TE Vwgh Erkenntnis 1999/1/27 98/04/0154

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Veröffentlicht am 27.01.1999
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Index

50/01 Gewerbeordnung;

Norm

GewO 1994 §74 Abs2;
GewO 1994 §77 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Stöberl, Dr. Blaschek und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde der EL in G, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 14. Juli 1998, Zl. 319.194/2-III/A/2a/98, betreffend Verfahren gemäß § 77 GewO 1994 (mitbeteiligte Partei: AB Aktiengesellschaft in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 14. Juli 1998 wurde der mitbeteiligten Partei gemäß den §§ 74 und 77 in Verbindung mit § 359 Abs. 1 GewO 1994 die gewerberechtliche Genehmigung der Errichtung und des Betriebes eines Baumarktes inklusive der dazugehörigen Lagerhalle, des Bürotraktes, der Freilager und der Kfz-Abstellplätze auf einem näher bezeichneten Standort nach Maßgabe der vorgelegten Plan- und Beschreibungsunterlagen unter Vorschreibung zahlreicher Auflagen erteilt. Zusätzlich zu den bereits im erstbehördlichen Bescheid enthaltenen Auflagen wurde mit dem angefochtenen Bescheid folgende weitere Auflage vorgeschrieben:

"Die Zu- und Ausfahrten sind außerhalb der Betriebszeiten versperrt zu halten. Die südwestliche Einfahrt zur Betriebsanlage darf nur für das Zufahren von Lkw verwendet werden."

In der Begründung wird nach Darstellung des Verfahrensganges zunächst das Gutachten des vom Bundesminister beigezogenen gewerbetechnischen Amtssachverständigen wiedergegeben, welcher (unter anderem) ausgeführt habe, die Liegenschaft der Beschwerdeführerin grenze an einer Seite an den W.-Weg, allerdings schräg gegenüber der in Rede stehenden Einfahrt Süd. Aus den Einreichunterlagen gehe hervor, daß die nächstgelegenen Punkte, an denen ein dauernder Aufenthalt auf der Liegenschaft der Beschwerdeführerin eventuell denkbar sei, in etwa 20 bis 25 m Entfernung von dem geplanten Einfahrtsbereich zu liegen kommen könnten. Darüber hinaus liege im Akt ein lärmschutztechnisches Gutachten vom 30. November 1995, in dem Angaben zu an mehreren Meßpunkten durchgeführten Lärmmessungen gemacht würden, wobei sich der wahrscheinlich hauptsächlich in Betracht zu ziehende Meßpunkt etwa im Bereich der gegenüber der Einfahrt Süd gelegenen Grundstücke befunden haben müsse. Laut diesem Bericht seien mehrere Meßsequenzen durchgeführt worden, in denen ein L95 von ca. 56 dB, ein Leq von ca. 66 dB, ein L1 von 79 bis 82 dB und ein Lmax von 84 bis 86 dB gemessen worden sei. Weiters sei angegeben, daß der Kfz-Verkehr auf der A9 dauernd, der Kfz-Verkehr auf der F.-Straße (Autobahnüberführung) häufig und Vorbeifahrten auf dem W.-Weg ("nördlich") ebenfalls häufig stattgefunden hätten. Darüber hinaus sei bei den Vorbeifahrten auf dem W.-Weg in "nördlich" und "südlich" und bei den südlichen Vorbeifahrten in "Pkw"- und "Lkw"-Vorbeifahrten aufgeschlüsselt worden. Die in Rede stehende Betriebsanlage sei noch nicht errichtet. Für die genannte Entfernung von mindestens 20 m könnten Schallpegel, die von Lkw-Zufahrten herrührten, nach der technischen Erfahrung des Amtssachverständigen folgende Werte aufweisen:

