TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/26 W164 2168927-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.04.2019
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Entscheidungsdatum

26.04.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W164 2168927-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, vom 09.08.2017, Zl. 15-1049546301/150011404, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vom 28.03.2019 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben; XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 idgF der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am 06.01.2015 nach illegaler Einreise den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und gab im Wesentlichen an, er sei am XXXX im Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz Laghman, geboren. Sein Vater sei vor etwa fünf Jahren verstorben. Seine Mutter und sein jüngerer Bruder würden die familieneigene Obstplantage betreiben. Der BF habe seine Heimat wegen den Taliban verlassen. Diese hätten ihn gezwungen, für ihn zu kämpfen und ihn mit dem Tod bedroht.

Am 28.02.2015 wurde der BF an der medizinischen Universität Wien, Zentrum für Anatomie und Zellbiologie, im Rahmen einer sachverständigen Volljährigkeitsbeurteilung untersucht. Es wurde ein höchstmögliches Mindestalter zum Untersuchungszeitpunkt von 18,5 Jahren festgestellt. Das ergab, dass das "fiktive" Geburtsdatum des BF der XXXX sei.

Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vom 26.07.2017 vor dem BFA legte der BF eine Tazkira, einen Drohbrief, Fotos, Arbeitsbestätigungen einer afghanischen Baufirma, Zertifikate über in Afghanistan absolvierte Kursbesuche in Algebra und Englisch weiters Unterlagen bezüglich seine Integration in Österreich (u.a. Deutschzertifikate und Lehrvertrag) vor und merkte einleitend an, dass sein jüngerer Bruder mittlerweile getötet worden sei.

Der BF machte detaillierte Angaben zu seiner Fluchtgeschichte. Er sei in Laghman mit wohlhabenden Eltern und einem Bruder aufgewachsen, habe 6 Jahre die Schule besucht, und früh seinen Vater verloren. 2011 bis 2014 habe er für eine Baufirma namens " XXXX " als Verkaufsmanager gearbeitet. Die Firma sei mit Amerikanern in Geschäftsbeziehung gestanden. Eines Tages nach dem Freitaggebet sei der BF angesprochen worden und ihm sei zunächst freundlich nahegelegt worden, seine Arbeit für die genannte Baufirma zu beenden und stattdessen für die Taliban zu arbeiten. Es sei ein zweites Gespräch gefolgt und schließlich ein drittes, das mit einer Todesdrohung und einer Fristsetzung für drei Tage geendet habe. Der BF sei nach Helmand, Distrikt XXXX , Dorf XXXX geflüchtet, wo sein Onkel mütterlicherseits wohnte. Dort habe er erfahren, dass in Laghman beim Haus seiner Familie ein Drohbrief für ihn hinterlegt wurde. Auch in Helmand sei er gesucht worden. Sein Onkel mütterlicherseits habe ihm dies mitgeteilt. Als eines Abends drei mit Turbanen bekleidete Personen am Haus des Onkels mütterlicherseits geklopft und nach " XXXX " verlangt hätten, sei der BF, der das Geschehen vom oberen Stock aus beobachtet habe, an der Hinterseite des Hauses aus dem Fenster gesprungen, habe sich verletzt, habe aber davon laufen können. Er habe Schüsse gehört. Nach einer Stunde habe er den Freund seines Vaters anrufen. Dieser habe ihm einen Schlepper geschickt, der ihn nach Pakistan gebracht habe. Dem BF sei bekannt, dass Onkel und Cousins väterlicherseits den Taliban nahe stehen. Ein befreundeter Arbeitskollege des BF sei vor den Taliban nach Kabul geflüchtet und dort getötet worden. Die Polizei habe der BF nicht eingeschalten. Er hätte der Polizei nicht vertraut.

Mit Bescheid des BFA vom 09.08.2017, Zl. 15-1049546301/150011404, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt und es wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Spruchpunkt I. dieses Bescheides begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass der BF keine wohlbegründete Furcht im Sinne der einschlägigen Bestimmungen glaubhaft habe machen können.

Mit Verfahrensanordnung vom 10.08.2017 wurde dem BF für ein etwaiges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, Wien als Rechtsberatung amtswegig zur Seite gestellt.

