TE Vwgh Beschluss 2016/7/28 Ra 2015/07/0147

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Veröffentlicht am 28.07.2016
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
83 Naturschutz Umweltschutz

Norm

AWG 2002 §43
AWG 2002 §62 Abs2
AWG 2002 §62 Abs3
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §41
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofräte Dr. N. Bachler und Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schubert-Zsilavecz, über den Antrag auf Wiederaufnahme des mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Februar 2016, Ra 2015/07/0147 7, abgeschlossenen Verfahrens und die Revision des H G in H, vertreten durch die Gruböck & Lentschig Rechtsanwälte OG in 2500 Baden, Beethovengasse 4-6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 4. September 2015, Zl. LVwG-AB-08-0249, betreffend eine Angelegenheit nach dem Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Niederösterreich), den Beschluss gefasst:

Spruch

I. Dem Antrag auf Wiederaufnahme wird stattgegeben.

II. Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden (BH) vom 5. Mai 1997 wurde u.a. dem Revisionswerber die naturschutzbehördliche Bewilligung für die Errichtung einer Heißrottehalle und eines Nachrotteplatzes auf den Grst. Nr. 152/1, 131/1 und 131/2, KG H, erteilt.

2 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich (LH) vom 23. Juni 1997 wurde u.a. dem Revisionswerber die wasserrechtliche Bewilligung für die Errichtung und den Betrieb einer Kompostieranlage auf den genannten Grundstücken unter Vorschreibung von Auflagen erteilt.

3 Mit Bescheid des LH vom 28. Juli 2003 wurde

u. a. festgestellt, dass die mit Bescheid des LH vom 23. Juni 1997 wasserrechtlich bewilligte Kompostieranlage projekts- und bedingungsgemäß ausgeführt worden sei.

4 Nach Einholung einer Stellungnahme des Amtssachverständigen (ASV) für Gewässerschutz und einer erfolgten Überprüfung erging im Zuge der Verhandlung am 28. November 2007 an den Revisionswerber gemäß § 62 Abs. 2 Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (AWG 2002) die Aufforderung zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes, weil bereits zum Zeitpunkt der Überprüfung eine erhebliche Überschreitung des quantitativen und qualitativen Konsenses vorgelegen sei.

5 Mit Schreiben vom 11. Juni 2008 wurden die Einschränkungen der genehmigten Kapazität sowie Umgestaltungs- und Umbauarbeiten sowie ein Sanierungskonzept angezeigt und diesbezüglich Unterlagen vorgelegt.

6 Im Zuge der am 14. Juli 2008 durchgeführten Verhandlung wurde vom Revisionswerber die Änderungsanzeige vom 11. Juni 2008 auf einen Genehmigungsantrag gemäß § 37 Abs. 3 Z 3 AWG 2002 umgeändert.

7 Im Rahmen der Verhandlung vom 14. Juli 2008 hielt der ASV für Gewässerschutz fest, dass bei Umsetzung näher genannter Auflagen und der Anzeigeinhalte die Anlage wieder in Betrieb genommen bzw. die getroffene Beschränkung der Übernahme von Abfällen aufgehoben werden könnten. Vom ASV für Luftreinhaltetechnik wurde ausgeführt, dass die in der Anzeige dargestellten Maßnahmen nicht dem Stand der Technik der Emissionsminderung entsprächen.

8 Im Zuge der am 20. November 2008 durchgeführten Verhandlung hielt der ASV für Gewässerschutz fest, dass die Kompostieranlage derzeit nicht dem Stand der Technik gemäß Regelwerk des BMLFUW (2005) und der Bundeskompostverordnung entspreche.

9 Mit Spruchpunkt A) des Bescheides des LH vom 24. November 2008 wurde der Antrag des Revisionswerbers vom 14. Juli 2008 auf Abänderung der gegenständlichen Kompostierungsanlage abgewiesen.

Mit Spruchpunkt B) des genannten Bescheides wurde gemäß § 62 Abs. 3 AWG 2002 hinsichtlich der betriebenen Kompostierungsanlage die sofortige Betriebseinstellung verfügt und die Durchführung näher genannter Maßnahmen im Zuge der Betriebseinstellung vorgeschrieben.

