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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2019/18/0176Ra 2019/18/0177Betreff
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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision der
1. B A, des 2. T A, und des 3. M R, alle vertreten durch die DLA Piper Weiss-Tessbach Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottenring 14, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Oktober 2018, 1. W266 2166948- 1/12E, 2. W266 2166953-1/10E und 3. W266 2203236-1/2E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die revisionswerbenden Parteien sind Staatsangehörige Afghanistans. Die Erstrevisionswerberin stammt aus der Provinz Nangarhar, wo sie zuletzt (ebenso wie der im Jahr 2012 geborene Zweitrevisionswerber) in der Nähe der Provinzhauptstadt Jalalabad lebte. Sie ist mit einem in Österreich subsidiär schutzberechtigten afghanischen Staatsangehörigen verheiratet. Der Zweit- und Drittrevisionswerber sind die minderjährigen Kinder des Ehepaars.
2 Die Erstrevisionswerberin und der Zweitrevisionswerber stellten am 19. Mai 2017 Anträge auf internationalen Schutz, in denen sie auf die Fluchtgründe des Ehemannes der Erstrevisionswerberin verwiesen. Für den nachgeborenen Drittrevisionswerber wurde am 13. März 2018 mit derselben Begründung ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt. 3 Mit Bescheiden vom 17. Juli 2017 (betreffend die Erstrevisionswerberin und den Zweitrevisionswerber) bzw. vom 19. März 2018 (betreffend den Drittrevisionswerber) wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge hinsichtlich der Gewährung des Status von Asylberechtigten ab, erkannte den revisionswerbenden Parteien den Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 34 AsylG 2005 zu und erteilte ihnen jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung mit Gültigkeitsdauer bis zum 1. Juli 2019.
4 Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden, in denen als Fluchtgrund der in Österreich angenommene "westliche" Lebensstil der Erstrevisionswerberin ins Treffen geführt wurde, wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.
5 Begründend führte das BVwG aus, den revisionswerbenden Parteien drohe in Afghanistan keine asylrelevante Verfolgung. Es bestehe insbesondere keine aktuelle und konkrete Bedrohung der Erstrevisionswerberin aufgrund ihres Geschlechts oder wegen ihres Lebensstils, weil ein "westlicher" Lebensstil nicht zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden sei. Sie habe einen solchen Lebensstil nicht verinnerlicht und sei nicht an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert. Sie lebe in Österreich in Abhängigkeit ihres Ehemannes, der das Geld verwalte, und halte sich ihr Interesse, diesen Zustand zu verändern, "eher in Grenzen". Der bloße Wunsch der Erstrevisionswerberin, in Österreich die Sprache zu erlernen, sich zu bilden und ein indisches Kleidungsgeschäft zu eröffnen, reiche nicht aus, um eine asylrelevante Verfolgungsgefahr anzunehmen. Die Erstrevisionswerberin sei mit Kopftuch und auch nach ihren Angaben als traditionell afghanisch zu bezeichnender Kleidung zur Verhandlung erschienen. Es seien bloß geringfügige Abweichungen von einer konservativ islamisch geprägten Lebensweise - kein Tragen eines Tschadors in der Öffentlichkeit sowie das Einkaufen und das Begleiten des Kindes in den Kindergarten - ersichtlich. Hinsichtlich der minderjährigen Zweit- und Drittrevisionswerber führte das BVwG aus, es ergebe sich aufgrund der Länderberichte nicht, dass ihnen in Afghanistan ein Schulbesuch verwehrt wäre. Allein die Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der "jungen Menschen" begründe keine asylrelevante Verfolgung. Subsidiärer Schutz sei den revisionswerbenden Parteien aufgrund des Familienverfahrens nach § 34 Abs. 3 AsylG bereits zuerkannt worden.