Durch seine Rechtsberatung erhob der BF fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, die belangte Behörde habe sich nicht mit der Problematik der Verfolgung von Personen auseinandergesetzt, die aufgrund ihrer Tätigkeit für bzw. mit Amerikanern in den Fokus der Taliban-Miliz gerieten. Die belangte Behörde habe sich auch nicht mit der Frage einer innerstaatlichen Fluchtalternative auseinandergesetzt, habe mangelhafte allgemeine Länderfeststellungen zur aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan getroffen und habe die vom BF angebotenen Beweismittel grundlos unbeachtet gelassen. Tatsächlich drohe dem BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aufgrund seiner Zusammenarbeit mit den Amerikanern in eventu wäre dem BF der subsidiäre Schutz zuzusprechen gewesen. Der BF verfüge über sehr gute Deutschkenntnisse, er habe eine Lehrstelle, einen großen österreichischen Bekanntenkreis, sei strafrechtlich unbescholten. Er sei in sprachlicher und sozialer Hinsicht erfolgreich integriert. Seine Ausweisung würde einen ungerechtfertigten Eingriff in das schützenswerte Privat- und Familienleben des BF darstellen. Es wurde eine mündliche Verhandlung beantragt.

Am 28.03.2019 wurde beim Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durchgeführt, an der der BF im Beisein seiner Rechtsberatung und zweier Vertrauenspersonen teilnahm. Das ebenfalls zur Verhandlung geladene BFA teilte mit Schreiben vom 17.01.2019 mit, dass die Teilnahme an der Verhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung beantragte der BF die Richtigstellung seines Geburtsdatums auf den XXXX und beantwortete ergänzende Detailfragen zu dem von ihm vorgebrachten Sachverhalt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der strafrechtlich unbescholtene Beschwerdeführer (=BF) führt den Namen XXXX , er wurde am XXXX im Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz Laghman geboren, ist Staatsangehöriger von Afghanistan, ledig, Sunnit und gehört der Volksgruppe der Paschtunen an. Der BF wuchs in Laghman mit seinen Eltern und einem etwa zwei Jahre jüngeren Bruder auf, besuchte 6 Jahre die Schule. Die Familie war wohlhabend, sie betrieb eine Obstplantage. Der Vater des BF starb, als der BF etwa 11 oder 12 Jahre alt war. Die Brüder des verstorbenen Vaters und deren Söhne standen den Taliban nahe. Der BF lebte fortan mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder in seinem Heimatdorf. Als ein mobiles Fortbildungsinstitut dort einen Algebra-Kurs anbot, besuchte er diesen Kurs. In der Folge pendelte der BF mehrmals die Woche nach Kabul um dort Englisch zu lernen. Ein im selben Dorf lebender Freund des verstorbenen Vaters hielt engen Kontakt zur Familie und ermöglichte dem BF in einer in Kabul ansässigen Baufirma namens " XXXX " als Praktikant zu beginnen. Kunden dieser Firma waren unter anderem amerikanische Einrichtungen. Der BF arbeitete sich über mehrere Jahre zum Verkaufsmanager hoch. Im Zuge dieser Tätigkeit hatte er auch gefährliche Fahrten, u.a. nach Kandahar zu absolvieren - zunächst mit einem Chauffeur und als dies der Firma zu riskant wurde, mit dem Sammeltaxi. Durch Vermittlung des BF erhielt auch ein Freund aus Kindertagen in der genannten Firma einen Arbeitsplatz. Eines Tages erfuhr der BF, dass dieser Freund von Taliban bedroht wurde. Der Freund erhob Anzeige bei der Polizei und flüchtete nach Kabul. Der BF erfuhr einige Zeit später, dass der Freund in Kabul getötet worden sei.

Bald darauf wurde der BF nach dem Freitagsgebet in seinem Heimatdorf von drei Männern angesprochen. Der BF erkannte Sie anhand ihrer Kleidung als Taliban. Taliban patroullierten regelmäßig im Heimatdorf des BF. Sie waren im Dorf vor allem dafür bekannt, junge Männer - auch sexuell - zu missbrauchen. Der BF fürchtete die Männer und fühlte sich von ihnen bedroht, obwohl sie zunächst freundlich waren. Sie sprachen eine Predigt aus und teilten ihm dann mit, dass sie über seine Arbeitsstelle informiert wären, diese Arbeit aber ablehnen würden und den BF einladen würden, für die Taliban zu arbeiten. Der BF erzählte von dem Gespräch seiner Mutter, die sehr ängstlich wurde. Der BF wollte seine Arbeitsstelle nicht verlieren. Er sprach daher mit niemandem sonst über die Bedrohung und mied die Moschee. Nach ein paar Wochen ging er seiner Mutter zuliebe, die sehr religiös war, wieder zum Freitagsgebet, stellte sich in die letzte Reihe und verließ die Moschee noch bevor alle anderen Besucher nach Hause gingen. Draußen warteten bereits drei Männer auf ihn, die der BF den Taliban zuordnete. Sie konfrontierten ihn damit, dass er seine Arbeitsstelle noch nicht verlassen habe. Der BF versprach diesmal, seine Arbeitsstelle zu verlassen und für die Taliban zu arbeiten. Von da an fuhr der BF früher als sonst am Morgen in die Arbeit. Die Moschee besuchte er nicht mehr. Eines Abends - der BF war am Heimweg - sprachen ihn wieder drei Männer an, die er den Taliban zuordnete. Sie warfen ihm vor, dass er entgegen seinem Versprechen weiter für diese "amerikanische Firma" arbeiten würde und drohten ihm. Auf Anraten des Freundes seines Vaters zog der BF daraufhin zu seinem Onkel mütterlicherseits nach Helmand Distrikt XXXX , Dorf XXXX . Von dort aus organisierte der Freund seines Vaters für ihn einen Schlepper. Von Österreich aus erfuhr der BF durch den Freund seines Vaters, dass der Bruder des BF in Afghanistan getötet wurde. Der BF hat in Österreich die Deutschprüfung A2 nach dem gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen, GER abgelegt und macht eine Ausbildung für den Lehrberuf Koch.

