Entscheidungsdatum
09.05.2019Norm
BBG §42Spruch
W264 2209962-1/4E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde der
XXXX , geb XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen Landesstelle Wien vom 22.10.2018, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragungen "Unzumutbarkeit der öffentlichen Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs 3, 2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden "BF") übermittelte der belangten Behörde einen Antrag auf "Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO 1960, Parkausweis" unter Verwendung des Formulars in der Version 03/2017, in welchem der Vermerk enthalten ist "Wenn Sie noch nicht im Besitz eines Behindertenpasses mit der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" sind, gilt dieser Antrag auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bzw auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass. Unter "Gesundheitsschädigungen" trug sie ein: "schwere Sehbeeinträchtigung".
Der Antrag langte bei der belangten Behörde am 26.6.2018 ein.
2. In dem von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten Dris. XXXX , FA für Augenheilkunde, 18.9.2018 wurde vom FA für Augenheilkunde nach Untersuchung der BF am 12.9.2018 unter "Gesamtmobilität - Gangbild" "unsicher" objektiviert und der Allgemeinzustand der BF als "reduziert" objektiviert.
Zu den medizinischen Kriterien für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" wird unter "Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?" wird aus augenheilkundlicher Sicht festgehalten, dass die objektivierbare Sehminderung nicht das Ausmaß einer hochgradigen Sehbehinderung "gem. BPGG" (Bundespflegegeldgesetz) erreicht.
Zu den medizinischen Kriterien für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" wird unter "Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?" festgehalten:
"nicht erhoben".
Das augenheilkundliche Sachverständigengutachten vom 18.9.2018 listet unter "Zusammenfassung relevanter Befunde" folgende von der BF vorlegte Beweismittel:
* Klinischen Patientenbrief des KH XXXX , Abt. Augen Tagesklinik 3D vom 25.5.2018
* Ärztlicher Befundbericht Dris. XXXX , Augenarzt, vom 7.6.2018
3. Nach Aktenlage des Fremdaktes - mangels anderer Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass der von der belangten Behörde vorgelegte Fremdakt vollständig ist - wurde das eingeholte Sachverständigengutachten der BF nicht im Rahmen des Parteigehörs zur Kenntnis gebracht.
4. Gründend auf dem Gutachten Dris. XXXX wurde der als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätsbeschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gedeutete Antrag vom 21.6.2018 mit dem nunmehr bekämpften Bescheid abgewiesen.
5. Gegen diesen Bescheid erhob die BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. Darin führte die BF als Beschwerdegründe nicht nur ihre Sehbehinderung ins Treffen, sondern auch eine "nicht mehr sichere eigenständige Fortbewegung (Stock, außerhalb des Wohnbereichs mit einer Begleitperson)". Es sei ihr nicht mehr möglich, "kurze Gehstrecken alleine zurückzulegen".
6. Der bezughabende Fremdakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt und langte am 22.11.2018 ein.
7. Im Wege der belangten Behörde übermittelte die BF das als "Nachtrag zum Einspruch" bezeichnete Schreiben unter Beilage des Patientenbriefs des XXXX , Abt. XXXX , vom 11.1.2019, worin über einen stationären Aufenthalt vom 21.12.2018 bis 11.1.2019 wegen "Fraktur nach Sturz" berichtet wird.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die BF ist Inhaberin eines Behindertenpasses und beantragte mit Verwendung des Formulars für die Beantragung der Ausstellung eines Parkausweises die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass.
1.2. Die belangte Behörde hat die notwendige Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes unterlassen.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die unter II.1.1. getroffene Feststellung zu dem Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" fußen auf dem unbestrittenen unbedenklichen Inhalt des vorgelegten Fremdaktes.
2.2. Die unter II.1.2. getroffene Feststellung betreffend die Mangelhaftigkeit des vor der belangten Behörde geführten Verfahrens ergibt sich aus dem Inhalt des vorgelegten Fremdaktes.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Im Bundesbehindertengesetz normiert § 45 Abs 3, dass in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses oder auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grad der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch Senat zu erfolgen hat. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor und war entsprechend dem § 45 Abs 4 der Laienrichter hinzuzuziehen.
Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 31 Abs 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Gemäß § 29 Abs 1, 2. Satz VwGVG sind die Erkenntnisse zu begründen. Für Beschlüsse ergibt sich aus § 31 Abs 3 VwGVG eine sinngemäße Anwendung.
