TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/15 W222 2218674-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.05.2019
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Entscheidungsdatum

15.05.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W222 2218674-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Obregon als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF und §§ 52, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangerhöriger, stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu wurde er am gleichen Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftliche einvernommen. Der Beschwerdeführer gab an, am XXXX in Indien geboren worden und ledig zu sein. Im Heimatland würden seine Eltern, zwei Schwestern und ein Bruder leben. Er habe zwölf Jahre die Grundschule besucht und zuletzt als Angestellter in einer Mobilfunkfirma in der Marketingabteilung gearbeitet. Er gehöre der Volksgruppe der Punjabi an. Er habe keine Kinder. Den Entschluss zur Ausreise habe er vor zwei Monaten im Jahr XXXX gemacht. Eigentlich hätte er nach Kanada reisen wollen, da er dort hätte studieren wollen und viele Freunde von ihm dort leben würden. Er sei legal mit seinem eigenen indischen Reisepass mit einem Visum ausgereist. In weitere Folge wiederholte der Beschwerdeführer, dass sein Reisezielland Kanada gewesen sei, er aber jetzt kein Geld habe und nicht wisse, wie er dort hinkomme. Viele seiner Freunde würden dort leben und er möchte dort studieren. Er habe selbst die Reise mithilfe eines Schleppers organisiert. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer folgendes an: "Es gibt Bestrebungen in der Provinz Punjab, dass für die Religionsgruppe Sikh ein eigener Staat aufgebaut werden soll mit dem Namen Khalistan. Die anderen Religionsgruppen und hauptsächlich die Hindus sind aber dagegen. Dabei werden die Sikh von den anderen Religionsgruppen unterdrückt. Da ich auch zu den Sikh gehöre und ich auch dieser Bewegung beigetreten bin werde ich auch verfolgt. Das ist mein einziger Fluchtgrund. Weitere Fluchtgründe habe ich keine." Auf die Frage, was er bei einer Rückkehr in seine Heimat befürchte, gab der Beschwerdeführer an, dass er Angst habe umgebracht zu werden. Er habe keine Folgen körperlicherseits erfahren müssen, weil er sein Heimatdorf verlassen und die letzten Monate in einer anderen Stadt gelebt habe.

Bei der niederschriftlichen Einvernahme am XXXX vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab der Beschwerdeführer an, dass es ihm psychisch und physisch gut gehe. Er sei Sikh. Er habe zwölf Jahre die Schule besucht, jedoch keine Berufsausbildung gemacht. Er habe im Marketingbereich in einer Handyfirma gearbeitet, ca. ein oder zwei Jahre bis zu seiner Ausreise vor einem Monat. In weiterer Folge wurde ausgeführt: "

L:Wo haben Sie in Indien gelebt? (bei den Eltern)?,

A:In unserem Dorf XXXX , Distrikt XXXX im Punjab. Zuletzt lebte ich die letzten 2 Monate vor der Ausreise in XXXX , es ist ca. 200-250 km entfernt. Gearbeitet habe ich in XXXX , das ist ca. 110 km von XXXX entfernt, das bin ich jeden Tag mit dem Zug oder Bus gefahren. Gefragt ist XXXX , wo ich die letzten 2 Monate vor der Ausreise lebte noch weiter entfernt von XXXX , da habe ich nicht mehr gearbeitet.

L.Gerade vorhin sagten Sie, Sie haben bis zur Ausreise in XXXX gearbeitet?

A:Diese Handyfirma hat auch eine Branche in XXXX , ich habe auch dort gearbeitet.

L:Haben Sie bis zur Ausreise diese Tätigkeit ausgeführt?

A:Ja.

L: Wann haben Sie Indien nach Europa verlassen?

A: Im März habe ich Indien verlassen.

L: Sie sagten vorhin Sie haben zuletzt nicht mehr gearbeitet, wie haben Sie das gemeint?

A:Doch, ich habe gearbeitet, in der Zweigstelle.

L:Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?

A: Ich war verwirrt.

L: Wann sind Sie in Österreich eingereist?

A: Das genaue Datum weiß ich nicht, Ende März.

L: Anm: Die Einreise nach Österreich erfolgte illegal.

L: Sind Sie in Österreich einer Beschäftigung nachgegangen oder sind Sie derzeit in Österreich berufstätig?

A:Nein.

L: Wie bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt derzeit?

A:Ich bin in Grundversorgung hier im Lager.

L: Sind Sie oder waren Sie in irgendwelchen Vereinen oder Organisationen in Österreich tätig?

A:Nein.

L:Sprechen Sie deutsch?

A:Nein.

L: Welche Sprache sprechen Sie?

A: Punjabi , Hindi und Englisch.

L: Welche Angehörigen befinden sich in Indien?

A:Meine Eltern, 2 Schwestern und ein Bruder, diese leben im Heimatdorf XXXX in einem eigenen Haus.