Allgemeine Länderfeststellungen:

UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender; Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), 30.08.2018, HCR/EG/AFG/18/02:

Afghanistan ist weiterhin von einem nicht internationalen bewaffneten Konflikt betroffen, bei dem die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF), unterstützt von den internationalen Streitkräften, mehreren regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) gegenüberstehen.

Dem UN-Generalsekretär zufolge steht Afghanistan weiterhin vor immensen sicherheitsbezogenen, politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Sicherheitslage soll sich insgesamt weiter verschlechtert und zu einer sogenannten "erodierenden Pattsituation" geführt haben Berichten zufolge haben sich die ANDSF grundsätzlich als fähig erwiesen, die Provinzhauptstädte und die wichtigsten städtischen Zentren zu verteidigen, im ländlichen Raum hingegen mussten sie beträchtliche Gebiete den Taliban überlasssen.

Es wird berichtet, dass die Taliban zum 31. Januar 2018, 43,7 Prozent aller Distrikte Afghanistans kontrolliert oder für sich beansprucht haben. Die Taliban haben ihre Angriffe in Kabul und anderen großen Ballungsräumen verstärkt, mit zunehmenden Fokus auf afghanische Sicherheitskräfte, die große Verluste zu beklagen haben. Das ganze Jahr 2017 hindurch führten die Taliban mehrere umfangreiche Offensiven mit dem Ziel durch, Verwaltungszentren von Distrikten zu erobern. Es gelang ihnen mehrere solcher Zentren unter ihre Kontrolle zu bringen und vorübergehend zu halten. Meldungen zufolge festigten die Taliban gleichzeitig ihre Kontrolle über größtenteils ländliche Gebiete, was ihnen ermöglichte, häufigere Angriffe - insbesondere im Norden Afghanistans - durchzuführen. Es wird berichtet, dass der Islamische Staat (ISIS)52 inzwischen trotz verstärkter internationaler und afghanischer Militäroperationen widerstandsfähig blieb. Sein kontinuierliches Engagement hinsichtlich Auseinandersetzungen sowohl mit der afghanischen Regierung als auch mit den Taliban scheint "anzudeuten, dass die Gruppe ihren geografischen Aktionsradius ausgeweitet und begonnen hat, ihre Präsenz auch über den Osten des Landes hinaus zu festigen". ISIS soll inländische und ausländische militärische Ziele und die Zivilbevölkerung angegriffen haben, wovon insbesondere religiöse Stätten, geistige Führer und Gläubige, Schiiten, Journalisten und Medienorganisationen betroffen waren, sowie Anschläge gegen Ziele verübt haben, die sich anscheinend gegen die internationale Gemeinschaft richteten. Es heißt, dass diese Angriffe konfessioneller Art "eine beängstigende Entwicklung im bewaffneten Konflikt Afghanistans" anzeigten.

