TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/7 L507 1408423-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.03.2019
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Entscheidungsdatum

07.03.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs2 Z3
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46a Abs1 Z2
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
JGG §5 Z10
StGB §127
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

L507 1408423-3/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch RA Mag. Thomas Hansa, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.11.2018, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

1.) Die Beschwerde wird gemäß §§ 8 Abs. 4, 9 Abs. 2 Z 3, 57, 10 Abs. 1 Z 5 AsylG, § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2 Z 4 und Abs. 9 FPG mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt II. folgendermaßen zu lauten hat:

II. Ihr Antrag vom 20.02.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird abgewiesen. XXXX , geb. XXXX , wird gemäß § 9 Abs. 4 AsylG die Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter entzogen.

2.) Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. wird stattgegeben und dieser ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der damals minderjährige Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak, reiste am 08.05.2009 legal unter Zuhilfenahme eines ihm im Rahmen des Verfahrens gemäß § 35 AsylG erteilten Visums in das österreichische Bundesgebiet ein und wurde für ihn am 13.05.2009 von seiner Mutter als (damals) gesetzliche Vertreterin ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.08.2009, Zl. 09 03.663-BAT, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß

§ 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und diesem gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 20.03.2010 erteilt. Die gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 29.11.2011, Zl. E5 408.423-1/2009-8E, gemäß § 3 AsylG als unbegründet abgewiesen.

3. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurden zuletzt mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 21.03.2016, Zl. XXXX (09 03.663-BAT), gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 20.03.2018 verlängert.

4. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX XXXX , wurde der Beschwerdeführer als junger Erwachsener wegen § 12 3. Fall StGB, § 127 StGB zu einer Geldstrafe in Höhe von € 160,-- verurteilt.

5. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX XXXX , wurde der Beschwerdeführer als junger Erwachsener wegen § 142 Abs. 1 und 2 StGB, §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 2. Fall StGB, zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von 24 Monate, davon 16 Monate bedingt nachgesehen (Probezeit 3 Jahre) verurteilt.

6. Am 20.02.2018 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 4 AsylG.

7. Mit Schreiben vom 24.09.2018 teilte das BFA dem Beschwerdeführer mit, dass es im Irak mittlerweile Gebiete gebe, in welche eine Rückkehr ohne Gefährdung der in Art. 2 EMRK garantierten Rechte stattfinden könne, weshalb ein Verfahren zur Aberkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG eingeleitet werde. Außerdem wurden dem Beschwerdeführer Fragen zur Situation in seinem Heimatland, seiner aktuellen Situation in Österreich und zu gesundheitlichen Aspekten gestellt. Weiters wurden dem Beschwerdeführer die aktuellen Länderfeststellungen zum Irak übermittelt und ihm eine Frist von zwei Wochen zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt.

8. Mit Schreiben vom 08.10.2018 nahm der Beschwerdeführer zu den an ihn gestellten Fragen Stellung.

9. Mit Schreiben vom 08.10.2018 wurde von Neustart eine Stellungnahme zum Verfahren zur Aberkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter abgebeben.

10. Mit Bescheid des BFA vom 05.11.2018, Zl. XXXX , wurde dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AsylG aberkannt. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 13.06.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen und gemäß § 9 Abs. 2 AsylG iVm § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak unzulässig ist.

Gemäß

§ 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde im Wesentlichen festgehalten, dass durch die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers die Gründe für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach

§ 9 Abs. 2 Z 3 AsylG gegeben seien. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG würden nicht vorliegen und verletzte die Rückkehrentscheidung nicht das Recht auf ein Privat- und Familienleben im Bundesgebiet. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sei gemäß § 46a Abs. 1 Z 2 FPG geduldet. Dessen Ausreiseverpflichtung bleibe unberührt.

11. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 07.11.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

12. Der bekämpfte Bescheid wurde dem rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers am 08.11.2018 ordnungsgemäß zugestellt, wogegen am 05.12.2018 fristgerecht Beschwerde erhoben wurde.

Begründend wurde ausgeführt, das BFA verkenne die Rechtslage, wenn es sich hinsichtlich der Rückkehrentscheidung auf § 52 Abs. 4 Z 4 iVm § 11 Abs. 2 Z 1 NAG stütze. Zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers wurde angemerkt, dass sich dieser von "falschen Freunden" hinreißen habe lassen. Diesem Freundeskreis habe der Beschwerdeführer nun völlig abgeschworen und durchlaufe er eine psychosoziale Beratung. Dem Beschwerdeführer sei auch ein Bewährungshelfer zur Seite gestellt worden und gehe dieser von einer günstigen Verhaltensprognose aus. Hinsichtlich des Eingriffes in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sei keine nachvollziehbare Abwägung der betroffenen Interessen vorgenommen worden. Es liege eine missbräuchliche Interessenabwägung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt:

1.1. Zum Beschwerdeführer

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Irak, arabischer Abstammung und reiste am 08.05.2009 (im 11. Lebensjahr) legal im Rahmen eines Antrages gemäß § 35 AsylG in das österreichische Bundesgebiet ein. Am 13.05.2009 wurde für den Beschwerdeführer von seiner Mutter als (damals) gesetzliche Vertreterin ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen und dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Eine befristete Aufenthaltsberechtigung wurde dem Beschwerdeführer bis zum 20.03.2010 erteilt und in den Folgejahren regelmäßig verlängert. Gleichlautende Entscheidungen ergingen auch hinsichtlich seiner Eltern und Geschwister (zwei Brüder und zwei Schwestern).