10 In seinen Erwägungen führte der LH u.a. zusammenfassend aus, dass die Kompostierungsanlage in der derzeit betriebenen Form weder aus Sicht des Boden- und Gewässerschutzes noch aus Sicht der Luftreinhaltetechnik dem Stand der Technik entspreche. Der Betrieb sei daher einzustellen und das vorhandene Material zu entfernen oder umzulagern (Fertigkompost). Das beantragte Projekt zur Umgestaltung und Sanierung könne nicht genehmigt werden, weil es aus luftreinhaltetechnischer Sicht nicht dem Stand der Technik entspreche.

11 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Berufung, die mit Ablauf des 31. Dezember 2013 als Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) zu qualifizieren war.

12 Das LVwG führte am 10. Februar 2014 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Revisionswerber u. a. vorbrachte, dass die Anlage derzeit nicht betrieben werde. Die Landwirtschaft sei an seinen Sohn übergeben worden. Die Lieferungen an Material seien ausschließlich im Rahmen der Landwirtschaft erfolgt und es werde die Kompostieranlage derzeit nicht betrieben. Der angelieferte und übernommene Strauchschnitt diene zum Heizen oder werde zur thermischen Verwertung verkauft.

13 Der ASV für Luftreinhaltetechnik hielt in der mündlichen Verhandlung fest, dass die Geruchswerte über den Grenzwerten lägen. Stand der Technik dieser Anlage sei die komplette Einhausung mit Behandlung der abgesaugten Luft. Er ergänzte seine Ausführungen in einem schriftlichen Gutachten vom 17. Februar 2014 sowie im Rahmen einer weiteren öffentlichen mündlichen Verhandlung am 2. Juni 2015.

14 Bei der zuletzt genannten mündlichen Verhandlung vom 2. Juni 2015 führten der Revisionswerber und sein Sohn u.a. aus, dass seit dem Bescheid vom 24. November 2008 keine Kompostierung mehr stattfinde und der Platz für die Holzverarbeitung verwendet werde.

15 Mit E-Mail vom 26. Juni 2015 wurde von einem Vertreter des Revisionswerbers bzw. dessen Sohnes ein neues Projekt "Kompostanlage F" vorgelegt.

16 Mit Erkenntnis des LVwG vom 4. September 2015 wurde der Beschwerde des Revisionswerbers keine Folge gegeben und der Bescheid des LH vom 24. November 2008 bestätigt. Unter einem wurde ausgeführt, dass gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

17 In seinen rechtlichen Erwägungen hielt das LVwG u.a. fest, es sei unstrittig, dass die Kompostanlage seit dem 24. November 2008 nicht mehr betrieben werde. Der Revisionswerber nutze das Anlagenareal nach seinen Angaben für die Holzbearbeitung. Vor dem 24. November 2008 sei der Konsens unstrittig um 100 % überschritten worden. Aus den vorgelegten Gutachten ergebe sich eindeutig, dass die beantragte Anlage und die damals betriebene Anlage nicht mehr dem Stand der Technik entspreche. Stand der Technik wäre in diesem Fall die komplette Einhausung der Anlage.

Im vorliegenden Fall sei der Betrieb mit 24. November 2008 aufgrund eines Bescheides eingestellt und bis zum heutigen Tag nicht mehr aufgenommen worden. Ein Antrag gemäß § 55 Abs. 2 AWG 2002 sei vom Revisionswerber nicht gestellt worden. Somit sei der abfallrechtliche Konsens "seit mehr als 5 Jahren nicht mehr vorhanden" und die Betriebsanlagengenehmigung erloschen. Ein Verschulden oder Gründe, welche die Unterbrechung hemmten, sehe das Gesetz nicht vor, sodass es Pflicht des Revisionswerbers gewesen wäre, einen Antrag gemäß § 55 Abs. 2 AWG 2002 zu stellen. Mangels einer nunmehr genehmigten Betriebsanlage und der zum Zeitpunkt der Schließung erheblichen Überschreitung des Konsenses um 100 % sei die vorgeschriebene Betriebsschließung in Spruchpunkt B) korrekt und der angefochtene Bescheid in diesem Spruchpunkt zu bestätigen.