Auch von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppen wird berichtet, dass sie die Autorität der Regierung in ihrem Einflussbereich untergraben; sie werden auch mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht. Es wird berichtet, dass die Regierung der nationalen Einheit (NUG) weiterhin durch ethnische Spaltung, Spannungen aufgrund von Klientelpolitik und internen Uneinigkeiten in zentralen strategischen Fragen behindert wird. Die Besorgnis um die sich verschlechternde Sicherheitslage hat Berichten zufolge dazu geführt, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung schwindet. Nachdem die Parlamentswahlen, die ursprünglich für 2015 geplant waren, immer wieder verschoben wurden, gab die Regierung im April 2018 bekannt, dass am 20. Oktober 2018 Parlaments- und Distriktratswahlen und 2019 Präsidentschaftswahlen abgehalten würden. Im September 2016 wurde ein neues Wahlgesetz verabschiedet und im November 2016 eine neue Unabhängige Wahlkommission (IEC) eingesetzt. Laut diesem Gesetz muss die IEC Wahllokale an geografisch ausgewogenen Standorten einrichten, und zwar auch in Gebieten unter der Kontrolle von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs). UNAMA brachte ihre Bedenken über die zunehmende Unsicherheit und die mit den Wahlen in Zusammenhang stehende Gewalt gegen Zivilisten und zivile Einrichtungen in diesem frühen Stadium des Wahlprozesses zum Ausdruck - eine Tendenz, die an das Muster der Gewalt um die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 erinnere. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor unbeständig und die Zivilbevölkerung trägt weiterhin die Hauptlast des Konflikts. In den Jahren nach dem Abzug der internationalen Streitkräfte 2014 waren eine fortgesetzte Verschlechterung der Sicherheitslage und eine Intensivierung des bewaffneten Konflikts in Afghanistan zu beobachten. Aus Berichten geht hervor, dass die Taliban ihre Offensive zur Ausweitung ihrer Kontrolle über weitere Distrikte fortsetzt, während der Islamische Staat angeblich immer nachdrücklicher seine Fähigkeit unter Beweis stellt, seine geografische Reichweite auszudehnen, was eine weitere Destabilisierung der Sicherheitslage zur Folge hat.

Von dem Konflikt sind weiterhin alle Landesteile betroffen. Seit dem Beschluss der Regierung, Bevölkerungszentren und strategische ländliche Gebiete zu verteidigen, haben sich die Kämpfe zwischen regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) und der afghanischen Regierung intensiviert. Es wird berichtet, dass regierungsfeindliche Kräfte immer öfter bewusst auf Zivilisten gerichtete Anschläge durchführen, vor allem durch Selbstmordanschläge mit improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und komplexe Angriffe. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) setzen ihre groß angelegten Angriffe in Kabul und anderen Städten fort und festigen ihre Kontrolle über ländliche Gebiete. Es wurden Bedenken hinsichtlich der Fähigkeit und Effektivität der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) geäußert, die Sicherheit und Stabilität in ganz Afghanistan zu gewährleisten.

Es wird berichtet, dass der Islamische Staat (ISIS)52 inzwischen trotz verstärkter internationaler und afghanischer Militäroperationen widerstandsfähig blieb. Sein kontinuierliches Engagement hinsichtlich Auseinandersetzungen sowohl mit der afghanischen Regierung als auch mit den Taliban scheint "anzudeuten, dass die Gruppe ihren geografischen Aktionsradius ausgeweitet und begonnen hat, ihre Präsenz auch über den Osten des Landes hinaus zu festigen". ISIS soll inländische und ausländische militärische Ziele und die Zivilbevölkerung angegriffen haben, wovon insbesondere religiöse Stätten, geistige Führer und Gläubige, Schiiten, Journalisten und Medienorganisationen betroffen waren, sowie Anschläge gegen Ziele verübt haben, die sich anscheinend gegen die internationale Gemeinschaft richteten. Es heißt, dass diese Angriffe konfessioneller Art "eine beängstigende Entwicklung im bewaffneten Konflikt Afghanistans" anzeigten

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden laut Berichten in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betreffenden Gebiete tatsächlich kontrolliert. In von der Regierung kontrollierten Gebieten kommt es Berichten zufolge regelmäßig zu Menschenrechtsverletzungen durch den Staat und seine Vertreter. In Gebieten, die (teilweise) von regierungsnahen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden, begehen diese Berichten zufolge straflos Menschenrechtsverletzungen. Ähnlich sind in von regierungsfeindlichen Gruppen kontrollierten Gebieten Menschenrechtsverletzungen, darunter durch die Etablierung paralleler Justizstrukturen, weit verbreitet. Zusätzlich begehen sowohl staatliche wie auch nicht-staatliche Akteure Berichten zufolge außerhalb der von ihnen jeweils kontrollierten Gebiete Menschenrechtsverletzungen. Aus Berichten geht hervor, dass besonders schwere Menschenrechtsverletzungen insbesondere in umkämpften Gebieten weit verbreitet sind.