Der Beschwerdeführer hat in Österreich die Volksschule, die Neue Mittelschule sowie ein halbes Jahr eine Handelsakademie besucht, anschließend aber keine Berufsausbildung absolviert.

Von 01.08.2016 bis 23.01.2017 und seit 07.05.2018 war bzw. ist der Beschwerdeführer bei seinem Vater in dessen Geschäft XXXX als geringfügig Beschäftigter angestellt und verdient monatlich €

388,92.

Der Beschwerdeführer wohnt mit seinen Eltern, zwei Schwestern und zwei Brüdern an einem gemeinsamen Wohnsitz. Der Beschwerdeführer spricht die deutsche Sprache und verfügt in Österreich über einen Freundes- und Bekanntenkreis.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX XXXX , wurde der Beschwerdeführer als junger Erwachsener wegen § 12 3. Fall StGB, § 127 StGB zu einer Geldstrafe in Höhe von € 160,-- verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX XXXX , wurde der Beschwerdeführer als junger Erwachsener wegen § 142 Abs. 1 und 2 StGB, §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 2. Fall StGB, zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von 24 Monate, davon 16 Monate bedingt nachgesehen (Probezeit 3 Jahre), verurteilt und befand sich von 01.12.2017 bis 20.04.2018 in Haft.

Der Beschwerdeführer ist gesund, ledig und hat keine Kinder.

1.2. Zur Lage im Irak wird - wie im angefochtenen Bescheid wörtlich ausgeführt - Folgendes festgestellt:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 18.5.2018: Parlamentswahlen

Am 12.5.2018 wurden im Irak Parlamentswahlen abgehalten. Die Wahlbeteilung lag bei 44,5 Prozent - die niedrigste Beteiligung seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 (Die Presse 13.5.2018). Als Sieger geht das Wahlbündnis Sa'irun des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadrs hervor, das nicht mehr vom ersten Platz zu verdrängen ist (Spiegel Online 17.5.2018). Auf zweitem Platz liegt, nach ersten Ergebnissen, das Fatah Bündnis des Milizenführers Hadi al-Ameri, der eng mit den iranischen Revolutionsgarden verbunden ist (Die Presse 13.5.2018). Die Nasr Allianz des amtierenden Ministerpräsidenten Haider al-Abadi kommt im Zwischenergebnis nur auf den dritten Platz (NZZ 15.5.2018).

Obwohl die Wahlkommission die Resultate der Wahl zunächst schon am 14.5.2018 veröffentlichen wollte, liegt bis dato kein offizielles Endergebnis vor (Spiegel Online 17.5.2018). Anschuldigungen von Wahlbetrug in der zwischen Kurden und irakischer Zentralregierung umstrittenen Stadt Kirkuk verzögern die Veröffentlichung der Endergebnisse (The Washington Post 17.5.2018). Laut Wahlkommission belagerten Bewaffnete am Mittwoch, den 16.5.2018, etliche Wahllokale in der Stadt und hielten Mitarbeiter der Wahlkommission in Geiselhaft (Reuters 16.5.2018). Der Gouverneur von Kirkuk sowie der Leiter der Exekutivorgane, Generalmajor Maan al-Saadi, bestritten dies und erklärten, dass die Lage stabil sei und es sich um friedliche und unbewaffnete Proteste um die Wahllokale herum handle (The Washington Post 17.5.2018; Reuters 16.5.2018).

Quellen:

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Neue Züricher Zeitung (15.5.2018): Der Überraschungssieger in der Parlamentswahl öffnet neue Horizonte für den Irak, https://www.nzz.ch/international/irak-ueberraschender-wahlsieg-bei-parlamentswahl-oeffnet-horizonte-ld.1386066, Zugriff 18.5.2018

-

Die Presse (13.5.2018): Irak-Wahl: Niedrigste Beteiligung seit Sturz Saddam Husseins,

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5425941/IrakWahl_Niedrigste-Beteiligung-seit-Sturz-Saddam-Husseins, Zugriff 18.5.2018

-

Reuters (16.5.2018): Iraqi election commission says Kirkuk voting stations under siege, staff inside, https://www.reuters.com/article/us-iraq-election-kirkuk/iraqi-election-commission-says-kirkuk-voting-stations-under-siege-staff-inside-idUSKCN1IH1YA, Zugriff 18.5.2018

-

Der Spiegel Online (17.5.2018): Die Wandlung des "Mullah Atari", http://www.spiegel.de/politik/ausland/irak-wahl-muqtada-al-sadrs-wandlung-von-hardliner-zum-versoehner-a-1207894.html, Zugriff 18.5.2018

-

The Washington Post (17.5.2018): During wait for Iraqi election results, political blocs scramble for influence, https://www.washingtonpost.com/world/during-wait-for-iraqi-election-results-foreign-states-scramble-for-influence/2018/05/17/a1d111d0-59da-11e8-9889-07bcc1327f4b_story.html?noredirect=on&utm_term=.beca16f25693, Zugriff 18.5.2018

