TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/16 G314 2216544-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.04.2019
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Entscheidungsdatum

16.04.2019

Norm

B-VG Art.133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §70 Abs3

Spruch

G314 2216544-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, tschechischer Staatsangehöriger, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 12.02.2019, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) verursachte am 23.07.2018 auf der XXXXSchnellstraße in XXXX als LKW-Lenker einen Verkehrsunfall, bei dem eine Person getötet und mehrere verletzt wurden. Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX2018, XXXX, wurde er deshalb zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Ab XXXX2019 verbüßte er den unbedingten Strafteil in der Justizanstalt XXXX.

Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 08.01.2019 wurde er aufgefordert, sich zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Auf dieses Schreiben reagierte er nicht.

Mit dem oben angeführten Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein für die Dauer von einem Jahr befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und ihm gemäß § 70 Abs 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung wegen grob fahrlässigen Verhaltens im Straßenverkehr als Berufskraftfahrer, der beabsichtigten Fortsetzung dieser Tätigkeit zu Erwerbszwecken und dem Fehlen entgegenstehender familiärer oder privater Bindungen zu Österreich begründet, zumal der Lebensmittelpunkt des BF trotz der Erwerbstätigkeit in Österreich nach wie vor in Tschechien liege.

Dagegen richtet sich die wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und inhaltlicher Rechtswidrigkeit erhobene Beschwerde mit dem Antrag auf Durchführung einer Beschwerdeverhandlung, mit der der BF primär die Aufhebung des angefochtenen Bescheids, in eventu die Verkürzung des Aufenthaltsverbots, anstrebt und hilfsweise auch einen Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag stellt. Er begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass die Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe, weil der Bescheid ohne seine vorherige Einvernahme erlassen worden sei und ein schriftliches Parteiengehör nicht ausreiche. Das Aufenthaltsverbot käme einem Berufsverbot für den BF gleich, weil er als LKW-Fahrer darauf angewiesen sei, durch Österreich als Transitland zu fahren. Sein Fehlverhalten sei auf Überarbeitung und Zeitdruck zurückzuführen. Es sei bekannt, dass LKW-Fahrer unter enormem Stress stünden, weil Verspätungen zu hohen Verlusten führten. Der tragische Unfall, den er sehr bedaure, sei somit auch auf die teilweise schwierigen Arbeitsbedingungen in der Transportbranche zurückzuführen. Er habe jedenfalls kein Vorsatzdelikt begangen; die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn sei nicht notwendig.

Das BFA legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 27.03.2019 einlangten, erstattete eine Gegenäußerung zur Beschwerde und beantragte, diese als unbegründet abzuweisen.

Feststellungen:

Der XXXX-jährige BF hat seinen Lebensmittelpunkt bislang in Tschechien, wo er zuletzt bei XXXX wohnte. Er ist geschieden, hat keine Sorgepflichten und spricht Tschechisch. Er besitzt einen am XXXX2018 in XXXX ausgestellten und bis XXXX2023 gültigen Führerschein der Klassen A, B, C und CE. Von XXXX2017 bis XXXX2019 war er (unter Beibehaltung seines tschechischen Wohnsitzes) für die XXXX GmbH mit Sitz in XXXX als LKW-Fahrer mit einem monatlichen Einkommen von ca. EUR 2.200 tätig. Eine Anmeldebescheinigung wurde ihm weder ausgestellt noch von ihm beantragt.

Der Verurteilung des BF durch das Landesgericht XXXX liegt zugrunde, dass er am XXXX2018 als Lenker eines Sattelzugs 23 Sekunden lang die im Straßenverkehr gebotene und ihm zumutbare Aufmerksamkeit außer Acht ließ. Er erkannte grob fahrlässig weder eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h noch die Vorankündigung einer Fahrbahnverengung, eine weitere Geschwindigkeitsbegrenzung auf 50 km/h, eine für ihn einsehbare rote Ampel vor einem Tunnel oder die davor mit Warnblinkanlage bzw. leuchtendem Bremslicht stehenden oder im Schrittgeschwindigkeit rollenden Fahrzeuge und reagierte darauf nicht. Vielmehr fuhr er mit gleichbleibender Geschwindigkeit von ca. 82 km/h zunächst auf einen langsam rollenden PKW (VW Multivan) auf, der noch auf den Pannenstreifen auswich, gegen die Leitwand prallte, umkippte und auf der linken Fahrzeugseite die Fahrbahn entlang rutschte. Anschließend fuhr der vom BF gelenkte Sattelzug auf ein stillstehendes Cabrio (Ford Mustang) auf, das im Heck massiv deformiert und auf den davor stehenden LKW geschoben wurde, prallte schließlich gegen das Heck des LKW und stieß diesen diagonal nach vorne, sodass er mit abgeknickter Sattelzugmaschine quer über den ersten Fahrstreifen zu stehen kam. Die Beifahrerin des Cabrio erlag ihren dabei erlittenen Verletzungen noch am Unfallort. Der Lenker des Cabrio erlitt eine an sich schwere Körperverletzung und eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit (Gehirnerschütterung, Epiduralhämatom, Pneumothorax, Wirbelbruch und knöcherner Ausriss eines Lendenwirbels, Prellungen und Quetschungen im Bereich des rechten Arms sowie multiple Hautabschürfungen). Der Lenker und die Beifahrerin des VW Multivan erlitten jeweils eine leichte Körperverletzung (Prellungen im Bereich des Kopfs, des Oberschenkels und des Unterarms sowie Zerrung der Halswirbelsäule bzw. Prellungen im Bereich des Brustkorbs und der Beckenwirbelsäule sowie Zerrung der Halswirbelsäule). Der LKW-Lenker erlitt eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit (Prellung im Bereich des Brustkorbs, Rissquetschwunde am Unterschenkel).