Berichten zufolge begehen regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) extralegale Hinrichtungen, Folter und Misshandlungen. Sie hinderten Zivilisten zudem an der Ausübung ihrer Rechte auf Bewegungsfreiheit, auf Freiheit der Meinungsäußerung, auf Religionsfreiheit, auf politische Teilhabe sowie auf Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung sowie zu ihrem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) nutzen das Fehlen staatlicher Justizmechanismen oder -dienste dazu aus, eigene, parallele "Justiz"-Strukturen - vor allem, wenn auch nicht ausschließlich - in Gebieten unter ihrer Kontrolle, durchzusetzen. UNAMA stellt fest, dass "alle von einer parallelen Justizstruktur durch nichtstaatliche bewaffnete Gruppen verhängten Strafen nach afghanischem Recht unrechtmäßig sind, eine rechtswidrige Handlung darstellen und als Kriegsverbrechen eingestuft werden können". Zu den durch parallele Justizstrukturen verhängten Strafen zählen öffentliche Hinrichtungen durch Steinigung und Erschießen, Schläge und Auspeitschung sowie Amputation. Berichten zufolge erheben regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) zudem in Gebieten, in denen sie die Einrichtung paralleler Regierungsstrukturen anstreben, illegale Steuern.

Sogar dort, wo der rechtliche Rahmen den Schutz der Menschenrechte vorsieht, bleibt die Umsetzung der nach nationalem und internationalem Recht bestehenden Verpflichtung Afghanistans diese Rechte zu fördern und zu schützen, in der Praxis oftmals eine Herausforderung. Die Regierungsführung Afghanistans und die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit werden als besonders schwach wahrgenommen.

Die Fähigkeit der Regierung, die Menschenrechte zu schützen, wird durch Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) untergraben. Ländliche und instabile Gebiete leiden Berichten zufolge unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden. Von der Regierung ernannte Richter und Staatsanwälte seien oftmals aufgrund der Unsicherheit nicht in der Lage, in diesen Gemeinden zu bleiben. Der UN-Ausschuss gegen Folter brachte seine Sorge darüber zum Ausdruck, dass die Regierung keine geeigneten Maßnahmen zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern und Journalisten vor Repressalien für ihre Arbeit ergreift.

Beobachter berichten von einem hohen Maß an Korruption, von Herausforderungen für effektive Regierungsgewalt und einem Klima der Straflosigkeit als Faktoren, die die Rechtsstaatlichkeit schwächen und die Fähigkeit des Staates untergraben, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten. Berichten zufolge werden in Fällen von Menschenrechtsverletzungen die Täter selten zur Rechenschaft gezogen und für die Verbesserung der Übergangsjustiz besteht wenig oder keine politische Unterstützung. Wie oben angemerkt, begehen einige staatliche Akteure, die mit dem Schutz der Menschenrechte beauftragt sind, einschließlich der afghanischen nationalen Polizei und der afghanischen lokalen Polizei, Berichten zufolge in einigen Teilen des Landes selbst Menschenrechtsverletzungen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Berichten zufolge betrifft Korruption viele Teile des Staatsapparats auf nationaler, Provinz- und lokaler Ebene. Es wird berichtet, dass afghanische Bürger Bestechungsgelder zahlen müssen, um öffentliche Dienstleistungen zu erhalten, etwa dem Büro des Provinzgouverneurs, dem Büro des Gemeindevorstehers und der Zollstelle. Innerhalb der Polizei, so heißt es, sind Korruption, Machtmissbrauch und Erpressung ortstypisch. Das Justizsystem sei auf ähnliche Weise von weitverbreiteter Korruption betroffen.

Berichten zufolge wenden sich lokale Gemeinschaften in einigen Gebieten an parallele Justizstrukturen, etwa örtliche Räte oder Ältestenräte oder Gerichte der Taliban, um zivile Streitfälle zu regeln. UNAMA stellt allerdings fest, dass diese Strukturen den Gemeinschaften in der Regel aufgezwungen werden und dass die in diesem Rahmen verhängten Strafen wie Hinrichtungen und Amputationen nach afghanischem Recht kriminelle Handlungen darstellen.

Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) greifen Berichten zufolge systematisch und gezielt Zivilisten an, die tatsächlich oder vermeintlich die afghanische Regierung, regierungsnahe bewaffnete Gruppen, die afghanische Zivilgesellschaft und die internationale Gemeinschaft in Afghanistan, einschließlich der internationalen Streitkräfte und internationaler humanitärer Hilfs- und Entwicklungsakteure, unterstützen bzw. mit diesen in Verbindung stehen. Auf eine (vermeintliche) Verbindung kann zum Beispiel durch ein bestehendes oder früheres Beschäftigungsverhältnis oder durch familiäre Bindungen geschlossen werden.

Am 25. April 2018 kündigten die Taliban ihre Frühlingsoffensiven, die Al Khandaq Jihadi Operations255 an. Wie schon in den Jahren zuvor hieß es darin, die Offensive würde sich "gegen die ausländischen Besatzungskräfte und deren Unterstützer im Land" richten. Trotz des erklärten Ziels der Taliban, "besonders auf den Schutz des Lebens und Besitzes des zivilen Volkes zu achten", gibt es immer wieder Berichte, dass die Taliban und andere AGEs gezielt Zivilisten und nach humanitärem Völkerrecht geschützte Objekte angreifen würden.