KI vom 23.11.2017: Weitere Entwicklungen im Anschluss an das Kurdenreferendum, weitere Rückeroberungen von IS-Gebiet und Update Sicherheitslage mit Fokus auf Bagdad. Relevant für die Abschnitte Sicherheitslage, politische Lage und Menschenrechtslage

Am 29.10.2017 erklärte Mas'ud Barzani seinen Rücktritt als Präsident der kurdischen Region. Er lehnte in einem Brief an das kurdische Parlament eine Verlängerung seines Mandats über den 1.11.17 hinaus ab (IFK 6.11.2017). Barzani bleibt Vorsitzender der KDP (Kurdistan Democratic Party) und somit weiterhin ein wichtiger politischer Akteur. Die weiter andauernde Lähmung des kurdischen Regionalparlamentes versetzt die beiden Parteien KDP und PUK (Patriotische Union Kurdistans) weiterhin in die Lage, politische Entscheidungen ohne die Einbeziehung der Partei Goran oder anderer Parteien zu treffen (CR 14.11.2017).

Nach der Offensive der irakischen Armee und der PMF (Popular Mobilization Forces) in die von den Kurden kontrollierten Gebiete, besteht derzeit ein Waffenstillstand, es herrscht jedoch weiterhin Unsicherheit, nicht nur bezüglich der weiteren Vorgehensweise der irakischen Regierung, sondern auch die wirtschaftliche Situation Kurdistans betreffend. Unterdessen gibt es neue Beweise dafür, dass im Zuge der Offensive in den vorwiegend kurdischen Gebieten Plünderungen, Brandstiftungen, Häuserzerstörungen und willkürliche Angriffe offenbar insbesondere von Seiten der PMF (auch von Seiten turkmenischer PMF-Milizen) stattfanden. Tausende haben dabei ihre Häuser, ihre Geschäfte und ihre sonstigen Besitztümer verloren. (AI 24.10.2017; Bas 14.11.2017; HRW 20.10.2017).

Laut den Vereinten Nationen (VN) kam es im Zuge der Offensive der irakischen Regierung zur Vertreibung von zehntausenden Menschen aus den sogenannten "umstrittenen Gebieten". 180.000 Menschen sind (mit Stand 18.11.2017) nach wie vor vertrieben, 172.000 sind zurückgekehrt. Die meisten dieser Vertriebenen sind Kurden, aber auch Mitglieder anderer Minderheiten, einschließlich sunnitischer Araber und Turkmenen. Die meisten Vertriebenen lebten in den Städten Kirkuk, Daquq (Provinz Kirkuk), sowie Tuz Khurmatu (Rudaw 18.11.2017). Aus Furcht vor Repressalien kehren sie derzeit nicht in ihre Heimatgebiete zurück (Reuters 9.11.2017).

Am Abend des 12.11.2017 fand in der Grenzregion zwischen Iran und Irak ein Erdbeben der Stärke 7,3 statt. Im Irak war dabei die an der Grenze zum Iran befindliche Stadt Halabja (im Autonomen Kurdengebiet) am stärksten betroffen. Acht Menschen starben im Irak, mehr als 500 wurden verletzt und hunderte Familien wurden obdachlos. Zumindest drei Gesundheitszentren wurden beschädigt. Verglichen mit dem Iran war der Irak deutlich geringer von dem Erdbeben betroffen (UNFPA 19.11.2017).

Im Zuge der Rückeroberungen von IS-Gebieten (IS: sogenannter Islamischer Staat) werden weiterhin Massengräber gefunden. Zuletzt wurde in der Nähe der Militärbasis al-Bakara etwa drei Kilometer vor der Stadt Hawija ein Grab mit mindestens 400 Toten (mutmaßlichen IS-Opfern) entdeckt (MOI 3.11.2017; Standard 11.11.2017). Umgekehrt treten weitere Berichte von Racheakten von Seiten der Befreier zutage, laut Nahostexpertin Gudrun Harrer scheint der Zyklus der Gewalt mit dem Sieg über den IS nicht unterbrochen (Harrer 24.11.2017). Mehr als 3,1 Millionen Iraker (die überwältigende Mehrheit Sunniten) sind weiterhin Vertriebene. Weitere 2,3 Millionen sind in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. Für den Wiederaufbau ihrer Städte erhielten die Sunniten nicht viel Hilfe von der Zentralregierung, die sich mehr auf die Bekämpfung/Zurückdrängung des IS und zuletzt der Kurden konzentrieren (NYTimes 26.10.2017).