L: Haben Sie noch Kontakt zu ihren Familienangehörigen in Indien?

A:Nein.

L:Warum nicht?

A:Wegen der Religionsprobleme, dort wohnen Hindus und Muslime. Meine Gegner erfahren sonst, dass ich in Österreich bin, darum habe ich keinen Kontakt. Gefragt sind alle aus meiner Familie Sikh.

L:Wer sind diese Gegner?

A:Wir (gemeint die, die zur Sikh Religion gehören) möchten in Punjab ein eigenes Land, aber die anderen (Muslime und Hindus) wollen das nicht.

L: Haben Sie in Österreich aufhältige Eltern, Kinder oder sonstige Verwandte?

A:Nein.

L: Leben Sie mit einer sonstigen Person in einer Familiengemeinschaft oder in einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft, wenn ja, beschreiben Sie diese Gemeinschaft?

A:Nein.

L: Haben Sie in Österreich sonstige soziale Kontakte?

A:Nein.

L:Hatten Sie in Indien jemals Probleme mit der Polizei oder dem Militär?

A:Nein.

L:Waren Sie in Indien jemals in Haft?

A:Nein.

L: Haben Sie bei der Erstbefragung alle Ihre Fluchtgründe genannt?

A:Ja.

L:Was war der konkrete Anlass für Ihre Flucht?

A:Ich habe mein Land verlassen, weil wir ein eigenes Land wollen. Ich war mit den Sikh zusammen und es gab einen Streit im Dorf mit den Muslimen und Hindus. Alle Jugendlichen wie ich werden von den Familien weggeschickt, deswegen ging ich nach XXXX , blieb dort 2 Monate und bin geflüchtet, XXXX ist nicht weit entfernt.

L:Was ist genau Ihnen konkret passiert?

A:Es gab einen großen Streit zwischen den Sikh und den Anhängern anderer Religionen, gefragt war das vor ca. drei Monaten in meinem Heimatdorf. Es kam die Armee dazu, die Polizei hat nämlich keine Kontrolle, ich meine nicht die Armee sondern die Polizei, danach sagten die Eltern ich muss flüchten, sonst werde ich umgebracht, dann bin ich geflüchtet.

L: Wie viele Leute waren da beteiligt beim Streit?

A.Wir waren ca. 100-150 Sikhs und ca. 200-250 Hindus und Muslime.

L:Wurde die Polizei gerufen?

A:Ich weiß es nicht wer sie anrief aber die Polizei kam.

L:Was machte die Polizei?

A.Die Polizei hat die Leute kontrolliert, manche liefen davon, manche wurden festgenommen.

L:Gab es solche Streitigkeiten öfter in diesem Ausmaß?

A:Ja, das passierte öfter, einmal wurde ein Sikh umgebracht.

L.Sind Sie dort angehalten oder kontrolliert worden von der Polizei?

A:Nein, ich bin geflüchtet.

L:Wieso meinte Ihre Familie, dass Sie auch umgebracht werden?

A:Ich habe keinen Kontakt.

L: Da waren Sie ja noch zu Hause, als sie das sagten?

A.Die Eltern sagten zu den Gegnern, dass ich nicht mehr ihr Sohn bin, damit sie sich schützen können vor den Gegnern.

L.Wann sagten Ihre Eltern das?

A:Nach der Flucht.

L:Ich dachte Sie haben keinen Kontakt zu Ihrer Familie?

A:Ich meine damit, dass die Eltern mir sagten, dass sie das erst nach meiner Flucht den Gegnern sagen werden

L:Worum ist es genau gegangen in diesem großen Streit?

A:Weil wir Sikh sind, ich wollte auch für unser Land ein eigenes Land für die Sikhs.

L:Die Sikh machen aber den Großteil der Bevölkerung aus im Punjab?

A.Wir sind weniger, wir sind ca. 25-30 Prozent.

L:Was können Sie mir über Khalistan erzählen?

A:Der Name bedeutet Frieden, wir möchten ein eigenes Land und ein eigenen Reisepass und ID-Karten.

L:Seit wann gibt es diese Bewegung?

A.Seit ca. 15 oder 16 Jahre, ich habe in den Nachrichten gehört, dass im Jahr 2021 ein eigenes Land, getrennt vom Punjab, Khalistan gegründet wird, es könnte ein Gerücht sein. Wenn es gegründet wird, werden wir keine Probleme haben.

L:Die Khalistan waren besonders in den Jahren 1970-1980 aktiv?

A.Davon weiß ich nichts, da war ich noch nicht geboren.

L:Wurden Sie von den Gegnern tätlich angegriffen?

A:Nein, nicht tätlich, aber wenn ich nach draußen ging, ich wurde belästigt und geschlagen, weil ich einen Turban trug.

L:Können Sie mir das näher schildern?

