Entscheidungsdatum
20.03.2019Norm
AsylG 2005 §54 Abs2Spruch
I419 1318959-2/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. NIGERIA, vertreten durch DIAKONIE FLÜCHTLINGSDIENST gemeinnützige GmbH Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH p. A. ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom XXXX, Zl. XXXX, zu Recht:
A) Der Beschwerde wird gemäß 28 Abs. 1 VwGVG teilweise stattgegeben
und der angefochtene Bescheid behoben. Ihnen wird gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer reiste am 25.12.2007 illegal ein und stellte am 28.12.2007 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das BAA wies diesen am 10.04.2008 ab und den Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat aus, was der AsylGH am 13.12.2011 bestätigte. Das Erkenntnis wurde am 15.12.2011 durch Hinterlegung im Akt zugestellt.
2. Am 26.11.2012 wurde der Beschwerdeführer in Schubhaft genommen, was der UVS Wien am 04.12.2012 bestätigte. Der Beschwerde dagegen hat der VwGH am 30.01.2013 aufschiebende Wirkung gewährt (AW 2012/21/0136-5), und am 19.03.2013 ihre Behandlung abgelehnt (2012/21/0267-9).
3. Einen Antrag des Beschwerdeführers vom 03.05.2012 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot-Karte plus" hat der LH von Wien am 08.10.2014 zurückgewiesen, was das VwG Wien am 24.03.2015 bestätigt hat.
4. Am 12.08.2015 beantragte der Beschwerdeführer die Ausstellung einer Duldungskarte, da sich die Botschaft des Herkunftsstaates seit 2012 weigere, ihm einen Reisepass auszustellen. Das BFA räumte Parteiengehör ein und verwies auf die Möglichkeit eines Heimreisezertifikats. Der Beschwerdeführer beantragte darauf am 16.11.2015, ihm eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen und zog später den Antrag auf eine Duldungskarte zurück.
5. Mit dem nun bekämpften Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "aus Gründen des Artikel 8 EMRK vom 17.02.2015" (gemeint: 16.11.2015) ab und erließ wider ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I). Unter einem stellte es fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat zulässig sei (Spruchpunkt II) und die Frist für dessen freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft betrage (Spruchpunkt III).
6. Beschwerdehalber wird vorgebracht, das BFA habe weder die Trauung des Beschwerdeführers noch die fortgeschrittene Schwangerschaft der Gattin berücksichtigt. Dieser sei als Tagelöhner beim Magistrat Wien tätig gewesen, habe einen Arbeitsvorvertrag und zahlreiche private Kontakte und Beziehungen im Inland.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist christlichen Glaubens, ledig und unbescholten. Er spricht Ibo und Englisch. 2012 hat er Deutschkenntnisse auf Niveau A2 und 2105 solche auf B1 nachgewiesen. Seine Identität steht fest. Er hält sich seit 25.12.2007 in Österreich auf, bezieht Leistungen der staatlichen Grundversorgung, ist nicht erwerbstätig und hat einen aufrechten, gemeldeten Wohnsitz in Österreich.
Er hat in den Jahren 2008 bis 2012, überwiegend im Winter, geringfügig beschäftigt für die Stadt Wien im Bereich der Abfallwirtschaft und Straßenreinigung gearbeitet. Später, jedenfalls seit 2014 war er ehrenamtlich für die Caritas als Lagerarbeiter tätig, 2015 auch als Verkäufer einer Straßenzeitung. 2018 übersiedelte er von Wien 14 nach Wien 9 in ein Grundversorgungsquartier der Diakonie, wo er seither mithilft.
Ferner besucht er sonntags Gottesdienste, bei einer freikirchlichen Pfingstgemeinde in Wien 12 oder im "Haus der Gnade" der "Grace Ministries International" in Wien 11, wo er auch dienstags und freitags die Bibelstunden besucht.