Ab dem 3.11.2017 mit Stand 17.11.2017 wurden die drei letzten irakischen Städte, die sich noch unter der Kontrolle des IS befanden, Al-Qaim, Ana und Rawa (alle drei im Westen des Landes) von den irakischen Streitkräften zurückerobert. Laut der US-geführten Koalition zur Bekämpfung des IS hat dieser nun 95 Prozent jener irakischen und syrischen Territorien verloren, welches er im Jahr 2014 als Kalifat ausgerufen hatte (Telegraph 17.11.2017; IFK 6.11.2017). Das Wüstengebiet nördlich der drei Städte bleibt vorerst weiterhin IS-Terrain. Die Gebiete rund um Kirkuk und Hawija gehören zu jenen Gebieten, bei denen das Halten des Terrains eine große Herausforderung darstellt. (MEE 16.11.2017; Reuters 5.11.2017; BI 13.11.2017). Es stellt sich auch die Frage, wo sich jene IS-Kämpfer aufhalten, die, nicht getötet wurden oder die nicht in Gefängnissen sitzen (Alleine in Mossul gab es vor der Rückeroberung 40.000 IS-Kämpfer). Viele sind in die Wüste geflohen oder in der Zivilbevölkerung untergetaucht. Es gab es auch umstrittene Arrangements, die den Abzug von IS-Kämpfern und ihren Familien erlaubten. Der IS ist somit nicht verschwunden, nur sein Territorium [mit Einschränkungen s.u.] (Harrer 24.11.2017).

Die folgende Grafik zeigt die massiven Gebietsverluste des IS seit Jänner 2015 (Stand 30.10.2017). Der Wüstenbereich nördlich von Al-Qaim wird je nach Quelle als Wüstengebiet oder als IS-Gebiet eingezeichnet (s. untere Karte) eingezeichnet.

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Seit der IS Offensive im Jahr 2014 ist die Zahl der Opfer im Irak nach wie vor nicht auf den Wert der Zeit zwischen 2008 - 2014 zurückgegangen, in der im Anschluss an den konfessionellen Bürgerkrieg 2006-2007 eine Phase relativer Stabilität einsetzte (MRG 10.2017; vgl. IBC 23.11.2017). Von dem Höchstwert von 4.000 zivilen Todesopfern im Juni 2014 ist die Zahl 2016 [nach den Zahlen von Iraq Body Count] auf 1.500 Opfer pro Monat gesunken; dieser sinkende Trend setzt sich im Jahr 2017 fort (MRG 10.2017). Nach den von Joel Wing dokumentierten Vorfällen, wurden in den Monaten August, September und Oktober 2017 im Irak 2.988 Zivilisten getötet (MOI 9.-11.2017). Zu diesen Zahlen gelten die im Länderinformationsblatt Irak in Abschnitt 3.1 erwähnten Einschränkungen und Anmerkungen - kriminelle Gewalt wurde in dieser Statistik nur zum Teil berücksichtigt, Stammesgewalt gar nicht .

Beispielhaft wird im Folgenden eine Grafik angeführt, in der die von einer Sicherheitsfirma dokumentierten Vorfälle, die in Kalenderwoche 45 des Jahres 2017 stattgefunden haben, eingezeichnet sind. Die Grafik stellt jedoch nach Angaben der Quelle nicht das gesamte Ausmaß der Gewalt und der Vorfälle dar. Mehrere Vorfälle, bzw. umfangreiche und länger andauernde Gefechte werden jeweils als ein Vorfall zusammengefasst dargestellt. Darüber hinaus bleiben viele Vorfälle auf Grund von Einschränkungen durch die Regierung und Einschränkungen der Kommunikation undokumentiert:

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Im kürzlich veröffentlichten Global Peace Index (GPI)-Bericht wurde der Irak als das "dritt-unfriedlichste" Land der Welt eingestuft. Laut GPI-Bericht bleibt trotz der Zurückdrängung des IS die Stabilität und Sicherheit der Staaten Syrien und Irak weiterhin bedroht (K24 8.8.2017; vgl. Iraqinews 15.11.2017).

Bagdad:

Obwohl der IS Bagdad [kontrollgebietsmäßig] nie erreicht hat, verzeichnete die Hauptstadt laut Angaben der UN jeweils entweder die höchste oder die zweithöchste - nach der Provinz Ninewa - Anzahl an zivilen Todesopfern. Um ein Beispiel zu nennen: UNAMI berichtet, dass im Februar 2017 120 Zivilisten getötet und 300 verletzt wurden. In demselben Monat im Jahr 2016 war Bagdad der am stärksten betroffene Bezirk, UNAMI berichtete von 277 Todesopfern und 838 Verletzten. (Update: Für den Monat Oktober 2017 berichtet UNAMI 177 zivile Opfer (38 Tote, 139 Verletzte). Wichtig ist, anzumerken, dass diese Zahlen ausschließlich verifizierte Opfer inkludieren und als das absolute Minimum gesehen werden müssen [Anm.: Es gelten die in Abschnitt 3.1 des LIB Irak getätigten Aussagen und Anmerkungen]. Zum Beispiel beinhalten sie auch nicht jene Opfer, die in manchen Teilen der Stadt regelmäßig tot aufgefunden und geborgen werden (MRG 10.2017; UNAMI 1.11.2017). Nach wie vor kommt es in Bagdad täglich zu sicherheitsrelevanten Vorfällen mit zivilen Opfern (Wing 9.-11.2017; vgl. IBC 28.2.2017). Laut Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes ist in Bagdad weiterhin mit schweren Anschlägen insbesondere auf irakische Sicherheitsinstitutionen und deren Angehörige, auf Ministerien, Hotels, öffentliche Plätze und religiöse Einrichtungen zu rechnen (AA 23.11.2017). Für die fragile Sicherheitssituation in der Hauptstadt gibt es zahlreiche Gründe. Abgesehen davon, dass es ein attraktives Ziel für Anschläge ist, beherbergten und beherbergen die Gebiete rund um Bagdad historisch entstandene Terrorzellen, u.a. von Al-Qaeda und dem IS. Dies ist insbesondere in der Nachbarprovinz Anbar im Westen, sowie im Bezirk Jurf al-Sakhar in der Provinz Babil der Fall. Dazu kommen die äußeren Bezirke Bagdads, dem sogenannten "Bagdad-Belt", der aus spärlich besiedelten ländlichen Gegenden besteht, in denen sich bewaffnete Gruppen leicht verstecken können.