A:Ich kann mich nicht erinnern, es ist manchmal, eher selten passiert.

L: Was befürchten Sie im Falle einer Rückkehr in Ihr Heimatland?

A: Ich habe Angst um mein Leben, man würde mich töten. Ich war am Streit beteiligt, bei der Rückkehr wird auch meine Familie bedroht.

L:Warum glauben Sie kann Ihre Familie dort noch leben?

A:Ich kann dazu nichts sagen.

L:Warum können alle anderen Sikh dort leben?

A.Meine Familie kann schon dort leben sowie die anderen Sikh auch.

L:Warum gerade Sie aber nicht?

A:Die Jugendlichen sind mehr in Gefahr, weil sie können heiraten und Kinder bekommen. Unsere Gegner wollen das nicht.

L:Haben Sie je daran gedacht in ein anderes Gebiet in Indien umzuziehen?

A:Nein.

L: Dem Bundesamt liegen schriftliche Feststellungen (Allgemeine Lage, Rückkehrfragen, Rechtsschutz) zur Lage in Indien vor. Möchten Sie diese ausgefolgt bekommen um binnen drei Tagen dazu Stellung zu nehmen?

A:Nein."

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. §§ 57 AsylG nicht erteilt, gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Indien zulässig ist (Spruchpunkt III.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 Z. 4, 5 BFA-VG aberkannt. Gem. § 55 Abs. 1a besteht keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl betreffend die konkreten Gründe für das Verlassen des Herkunftslandes unter anderem aus, dass das Vorbringen nicht glaubhaft ist: "In persönlicher Hinsicht ist es Ihnen nicht gelungen, beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als glaubwürdig in Erscheinung zu treten.

In der Einvernahme am XXXX schilderten Sie Ihren Fluchtgrund: Sie hätten Ihr Heimatland verlassen, weil Sie als Sikh einer Bewegung angehören würden, die einen eigenen Staat für die Sikhs in der Provinz Punjab gründen wollen würde. Befragt nach dem konkreten Anlass Ihrer Flucht haben Sie angegeben, dass es einen großen Streit zwischen den Sikh und den Anhängern anderer Religionen- das wäre ca. drei Monaten vor dem Verlassen Ihres Heimatlandes gewesen- gegeben hätte. Bei diesem Streit wäre die Armee, Sie korrigierten, die Polizei gekommen, danach hätten die Eltern gesagt, dass Sie flüchten müssten, sonst würden Sie umgebracht werden und so wären Sie dann geflüchtet. Sie schilderten dies ohne nähere Details, erst über Nachfrage machten Sie genauere Angaben, dies allerdings auch sehr knapp, jeweils in Beantwortung mit einem Satz. Befragt nach persönlicher Bedrohung gegen Ihre Person bei diesem Streit haben Sie angegeben, dass Sie selbst vor der gerufenen Polizei, welche die Leute kontrolliert hätte, flüchten hätten können. Dass Sie gerade nach diesem Streit, wo es Ihren Angaben zufolge keine Kontrolle Ihrer Person oder eine Bedrohung noch sonstige Vorfälle gegeben hätte, hätten flüchten müssen ist für die Behörde nicht nachvollziehbar. Es hätte laut Ihren Aussagen öfter Streitigkeiten in diesem Ausmaß gegeben, einmal wäre sogar ein Sikh getötet worden. Tätliche Angriffe auf Sie seitens der Gegner (Hindus und Muslime) hätte es nicht gegeben, sie wären nur belästigt und geschlagen worden, wenn Sie mit Turban das Haus verlassen hätten. Eine Zugehörigkeit zu einer Politischen Partei haben Sie verneint, zur Khalistan Bewegung, der Sie angeblich angehören, konnten Sie keinerlei Details nennen. Sie haben angegeben, dass die Khalistan Bewegung erst vor 15 oder 16 Jahren gegründet worden wäre anstatt der Existenz seit bereits ca. 100 Jahren mit der Hochblüte in den Jahren 1970-1980. Von den Ereignissen dazu hatten Sie keine Ahnung, was wiederum ein Hinweis ist, dass Sie Ihr Interesse für diese Bewegung lediglich vorgeben. Es ist auch nicht nachvollziehbar, dass Ihre gesamte Familie, welche ebenfalls Sikh wären, sowie alle anderen Sikh, Ihren Angaben zufolge, weiterhin unbehelligt in Punjab leben können. Auf den Vorhalt der Behörde, dass laut LIB die Mehrheit im Punjab, nämlich 60% der Bevölkerung ohnehin Sikh wären und damit die Mehrheit darstellen, meinten Sie lediglich, dass diese nur 25-30% ausmachen würde. Mangels Glaubhaftmachung einer tatsächlichen Verfolgung, aber auch aufgrund von Widersprüchen in der Einvernahme kann Ihrer Fluchtgeschichte kein glaubhafter Kern beigemessen werde. So Sie zunächst angegeben haben, dass Sie die letzten zwei Monate vor Ihrer Ausreise, wo Sie in XXXX aufhältig gewesen wären, nicht mehr gearbeitet hätten, widersprachen Sie sich später dass Sie doch bis zu Ihrer Ausreise gearbeitet hätten. Auch meinten Sie, dass Sie keinerlei Kontakt zu Ihren Eltern hätten, Sie wüssten aber, dass Ihre Eltern nach der Flucht zu den Gegnern gesagt hätten, dass Sie nicht mehr ihr Sohn wären. Damit konfrontiert, woher Sie das wissen würde, wenn Sie ja keinen Kontakt hätten, haben Sie angegeben, dass Ihre Eltern Ihnen das vor der Flucht gesagt hätten, was völlig unlogisch erscheint. Grundsätzlich ist eine Aussage dann als glaubhaft einzustufen, wenn das Vorbringen des Asylwerbers genügend substantiiert ist und der Asylwerber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Zudem muss das Vorbringen in sich schlüssig und plausibel sein, was voraussetzt, dass der Asylwerber sich nicht in wesentlichen Aussagen widerspricht bzw. dass sein Vorbringen mit den Tatsachen oder der allgemeinen Lebenserfahrung übereinstimmt. Weiters muss der Asylwerber persönlich glaubwürdig sein, was z.B. nicht anzunehmen ist, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens auswechselt oder steigert. Diesen Anforderungen konnten Sie nicht entsprechen. Es ist nicht glaubhaft, dass Sie Ihr Land aus den Ihnen vorgebrachten Gründen verlassen haben. Tatsächlich verfolgte Personen schildern Realereignisse, insbesondere wenn sie im Leben einschneidend sind, detailliert und auf Einzelheiten eingehend. Dazu waren Sie zu keinem Zeitpunkt Ihrer Einvernahmen in der Lage. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass Ihr gegenständliches Vorbringen den Tatsachen entspricht. Zusammenfassend ist Ihr gesamtes Vorbringen, warum Sie Ihr Heimatland verlassen hätten, unglaubhaft. Eine asylrelevante Verfolgung in Ihrem Herkunftsstaat Indien konnte nicht festgestellt werden. Es kann keine Bedrohung erkannt werden, die weder von einer staatlichen Behörde Indiens noch eine dem indischen Staat zurechenbare Verfolgung darstellte, die von den staatlichen Einrichtungen allenfalls auch geduldet würde. Eine individuelle, von staatlichen Stellen initiierte, Verfolgung oder Bedrohung Ihrer Person im Herkunftsland Indien gaben Sie weder selber an, noch konnte diese durch die Behörde festgestellt werden. Sie haben ausschließlich Verfolgung durch private Dritte behauptet. Dies stellt keinen Asylgrund im Sinne der GFK dar.