Der Beschwerdeführer verfügt über eine Einstellungszusage einer Einzelhandels-KG in Wien 10 als Verkäufer in einem Supermarkt mit 40 Wochenstunden und € 1.200,-- Bruttogehalt. Seine Unterkunftgeberin beschreibt ihn als sehr angenehm, ruhig, hilfsbereit und stets sehr freundlich. Er hat ein weiteres Unterstützungsschreiben vorgelegt, wonach er verlässlich, freundlich und hilfsbereit ist. In Österreich lebt seit 1999 ein Bekannter des Beschwerdeführers, von dem dieser angibt, er sei sein Cousin. Der Genannte ist seit Anfang 2016 österreichischer Staatsbürger. Es kann nicht festgestellt werden, dass er ein Cousin des Beschwerdeführers ist.
Er war bis 13.01.2008 und von 14.10. bis 19.11.2008 nirgends gemeldet, also rund 3 und 5 Wochen. Seit 20.11.2008 ist er durchgehend gemeldet, davon die ersten 15 Monate an einer Obdachlosenanschrift, was nochmals zum Jahreswechsel 2011/12 für drei Monate vorkam. Seit 21.02. 2012 ist er mit Hauptwohnsitzen gemeldet.
Der Beschwerdeführer hat 2012 und 2016 an vom BFA organisierten Interviews mit einer Delegation des Herkunftsstaats teilgenommen. Dieser hat jedoch bisher kein Heimreisezertifikat erteilt. Er hat 2011 einen E-Reisepass des Herkunftsstaats beantragt, worüber ihm die Botschaft 03.04.2012 eine Bestätigung mit der Anmerkung erteilt hat, dass sie momentan keine Reisepässe ausstelle. Dem BFA hat er einen Personalausweis und weitere Urkunden zum Nachweis seiner Identität vorgelegt.
Spätestens 2016 hat er eine Staatsangehörige des Herkunftsstaats kennengelernt und mit dieser eine Beziehung begonnen. Sie zog zu ihm und hatte von 31.07.2017 bis 27.02.2018 einen gemeinsamen Wohnsitz mit ihm. Dort wohnte auch der am 31.08.2017 im Inland geborene gemeinsame Sohn, bei dessen Taufe beide anwesend waren. Mutter und Sohn zogen im Frühjahr 2018 nach Italien, wo die Mutter aufenthaltsberechtigt ist, nachdem der Mietvertrag für die gemeinsame Wohnung in Wien 14 nicht verlängert wurde.
Der Beschwerdeführer hat im Herkunftsstaat sechs Jahre die Grundschule besucht und dann als selbständiger Baustoffhändler und später bis 2007 als Gelegenheitsarbeiter am Markt gearbeitet. Dort leben nach wie vor seine drei Schwestern, zu denen er ab und zu telefonisch Kontakt hat, und ein Onkel. Seine Eltern sind verstorben. In Österreich verfügt er über keine familiären oder sonstigen intensiveren Verbindungen. Zur Mutter des Sohnes und zu diesem hat er täglichen Kontakt.
Der Beschwerdeführer hat eine HIV-Infektion ohne HIV-assoziierte Erkrankung. Er leidet sonst weder an einer schweren Krankheit noch ist er längerfristig pflege- oder rehabilitationsbedürftig.
Der Beschwerdeführer wurde am 13.01.2016 vom BFA vernommen, wobei er keinen Dolmetsch benötigte. Es kann nicht festgestellt werden, dass er mit der Mutter seines Sohnes kirchlich oder sonst nichtstaatlich getraut worden wäre.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt.
2. Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und die weiteren Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt der Verwaltungsakten und jener des Gerichts samt dem Erkenntnis des AsylGH vom A10 318.959-1/2008/12E. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) sowie den Sozialversicherungsdaten wurden ergänzend eingeholt.
Den Einreisetag konnte das Gericht anhand des Erkenntnisses des VwG Wien feststellen, weil dieser mit dem vom Beschwerdeführer in der Erstbefragung angegebenen übereinstimmt (AS 857). Die Angaben im Polizeibericht vom folgenden Tag, wonach die Einreise bereits drei Tage zuvor stattgefunden habe (AS 173) lassen dagegen offen, ob ihnen die Befragung mittels eines Dolmetschs zu Grunde lagen.