     Standgas                39 bis 59 dB

     Vollgas                 62 bis 77 dB

     Losfahren               59 bis 70 dB

     Losfahren mit Vollgas   74 bis 82 dB

     Bremsen                 52 bis 84 dB

     Langsamfahrt            ca. 69 dB

Unabhängig von der Entscheidung über die Genehmigung der Zufahrt von Lkw über die Zufahrt Süd werde angeregt, dem Begehren der Beschwerdeführerin insofern stattzugeben, als die Zu- und Ausfahrten außerhalb der Betriebszeiten versperrt zu halten seien. Dies sei aus technischer Sicht ein taugliches Mittel, um die Einfahrt durch nichtberechtigte Personen und nachfolgende Lärmerregung zu verhindern bzw. zumindest zu erschweren. Der Bundesminister führte anschließend weiter aus, der von ihm beigezogene medizinische Amtssachverständige habe unter anderem dargelegt, die Befürchtungen der Beschwerdeführerin hinsichtlich Lärm konzentrierten sich auf die Lkw-Zufahrten durch die südliche Einfahrt. Hier könnten laut gewerbetechnischem Gutachten am Immissionspunkt sowohl durch Anfahren als auch Bremsen Schallpegelspitzen von maximal 82 bis 84 dB errechnet werden. Die Ist-Situation sei bereits durch starken Verkehr auf der A9, der F.-Straße sowie dem W.-Weg mit einem Dauerschallpegel von 66 dB und Spitzen um 81 dB geprägt. Laut lärmtechnischem Gutachten in der Verhandlungsschrift würden allein am W.-Weg rund 100 Lkw in der Stunde vorbeifahren. Die zur Betriebsanlage (nur) zufahrenden Lkw würden im gleichen Zeitraum vier Schallpegelspitzen hervorrufen (zwei Lkw pro Stunde im Mittel, einmal Bremsgeräusche - einmal Abfahrt). Die zur Betriebsanlage zufahrenden Lkw unterschieden sich "objektiv" weder im Lärmpegel noch in der Lärmcharakteristik wesentlich von den lediglich durchfahrenden Lkw. Die Zunahme der Fahrbewegungen um entweder nur 2 % oder bis 9 % wäre jedoch sinnlich wahrnehmbar und zwar gelegentlich als einzelne Lärmspitze hörbar, eventuell auch durch Bremsen und wieder Anfahren ein wenig charakteristisch, vor allem jedoch zu beobachten. Die Lärmpegel sämtlicher dieser Fahrbewegungen lägen sowohl bereits als Dauerschallpegel als auch vor allem in den Spitzen im Bereich der unmittelbaren Einwirkung auf das vegetative Nervensystem, stellten einen erheblichen Stressor dar und es müßten bereits die Ist-Verhältnisse als schon gesundheitsgefährdend qualifiziert werden. Rein von der unmittelbaren Schallwirkung her seien die durch die Lkw-Zufahrten an der südlichen Betriebseinfahrt zu erwartenden zusätzlichen Lärmimmissionen nicht als maßgebliche zusätzliche Gesundheitsgefährdungen zu beurteilen. Eine zusätzliche Beeinträchtigung des Wohlbefindens der Nachbarn sei jedoch anzunehmen, da eine über die unmittelbare vegetative Lärmeinwirkung hinausgehende zusätzliche psychovegetative Irritation häufig dann auftrete, wenn im Rahmen eines Lärmkonfliktes der zumindest nach Ansicht des Beschwerdeführers offensichtlichen Vermeidbarkeit nicht Rechnung getragen werde. Die schon bestehende Streßsituation könne somit nachhaltig verstärkt werden. Die Vermeidbarkeit scheine gegeben; zumindest würden durch die Verlagerung von sämtlichen Lkw-Fahrten zur nördlichen Einfahrt keine weiteren Nachbarn zusätzlich betroffen sein. Den Ausführungen des gewerbetechnischen Amtssachverständigen hinsichtlich des Vorschlages, die Zu- und Ausfahrten außerhalb der Betriebszeiten versperrt zu halten, werde auch aus ärztlicher Sicht im Hinblick auf die Minimierung nächtlicher Lärmspitzen und im Sinne der obigen Ausführungen betreffend Lärmkonflikt beigepflichtet. Von diesem Sachverhalt ausgehend, führte der Bundesminister in rechtlicher Hinsicht nach Darstellung des Inhaltes der Bestimmungen des § 74 Abs. 2 und des § 77 Abs. 1 GewO 1994 aus, die gegenständliche Entscheidung gründe sich auf die schlüssigen, klaren und eindeutigen Gutachten einerseits des gewerbetechnischen Amtssachverständigen und andererseits des medizinischen Amtssachverständigen. Hieraus habe sich ergeben, daß mit dem nunmehr vorgeschriebenen Versperrthalten der Zu- und Abfahrten außerhalb der Betriebszeiten mit der Minimierung der Beeinträchtigung von Nachbarn zu rechnen sei. Das Offenhalten der südwestlichen Einfahrt (nunmehr ausschließlich für das Zufahren von Lkw) sei zur Aufrechterhaltung eines Verkehrsflusses ohne Überkreuzung der Kundenwege notwendig.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Auch die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift mit einem gleichartigen Antrag.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin nach ihrem gesamten Vorbringen in dem Recht auf Schutz vor gesundheitsgefährdenden oder unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen durch Verbot des Zufahrens von Lkw durch die Einfahrt Süd der in Rede stehenden Betriebsanlage verletzt. In Ausführung des so zu verstehenden Beschwerdepunktes weist sie auf den Inhalt der im Verwaltungsverfahren eingeholten gewerbetechnischen und medizinischen Sachverständigengutachten hin und führt dann aus, die belangte Behörde stütze sich mit ihren Ausführungen im angefochtenen Bescheid zwar auf das Gutachten des medizinischen Amtssachverständigen, nehme jedoch auf dessen Inhalt bzw. dessen Aussage nur teilweise Rücksicht, indem die Feststellungen des medizinischen Gutachters, daß eine zusätzliche Beeinträchtigung des Wohlbefindens der Nachbarn anzunehmen sei sowie daß die schon bestehende Streßsituation somit nachhaltig verstärkt werden würde und durch die Verlagerung von sämtlichen Lkw-Fahrten zur nördlichen Einfahrt keine weiteren Nachbarn zusätzlich betroffen seien, in der Entscheidung der belangten Behörde gänzlich unberücksichtigt blieben. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde könne von einer Minimierung der Beeinträchtigung von Nachbarn nur dann gesprochen werden, wenn auch sämtliche Lkw-Fahrten zur nördlichen Einfahrt verlagert würden. Unrichtig sei, daß das Offenhalten der südwestlichen Einfahrt zur Aufrechterhaltung eines Verkehrsflusses ohne Überkreuzen der Kundenwege notwendig sei. Richtigerweise könnte der Verkehrsfluß bei einer etwas anderen internen Verkehrsplanung auch dann aufrechterhalten werden, wenn auch die Zufahrt der Lkw über die nördliche Einfahrt erfolge.