6 Gegen dieses Erkenntnis erhoben die revisionswerbenden Parteien Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 13. März 2019, E 4811-4813/2018-5, gemäß Art. 144 Abs. 2 B-VG die Behandlung der Beschwerde ablehnte und diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
7 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit zusammengefasst geltend gemacht, das Vorbringen der Erstrevisionswerberin, wonach sie einen "westlichen" Lebensstil angenommen habe, sei außer Acht gelassen worden bzw. erweise sich die diesbezügliche Beweiswürdigung des BVwG als nicht schlüssig. Das BVwG habe insbesondere nicht berücksichtigt, dass es sich bei der Herkunftsprovinz der revisionswerbenden Parteien um ein von den Taliban kontrolliertes Gebiet handle, in dem auch der "Islamische Staat" sehr aktiv sei. Zudem seien die vom BVwG herangezogenen Länderberichte veraltet. Überdies seien hinsichtlich des Fluchtvorbringens des Zweit- und des Drittrevisionswerbers lediglich unzureichende Feststellungen getroffen worden.
Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 11 Soweit sich die Revision zunächst gegen die Beurteilung des BVwG betreffend die Zugehörigkeit der Erstrevisionswerberin zur sozialen Gruppe der Frauen mit "westlichem" Lebensstil wendet, ist auf die hg. Rechtsprechung zu verweisen, wonach nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte, dazu führt, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden muss. Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0301 bis 0306, mwN). 12 Fallbezogen setzte sich das BVwG mit dem von der Erstrevisionswerberin erstatteten Vorbringen zu ihrer aktuellen Lebensweise und den vorgebrachten Alltagsbeschäftigungen auseinander, würdigte das entsprechende Vorbringen und kam letztlich - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - in einer nicht unvertretbaren Weise zum Ergebnis, dass die Erstrevisionswerberin keine Lebensweise angenommen habe, welche einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Der Revision gelingt es in diesem Zusammenhang nicht darzulegen, welche Umstände vom BVwG im vorliegenden Fall nicht berücksichtigt bzw. inwiefern die beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG in einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wären (vgl. hierzu etwa VwGH 23.1.2019, Ra 2018/18/0447-0449; 28.6.2018, Ra 2018/19/0157-0158, mwN). Die Revision beschränkt sich vielmehr darauf, das bereits erstattete Vorbringen zur Lebensweise der Erstrevisionswerberin zu wiederholen und auszuführen, dass daraus ein "westlicher" Lebensstil abzuleiten sei. Eine unvertretbare Beweiswürdigung wird damit allerdings nicht aufgezeigt. 13 Hinsichtlich der in der Revision ins Treffen geführten, durch die Taliban und den "Islamischen Staat (IS)" ausgeübten Kontrolle in der Herkunftsregion der revisionswerbenden Parteien und den diesbezüglich geltend gemachten Feststellungs- und Begründungsmängeln ist festzuhalten, dass das BVwG gestützt auf Quellen aus dem Frühjahr 2018 Feststellungen zu der Präsenz und den Aktivitäten von Aufständischen der Taliban und des IS in der Provinz Nangahar traf (Erkenntnis S. 19 ff); demnach seien die Taliban und der IS in mehreren südlichen Distrikten bzw. in abgelegenen Teilen der Provinz aktiv. Dass diese Aufständischen in der Umgebung von Jalalabad die Herkunftsregion der revisionswerbenden Parteien - wie in der Zulässigkeitsbegründung behauptet - kontrollierten, lässt sich den in der Revision nicht substantiiert bestrittenen Feststellungen hingegen nicht entnehmen. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass das BVwG - wie eben ausgeführt - bereits tragfähig eine angenommene "westlich" orientierte Lebensweise der in Österreich subsidiär schutzberechtigten Erstrevisionswerberin verneinte. 14 Auch im Zusammenhang mit dem Vorbringen, wonach im angefochtenen Erkenntnis zur Situation des Zweit- und Drittrevisionswerbers keine ausreichenden Feststellungen getroffen worden seien, verabsäumt es die Revision aufzuzeigen, welche weiteren, für die Beurteilung des vorliegenden Fluchtvorbringens relevanten Feststellungen zur Situation des Zweit- und Drittrevisionswerbers zu treffen gewesen wären.
In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 5. Juni 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180175.L00Im RIS seit
23.08.2019Zuletzt aktualisiert am
30.08.2019