Betreffend die angebliche kirchliche oder traditionelle Hochzeit des Beschwerdeführers fehlt das angesprochene Lichtbild, und war - im Gegensatz zur Taufe des Sohnes - auch nicht in Facebook zu finden, wobei die Negativfeststellung rechtlich keine Auswirkungen hat. Das gilt auch für die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer spätestens 2016 kennengelernt hat. Seinen Angaben nach war das 2014, was aber nicht mit der Aussage von 13.01.2016 (AS 45) harmoniert, in Österreich keine Familie, "aber Freunde von der Kirche" zu haben, wenn der Beschwerdeführer die Mutter seines Sohnes 2014 kennengelernt und "kurze Zeit später" mit ihr eine Beziehung begonnen haben will (S. 3 der Stellungnahme vom 01.08.2018).
Der Aufenthalt des Sohnes und der Kindesmutter in Italien ergibt sich aus den Beschwerdeangaben, der Ersichtlichkeit der Ausreise in den EU-Raum im ZMR und der exakten Adressangabe, die auch einem nach Lage und Aussehen passenden Wohnblock entspricht, der in der Straßenansicht von Google Maps als Foto aus der Zeit des Parteiengehörs 2018 verortet ist.
Im Asylverfahren hat der Beschwerdeführer am 09.01.2008 angegeben, in Österreich oder sonst in der EU keine Verwandten zu haben (AS 422), im nunmehrigen Verfahren am 13.01.2016, er habe keine Familie in Österreich. Zwar hat er 2015 erklärt mit einer Frau "zusammen" zu sein, ohne gemeinsamen Haushalt, die den Wohnsitz in Österreich habe und sich oft in Italien aufhalte, allerdings war die Kindesmutter ausschließlich 2017/18 in Österreich gemeldet.
Der später als Cousin genannte stammt zwar laut ZMR aus der gleichen Gegend im Herkunftsstaat, war aber tatsächlich bereits lange vor 2008 in Wien gemeldet, sodass der Beschwerdeführer ihn bei der genannten Einvernahme erwähnen oder zumindest später das Nichterwähnen erklären hätte müssen.
Betreffend die bestandene B1-Prüfung liegt das Zeugnis des ÖIF vom 06.06.2015 vor (AS 502). Er hat weder behauptet, über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich zu verfügen, noch hat er solche nachgewiesen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z. 1), und dazu noch in Z. 2 genannte Integrationsmerkmale vorliegen. Wenn nur die Voraussetzung der Z. 1 erfüllt ist, dann gebührt eine "Aufenthaltsberechtigung" (Abs. 2).
Zu A) Teilweise Stattgebung
Beantragt wurde eine "Aufenthaltsberechtigung" plus, sodass die erwähnten Integrationsmerkmale als zusätzliche Voraussetzung vorliegen müssten, und zwar entweder die Ausübung einer erlaubten Erwerbstätigkeit im Entscheidungszeitpunkt, mit der die Geringfügigkeitsgrenze erreicht wird, oder die Erfüllung des Moduls I der Integrationsvereinbarung. Letzteres würde nach § 11 Abs. 2 IntG (bis 30.09.2017: § 7 Abs. 2 IV-V) fallbezogen außer den Deutschkenntnissen (auf Niveau A2) den Nachweis Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verlangen.
Da der letztgenannte Nachweis nicht erbracht wurde, ist das Vorliegen der Voraussetzungen für die "Aufenthaltsberechtigung" nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005 zu prüfen, da diese gegebenenfalls von Amts wegen zu erteilen wäre.
Bei der Beurteilung, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten ist bzw. ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte darstellt, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325 mwH).
Der Beschwerdeführer hat den Großteil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht, rund 37 Jahre, wo er geboren und aufgewachsen ist. Er hat dort die Schule besucht und gearbeitet, bis er nach Europa reiste, wo er sich nun seit gut 11 Jahren in Österreich aufhält.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nehmen die persönlichen Interessen des Fremden an seinem Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer seines bisherigen Aufenthalts zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist jedoch nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247).