Über gezielte Tötungen hinaus setzen die regierungsfeindlichen Kräfte Berichten zufolge auch Drohungen, Einschüchterung und Entführungen ein, um Gemeinschaften und Einzelpersonen einzuschüchtern und auf diese Weise ihren Einfluss und ihre Kontrolle zu erweitern, indem diejenigen angegriffen werden, die ihre Autorität und Anschauungen infrage stellen.

Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) greifen zahlreichen Berichten zufolge Zivilisten an, die der Zusammenarbeit oder der "Spionage" für regierungsnahe Kräfte, darunter die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF), verdächtigt werden. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) haben Berichten zufolge afghanische Zivilisten, die für die internationalen Streitkräfte als Dolmetscher oder in anderen zivilen Funktionen arbeiteten, bedroht und angegriffen. Aus Berichten geht auch hervor, dass regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) gegen ehemalige Mitarbeiter der internationalen Streitkräfte und der Regierung vorgehen. Warnung einsetzen, um Zivilisten davon abzuhalten, die Regierung zu unterstützen, darunter SMS, Sendungen im örtlichen Radio, soziale Medien und sogenannte Nachtbriefe" (shab nameha). Wo es AGEs nicht gelang, Unterstützung in der Öffentlichkeit zu finden, schikanieren sie laut Berichten örtliche Gemeinschaften, schüchtern sie ein und bestrafen die örtliche Bevölkerung für ihre tatsächliche oder vermeintliche Unterstützung der Regierung oder einer rivalisierenden regierungsfeindlichen Gruppe. Zivilisten, die sie der "Spionage für" die Regierung beschuldigen, werden in Schnellverfahren von parallelen und illegalen, von AGEs eingerichteten Justizstrukturen abgeurteilt; die Strafe für derartige angebliche "Verbrechen" ist in der Regel die Hinrichtung.

Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative:

Eine Bewertung der Möglichkeiten für eine Neuansiedlung setzt eine Beurteilung der Relevanz und der Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative voraus. In Fällen, in denen eine begründete Furcht vor Verfolgung in einem bestimmten Gebiet des Herkunftslandes nachgewiesen wurde, erfordert die Feststellung, ob die vorgeschlagene interne Schutzalternative eine angemessene Alternative für die betreffende Person darstellt, eine Bewertung, die nicht nur die Umstände berücksichtigt, die Anlass zu der begründeten Furcht gaben und der Grund für die Flucht aus dem Herkunftsgebiet waren. Auch die Frage, ob das vorgeschlagene Gebiet eine langfristig sichere Alternative für die Zukunft darstellt, sowie die persönlichen Umstände des jeweiligen Antragstellers und die Bedingungen in dem Gebiet der Neuansiedlung müssen berücksichtigt werden. Wenn eine interne Schutzalternative im Zuge eines Asylverfahrens in Betracht gezogen wird, muss ein bestimmtes Gebiet für die Neuansiedlung vorgeschlagen werden und es müssen alle für die Relevanz und Zumutbarkeit des vorgeschlagenen Gebiets im Hinblick auf den jeweiligen Antragsteller maßgeblichen allgemeinen und persönlichen Umstände soweit wie möglich festgestellt und gebührend berücksichtigt werden. Dem Antragsteller muss eine angemessene Möglichkeit gegeben werden, sich zu der angenommenen Relevanz und Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative zu äußern. eine interne Schutzalternative in Gebieten des Landes, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, nicht gegeben in den von aktiven Kampfhandlungen zwischen regierungsnahen und regierungsfeindlichen Kräften oder zwischen verschiedenen regierungsfeindlichen Kräften betroffenen Gebieten nicht gegeben Geht die Verfolgung von regierungsfeindlichen Kräften aus, muss berücksichtigt werden, ob die Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Akteure den Antragsteller im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfolgen. Angesichts des geografisch großen Wirkungsradius einiger regierungsfeindlicher Kräfte, einschließlich der Taliban und des Islamischen Staates, existiert für Personen, die durch solche Gruppen verfolgt werden, keine interne Schutzalternative. Ferner müssen die Nachweise in Abschnitt II.C hinsichtlich der aufgrund ineffektiver Regierungsführung und weit verbreiteter Korruption eingeschränkten Fähigkeit des Staates, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte zu bieten, berücksichtigt werden.