18 2. Die gegen dieses Erkenntnis des LVwG vom Revisionswerber eingebrachte außerordentliche Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Februar 2016, Ra 2015/07/0147-7, zurückgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, der Revisionswerber habe seine Revision am 29. Oktober 2015, dem letzten Tag der Revisionsfrist, per ERV beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht, der sie zum frühestmöglichen Zeitpunkt einer Weiterleitung mit Verfügung vom 30. Oktober 2015 zuständigkeitshalber an das LVwG weitergeleitet habe, wo sie am 3. November 2015 eingelangt sei. Werde ein fristgebundenes Anbringen bei einer unzuständigen Stelle eingebracht, so erfolge eine Weiterleitung auf Gefahr des Einschreiters. Die für die Erhebung der Revision geltende Frist sei nur dann gewahrt, wenn die Revision noch innerhalb der Frist einem Zustelldienst zur Beförderung an die zuständige Stelle übergeben werde oder bei dieser einlange. Die Revisionsfrist habe am 29. Oktober 2015 geendet und sei daher zu dem für den Verwaltungsgerichtshof frühestmöglichen Zeitpunkt einer Weiterleitung, am 30. Oktober 2015, bereits abgelaufen gewesen.

19 3. Mit Schriftsatz vom 25. März 2016 beantragte der Revisionswerber gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VwGG die Wiederaufnahme des mit hg. Beschluss vom 25. Februar 2016 abgeschlossenen Verfahrens, in eventu gemäß § 46 VwGG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Gleichzeitig erhob der Revisionswerber (erneut) eine ao. Revision gegen das Erkenntnis des LVwG vom 4. September 2015.

20 Zum Wiederaufnahmeantrag hielt der Revisionswerber im Wesentlichen fest, dass sein Rechtsvertreter die ao. Revision nach durchgeführter Kontrolle am 29. Oktober 2015, somit dem letzten Tag der sechswöchigen Frist mittels Rückscheinbriefes auch an das LVwG gesandt habe.

21 Das zu diesem Vorbringen um Stellungnahme ersuchte LVwG bestätigte mit Erledigung vom 19. Mai 2016, es sei irrtümlicherweise davon ausgegangen worden, dass die beiden Dateien betreffend die verfahrenseinleitende Anordnung des Verwaltungsgerichtshofes (Übermittlung der Revision zuständigkeitshalber) und die wortidente Revision des Revisionswerbers zusammengehörten und beide vom Verwaltungsgerichtshof vorgelegt worden seien.

22 4. Gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VwGG ist die Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis oder Beschluss abgeschlossenen Verfahrens auf Antrag einer Partei zu bewilligen, wenn das Erkenntnis oder der Beschluss auf einer nicht von der Partei verschuldeten irrigen Annahme der Versäumung einer in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Frist beruht.

23 Die genannten Voraussetzungen liegen gegenständlich vor. Der Verwaltungsgerichtshof ist bei seinem die Revision zurückweisenden Beschluss vom 25. Februar 2016 aufgrund des oben geschilderten Sachverhalts (Weiterleitung der direkt beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachten Revision an das LVwG nach Ablauf der Revisionsfrist) und der Ausführungen des LVwG im Vorlagebericht vom 19. Jänner 2016, wonach sich "die Beschwerde" nach Ansicht des LVwG als verspätet erweise, von der Versäumung der Revisionsfrist ausgegangen.

24 Da diese irrige Annahme der Versäumung der Revisionsfrist nicht vom Revisionswerber verschuldet worden war, war dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens stattzugeben.