Der Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung ferner davon aus, dass bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist. Nur wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurde eine aufenthaltsbeendende Maßnahme bzw. die Nichterteilung eines humanitären Aufenthaltstitels ausnahmsweise nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120 mwN).
Der VwGH (zum Folgenden: 17.10.2016, Ro 2016/22/0005 mwH) hat unter anderem folgende Umstände - meist in Verbindung mit anderen Aspekten - als Anhaltspunkte dafür anerkannt, dass ein Fremder die in Österreich verbrachte Zeit zumindest in gewissem Ausmaß genützt hat, um sich zu integrieren: Die Erwerbstätigkeit des Fremden, das Vorhandensein einer Beschäftigungsbewilligung, eine Einstellungszusage, das Vorhandensein ausreichender Deutschkenntnisse, familiäre Bindungen zu in Österreich lebenden, aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen, ein Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich bzw. die Vorlage von Empfehlungsschreiben, eine aktive Teilnahme an einem Vereinsleben, freiwillige Hilfstätigkeiten, ein Schulabschluss bzw. eine gute schulische Integration in Österreich oder der Erwerb des Führerscheins.
Der Beschwerdeführer hat nach den Feststellungen mehrere Jahre lang, wenn auch nur saisonal und geringfügig, für den Abfall- und Straßendienst gearbeitet. Anschließend hat er eine Straßenzeitung verkauft sowie unentgeltliche Tätigkeiten für die Religionsgemeinschaften und die Caritas verrichtet und für die aktuelle Unterkunftgeberin begonnen. Er verfügt über eine Einstellungszusage für eine Vollzeittätigkeit, über Deutschkenntnisse auf Niveau B1 statt des Minimums von A2 sowie über mehrere Empfehlungsschreiben.
Zwar wirkt er nach seinem Hilfsdienst für die Caritas in keinem Verein mehr mit, nimmt allerdings mehrmals wöchentlich an religiösen Veranstaltungen teil. In der Unterkunft leistet er freiwillige Hilfstätigkeiten.
Aus den Feststellungen ergibt sich, dass der Beschwerdeführer auch nach dem bereits mehr als 11-jährigem Aufenthalt weitaus nicht alle Integrationsmerkmale aufweist, die der VwGH beispielhaft anführt. Es ist speziell nicht zu übersehen, dass der Beschwerdeführer bisher relativ wenig zu seinem Unterhalt beitrug. Indes kann keinesfalls davon gesprochen werden, dass er die Aufenthaltsdauer überhaupt nicht für Integrationsschritte genutzt hat, wobei besonders der vertiefte Spracherwerb und die soziale Einbindung im religiösen, aber auch im Bereich bezahlter und unbezahlter Arbeit beachtliche Anknüpfungspunkte an das Inland sind.
Das Vorhandensein eines Cousins im Inland konnte nicht festgestellt werden. Mit dem in Italien lebenden Sohn und dessen Mutter hat der Beschwerdeführer aber zwei gewichtige familiäre Anknüpfungspunkte im Gemeinschaftsgebiet, deren Berücksichtigung zwar dem BFA noch nicht möglich, für das Gericht aber geboten war. Die Frage nach dem Eingriff in das Privat- oder Familienleben eines Drittstaatsangehörigen darf nämlich nicht allein im Hinblick auf seine Verhältnisse in Österreich beurteilt werden, vielmehr muss auch die Situation in den anderen Mitgliedstaaten mitberücksichtigt werden (vgl. VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237).
Im Hinblick auf das Vorbringen betreffend die "Hochzeit" ist anzumerken, dass für das Vorliegen einer Ehe die standesamtliche Trauung ausschlaggebend ist, eine Lebensgemeinschaft aber auch dann vorliegen kann, wenn die Personen nicht miteinander verheiratet sind.
Im Herkunftsstaat dagegen sind mit Ausnahme der gelegentlichen Telefonate mit den Schwestern und der Beherrschung zweier Landessprachen kaum mehr gewichtige Anknüpfungspunkte zu berücksichtigen. Seit Erlassung des bekämpften Bescheids ist nämlich auch die Bezugsperson Mutter entfallen.
