbebehördlich genehmigten Betriebszeiten abzuwenden, sind als „Rettungsaufwand“ positiver Schaden (RS0023516). Ein solcher Rettungsaufwand ist nur zu ersetzen, wenn er zweckmäßig und angemessen war (1 Ob 231/16a = RS0023516 [T5] = RS0106806 [T2]). Nach dem allgemein im Schadenersatzrecht anerkannten – und auch im Amtshaftungsrecht geltenden – Grundsatz der Schadensminderungspflicht hat der Geschädigte die Pflicht, den Schaden möglichst gering zu halten (§ 1304 ABGB; RS0027043; RS0027116). Der Schädiger kann grundsätzlich verlangen, dass er Ersatz (nur) in angemessener Höhe leisten muss (1 Ob 231/16a mwN = RS0022802 [T4] = RS0027043 [T13]).
Die von der Klägerin für die Teilnahme von zwei Rechtsanwälten an der Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht begehrten Kosten kann sie unabhängig davon, ob ihr (im fortzusetzenden Verfahren) der Nachweis der Kausalität eines pflichtwidrigen Verhaltens der Beklagten im baubehördlichen Verfahren für die ihr im gewerbebehördlichen Verfahren entstandenen Anwaltskosten gelingt, nicht ersetzt verlangen. Zwar steht es ihr frei, sich im verwaltungsbehördlichen Verfahren von mehreren Rechtsanwälten vertreten zu lassen, dies bedeutet jedoch nicht, dass sie die Kosten deren Teilnahme an einer Verhandlung als Schadenersatz ersetzt erhält. Die Frage, was im Rahmen der Schadensminderungspflicht zugemutet werden kann, bestimmt sich nach den Interessen beider Teile im Einzelfall und nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs (RS0022681 [T4]; vgl auch RS0109225). Die Klägerin vermag nicht aufzuzeigen, warum die Teilnahme von zwei Rechtsanwälten an der Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht erforderlich gewesen sein sollte und nicht ein Rechtsanwalt ihre ordnungsgemäße Vertretung bewerkstelligen konnte. Damit ist die Abweisung eines Teils ihres Schadenersatzbegehrens von 1.844,64 EUR sA, nämlich für die Kosten der Teilnahme eines zweiten Rechtsanwalts an der Verhandlung vom 15. 6. 2016, als Teilurteil zu bestätigen.
Im Übrigen sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache insofern zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
7. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 4 (Teilurteil) und § 52 Abs 1 Satz 3 ZPO (Teilaufhebung).
Textnummer
E125393European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0010OB00082.19V.0527.000Im RIS seit
04.07.2019Zuletzt aktualisiert am
16.02.2021