25 5. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

26 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

27 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

28 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

29 5.1. Zur Zulässigkeit der ao. Revision führt der Revisionswerber aus, es liege eine gravierende Fehlentscheidung dahingehend vor, dass seine Anlage seit 24. November 2008 nicht mehr betrieben werde. Das LVwG habe in einem (anderen) Erkenntnis vom 9. März 2015 "bezüglich des identen Sachverhaltes aufgrund einer eingebrachten Beschwerde gegen einen neuerlichen Bescheid der Behörde in derselben Sache trotz anhängigem Rechtsmittelverfahren" festgestellt, dass die "Kompostieranlage seit Erteilung des behördlichen Auftrages weiter konsenswidrig betrieben wird". Ergänzend sei im zitierten Erkenntnis ausgeführt worden, dass "der Betrieb der Kompostieranlage seit der behördlichen Anordnung zumindest in wesentlichen Teilen dieser Anlage aufrechterhalten" werde. Tatsächlich sei nämlich auf Grund vorangegangener Auflagen die Verarbeitungsmenge deutlich reduziert, das bestehende Lager an Biotonnenmaterial sukzessive aufgearbeitet, verunreinigtes Material (Siebreste) entsorgt und die Übernahme von Biotonnenmaterial mit Juli 2008 eingestellt worden. Es sei jedoch der Baum- und Strauchschnitt weiterhin übernommen und Gras, Stauden, Laub sowie der ausgesiebte Feinanteil in einem Ausmaß von bis zu ca. 1.200 m3/Jahr kompostiert worden.

Es widerspreche daher dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsprechung, dass das LVwG in verschiedenen Erkenntnissen bezüglich des identen Sachverhaltes zu konträren Ergebnissen komme. Die Sachverhaltsfeststellung des bekämpften Erkenntnisses erscheine auch deshalb evident unrichtig, weil selbst das beigezogene Gewässerschutzorgan der BH im Zuge der Überprüfung am 20. Juni 2014 festgestellt habe, "dass ca. 1.000 t biogene Abfälle auf der Abfallbehandlungsanlage lagern" und "dass es sich um eine konsenslos betriebene Abfallbehandlungsanlage für biogene Abfälle" handle.

Im Übrigen habe auch das LVwG im zitierten Erkenntnis vom 9. März 2015 ausgeführt, dass eine derartige Betriebseinstellung (auf Grund der Anordnung vom 24. November 2008) nicht erforderlich gewesen sei, weil die vor dem Inkrafttreten des AWG 2002 gemäß § 32 WRG 1959 erteilte wasserrechtliche Genehmigung aus dem Jahr 1997 gemäß § 77 Abs. 2 AWG 2002 als abfallrechtliche Genehmigung überzuleiten sei und es daher keiner Genehmigung gemäß § 37 AWG 2002 bedürfe.

30 Das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage kann nicht mit einem Vorbringen begründet werden, das unter das Neuerungsverbot fällt (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 23. April 2015, Ra 2015/07/0031, mwN).

31 Das LVwG stützte seine Beurteilung im angefochtenen Erkenntnis, dass die Kompostieranlage seit dem 24. November 2008 nicht mehr betrieben werde, auf die bereits wiedergegebenen Ausführungen des Revisionswerbers in den mündlichen Verhandlungen vom 10. Februar 2014 und 2. Juni 2015. Der Revisionswerber behauptet in seinen Ausführungen zur Zulässigkeit der Revision nicht die Unrichtigkeit der Wiedergabe dieses im Rahmen der mündlichen Verhandlungen erstatteten Vorbringens. Die nun gegenteilige Behauptung, die Kompostieranlage werde weiterhin betrieben, verstößt gegen das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof zu beachtende Neuerungsverbot. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das LVwG gegebenenfalls in einem anderen Erkenntnis hinsichtlich der Frage der Betriebseinstellung zu einer gegenteiligen Beurteilung gekommen sein mag.

32 5.2. Der Revisionswerber begründet die Zulässigkeit seiner Revision ferner mit dem Vorbringen, es mangle an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob die Rechtsfolgen des § 55 AWG 2002 (Erlöschen der Betriebsanlagengenehmigung bei Nichtbetrieb binnen fünf Jahren) auch dann eintreten, wenn die Betriebseinstellung behördlich verfügt worden sei. Es könne nicht Intention des Gesetzes bzw. Absicht des Gesetzgebers sein, dass eine behördlich verfügte Betriebseinstellung gemäß § 62 Abs. 3 AWG 2002 im Zusammenhalt mit einem mehr als fünf Jahre dauernden Rechtsmittelverfahren zu einem Erlöschen der Betriebsanlagengenehmigung führe.