Der BF hat dadurch die Vergehen der fahrlässigen Tötung nach § 81 Abs 1 StGB, der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1, Abs 3, Abs 4 zweiter Satz, erster Fall StGB und der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB begangen und wurde - ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe gemäß § 81 Abs 1 StGB - rechtskräftig zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Ein sechsmonatiger Strafteil wurde für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehen. Es handelt sich um seine erste strafgerichtliche Verurteilung. Bei der Strafzumessung wurden der bisher ordentliche Lebenswandel und die teilweise Schadensgutmachung durch Dritte als mildernd berücksichtigt. Erschwerend wirkten sich das Zusammentreffen von Vergehen, der extreme Sorgfaltsverstoß sowie die mehrfache Qualifikation (hinsichtlich des Cabriolenkers) aus. Der BF wurde weiters zu Schadenersatzzahlungen von insgesamt fast EUR 137.000 an die Geschädigten verurteilt. Er selbst erlitt bei dem Unfall eine Schleimbeutelverletzung (Bursa aperta) und eine Rissquetschwunde.

Der BF verbüßte den unbedingten Strafteil ab XXXX2019 in der Justizanstalt XXXX; das urteilsmäßige Strafende war am XXXX2019.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er hat abgesehen von seiner Tätigkeit als LKW-Fahrer für ein österreichisches Unternehmen, die er nach dem Strafvollzug fortsetzen möchte, und dem Umstand, dass er als LKW-Fahrer Routen durch das Bundesgebiet befuhr, keine familiären, beruflichen oder sonstigen Bindungen zu Österreich.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche bestehen nicht.

Die Feststellungen zur Identität des BF beruhen auf der Vollzugsinformation, den entsprechenden Informationen im Strafurteil und seinem dem BVwG in Kopie vorliegenden Personalausweis.

Der Lebensmittelpunkt des BF ergibt sich aus seinem im polizeilichen Abschlussbericht genannten Wohnort (Hauptwohnsitz) in Tschechien. Auch in der Vollzugsinformation scheint eine Entlassungsadresse in Tschechien auf. Damit im Einklang steht, dass der BF (abgesehen von der Meldung in der Justizanstalt während des Strafvollzugs) laut dem Zentralen Melderegister (ZMR) im Inland keine Wohnsitzmeldung aufweist.

Die Lenkberechtigung des BF ist im Abschlussbericht dokumentiert. Aus dem Schreiben der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom XXXX2019 geht hervor, dass nach dem Unfall kein Verfahren zur Entziehung der Lenkberechtigung oder zur Erlassung eines Lenkverbots eingeleitet wurde.

Die Tätigkeit des BF für die XXXX GmbH wird anhand des Versicherungsdatenauszugs festgestellt, in dem keine weiteren Beschäftigungsverhältnisse in Österreich dokumentiert sind. Sein Einkommen und das Fehlen von Sorgepflichten ergibt sich aus seinen Angaben dazu bei der Beschuldigtenvernehmung am 04.10.2018. Im Fremdenregister ist weder die Erteilung einer Anmeldebescheinigung noch ein entsprechender Antrag dokumentiert.

Tschechischkenntnisse des BF sind aufgrund seiner Herkunft plausibel und können insbesondere deshalb festgestellt werden, weil im Strafverfahren eine Verständigung mit Dolmetschern für diese Sprache problemlos möglich war.