Tazkira:

(Quelle: Afghanistan: Tazkira; Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe-Länderanalyse Alexandra Geiser, 12. März 2013):

Das US Department of State ging im Juli 2012 davon aus, dass weniger als zehn Prozent der afghanischen Bevölkerung ein Geburtszertifikat haben. Auch UNICEF beschrieb, dass die wenigsten Kinder eine Geburtsurkunde besitzen. Die Tazkira ist die übliche ID-Karte in Afghanistan. Dort sind persönliche und familienbezogene Informationen des Inhabers festgehalten wie Wohn- und Geburtsort, Beruf und Militärdienst. Tazkiras werden für den Schul- oder Universitätseintritt, oder für die Beantragung eines Reisepasses gebraucht. Viele beantragen eine Tazkira erst, wenn sie eine benötigen. UNHCR beschrieb, dass jeder Mann eine Tazkira haben sollte, für die Frauen ist die Beantragung freiwillig. Die Tazkiras sind oft nicht vollständig und immer von Hand ausgefüllt. Jeder Beamte hat seinen eigenen Stil. Jeder Distrikt stellt Tazkiras aus und die Registrierungszentren des Innenministeriums befinden sich in den Polizeistationen. Die Informationen beinhalten den Namen des Besitzers der Karte, den Namen des Vaters und des Großvaters, Geburtsdatum und Geburtsort. Sowohl bezüglich des Geburtsortes wie auch des Geburtsdatums gibt es unterschiedliche Ausstellungsweisen:

Beim Geburtsort ist entweder der Ort des Besitzers der Tazkira oder dessen Vater erwähnt. Meistens beantragt der Vater des Antragstellers die Tazkira, da ein männliches Mitglied die Identität bezeugen muss. Auch bezüglich des Geburtsdatums wird Unterschiedliches eingetragen: Nur das Jahr, nur das Jahr und der Monat, das ganze Datum, ein geschätztes Datum oder das Alter des Antragsstellers bei der Ausstellung der Tazkira. Es gibt Abweichungen bezüglich der Stempel, der benutzten Tinte und des Papieres. Tazkiras werden von unterschiedlichen Behörden unterschrieben.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde weiters durch Abhaltung der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2019. Die strafrechtliche Unbescholtenheit des BF ergab sich aus dem österreichischen Strafregister.

Der BF konnte in der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2019 vor dem Bundesverwaltungsgericht Detailfragen zu seiner in erster Instanz vorgebrachten Fluchtgeschichte beantworten. Der BF konnte in unbedenklicher Weise dartun, dass er sich, obgleich er väterliche Verwandte hatte, die den Taliban nahe standen, für eine Weiterbildung in Englisch und Mathematik interessierte und alle ihm gebotenen Weiterbildungs-Möglichkeiten wahrnahm - einen vergleichbares Verhalten hat der BF auch in Österreich bewiesen. Der BF konnte auch nachvollziehbar darlegen, dass er mit Unterstützung eines Freundes seines früh verstorbenen Vaters in einer Baufirma zu arbeiten begonnen hatte, die internationale Kunden belieferte und sich dort zu einer attraktiven Position hocharbeiten konnte, dadurch aber als Mitarbeiter eines afghanischen Bauunternehmens, das u.a. amerikanische Einrichtungen belieferte, in das Blickfeld bewaffneter regierungsfeindlicher Gruppen geriet und von diesen - zunächst freundlich angeworben wurde, in der Folge aber (da er seinen attraktiven Arbeitsplatz nicht aufgeben wollte) mit dem Tod bedroht wurde. Ob der BF, der sich vor seiner Ausreise vorübergehend bei seinem Onkel mütterlicherseits in der Provinz Helmand aufhielt, auch dort in der von ihm dargelegten Weise aufgesucht und verfolgt wurde, muss angesichts der klaren obigen Ergebnisse nicht mehr im Detail ermittelt werden.

Betreffend das Geburtsdatum des BF war das eingangs genannte Am Gutachten der medizinischen Universität Wien, Zentrum für Anatomie und Zellbiologie, vom 28.02.2015 heranzuziehen. Die anderslautenden diesbezüglichen Vorbringen des BF überzeugen nicht, da die vom BF vorgelegte Tazkira nicht zeitnahe seiner Geburt angefertigt wurde. Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe-Länderanalyse ist davon auszugehen, dass die vom BF vorgelegte Tazkira ein nachträglich geschätztes unrichtiges Geburtsdatum aufweist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

§ 3. AsylG 2005 in der anzuwendenden Fassung:

(1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder

2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.

(4a) Im Rahmen der Staatendokumentation (§ 5 BFA-G) hat das Bundesamt zumindest einmal im Kalenderjahr eine Analyse zu erstellen, inwieweit es in jenen Herkunftsstaaten, denen im Hinblick auf die Anzahl der in den letzten fünf Kalenderjahren erfolgten Zuerkennungen des Status des Asylberechtigten eine besondere Bedeutung zukommt, zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist.