33 Gemäß § 55 Abs. 1 AWG 2002, BGBl. I Nr. 102/2002, erlischt eine Genehmigung gemäß den §§ 37, 44 oder 52, wenn der Betrieb der Behandlungsanlage nicht binnen fünf Jahren nach rechtskräftiger Genehmigung in zumindest einem für die Erfüllung des Anlagenzwecks wesentlichen Teil der Behandlungsanlage aufgenommen oder durch mehr als fünf Jahre in allen für die Erfüllung des Anlagenzwecks wesentlichen Teilen unterbrochen wird.

Gemäß § 55 Abs. 2 AWG 2002 hat die Behörde über Antrag die Frist zur Inbetriebnahme der Behandlungsanlage auf Grund eines vor Fristablauf gestellten Antrags um längstens zwei Jahre zu verlängern, wenn es Art und Umfang des Projekts erfordern oder die Fertigstellung der Behandlungsanlage auf Grund unvorhergesehener Schwierigkeiten nicht rechtzeitig möglich ist. Durch den Antrag wird der Ablauf der Frist bis zur rechtskräftigen Entscheidung gehemmt.

Gemäß § 55 Abs. 3 AWG 2002 gilt Abs. 2 leg. cit. sinngemäß auch für die Unterbrechung des Betriebs.

Ergibt sich nach der Erteilung einer Genehmigung gemäß den §§ 37, 44, 52 oder 54, dass die gemäß § 43 wahrzunehmenden Interessen trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid enthaltenen Auflagen, Bedingungen oder Befristungen nicht hinreichend geschützt sind, so hat die Behörde gemäß § 62 Abs. 3 AWG 2002 die erforderlichen, nach dem nunmehrigen Stand der Technik geeigneten Maßnahmen vorzuschreiben. Geeignete Maßnahmen sind insbesondere Untersuchungen, Beprobungen, Messungen, nachträgliche Auflagen, Erstellung und Durchführung eines Sanierungskonzepts, Beseitigung von bereits eingetretenen Folgen von Auswirkungen der Behandlungsanlage, vorübergehende oder dauernde Einschränkungen der Behandlungsanlage oder die gänzliche oder teilweise Einstellung des Betriebs.

34 Vorweg ist festzuhalten, dass § 62 Abs. 3 AWG 2002 nicht - wie etwa § 62 Abs. 2 leg. cit. - der Einhaltung von bereits erteilten Auflagen für den Betrieb einer Behandlungsanlage dient, sondern dem Schutz der gemäß § 43 leg. cit. wahrzunehmenden Interessen durch Vorschreibung geeigneter Maßnahmen, und zwar in Ergänzung zu oder in Abänderung von bereits im Genehmigungsbescheid enthaltenen Auflagen, Bedingungen oder Befristungen. § 62 Abs. 3 AWG 2002 bezieht sich nur auf genehmigte, nicht aber auf konsenslose Anlagenteile (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2015, Ra 2014/07/0059, mwN).

35 Sowohl der LH als auch das LVwG stützten die Anordnung der sofortigen Betriebseinstellung auf § 62 Abs. 3 AWG 2002. Trotz der gleichzeitigen Feststellung einer vor dem 24. November 2008 erfolgten "Überschreitung des Konsenses um 100 %" ging das LVwG damit - ebenso wie der LH im erstinstanzlichen Bescheid - von einem (fiktiven) konsensgemäßen Zustand aus und sah das Vorliegen der Voraussetzungen des § 62 Abs. 3 AWG 2002 als gegeben an, weil die damals betriebene Anlage nicht mehr dem Stand der Technik entspreche.

Auf die Frage, ob diese Vorgangsweise zutreffend war (vgl. dazu erneut das hg. Erkenntnis Ra 2014/07/0059), ist an dieser Stelle jedoch nicht näher einzugehen, weil der Verwaltungsgerichtshof - wie dargelegt - die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat.