Sie haben keine weiteren Verfolgungsgründe vorgebracht. Sie hätten niemals Probleme mit der Polizei gehabt oder wären je in Haft gewesen. In diesem Kontext ist darauf hinzuweisen, dass es keine Hinweise gibt, dass die indischen Behörden grundsätzlich nicht fähig und nicht willens seien, Schutz vor strafrechtswidrigen Übergriffen zu gewähren. Ein lückenloser Schutz ist in Indien ebenso wie in allen anderen Ländern der Erde aber nicht möglich. Von einer allgemeinen, das Leben eines jeden Bürgers betreffenden, Gefährdungssituation im Sinne des Art. 3 EMRK, ist aber nicht auszugehen. Zusammenfassend gelangt die erkennende Behörde daher im Rahmen der von ihr vorzunehmenden Beweiswürdigung zu einem den Denkgesetzen und den Erfahrungen des Lebens entsprechenden Ergebnis, indem sie aufgrund der getroffenen Feststellungen, insbesondere aber aufgrund des Vorbringens zu den Fluchtgründen zu dem Schluss kommt, dass Sie mit diesem keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen konnten. Beweismittel, die einen gegenteiligen Schluss zuließen, haben Sie nicht in Vorlage gebracht. Die Behörde geht daher davon aus, dass Sie Ihr Heimatland in der Hoffnung auf Migration und diversen Sozialleistungen Richtung Europa verlassen haben."

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien und stammt aus dem Punjab. Der Beschwerdeführer hat in Indien 12 Jahre die Grundschule besucht und bis zur Ausreise in der Marketingabteilung einer Handyfirma gearbeitet. Im Bundesgebiet verfügt der Beschwerdeführer über keinerlei Familienangehörige, er lebt auch nicht in einer Lebensgemeinschaft, hingegen halten sich seine Eltern und Geschwister in Indien auf. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer die deutsche Sprache beherrscht, einer regelmäßigen Beschäftigung nachgeht, sich sozial engagiert oder hier Freunde gefunden hat. Er ist gesund und arbeitsfähig.

Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer sein Herkunftsland aus den von ihm genannten Gründen verlassen hat.

Zur allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation in Indien wird das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zugrunde gelegt und insbesondere Folgendes festgestellt:

Politische Lage:

Indien ist mit über 1,2 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA Factbook 12.12.2016; vgl. auch: AA 16.8.2016, BBC 27.9.2016). Die - auch sprachliche - Vielfalt Indiens wird auch in seinem föderalen politischen System reflektiert, in welchem die Macht von der Zentralregierung und den Bundesstaaten geteilt wird (BBC 27.9.2016). Die Zentralregierung hat deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten (AA 9.2016a). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 13.4.2016). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 9.2016a).

Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung entspricht britischem Muster (AA 16.8.2016), der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist durchgesetzt (AA 9.2016a). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, die über einen dreistufigen Instanzenzug verfügt, ist verfassungsmäßig garantiert (AA 16.8.2016). Das oberste Gericht in New Delhi steht an der Spitze der Judikative (GIZ 11.2016). Die Entscheidungen der staatlichen Verwaltung (Bürokratie, Militär, Polizei) unterliegen überdies der Kontrolle durch die freie Presse des Landes, die nicht nur in den landesweiten Amtssprachen Hindi und Englisch, sondern auch in vielen der Regionalsprachen publiziert wird. Indien hat zudem eine lebendige Zivilgesellschaft (AA 9.2016a).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 13.4.2016). Die Legislative besteht aus einer Volkskammer (Lok Sabha) und einer Staatenkammer (Rajya Sabha). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene (AA 16.8.2016).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister Leiter der Regierung ist (USDOS 13.4.2016). Das Präsidentenamt bringt vor allem repräsentative Aufgaben mit sich, im Krisenfall verfügt der Präsident aber über weitreichende Befugnisse. Seit Juli 2012 ist Präsident Pranab Kumar Mukherjee indisches Staatsoberhaupt (AA 9.2016a). Das wichtigste Amt innerhalb der Exekutive bekleidet aber der Premierminister (GIZ 11.2016).

Wahlen zum Unterhaus finden nach einfachem Mehrheitswahlrecht ("first-past-the-post") alle fünf Jahre statt, zuletzt im April/Mai 2014 mit knapp 830 Millionen Wahlberechtigten (AA 16.8.2016). Dabei standen sich drei große Parteienbündnisse gegenüber: Die United Progressive Alliance (UPA) unter Führung der Kongresspartei, die National Democratic Alliance (NDA) unter Führung der Bharatiya Janata Party (BJP - Indische Volkspartei) und die so genannte Dritte Front, die aus elf Regional- und Linksparteien besteht sowie die aus einem Teil der India-Against-Corruption-Bewegung hervorgegangene Aam Aadmi Party (AAP) (GIZ 11.2016; vgl. auch: FAZ 16.5.2014). Abgesehen von kleineren Störungen, verliefen die Wahlen korrekt und frei (AA 16.8.2016).

Als deutlicher Sieger mit 336 von 543 Sitzen löste das Parteienbündnis NDA (AA 16.8.2016), mit der hindu-nationalistischen BJP (AA 9.2016a) als stärkster Partei (282 Sitze), den Kongress an der Regierung ab (AA 16.8.2016). Die seit 2004 regierende Kongress-geführte Koalition unter Manmohan Singh erlitt hingegen große Verluste, womit Sonia Gandhi und Sohn Rahul nun auf die Oppositionsbank rücken (Eurasisches Magazin 24.5.2014; vgl. auch:

FAZ 16.5.2014, GIZ 11.2016). Die AAP, die 2013 bei der Wahl in Delhi 28 von 70 Sitzen erringen konnte, errang landesweit nun nur vier Sitze (GIZ 11.2016; vgl. auch: FAZ 16.5.2014). Der BJP Spitzenkandidat, der bisherige Ministerpräsident von Gujarat, Narendra Modi, wurde zum Premierminister gewählt (AA 16.8.2016) und steht seit 16.5.2014 (GIZ 11.2016) einem 65-köpfigen Kabinett vor (AA 16.8.2016).

Die seit 2014 im Amt befindliche neue Regierung will nicht nur den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzen, sondern ihn noch intensivieren, indem bürokratische Hemmnisse beseitigt und der Protektionismus verringert werden soll. Ausländische Investoren sollen verstärkt aktiv werden (GIZ 12.2016).