Die Acht-Millionenmetropole Bagdad hat eine höhere Kriminalitätsrate als jede andere Stadt des Landes. Hauptverantwortlich dafür ist der schwache staatliche Sicherheitsapparat sowie die schwache Exekutive. Seit dem Krieg gegen den IS verblieb in Bagdad aufgrund von Militäreinsätzen in anderen Teilen des Landes phasenweise nur eine geringe Zahl an Sicherheitspersonal. Da große Teile der Armee im Sommer 2014 abtrünnig wurden, sind zum Wiederaufbau der Armee mehrere Jahre nötig. Gleichzeitig erschienen bewaffnete Gruppen, vor allem Milizen mit Verbindungen zu den 'Popular Mobilization Forces' (PMF), auf der Bildfläche, mit divergierenden Einflüssen auf die Stabilität der Stadt. Der Zusammenbruch der Armee führte zusätzlich zu einem verstärkten Zugang und zu einer größeren Verfügbarkeit von Waffen und Munition. Dazu kommt die Korruption, die in allen Einrichtungen des Sicherheitsapparates und der Exekutive herrscht. Trotz dieser Probleme gibt es aktuell eine Verbesserung der Situation, die sich auch auf die Meinung der Bewohner über den irakischen Gesetzesvollstreckungsapparat auswirkt. Obwohl konfessionell bedingte Gewalt in Bagdad existiert, ist die Stadt nicht in gleichem Ausmaß in die Spirale der konfessionellen Gewalt des Bürgerkriegs der Jahre 2006-2007 geraten. Stattdessen kommt es zu einem Anstieg der Banden-bedingten Gewalt (Bandenkriege), die meist finanziell motiviert sind, in Kombination mit Rivalitäten zwischen Sicherheitskräften/-akteuren (MRG 10.2017).

Terrorattacken:

Terrorattacken werden meist mit verschiedenen Arten von IEDs (Improvised Explosive Devices) ausgeführt, inklusive am Körper getragene ('body-born' oder BBIEDs, in Fahrzeugen transportierte ('vehicle-borne' oder S/VBIEDs) und unter Fahrzeugen befestigte Sprengfallen ('under-vehicle-borne' oder UVBTs). Dabei handelt es sich um typische Taktiken des IS. Sie zielen dabei auf große Menschenansammlungen wie z.B. auf Märkten, in Einkaufszentren und Moscheen ab, wo der Kollateralschaden maximiert werden kann. Auch wenn diese Attacken alle Teile der Stadt treffen können, sind [ethno-religiös] gemischte Gebiete besonders gefährdet. Auch werden Kontrollpunkte regelmäßig angegriffen mit dem Ziel Sicherheitskräfte zu schwächen. Wegen des hohen Verkehrsaufkommens werden an den Kontrollpunkten selten sorgfältige Fahrzeugdurchsuchungen durchgeführt, weshalb das Problem schwer einzudämmen ist (MRG 10.2017).

Es sollte auch erwähnt werden, dass UVBTs besonders häufig verwendet werden, um Individuen zu attackieren. Diese Attentate können durch persönliche oder stammesbezogene Auseinandersetzungen motiviert sein, in spezifischen Fällen sind sie politisch motiviert.

Kidnappings und Entführungen:

Kidnappings und Entführungen kommen überall in Bagdad vor, unterscheiden sich aber in Häufigkeit und Art der Opfer. Man kann generell zwischen finanziell motivierten Entführungen und denen, die politisch oder persönlich motiviert sind, unterscheiden. Während erstere von kriminellen Gangs begangen werden, werden die politisch oder persönlich motivierten von bewaffneten Gruppen oder Individuen ausgeführt. Geschätzte 65-75 Prozent können als kriminelle Akte kategorisiert werden, während zwischen einem Viertel und einem Drittel als politisch oder als Folge von persönlichen Auseinandersetzungen gesehen werden können. Die zentralen und relativ wohlhabenden Bezirke Karkh und Rusafa zeigen die höchsten Zahlen an Kidnappings und sind für etwa die Hälfte der dokumentierten Fälle des gesamten Gouvernements verantwortlich (MRG 10.2017).

Obwohl die offiziellen Daten nicht veröffentlicht wurden zeigt eine Aufzeichnung des Innenministeriums, dass in den ersten neun Monaten des Jahres 2016 in Bagdad zumindest 700 Kidnappings stattgefunden haben (MRG 10.2017).