36 Damit von einer Rechtsfrage gesprochen werden kann, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, muss sie sich inhaltlich auf eine durch den angefochtenen Bescheid mögliche Rechtsverletzung beziehen und sich daher innerhalb der Sache des Verwaltungsverfahrens bewegen. Ferner muss die Rechtsfrage für die Entscheidung über die Revision präjudiziell und nach dem Vorbringen vom Verwaltungsgericht unrichtig gelöst worden sein (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 25. Februar 2016, Ra 2015/07/0170, mwN).

37 In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass gemäß § 64 Abs. 1 AVG in der bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung rechtzeitig eingebrachte Berufungen aufschiebende Wirkung haben.

38 Gemäß § 64 Abs. 2 AVG kann die Behörde die aufschiebende Wirkung ausschließen, wenn die vorzeitige Vollstreckung im Interesse einer Partei oder des öffentlichen Wohles wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist. Ein solcher Ausspruch ist tunlichst schon in den über die Hauptsache ergehenden Bescheid aufzunehmen.

39 In dem Bescheid des LH vom 24. November 2008, mit dem u. a. die sofortige Betriebseinstellung verfügt wurde, wurde die aufschiebende Wirkung einer rechtzeitig eingebrachten Berufung nicht aberkannt. Es ist nicht ersichtlich und wird vom Revisionswerber auch nicht behauptet, dass die aufschiebende Wirkung einer Berufung gegen diesen Bescheid gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt aberkannt worden wäre. Wie der Revisionswerber selbst ausführt, erhob er gegen den Bescheid des LH vom 24. November 2008 das Rechtsmittel der Berufung, weshalb der genannte Bescheid nicht bereits zum damaligen Zeitpunkt in Rechtskraft erwuchs. Der Bescheid vom 24. November 2008 mag nun Veranlassung für den Revisionswerber gewesen sein, seinen Betrieb einzustellen, zwingend war diese Betriebseinstellung in Befolgung einer "behördlichen Verfügung" gemäß § 62 Abs. 3 AWG 2002 bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses des LVwG vom 4. September 2015 jedoch nicht.

40 Die genannte, vom Revisionswerber formulierte Rechtsfrage erweist sich daher für die Entscheidung über die vorliegende Revision nicht als präjudiziell. Die auf § 62 Abs. 3 AWG 2002 gestützte behördliche Anordnung war - da sie aufgrund der erhobenen Berufung nicht in Rechtskraft erwuchs - nicht der rechtlich zwingende Grund für die nach den Darlegungen des Revisionswerbers in den mündlichen Verhandlungen vor dem LVwG erfolgte Betriebseinstellung.

41 Angesichts der erst mit der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses vom 4. September 2015 eingetretenen Rechtskraft der mit Bescheid vom 24. November 2008 gemäß § 62 Abs. 3 AWG 2002 verfügten sofortigen Betriebsschließung erscheint zwar die Annahme des LVwG, dass (im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses) "der abfallrechtliche Konsens seit mehr als 5 Jahren nicht mehr vorhanden" sei, unzutreffend. Gemäß § 55 Abs. 1 AWG 2002 erlischt die Genehmigung nämlich erst, wenn der Betrieb durch mehr als fünf Jahre in allen für die Erfüllung des Anlagenzwecks wesentlichen Teilen unterbrochen wird, was gegenständlich frühestens im November 2013 eingetreten sein konnte. Bereits aufgrund der erwähnten Angaben des Revisionswerbers in den vor dem LVwG durchgeführten mündlichen Verhandlungen durfte das LVwG jedoch davon ausgehen, dass der gegenständliche Betrieb mit 24. November 2008 eingestellt und seither nicht mehr aufgenommen wurde; ferner, dass vom Revisionswerber ein Antrag gemäß § 55 Abs. 2 AWG 2002 nicht gestellt wurde. Die behördliche Anordnung nach § 62 Abs. 3 AWG 2002 erwies sich jedoch - wie dargelegt - für die im November 2008 erfolgte Betriebseinstellung als nicht entscheidend.

42 6. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 28. Juli 2016

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Auflagen und Bedingungen VwRallg6/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2016:RA2015070147.L00.1

Im RIS seit

03.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

03.07.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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