Unter Premierminister Modi betreibt Indien eine aktivere Außenpolitik als zuvor. Die frühere Strategie der "strategischen Autonomie" wird zunehmend durch eine Politik "multipler Partnerschaften" mit allen wichtigen Ländern in der Welt überlagert. Wichtigstes Ziel der indischen Außenpolitik ist die Schaffung eines friedlichen und stabilen globalen Umfelds für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und die Profilierung als aufstrebende Großmacht (AA 9.2016b). Ein ständiger Sitz im VN-Sicherheitsrat ist dabei weiterhin ein strategisches Ziel (GIZ 12.2016). Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere regionale Verflechtung mit seinen Nachbarn an. Indien ist Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft (Association of Southeast Asian Nations - ASEAN) und Mitglied im "ASEAN Regional Forum" (ARF). Auch bilateral hat Indien in den letzten Monaten seine Initiativen in den Nachbarländern verstärkt. Überdies nimmt Indien am East Asia Summit und seit 2007 auch am Asia-Europe Meeting (ASEM) teil. In der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) hat Indien im Februar 2016 von Russland den diesjährigen Vorsitz übernommen. Bei ihrem Treffen in Ufa im Juli 2015 beschloss die Shanghai Cooperation Organisation (SCO), Indien und Pakistan nach Abschluss der Beitrittsprozeduren als Vollmitglieder aufzunehmen (AA 9.2016b).

Die Beziehungen zum gleichfalls nuklear gerüsteten Nachbarn Pakistan haben sich jüngst erneut zugespitzt. In den Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit haben sich wiederholt Phasen des Dialogs und der Spannungen bis hin zur kriegerischen Auseinandersetzung abgelöst.

Größtes Hindernis für eine Verbesserung der Beziehungen ist weiterhin das Kaschmirproblem (AA 9.2016b).

Indien ist durch das Nuklearabkommen mit den USA ein Durchbruch gelungen. Obwohl es sich bis heute weigert, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten, bedeutet das Abkommen Zugang zu Nukleartechnologie. Ebenfalls positiv hat sich das Verhältnis Indiens zu China entwickelt. Zwar sind die strittigen Grenzfragen noch nicht geklärt, aber es wurden vertrauensbildende Maßnahmen vereinbart, um zumindest in dieser Frage keinen Konflikt mehr herauf zu beschwören. Auch ist man an einer weiteren Steigerung des bilateralen Handels interessiert, der sich binnen eines Jahrzehnts mehr als verzehnfacht hat (GIZ 12.2016).

Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze, kontrolliert Indien die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs, und war Indien maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert. Die Beziehungen des Landes zur EU sind vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Die EU ist der größte Handels- und Investitionspartner Indiens. Der Warenhandel in beide Richtungen hat sich faktisch stetig ausgeweitet (GIZ 12.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

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AA - Auswärtiges Amt (9.2016a): Indien, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_AC539C62A8F3AE6159C84F7909652AC5/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 5.12.2016

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AA - Auswärtiges Amt (9.2016b): Indien, Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_F210BC76845F7B2BE813A33858992D23/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 29.12.2016

-

BBC - British Broadcasting Corporation (27.9.2016): India country profile - Overview,

http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 5.12.2016

-

CIA - Central Intelligence Agency (15.11.2016): The World Factbook

-

India,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/in.html, Zugriff 9.1.2017

-

Eurasisches Magazin (24.5.2014): Wohin geht die größte Demokratie der Erde?,

http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/Indien-nach-den-Wahlen-eine-Analyse/14017, Zugriff 4.1.2017

-

FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (16.5.2014): Modi ist Mann der Stunde,

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/fruehaufsteher/wahlentscheid-in-indien-modi-ist-der-mann-der-stunde-12941572.html, Zugriff 4.1.2017

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (12.2016): Indien,

http://liportal.giz.de/indien/geschichte-staat.html, Zugriff 5.12.2016

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmBH (11.2016): Indien, Wirtschaftssystem und Wirtschaftspolitik, http://liportal.giz.de/indien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 5.12.2016

-

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, http://www.ecoi.net/local_link/322482/461959_de.html, Zugriff 5.12.2016

Sicherheitslage

Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven. Widersprüche, Gegensätze oder Konflikte entladen sich in den gesellschaftlichen Arenen und werden von der Politik aufgegriffen, verarbeitet und teilweise instrumentalisiert (GIZ 11.2016). Blutige Terroranschläge haben in den vergangenen Jahren in Indiens Millionen-Metropolen wiederholt Todesopfer gefordert (Eurasisches Magazin 24.5.2014). Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 11.2016). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt (AA 16.8.2016).

Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011

Mumbai, September 2011 New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 Chennai und Dezember 2014 Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2011 1.073 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt, für das Jahr 2012 803, für das Jahr 2013 885, für das Jahr 2014 976 für das Jahr 2015 722 und für das Jahr 2016 835 [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 9.1.2017).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People's Liberation Front etc.). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 12.2016).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 16.8.2016).