(4b) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 gilt Abs. 4 mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, richtet.

(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

§ 11 AsylG 2005 in der anzuwendenden Fassung:

(1) Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

(2) Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen.

Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die "begründete Furcht vor Verfolgung".

Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn objektiver Weise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z. B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis 17.3.2009, 2007/19/0459 ausgesprochen hat, wird die Voraussetzung wohlbegründeter Furcht in der Regel nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht.

Der für die Annahme einer aktuellen Verfolgungsgefahr erforderliche zeitliche Zusammenhang zwischen den behaupteten Misshandlungen und dem Verlassen des Landes besteht auch bei länger zurückliegenden Ereignissen dann, wenn sich der Asylwerber während seines bis zur Ausreise noch andauernden Aufenthaltes im Lande verstecken oder sonst durch Verschleierung seiner Identität der Verfolgung einstweilen entziehen konnte. Ab welcher Dauer eines derartigen Aufenthaltes Zweifel am Vorliegen einer wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung begründet erscheinen mögen, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. VwGH 94/20/0793 vom 7.11.1995).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen.

Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn die Asylentscheidung erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; VwGH 27.06.1995, 94/20/0836; VwGH 23.07.1999, 99/20/0208; VwGH 21.09.2000, 99/20/0373; VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; VwGH 12.09.2002, 99/20/0505 sowie VwGH 17.09.2003, 2001/20/0177) liegt eine dem Staat zuzurechnende Verfolgungshandlung nicht nur dann vor, wenn diese unmittelbar von staatlichen Organen aus Gründen der Konvention gesetzt wird, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären.

Mangelnde Schutzfähigkeit des Staates liegt nicht schon dann vor, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine BürgerInnen gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen (vgl. VwGH 2006/01/0191 vom 13.11.2008); Mangelnde Schutzfähigkeit des Staates ist jedoch dann gegeben, wenn der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 22.03.2003, 99/01/0256). Für eine/n Verfolgte/n macht es nämlich keinen Unterschied, ob er/sie aufgrund staatlicher Verfolgung mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ihm/ihr dieser Nachteil aufgrund einer von dritten Personen ausgehenden, vom Staat nicht ausreichend verhinderbaren Verfolgung mit derselben Wahrscheinlichkeit droht. In beiden Fällen ist es ihm/ihr nicht möglich bzw im Hinblick auf seine/ihre wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen.

Die Voraussetzungen der GFK sind nur dann gegeben, wenn der Flüchtling im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet. (VwGH 8.10.1980, VwSlg. 10.255).

Verfolgungsgefahr muss nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem/der Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden. Vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der/die Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er/sie könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 9.3.1999, 98/01/0370; 22.10.2001 2000/01/0322).

Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass der BF in das Blickfeld krimineller regierungsfeindlicher Gruppen geriet, sich deren Aufforderungen, mit ihnen zu kolaborieren, entziehen wollte und daraufhin mit dem Tod bedroht wurde. Dieser Umstand ist im vorliegenden Gesamtzusammenhang asylrelevant:

Die vom BF dargelegte Verfolgung hat ihre Ursache in einem Grund, welchen Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt. Sie ist Ursache dafür, dass sich der BF außerhalb seines Heimatlandes befindet. Der BF hat Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aus Gründen einer ihm unterstellten politischen Gesinnung. Für den BF existiert keine sinnvolle interne Fluchtalternative. Die Umstände, die der BF als Grund für die Ausreise angegeben werden und die Ausreise selbst standen in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang. Die vom BF erwartete Verfolgung ist als ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des BF anzusehen. Sie ist geeignet, die Unzumutbarkeit seiner Rückkehr nach Afghanistan zu begründen. Die vom BF dargelegte Verfolgung droht ihm mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit. Sie ist auch aktuell. Die vom BF dargelegte Verfolgung stellt eine dem Staat zuzurechnende Verfolgungshandlung dar, da aktuell von mangelnder Schutzfähigkeit des Afghanischen Staates ausgegangen werden muss. Dem BF wäre es nicht möglich bzw im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen. Für den BF existiert daher keine sinnvolle innerstaatliche Fluchtalternative. Es liegt weiters kein Asylausschlussgrund vor.

Soweit der BF die Änderung seines Geburtsdatums auf den XXXX beantragte, war diesem Antrag unter Berücksichtigung des eingangs genannten ärztlichen Gutachtens im Zuge der im Verfahrens erster Instanz durchgeführten Altersfeststellung keine Folge zu geben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, Schutzunfähigkeit, unterstellte
politische Gesinnung, wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W164.2168927.1.00

Zuletzt aktualisiert am

03.07.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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