Ad Spruchpunkt A)
Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß
Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,
1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht
oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des Abs 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
§ 28 Abs 3, 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes.
Laut Verwaltungsgerichtshof kann von der Möglichkeit der Zurückverweisung bei krassen beziehungsweise besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 15.11.2018, Ra2018/19/0268 mit Hinweis auf VwGH 6.7.2016, Ra 2015/01/0123; VwGH 14.12.2016, Ro 2016/19/0005, jeweils mwN).
Im Erkenntnis vom 26.6.2014, Ro 2014/03/0063, geht das Höchstgericht vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte aus. Gemäß dem Wortlaut des § 28 Abs 2 Z 1 VwGVG kommt die verwaltungsgerichtliche Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde dann nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies normiert auch Art 130 Abs 4 Z 1 B-VG.
Wie der Verwaltungsgerichtshof im oben angeführten Erkenntnis ausgeführt hat, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).
§ 28 Abs 3, 2. Satz VwGVG birgt die Möglichkeit der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde unter der Voraussetzung, dass behördliche Ermittlungsschritte fehlen. Unter Berücksichtigung des grundrechtlichen Aspekts der Gewährleistung einer angemessenen Verfahrensdauer, ist von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch zu machen.
Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zur ermittelnden Sachverhalt aus den folgenden Gründen als mangelhaft:
Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt gemäß § 1 Abs 2 BBG ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens
(§ 4 Abs. 1 Einschätzungsverordnung BGBl II 261/2010 auszugsweise).
Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten (§ 4 Abs 2 Einschätzungsverordnung BGBl II 261/2010).
Im Gutachten des medizinischen Sachverständigen für Augenheilkunde vom 18.9.2018 wird das in den vorgelegten Beweismitteln des niedergelassenen die BF behandelnden Augenarztes Dr. XXXX und der von der BF konsultierten Krankenanstalt XXXX genannte Augenleiden - welches im Antragsformular als "Schwere Sehbeeinträchtigung" bezeichnet ist und im Beschwerdeschriftsatz als Beschwerdegrund ins Treffen geführt wird - befundet.
Im Gutachten des medizinischen Sachverständigen für Augenheilkunde vom 18.9.2018 wird die Gesamtmobilität der BF als unsicher beschrieben und der Allgemeinzustand als "reduziert" beschrieben.
Einem medizinischen Sachverständigen der Humanmedizin aus dem Fachgebiet der Augenheilkunde muss zugebilligt werden, die bei einem von ihm befundeten Menschen vorhandene Mobilität richtig zu erkennen und die Wahrnehmungen darüber richtig in der Verschriftlichung im Gutachten wiederzugeben.
Neben dem augenheilkundlichen Sachverständigengutachten wurden weitere Gutachten aus anderen Fachgebieten der Humanmedizin nicht eingeholt, um etwa die Gesamtmobilität und / oder eine allfällige schwere Erkrankung des Immunsystems (wegen welcher etwa der von Dr. XXXX als "reduziert" beschriebene Allgemeinzustand in eben diesem Zustand sein könnte) zu erheben.
Das eingeholte Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Augenheilkunde allein ist nicht ausreichend zur Beurteilung des Gesamtleidenszustandes der BF. Die belangte Behörde hat den Sachverhalt zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im gegenständlichen Falle bloß ansatzweise ermittelt, da sie sich bloß mit dem von der BF im Antragsformular festgehaltenen und in ihren vorgelegten (augenärztlichen) Beweismitteln vorgebrachten Augenleiden auseinandersetzte, jedoch die vom beigezogenen medizinischen Sachverständigen mit Befund erhobene Gesamtmobilität und den Allgemeinzustand der BF außer Acht ließ. Um eine Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel feststellen zu können, bedarf es der Überprüfung der konkreten und individuellen Fähigkeiten eines Beschwerdeführers auf dem Boden der vom Verwaltungsgerichtshof geprägten Prüfungsmaßstäbe.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert.
Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.
Das eingeholte Sachverständigengutachten des Augenarztes Dr. XXXX befasste sich mit dem augenklinischen Befund im Hinblick auf die beantragte Zusatzeintragung.
