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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §3Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2018/18/0508Ra 2018/18/0509Betreff
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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision 1. der B P, 2. der E P und 3. des L P, alle vertreten durch Dr. Reinfried Eberl, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Nonntaler Hauptstraße 44, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. September 2018,
1)
Zl. L523 2144581-2/5E, 2) Zl. L523 2144584-2/5E und
3)
Zl. L523 2144643-2/5E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die revisionswerbenden Parteien sind Teil einer Familie; die Erstrevisionswerberin ist die Mutter der minderjährigen Zweitrevisionswerberin und des minderjährigen Drittrevisionswerbers. Sie sind allesamt Staatsangehörige Georgiens. Die Erstrevisionswerberin stellte am 14. Juli 2015 für sich sowie am 3. Februar 2016 für die nachgeborenen zweit- und drittrevisionswerbenden Parteien jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Die Anträge begründete sie im Wesentlichen damit, von Familienmitgliedern eines Mannes, den ihr Vater getötet habe, aufgrund von Blutrache bedroht und vergewaltigt worden zu sein. Der Vergewaltiger sei zudem der Vater der zweit- und drittrevisionswerbenden Parteien, weshalb sie deren Geburt vor ihrer eigenen Familie habe verheimlichen müssen. 2 Diese Anträge wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im November 2016 zur Gänze ab. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 13. Juli 2017 rechtskräftig abgewiesen.
3 In seiner Begründung stellte das BVwG zwar die Verhaftung des Vaters der Erstrevisionswerberin fest, beurteilte ihr Fluchtvorbringen jedoch als nicht glaubhaft, weil Frauen "notorisch bekannt bzw. gemäß den Berichten nicht Opfer von Blutrache" würden und die Erstrevisionswerberin das genaue Datum ihrer Vergewaltigung nicht habe nennen können.
4 Am 10. August 2017 stellten die revisionswerbenden Parteien die verfahrensgegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Zu deren Begründung brachte die Erstrevisionswerberin im Wesentlichen vor, sie habe über ihre in Georgien aufhältige Nachbarin erfahren, dass die verfeindete Familie die Familie der revisionswerbenden Parteien nach wie vor verfolge und seit der Beendigung des Erstverfahrens versucht habe, das Familienhaus der Erstrevisionswerberin anzuzünden. Zur Untermauerung dieses Vorbringens legte die Erstrevisionswerberin Fotos vor. Das Vorbringen, wonach die Erstrevisionswerberin von ihrer eigenen Familie verfolgt würde, erführe diese von der Existenz der zweit- und drittrevisionswerbenden Parteien, hielt die Erstrevisionswerberin ebenfalls aufrecht.
5 Ende August 2017 wurde die Erstrevisionswerberin aufgrund von Suizidgefährdung über mehrere Wochen stationär im Klinikum Klagenfurt untergebracht und behandelt. Am 12. September 2017 wurde sie aus der Behandlung entlassen. Als Ergebnis einer nach Entlassung der Erstrevisionswerberin im Zuge des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens durchgeführten Untersuchung wurde eine Anpassungsstörung mit leichtgradig depressiver Reaktion diagnostiziert.