Die Feststellungen zur Arbeitsfähigkeit und zum Gesundheitszustand des BF beruhen darauf, dass er in einem erwerbsfähigen Alter ist, bis zum Strafantritt berufstätig war und keine Hinweise auf gesundheitliche Einschränkungen bestehen. Nach dem Akteninhalt ist er geschieden; Anhaltspunkte dafür, dass er verheiratet bzw. liiert ist oder in einer Lebensgemeinschaft lebt, liegen nicht vor.

Die Feststellungen zu den vom BF begangenen Straftaten, zu seiner Verurteilung, zu den Erschwerungs- und Milderungsgründen und zu den Privatbeteiligtenzusprüchen basieren auf dem Strafurteil und auf dem polizeilichen Abschlussbericht, aus dem insbesondere auch die vom BF bei dem Unfall erlittene Verletzung hervorgeht. Die Rechtskraft der Verurteilung wird durch den entsprechenden Eintrag im Strafregister belegt, in dem keine weiteren Verurteilungen aufscheinen. Konsequent wurde der ordentliche Lebenswandel des BF als Milderungsgrund berücksichtigt.

Die Feststellungen zum Strafvollzug basieren auf der Vollzugsinformation der Justizanstalt XXXX und der Wohnsitzmeldung des BF dort laut ZMR.

Bindungen des BF in Österreich, die über die Erwerbstätigkeit für ein österreichisches Transportunternehmen und den Transit durch das Bundesgebiet im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit hinausgehen, sind nicht aktenkundig und werden insbesondere auch von ihm selbst nicht ins Treffen geführt.

Rechtliche Beurteilung:

Als Staatsangehöriger von Tschechien ist der BF EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG.

Der behauptete Verfahrensmangel liegt nicht vor, zumal ihm Parteiengehör durch die Möglichkeit, eine schriftliche Stellungnahme abzugeben, eingeräumt wurde und von ihm - auch unter Berücksichtigung der Beschwerdebehauptungen - letztlich keine klärungsbedürftigen Tatsachen vorgebracht wurden. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das BFA eine persönliche Einvernahme des BF unterließ.

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Wenn der EWR-Bürger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt (so etwa, wenn er zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt wurde), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 9 BFA-VG ist (ua) die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG, durch das in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration

(Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist vorweg festzuhalten, dass das BVwG die Beschwerdeausführungen für nicht stichhältig, die damit bekämpften Entscheidungsgründe des angefochtenen Bescheids dagegen für zutreffend erachtet. Dem Beschwerdevorbringen ist somit lediglich Folgendes zu erwidern:

Mangels eines längerfristigen kontinuierlichen Aufenthalts des BF in Österreich ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 zweiter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") anzuwenden.

Da der BF als Berufskraftfahrer im Straßenverkehr grob fahrlässig schwerwiegende Sorgfaltsverstöße beging (fehlende Aufmerksamkeit über einen Zeitraum von 23 Sekunden; ungebremstes Auffahren auf eine Kolonne unter Missachtung sämtlicher Warnungen wie Geschwindigkeitsbegrenzungen, Vorankündigung einer Fahrbahnverengung, rote Ampel, Fahrzeuge mit Warnblinkanlage oder Bremslichtern) und dadurch mehrere Menschen - zum Teil schwer - verletzte und den Tod einer Frau verursachte, stellt sein persönliches Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die gegen ihn erlassene teilbedingte Freiheitsstrafe den Tatbestand des § 53 Abs 3 Z 1 zweiter Fall FPG erfüllt, der Unfall noch nicht lange zurückliegt und die seit dem Strafvollzug verstrichene Zeit nicht ausreicht, um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der durch die strafgerichtliche Verurteilung indizierten Gefährlichkeit ausgehen zu können. Der Gesinnungswandel eines Straftäters ist nämlich (auch bei einem Fahrlässigkeitsdelikt) grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (siehe VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233).

Wenn der BF in der Beschwerde in diesem Zusammenhang auf die schwierigen Arbeitsbedingungen in der Transportbranche sowie auf den Stress und den Zeitdruck, unter denen LKW-Fahrer stehen, hinweist, ist auf die zutreffende Stellungnahme des BFA zu verweisen, wonach er dadurch die Gefährdungsprognose noch zusätzlich untermauert, zumal er nach dem Strafvollzug wieder als LKW-Fahrer arbeiten möchte.

Die Verhinderung von strafbaren Handlungen und schweren Sorgfaltsverstößen im Straßenverkehr, insbesondere durch Berufskraftfahrer, betrifft jedenfalls ein Grundinteresse der Gesellschaft, auch zum Schutz der Gesundheit und der Rechte und Freiheiten anderer.