Bei Lektüre des Sachverständigengutachtens Dris. XXXX hätte der belangten Behörde in die Augen fallen müssen, dass der Humanmediziner die Gesamtmobilität als unsicher objektiviert und den Allgemeinzustand als reduziert objektiviert.
Im behördlichen Ermittlungsverfahren wurde nicht erhoben, ob die vom medizinischen Sachverständigen Dr. XXXX als "unsicher" beschriebene Gesamtmobilität / das Gangbild der BF die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel unzumutbar machen.
Es wurde im Ermittlungsverfahren auch nicht erhoben, ob dem vom medizinischen Sachverständigen Dr. XXXX als "reduziert" beschriebenen Allgemeinzustand eine schwere Erkrankung des Immunsystems zugrunde liegt.
Zur Prüfung der konkreten Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen, vermag der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen.
Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung der beantragten Zusatzeintragungen als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde auf persönlicher Untersuchung basierende Sachverständigengutachten unter Berücksichtigung der Leiden der BF, wobei auf die Neuerungsbeschränkung des § 46 Abs 1 BBG hinzuweisen ist, - unter Zugrundelegung der bisherigen durch die Judikatur des VwGH entwickelten Beurteilungskriterien - einzuholen haben.
Ausgehend von den bisherigen durch die Judikatur des VwGH entwickelten Beurteilungskriterien zur Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sind Funktionseinschränkungen relevant, welche die selbständige Fortbewegung im öffentlichen Raum sowie den sicheren, gefährdungsfreien Transport im öffentlichen Verkehrsmittel erheblich einschränken. Nach der Judikatur des VwGH zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke (unter Zugrundelegung städtischer Verhältnisse: 300 m bis 400 m) nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe, zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert.
Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche und bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt.
Alle therapeutischen Möglichkeiten sind zu berücksichtigen.
Therapiefraktion - das heißt, keine therapeutische Option ist mehr offen - ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des behandelnden Arztes ist nicht ausreichend.
Zur Zumutbarkeit eventueller therapeutischer Maßnahmen ist ausführlich Stellung zu nehmen.
Es wird der / die beizuziehende Sachverständige zu ersuchen sein, auszuführen, in welchem Ausmaß sich die Funktionseinschränkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirken.
Es wird zu prüfen sein, ob erhebliche Einschränkungen der Funktionen der oberen Extremitäten und / oder der unteren Extremitäten vorliegen (unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bänder an, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen).
Es wird zu prüfen sein, ob eine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit vorliegt.
Es wird zu prüfen sein, ob eine schwere Erkrankung des Immunsystems vorliegt.
Es wird zu prüfen sein, ob der von der BF im Beschwerdeschreiben erwähnte Stock die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel erschwert.
Es wird zu prüfen sein, ob die BF an Schmerzen leidet, welche die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel durch Beeinflussung der Geh-, Steh- und Steigfähigkeit der BF oder durch Beeinflussung ihrer cardiopulmonalen Belastbarkeit erheblich erschweren und somit auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Einfluss haben. Es ist hierbei auf die Entscheidung des VwGH vom 20.10.2011, 2009/11/0032, hinzuweisen, wo das Höchstgericht ausgesprochen hat, dass im behördlichen Ermittlungsverfahren Art und Ausmaß von Schmerzen und der Umstand, inwieweit ein Beschwerdeführer dadurch an der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gehindert ist, zu erheben sind, um feststellen zu können, ob einem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel tatsächlich zumutbar ist. Dabei wird auch zu erheben sein, ob und wie häufig die BF einnimmt und gegen welches der bei der BF vorhandenen Leiden diese Analgetika Linderung verschaffen sollen.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen.
Die unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht läge angesichts des gegenständlichen gravierend mangelhaft geführten verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens nicht im Interesse der Raschheit und wäre auch nicht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Zu beachten ist dabei, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht über einen Ärztlichen Dienst - wie bei der belangten Behörde vorhanden - verfügt und / oder über dem Gericht zugeteilte medizinische Sachverständige verfügt, sodass die Befassung von medizinischen Sachverständigen durch die Behörde mit einem geringeren mit dem verwaltungsgerichtlichen Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwand verbunden ist.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.
Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall der BF noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rascher und kostengünstiger festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs 3, 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Ad Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seiner Entscheidung auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ausgeführt, warum die Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen geboten war.
Schlagworte
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W264.2209962.1.00Zuletzt aktualisiert am
03.07.2019