6 Mit Bescheid vom 12. Juli 2018 wies das BFA die Folgeanträge der revisionswerbenden Parteien gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Es wurden den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, Rückkehrentscheidungen gegen sie erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Georgien zulässig sei. Weiters hielt die Behörde fest, dass gemäß § 55 Abs. 1a Fremdenpolizeigesetz 2005 keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe und erließ gegen die Erstrevisionswerberin ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot. 7 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das BVwG insoweit statt, als es das über die Erstrevisionswerberin verhängte Einreiseverbot ersatzlos behob. Im Übrigen wies das BVwG die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
8 Begründend führte es aus, dass kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt vorliege. Dem Vorbringen zum Brandanschlag sprach das BVwG eine "glaubhaften Kern" ab. Insbesondere habe die Erstrevisionswerberin bereits im Erstverfahren einen Brandanschlag auf das Familienhaus geltend gemacht, demzufolge dieses gar nicht mehr hätte bestehen dürfen. Die psychische Erkrankung der Erstrevisionswerberin stelle angesichts deren Behandlungsmöglichkeit in Georgien kein Abschiebehindernis dar, und auch die Pflege der minderjährigen zweit- und drittrevisionswerbenden Parteien sei darum gesichert. 9 Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung habe unterbleiben können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde der revisionswerbenden Parteien geklärt erscheine und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu keinem anderen Verfahrensausgang geführt hätte. 10 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision. In der Zulässigkeitsbegründung machen die revisionswerbenden Parteien zusammengefasst geltend, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es trotz neuen Vorbringens zu einem Brandstiftungsversuch am Familienhaus und der intensiven Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustands der Erstrevisionswerberin von einem unveränderten Sachverhalt ausgegangen sei und keine Sachentscheidung getroffen habe. Auch das Ausbleiben einer mündlichen Beschwerdeverhandlung verstoße gegen die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
12 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
13 "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG war die Frage, ob die Zurückweisung der verfahrenseinleitenden Anträge durch die erstinstanzliche Behörde gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht erfolgte. Das BVwG hatte dementsprechend zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist (vgl. VwGH 12.7.2017; Ra 2017/18/0220 bis 0224, mwN). Bei wiederholten Anträgen auf internationalen Schutz kann nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhalts die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Relevanz zukommt (vgl. VwGH 12.10.2016, Ra 2015/18/0221, mwN).
14 In Bezug auf die Zurückweisung des Folgeantrags nach § 68 Abs. 1 AVG führte das BVwG aus, die revisionswerbenden Parteien hätten keinen entscheidungsrelevanten neuen Sachverhalt vorgebracht. Dem neu erstatteten Vorbringen, wonach nach Abschluss der ersten Asylverfahren ein Brandanschlag auf das Familienhaus der Erstrevisionswerberin verübt worden sei, sprach es die Glaubwürdigkeit ab und stützte sich diesbezüglich auf zwei Argumentationsstränge. Zum einen übernahm es die Ausführungen des BFA, wonach die zum Beweis vorgelegten Fotos einen Brandanschlag nicht belegen könnten. Diese würden nämlich auch zahlreiche unbeschadete Einrichtungsgegenstände ohne Verkohlungen zeigen. Zum anderen führte es aus, auf das Familienhaus der Erstrevisionswerberin sei nach deren Angaben bereits im Erstverfahren ein Brandanschlag verübt worden, weshalb es gar nicht mehr existieren könne.
15 Mit dieser Begründung wird das BVwG der Anforderung einer ausreichenden Überprüfung der behaupteten Geschehnisse daraufhin, ob sie einen "glaubhaften Kern" aufwiesen, nicht gerecht. Das BVwG übersieht insbesondere, dass die Erstrevisionswerberin im ersten Asylverfahren zwar einen Brandanschlag erwähnte, jedoch nie angab, dass ihr Familienhaus gänzlich abgebrannt wäre. Zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit des neu erstatteten Vorbringens wären daher im vorliegenden Fall weitere Ermittlungsschritte - wie etwa die Anhörung der Erstrevisionswerberin - zu setzen gewesen. 16 Da nicht ausgeschlossen ist, dass die behaupteten neuen Tatsachen (hier der neue Brandanschlag), gemessen an der dem rechtskräftigen Erkenntnis des BVwG vom 13. Juli 2017 zu Grunde liegenden Rechtsanschauung, zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, bedarf es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubwürdigkeit (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0025, sowie 26.7.2005, 2005/20/0343).
17 Das angefochtene Erkenntnis war bereits aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. 18 Aus diesem Grund war auf die Behauptung der Revision, dass das BVwG den auch durch die Suizidgefährdung der Erstrevisionswerberin veränderten Sachverhalt und dessen Auswirkung auf das Kindeswohl der zweit- und drittrevisionswerbenden Parteien nicht ausreichend berücksichtigt habe, nicht mehr einzugehen.
19 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20
14.
Wien, am 5. Juni 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018180507.L00Im RIS seit
23.08.2019Zuletzt aktualisiert am
30.08.2019