Unter Bedachtnahme auf Art und Schwere der Straftaten, auf das Persönlichkeitsbild, das sich daraus ergibt, und das Gesamtverhalten des BF ist die für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots erforderliche aktuelle Gefährdung von öffentlichen Interessen in maßgeblicher Intensität zu bejahen. Die gravierenden Sorgfaltsverstöße, der Stress und Zeitdruck, denen sich der BF als LKW-Fahrer ausgesetzt sieht und seine Absicht, trotzdem weiterhin in dieser Branche zu arbeiten, indizieren, dass von ihm auch zukünftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit iSd § 67 Abs 1 FPG ausgehen wird. Aktuell kann daher noch keine positive Zukunftsprognose erstellt werden.

Der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des BF muss verhältnismäßig sein. Auch diese Voraussetzung ist hier erfüllt, zumal sich sein Lebensmittelpunkt nie in Österreich befand und er hier weder einen Wohnsitz noch andere private oder familiäre Anknüpfungspunkte hat. Das Aufenthaltsverbot bedeutet zwar eine Einschränkung seiner Beschäftigungsmöglichkeiten, aber kein generelles Berufsverbot, wie die Beschwerde behauptet, zumal es sich nur auf das österreichische Bundesgebiet bezieht. Es ist dem BF zumutbar ist, während der Dauer des Aufenthaltsverbots als LKW-Fahrer keine Routen zu befahren, die nach oder durch das Bundesgebiet führen. Österreich ist zwar ein wichtiges Transitland für LKW-Fernverkehr; es existieren aber zweifellos Routen, die das Bundesgebiet nicht tangieren. Außerdem besteht für den BF auch die Möglichkeit, während der Dauer des Aufenthaltsverbots als Kraftfahrer im Güternahverkehr außerhalb Österreichs tätig zu sein. Dem mit der Unmöglichkeit eines Transits durch Österreich verbundenen, vergleichsweise geringen Eingriff in sein Privatleben stehen der von ihm verursachte Unfall mit erheblichen Folgen, die strafgerichtliche Verurteilung und das das große öffentliche Interesse an der Verhinderung derartiger strafbarer Handlungen gegenüber. Der BF hat starke Bindungen zu seinem Herkunftsstaat, wo der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen liegt. Das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegt daher im Ergebnis sein persönliches Interesse an der Möglichkeit eines Aufenthalts in oder Transits durch Österreich.

Auch die vom BFA angesichts des beträchtlichen Erfolgsunwerts der Tat maßvoll bemessene Dauer des Aufenthaltsverbots ist unter Berücksichtigung des Umstands, dass der BF kein Vorsatzdelikt begangen hat, nicht zu beanstanden, zumal dadurch seine beruflichen Möglichkeiten nicht unverhältnismäßig eingeschränkt werden. Eine Reduktion der Dauer des Aufenthaltsverbots ist angesichts des konkreten Unrechtsgehalts der vom BF begangenen Straftaten auch bei Berücksichtigung seines Wunsches, wieder ohne Einschränkungen als Fernfahrer tätig zu sein, nicht möglich. Ein einjähriges Aufenthaltsverbot ist jedenfalls notwendig, um der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit wirksam zu begegnen und ihn trotz des in der Transportbranche herrschenden Zeitdrucks zu einem Umdenken hin zu einem aufmerksamen und sorgfältigen Verhalten im Straßenverkehr zu bewegen. Das Aufenthaltsverbot laut Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist somit zu bestätigen.

Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Vor diesem gesetzlichen Hintergrund ist auch Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids nicht zu beanstanden.

Nach § 21 Abs 7 BFA-VG kann bei Vorliegen der dort umschriebenen Voraussetzungen - trotz Vorliegens eines Antrags - von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden. Von einem geklärten Sachverhalt iSd § 21 Abs 7 BFA-VG bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen kann allerdings im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des oder der Fremden sprechenden Fakten auch dann kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das BVwG von ihm oder ihr einen persönlichen Eindruck verschafft (vgl. zuletzt VwGH 16.10.2019, Ra 2018/18/0272).

Da hier ein eindeutiger Fall vorliegt, der Sachverhalt anhand der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt werden konnte und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine andere Entscheidung denkbar ist, kann die beantragte Beschwerdeverhandlung unterbleiben. Von deren Durchführung ist keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten, zumal in der Beschwerde keine entscheidungswesentlichen neuen Tatsachen behauptet wurden.

Erhebliche Rechtsfragen von der über den Einzelfall hinausgehenden, grundsätzlichen Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B-VG stellten sich nicht, weshalb die Revision an das Höchstgericht nicht zuzulassen ist.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot, strafrechtliche Verurteilung, Unrechtsgehalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G314.2216544.1.00

Zuletzt aktualisiert am

01.07.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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