Gemäß § 74 Abs. 2 GewO 1994 dürfen gewerbliche Betriebsanlagen nur mit Genehmigung der Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet seien,

1. das Leben oder die Gesundheit des Gewerbetreibenden, der nicht den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, BGBl. Nr. 450/1994 in der jeweils geltenden Fassung, unterliegenden mittätigen Familienangehörigen, der Nachbarn oder der Kunden, die die Betriebsanlage der Art des Betriebes gemäß aufsuchen, oder das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn zu gefährden; als dingliche Rechte im Sinne dieses Bundesgesetzes gelten auch die im § 2 Abs. 1 Z. 4 lit. g angeführten Nutzungsrechte,

2. die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise zu belästigen,

3. ...

Nach § 77 Abs. 1 leg. cit. ist die Betriebsanlage zu genehmigen, wenn nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zu erwarten ist, daß überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten geeigneten Auflagen die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 bis 5 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden.

Wie sich aus dieser Rechtslage zweifelsfrei ergibt, ist Kriterium für die Zulässigkeit der Genehmigung einer gewerblichen Betriebsanlage, soweit es den Schutz der Nachbarn vor Lärm betrifft, nicht, wie die belangte Behörde offensichtlich annimmt, ausgehend von den gegebenen und erforderlichen Betriebsabläufen die "Minimierung der Beeinträchtigung von Nachbarn", sondern die Erwartung, daß - allenfalls bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden Auflagen - eine Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit der Nachbarn vermieden und die Lärmeinwirkungen auf ein zumutbares Maß beschränkt werden. Daß dies im vorliegenden Fall gegeben wäre, läßt sich aus der Begründung des angefochtenen Bescheides mangels entsprechender Ausführungen der belangten Behörde nicht entnehmen. Solcher Ausführungen hätte es umso mehr bedurft, als, wie die Beschwerdeführerin zu Recht hervorhebt, nach dem Inhalt des Gutachtens des von der belangten Behörde beigezogenen medizinischen Sachverständigen die Gefahr einer Beeinträchtigung des Wohlbefindens der Nachbarn durch den im Zusammenhang mit dem Betrieb der Betriebsanlage entstehenden Lärm zu erwarten ist. Darüber hinaus ist es für den Verwaltungsgerichtshof ohne nähere Begründung nicht nachvollziehbar, warum der medizinische Amtssachverständige meint, obwohl die bestehenden (Ist-)Verhältnisse bereits als gesundheitsgefährdend für die Beschwerdeführerin qualifiziert werden müßten, könnten die durch die Lkw-Zufahrten an der südlichen Betriebseinfahrt zu erwartenden zusätzlichen Lärmimmissionen nicht als maßgebliche zusätzliche Gesundheitsgefährdungen beurteilt werden.

Da es die belangte Behörde in Verkennung der gegebenen Rechtslage unterließ, sich mit den mit dem Einfahren von Lkw an der Einfahrt Süd in die in Rede stehende Betriebsanlage entstehenden Lärm unter dem Gesichtspunkt einer Gefährdung der Gesundheit oder einer unzumutbaren Belästigung der Beschwerdeführerin auseinanderzusetzen, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 27. Jänner 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1998040154.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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