Allerdings können sich diese in vielen Fällen überschneiden. Es wurde zum Beispiel berichtet, dass schiitische Milizen Kidnappings und Erpressungen als einkommensgenerierende Aktivitäten einsetzen. Während es sich dabei um einen kriminellen Akt handelt, kann zusätzlich auch ein politisches oder religiöses Motiv dahinter stehen. Milizen haben z.B. Mitglieder anderer Gruppen entführt und verschleppt. Opfer der von den Gruppen durchgeführten Kidnappings sind tendentiell eher Sunniten als Schiiten. Es ist auch häufig, dass Milizen Kidnappings in Gegenden, die nicht unter ihrer eigenen Kontrolle stehen, ausführen, etwa um ihre Reputation in den von ihnen kontrollierten Gebieten nicht aufs Spiel zu setzen (MRG 10.2017).

Da es zu Protesten in der Bevölkerung kam, und zu Forderungen an den Staat, Maßnahmen zu ergreifen, wurde in den letzten zwei Jahren das Thema Kidnappings in der Öffentlichkeit diskutiert. Immer wieder kam es zu Wellen von Entführungen, die gegen bestimmte Professionen und Gruppen der Gesellschaft gerichtet waren. Anfang 2017 tauchten Berichte auf, dass Sicherheitskräfte eine kriminelle Gruppe zu identifizieren suchten, die auf die Entführung von Kindern in der Gegend um Bagdad al-Jadida spezialisiert war. Im August 2017 veröffentlichte Niqash einen Artikel über eine vor Kurzem vorgefallene Serie an Kidnappings, die gegen Ärzte und medizinisches Personal gerichtet waren. Diese wurden von kriminellen Banden durchgeführt, aber auch von Stämmen, die Wiedergutmachung für Verwandte forderten, die nicht behandelt werden konnten oder die im Spital verstorben waren. Im Mai 2017 wurde eine Gruppe von Studenten und Anti-Korruptions-Aktivisten gekidnappt, angeblich von einer Miliz. Dennoch war einer der meist diskutierten Fällen die Entführung von Afrah Shawqi, einem Journalisten, der nur wenige Tage davor einen Artikel im Al-Sharq al-Awsat über die Straffreiheit von schiitischen Milizen im Irak veröffentlicht hatte. In beiden Fällen wurden die Opfer freigelassen, nachdem großer öffentlicher Druck auf den Premierminister selbst, sowie auf das Innenministerium ausgeübt worden war. Regierungsbeamte und andere politische Führungskräfte wurden ebenso ins Visier genommen wie z.B. bei jenem Fall eines hohen Beamten des Justizministeriums, der im September 2015 gekidnappt wurde, oder jenem Fall eines sunnitischen Stammesführers, dessen Entführung und Ermordung Anlass zu einer Kampagne von Amnesty International wurde (MRG 10.2017).

All diese Fälle haben Regierung und Sicherheitsdienste gezwungen, sich aktiver diesem Problem zu widmen. In vergangenen Jahren, sowie auch in den Jahren 2006-2007, war die Exekutive beinahe gänzlich außerstande, mit dieser Art der Gewalt umzugehen. Heute spricht Premierminister Abadi, der sich manchmal persönlich in Fälle involviert, lautstark über die Bedenken der Bevölkerung, und unternimmt Schritte, um die Kapazitäten der Gesetzesvollstreckung auszuweiten. Dennoch werden Milizen in erfolgreichen Fällen - wenn es Sicherheitskräften gelingt, Banden zur Anklage bringen - selten erwähnt. Es ist praktisch unmöglich einzuschätzen, wie oft die von den Sicherheitskräften Verhaftungen Mitglieder von Milizen einschließen, da Fälle von Kidnappings mit Lösegeldforderungen einfach als kriminelle Akte kategorisiert werden. Dies kann nur durch anekdotische Hinweise und durch Zeugenaussagen belegt werden. Allerdings besteht das Problem, dass die Opfer oft selber nicht wissen woher die Bedrohung kommt oder wer der Empfänger des geforderten Lösegeldes ist (MRG 10.2017).

Schießereien mit Handfeuerwaffen:

Was die Verwendung von Handfeuerwaffen betrifft, können generelle Muster zwischen dem zentralen Gebiet und der Peripherie der Provinz Bagdad unterschieden werden. Morde und Anschläge auf Zivilisten sind innerhalb der Stadt Bagdad weiter verbreitet, die Bezirke Karkh, Rusafa und Adhamiya sind diesbezüglich überrepräsentiert. Diese Anschläge richten sich z.B. gegen Geschäftsbesitzer, Anwälte sowie Angestellte der Regierung. Schießereien kommen auch in Verbindung mit Raubüberfällen vor. Zusätzlich stehen viele Tötungen in Verbindung mit Kidnappings, bei denen das Lösegeld nicht gezahlt wurde.

Im Gegensatz dazu sind Vorfälle mit Handfeuerwaffen im 'Bagdad Belt' üblicherweise gegen Sicherheitsdienste wie die Iraqi Security Forces (ISF) und Mitglieder von sunnitischen und schiitischen Milizen gerichtet, und finden meistens bei Kontrollpunkten statt. Dies kann man in Abu Ghraib, Mahmudiya und Tarmiya beobachten. Diese Gebiete verzeichnen auch eine große Anzahl an Schießereien in Verbindung mit stammesbezogenen Auseinandersetzungen (MRG 10.2017).