Soweit allein diese Sachverhaltselemente mit den Beispielen aus der Rechtsprechung verglichen werden, wäre bereits von einem Überwiegen der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich gegenüber dem Interesse öffentlichen Interesse an der Einhaltung und Durchsetzung fremdenrechtlicher Anordnungen in auszugehen.
Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Entscheidungen zum Ausdruck gebracht, dass ungeachtet eines mehr als zehnjährigen Aufenthaltes und des Vorhandenseins gewisser integrationsbegründender Merkmale auch Umstände in Anschlag gebracht werden können die gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen bzw. für ein größeres öffentliches Interesse an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels (oder an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) sprechen. Dazu zählen das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung, Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften, eine zweifache Asylantragstellung, unrichtige Identitätsangaben, sofern diese für die lange Aufenthaltsdauer kausal waren, sowie die Missachtung melderechtlicher Vorschriften. (10.09.2018, Ra 2018/19/0169 mwH)
Nicht zu übersehen ist fallbezogen das melderechtliche Fehlverhalten in den ersten Tagen der Aufenthaltszeit des Beschwerdeführers, welches er auch 2011/12 nochmals für fünf Wochen zeigte. Seit dem Abschluss des Asylverfahrens ist ihm die Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts vorzuwerfen, wobei dessen Dauer angesichts des erfolglos beantragten Reisepasses nicht allein ihm zuzuschreiben ist, sondern auch der Nichterteilung eines Heimreisezertifikats trotz nachgewiesener Identität.
Die zweite Missachtung des MeldeG liegt den Feststellungen zufolge so weit zurück, dass ihre Strafbarkeit (mangels Einleitung eines Verwaltungsstrafverfahrens) bereits seit vier Jahren verjährt wäre (§ 31 Abs. 2 VStG). Das mindert das Gewicht des aufgezeigten Fehlverhaltens.
Nach all dem gelangt das Gericht zum Ergebnis, dass das Gewicht der gegen den weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers sprechenden Umstände nicht derart bedeutend ist, dass das Überwiegen der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib verneint werden könnte.
Die Gesamtabwägung der Umstände des Einzelfalls führt also zu dem Schluss, dass nach der nunmehrigen Aufenthaltsdauer die Verweigerung eines humanitären Aufenthaltstitels nicht mehr verhältnismäßig wäre. So ist zwar die Nichterteilung dessen, der beantragt wurde, deshalb rechtens, weil die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005 nicht zur Gänze vorliegen, jedoch war jener nach Abs. 2 - die "Aufenthaltsberechtigung" - zu erteilen, sodass der bekämpfte Bescheid einschließlich der auf die Abweisung aufbauenden anderen Spruchpunkte zu beheben und wie im Spruch geschehen zu entscheiden war.
Gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 sind solche Aufenthaltstitel für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen. Dies war sohin zusätzlich auszusprechen, um damit die Basis für die Ausstellung durch das BFA nach § 58 Abs. 7 AsylG 2005 zu schaffen.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zur Bedeutung und Berücksichtigung von Integrationsmerkmalen bei Entscheidungen nach § 55 AsylG 2005.
Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.
4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben, zumal ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde (vgl. VfGH 14.03.2012, Slg. 19632).
Das Gericht musste sich auch keinen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer verschaffen, da es sich um einen eindeutigen Fall in dem Sinne handelt, dass für den Fremden kein günstigeres Ergebnis entsteht, wenn der persönliche Eindruck ein positiver ist (vgl. VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0422 mwH).
Auch der Sachverhalt ist aktuell, zumal der Beschwerdeführer eine umfängliche Darstellung seiner Integration nachreichte, die durch aktuelle Registerabfragen untermauert werden konnte wie oben unter
2. dargetan.
Eine mündliche Verhandlung unterblieb daher in Übereinstimmung mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung.
Schlagworte
Abschiebung, Asylverfahren, Aufenthaltsberechtigung plus,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:I419.1318959.2.00Zuletzt aktualisiert am
01.07.2019