Pakistan und Indien

Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (AA 9.2016b). Seit 1947 gab es bereits drei Kriege, davon zwei aufgrund des umstrittenen Kaschmirgebiets. Friedensgespräche, die 2004 begannen, wurden trotz Spannungen wegen der Kaschmirregion und sich immer wieder ereignenden schweren Bombenaschlägen bis zu den von Islamisten durchgeführten Anschlägen in Mumbai 2008, fortgesetzt (BBC 27.9.2016).

Indien wirft Pakistan vor, Infiltrationen von Terroristen auf indisches Staatsgebiet zumindest zu dulden, wenn nicht zu befördern. Größere Terroranschläge in Indien in den Jahren 2001 und 2008 und der jüngste terroristische Angriff auf eine Militärbasis im indischen Teil Kaschmirs hatten die Spannungen in den bilateralen Beziehungen erheblich verschärft. Indien reagierte auf den Anschlag, bei dem 18 indische Soldaten ums Leben kamen, mit einer begrenzten Militäroperation ("surgical strike") im pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs, die sich nach indischen Angaben gegen eine bevorstehende terroristische Infiltration richtete. In der Folge kommt es immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir. Indien sieht Pakistan in der Verantwortung für die terroristischen Bedrohungen an seiner Nordwestgrenze und erhöht den Druck auf den Nachbarn, um wirksame pakistanische Maßnahmen gegen den Terrorismus zu erreichen (AA 9.2016b). Bei einem Treffen in New York Ende September 2013 vereinbarten die Premierminister Singh und Sharif lediglich, den Waffenstillstand künftig besser einhalten zu wollen (GIZ 11.2016a). Der von 2014-2015 Hoffnung gebende Dialogprozess zwischen beiden Seiten ist über die aktuellen Entwicklungen zum Stillstand gekommen. Noch am Weihnachtstag 2015 hatte Premierminister Modi seinem pakistanischen Amtskollegen einen Überraschungsbesuch abgestattet und damit kurzzeitig Hoffnungen auf eine Entspannung aufkeimen lassen (AA 9.2016b).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien

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AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

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AA - Auswärtiges Amt (9.2016b): Indien - Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_09493FC61FD08185D486477F8D93E1EE/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 5.12.2016

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BBC - British Broadcasting Corporation (27.9.2016): India country profile - Overview,

http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 5.12.2016

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Eurasisches Magazin (24.5.2014): Wohin geht die größte Demokratie der Erde?,

http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/Indien-nach-den-Wahlen-eine-Analyse/14017, Zugriff 5.12.2016

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2016a): Indien,

http://liportal.giz.de/indien/geschichte-staat.html, Zugriff 5.12.2016

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ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2016):

Asylländerbericht Indien

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SATP - South Asia Terrorism Portal (9.1.2017): Data Sheet - India Fatalities: 1994-2016,

http://www.satp.org/satporgtp/countries/india/database/indiafatalities.htm, Zugriff 9.1.2017

Rechtsschutz/Justizwesen

In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige indische Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig lange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 16.8.2016; vgl. auch:

USDOS 13.4.2016). Eine generell diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption (AA 24.4.2015).

Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt (FH 27.1.2016). Das Justizsystem gliedert sich in den Supreme Court, das Oberstes Gericht mit Sitz in Delhi; das als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten regelt. Es ist auch Appellationsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. Der High Court bzw. das Obergericht ist in jedem Unionsstaat. Kollegialgericht als Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen. Er führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und in Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche wie auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 12.2016).

Das Gerichtswesen ist auch weiterhin überlastet und der Rückstau bei Gericht führt zu langen Verzögerungen oder der Vorenthaltung von Rechtsprechung. Eine Analyse des Justizministeriums ergab mit 1.8.2015 eine Vakanz von 34% der Richterstellen an den Obergerichten (USDOS 13.4.2016). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre. Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft. Dies führt dazu, dass Zeugen vor Gericht häufig nicht frei aussagen, da sie bestochen oder bedroht worden sind (AA 16.8.2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).

Richter zeigten einen beträchtlichen Einsatz in der Bearbeitung von sogenannten "Public Interest Litigation" (Klagen im öffentlichen Interesse). Insbesondere in unteren Ebenen der Justiz ist Korruption weit verbreitet und die meisten Bürger haben große Schwierigkeiten, ihr Recht bei Gericht durchzusetzen. Das System ist rückständig und stark unterbesetzt, was zu langer Untersuchungshaft für eine große Zahl von Verdächtigen führt. Vielen von ihnen bleiben so länger im Gefängnis, als der eigentliche Strafrahmen wäre (FH 27.1.2016). Die Dauer der Untersuchungshaft ist entsprechend zumeist exzessiv lang. Außer bei von Todstrafe bedrohten Delikten soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung und eine Freilassung auf Kaution anordnen. Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70% aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 16.8.2016).

In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 16.8.2016).