Konfessionalismus und Diskriminierung:

Konfessionalismus und Diskriminierung sind weiterhin ein weit verbreitetes Phänomen in Bagdad, wenn sie auch nicht dasselbe Ausmaß an Gewalt erreicht haben, der während des konfessionellen Krieges in den Jahren 2006-2007 dokumentiert wurde. Dies anzumerken, ist von wichtig, weil von vielen angenommen wurde, dass durch das Ausbreiten des IS ab 2014 frühere Muster an Gewalt nach Bagdad zurückkehren würde. Das hat er auch, allerdings in einem geringeren Ausmaß. Wie diverse Menschenrechtsberichte gezeigt haben, fachen Terrorattacken des IS in Bagdad viele Arten an Vergeltungsmaßnahmen gegen sunnitische Zivilisten an, die vorwiegend von schiitischen Milizen begangen werden. Diese beinhalten Kidnappings, Ermordungen sowie ungesetzlichen Freiheitsentzug. Dennoch ist der offensichtlichere Konfessionalismus - bei dem sunnitische Bewohner Kontrollpunkte nicht passieren konnten ohne namentlich aufgerufen zu werden und manchmal schikaniert oder festgenommen wurden - heute relativ selten. Dies trifft allerdings nicht auf sunnitische Internvertriebene (IDPs) zu, die in der Provinz Bagdad regelmäßig diskriminiert werden. Nachdem der IS in großen Teilen von Anbar und Salah al-Din die Macht ergriffen hatte, flohen Tausende nach Bagdad. In vielen Fällen war es ihnen von vorne herein nie gestattet, in die Provinz einzureisen. Die, die es dennoch geschafft haben, berichten von extrem eingeschränkter Reisefreiheit (da Personalausweise aufzeigen in welchem Gouvernement sie ausgestellt wurden), von Schwierigkeiten, als Gebietsfremde des Gouvernements an wesentliche Dokumente zu gelangen, sowie von Schikanen aufgrund des Pauschalverdachts der IS-Zugehörigkeit. Für Internvertriebene besteht, aufgrund fehlender Netzwerke für persönliche Unterstützung, auch ein größeres Risiko, entführt zu werden.

Eine weitere Seite des Konfessionalismus sind Verhaftungen, oft willkürlich, welche meist in Verbindung mit einer Anklage wegen Terrorismus nach Artikel 4 vollzogen werden und beinahe ohne Ausnahme Sunniten betreffen. Diese Festnahmen sind nach Terroranschlägen häufig, wenn Sicherheitsdienste Durchsuchungsaktionen durchführen, um Mitglieder oder Unterstützer des IS ausfindig zu machen (MRG 10.2017).

Kleinere Gemeinschaften, inklusive Minderheiten und solche, die sich ineiner Minderheitssituation wiederfinden, stehen unter signifikantem Risiko. Die Anzahl an Christen in Bagdad nimmt unter dieser Bedrohungssituation weiterhin ab, wenn auch kleine christliche Gemeinden in gemischten Bezirken bestehen bleiben; so auch in Karkh und in Karrada und Palästina. Faili-Kurden (schiitische Kurden), einschließlich jener, die in Sadirya und im südlichen Teil Bagdads leben, haben unter Bombenangriffen gelitten und berichten von erhöhten Spannungen, die in Zusammenhang mit dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum stehen. Palästinenser, die vorwiegend in al-Baladiyat leben, sind diesen gezielten Attacken ebenso ausgesetzt und bleiben weiterhin besonders gefährdet (MRG 10.2017).

Sicherheitskräfte in der Provinz Bagdad:

Irakische Sicherheitskräfte (ISF):

Die ISF werden in Bagdad vom 'Baghdad Operations Command' (BOC) repräsentiert, Geheimdienste und irakische Polizeieinheiten, die im Bagdad Gouvernement agieren, sind dem Verteidigungsministerium unterstellt. Der BOC besteht aus mehreren Brigaden, die der 6., 11. und 17. Abteilung der irakischen Armee angehören, sowie aus spezialisierten Militär- und Polizei-Einheiten, inklusive Bereitschaftspolizei und Schutzeinheiten für Diplomaten. Die irakische Armee ist gemeinsam mit staatlichen und lokalen Polizeieinheiten für die Sicherheit verantwortlich. Zusätzlich zu regulären Sicherheitsfunktionen, sind die ISF gemeinsam mit Einheiten, die in Verbindung zum Innenministerium stehen, für die Überprüfung von Internvertriebenen und Rückkehrern und damit in Zusammenhang stehende Regulierungen zuständig (MRG 10.2017).

Polizeikräfte werden oft als Erweiterung der Badr-Partei gesehen. Darüber hinaus wird das Polizeikorps, abgesehen von Teilen der Staatspolizei, als schwer korrupt erachtet. In wenigen Ausnahmen sind Offiziere der Staatspolizei ehemalige Offiziere der Armee und werden als weniger korrupt und konfessionalistisch gesehen. Die meisten sind allerdings durch politische Einflussnahme und Vereinbarungen verschiedener Parteien an ihre Position gelangt (MRG 10.2017).

Im Allgemeinen vertraut die Bevölkerung eher der Armee als der Polizei. Die Mehrheit der Bewohner Bagdads, die in einer Umfrage einer NGO befragt wurden, ob sie in einer Notsituation die Polizei kontaktieren würden, sagten sie würden erst versuchen, das Problem selbst zu beheben. Knapp unter 50 Prozent meinten, sie würden der Polizei unter keinen Umständen Bericht erstatten. Im Vergleich dazu:

über 70 Prozent derer, die in Gebieten leben, in denen die Armee für die Sicherheit verantwortlich ist, gaben an, sie würden, wenn nötig, ihre lokalen Sicherheitskräfte kontaktieren. In derselben Umfrage wurden Bewohner gefragt, ob sie jemals Bestechungsgeld gezahlt hätten, um Unterstützung von offiziellen Sicherheitskräften zu erhalten, was 30 Prozent der Befragten bejahten. Zuletzt wurden Bewohner gefragt ob sich die Sicherheits-Situation in Bagdad verbessern oder verschlechtern würde, worauf beinahe 70 Prozent antworteten, das sie sich verbessere (MRG 10.2017).

Islamischer Staat (IS):

Der IS konnte Mitte 2014 Gebiete im Provinz Bagdad nicht unter seine Kontrolle bringen. Allerdings hat sich IS-Aktivität mehrmals vom angrenzenden Provinz Anbar in den westlichen Bezirk Abu Ghraib ausgeweitet. Teile des 'Bagdad-Belt' sind historisch gesehen Unterstützungsgebiete des IS, welche IS-Attacken in zentraler gelegenen Gebieten Bagdads ermöglichen (MRG 10.2017).

In der Provinz Bagdad beschränken sich die Aktivitäten des IS vor allem auf "unkonventionelle Attacken" gegen Zivilisten und hochrangige Opfer - in erster Linie durch die Verwendung von IEDs (MRG 10.2017).

Popular Mobilization Forces (PMF):

[Erläuterungen zu den PMF siehe auch Länderinformationsblatt Irak Abschnitt 3.2.2]

Während die PMF generell auf Schlachtfeldern quer durch das Land eingesetzt wurden, bewahren einige eine signifikante Präsenz in Bagdad. Die älteren und größeren [überwiegend schiitischen] Milizen sind jene, die vorwiegend als aktive Gruppen einen Teil der Sicherheitskräfte der Stadt repräsentieren. [...] Sunnitische Milizen kommen in der Stadt Bagdad nicht vor, aber sehr wohl in manchen Teilen des 'Bagdad-Belt', besonders in den Bezirken, die an Anbar und das Gouvernement Salah al-Din grenzen, inklusive Taji, Tarmiya und Abu Ghraib. Auf lokaler Ebene agieren PMF-Einheiten parallel und oft im Konflikt mit den ISF. Bewaffnete Konflikte zwischen ISF und PMUs, wenn auch selten, wurden im Gouvernement Bagdad beobachtet. Während die PMF weitläufig von der schiitischen Bevölkerung unterstützt werden, wurden sie beschuldigt, Menschenrechtsverletzungen gegen sunnitische Zivilisten in Gebieten begangen zu haben, die vom IS zurückerobert wurden, - wie von diversen Organisationen wie z.B. Human Rights Watch, Amnesty International und Minority Rights Group dokumentiert wurde. Berichterstattung dieser Art tendiert dazu, sich auf die Gouvernements zu konzentrieren, in denen in den letzten zwei Jahren Militäreinsätze stattgefunden haben - wie in etwa in Anbar, Ninewa und Salah al-Din - sowie auf Gebiete, in denen außer Frage steht, dass Milizen ungestraft agierten. Aufgrund dessen werden Menschenrechtsverletzungen innerhalb des Gouvernements Bagdad nicht so eingehend verfolgt (MRG 10.2017).

Im Folgenden werden einige Beispiele der wichtigsten PMF-Milizen aufgezählt, die in Bagdad operieren: Badr-Organisation, Asaib Ahl al-Haq, Saraya al-Salam, Saraya al-Khorasani, Kataib Hizbullah (MRG 10.2017). Anm.: Die Milizen sind in Abschnitt 3.2.2 des LIB näher beschrieben.

Quellen:

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https://www.amnesty.org/en/latest/news/2017/10/iraq-fresh-evidence-that-tens-of-thousands-forced-to-flee-tuz-khurmatu-amid-indiscriminate-attacks-lootings-and-arson/, Zugriff 22.11.2017

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Bas - Basnews (14.11.2017): Over 1,500 Civilian Properties Damaged by Hashd al-Shaabi in Tuz KhurmatuFeatured, http://www.basnews.com/index.php/en/news/kurdistan/392677, Zugriff 22.11.2017

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BI - Business Insider (13.11.2017): Two suicide attacks in Iraq's Kirkuk kill at least five,

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Harrer, Gudrun in der Standard (24.11.2017): "Islamischer Staat":

Der Zyklus der Gewalt ist nicht gebrochen - derstandard.at/2000068367290/Islamischer-Staat-Der-Zyklus-der-Gewalt-ist-nicht-gebrochen

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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