Die Inhaftierung eines Verdächtigen durch die Polizei ohne Haftbefehl darf nach den allgemeinen Gesetzen nur 24 Stunden dauern. Eine Anklageerhebung soll bei Delikten mit bis zu zehn Jahren Strafandrohung innerhalb von 60, in Fällen mit höherer Strafandrohung innerhalb von 90 Tagen erfolgen. Festnahmen erfolgen jedoch häufig aus Gründen der präventiven Gefahrenabwehr sowie im Rahmen der Sondergesetze zur inneren Sicherheit, z.B. aufgrund des Gesetzes über nationale Sicherheit ("National Security Act", 1956) oder des lokalen Gesetzes über öffentliche Sicherheit ("Jammu and Kashmir Public Safety Act", 1978). Festgenommene Personen können auf Grundlage dieser Gesetze bis zu einem Jahr ohne Anklage in Präventivhaft gehalten werden. Auch zur Zeugenvernehmung können gemäß Strafprozessordnung Personen über mehrere Tage festgehalten werden, sofern eine Fluchtgefahr besteht. Fälle von Sippenhaft sind dem Auswärtigen Amt nicht bekannt (AA 16.8.2016).

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangen. Das gilt insbesondere bei Fällen mit terroristischem oder politischen Hintergrund oder solchen mit besonderem öffentlichem Interesse. Es gibt Fälle, in denen Häftlinge misshandelt werden. Hierbei kann die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit sowie die politische Überzeugung des Opfers eine Rolle spielen. Ein im Mai 2016 von der renommierten National Law University Delhi veröffentlichter empirischer Bericht zur Situation der Todesstrafe in Indien zeichnet ein düsteres Bild des indischen Strafjustizsystems. So haben beispielsweise 80% aller Todeskandidaten angegeben, in Haft gefoltert worden zu sein (AA 16.8.2016).

Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung, ausgenommen bei Anwendung des "Unlawful Activities (Prevention) Amendment Bill und sie haben das Recht, ihren Anwalt frei zu wählen. Das Strafgesetz sieht öffentliche Verhandlungen vor, außer in Verfahren, in denen die Aussagen Staatsgeheimnisse oder die Staatssicherheit betreffen können. Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt (USDOS 13.4.2016). Das Gesetz erlaubt den Angeklagten in den meisten Zivil- und Kriminalfällen den Zugang zu relevanten Regierungsbeweisen, aber die Regierung behält sich das Recht vor, Informationen zurückzuhalten und tut dies auch in Fällen, die sie für heikel erachtet. Die Angeklagten haben das Recht, sich dem Ankläger zu stellen und ihre eigenen Zeugen und Beweismittel zu präsentieren, jedoch konnten Angeklagte dieses Recht manchmal aufgrund des Mangels an ordentlicher Rechtsvertretung nicht ausüben. Gerichte sind verpflichtet Urteile öffentlich zu verkünden und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz. Angeklagte haben das Recht, die Aussage zu verweigern und sich nicht schuldig zu bekennen (USDOS 13.4.2016).

Gerichtliche Ladungen in strafrechtlichen Angelegenheiten sind im Criminal Procedure Code 1973 (CrPC, Chapter 4, §§61-69), in zivilrechtlichen Angelegenheiten im Code of Civil Procedure 1908/2002 geregelt. Jede Ladung muss schriftlich, in zweifacher Ausführung ausgestellt sein, vom vorsitzenden Richter unterfertigt und mit Gerichtssiegel versehen sein.

Ladungen werden gemäß CrPC prinzipiell durch einen Polizeibeamten oder durch einen Gerichtsbeamten an den Betroffenen persönlich zugestellt. Dieser hat den Erhalt zu bestätigen. In Abwesenheit kann die Ladung an ein erwachsenes männliches Mitglied der Familie übergeben werden, welches den Erhalt bestätigt. Falls die Ladung nicht zugestellt werden kann, wird eine Kopie der Ladung an die Residenz des Geladenen sichtbar angebracht. Danach entscheidet das Gericht, ob die Ladung rechtmäßig erfolgt ist, oder ob eine neue Ladung erfolgen wird. Eine Kopie der Ladung kann zusätzlich per Post an die Heim- oder Arbeitsadresse des Betroffenen eingeschrieben geschickt werden. Falls dem Gericht bekannt wird, dass der Betroffene die Annahme der Ladung verweigert hat, gilt die Ladung dennoch als zugestellt. Gemäß Code of Civil Procedure kann die Ladung des Gerichtes auch über ein gerichtlich genehmigtes Kurierservice erfolgen (ÖB 12.2016).

Im ländlichen Indien gibt es auch informelle Ratssitzungen, deren Entscheidungen manchmal zu Gewalt gegen Personen führt, die soziale Regeln brechen - was besonders Frauen und Angehörige unterer Kasten betrifft (FH 27.1.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien

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AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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