Entscheidungsdatum
29.04.2019Norm
AVG §69Spruch
W261 2215655-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Mag. Franz GALLA, Rechtsanwalt in 1040 Wien, gegen Spruchpunkt 2. des Bescheides des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 11.01.2019, betreffend die Abweisung des Antrages Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG über den Antrag vom 28.01.2014 auf Ersatz des Verdienstentganges zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Die Wiederaufnahme des Verfahrens über den Antrag der Beschwerdeführerin vom 28.01.2014 auf Ersatz des Verdienstentganges wird gemäß § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG bewilligt, und die belangte Behörde hat dieses Verfahren als Behörde I. Instanz neu zu führen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin wurde am 25.11.2008 und am 06.10.2009 als Mitarbeiterin in einer Postfiliale Opfer von Raubüberfällen. Beim ersten Überfall seien sie und ihre Kollegen von drei Tätern mit einer Schusswaffe bedroht worden, wobei einer der Täter Schüsse in die Decke bzw. in ein Holzpult abgegeben habe. Im Zuge des zweiten Überfalles sei die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihren Kollegen in ein WC eingesperrt und mit einem Klebeband gefesselt worden.
Die Beschwerdeführerin stelle am 25.03.2013 einen Antrag auf Kostenübernahme einer psychotherapeutischen Krankenbehandlung nach dem VOG, welcher mit Bescheid der belangten Behörde vom 19.07.2013 bewilligt wurde.
Mit 30.04.2013 sei das Dienstverhältnis der Beschwerdeführerin zu ihrem Arbeitgeber unter Verweis auf einen gültigen Sozialplan betreffend Maßnahmen zur Milderung der Konsequenzen von Restrukturierungsmaßnahmen mit Ablauf des 30.04.2013 einvernehmlich beendet worden.
Die Beschwerdeführerin stellte am 28.01.2014 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (im Folgenden auch als belangte Behörde bezeichnet), einen Antrag auf Ersatz des Verdienstentganges nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG).
Am 11.04.2014 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension. Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 08.10.2014 lehnte diese den Antrag mit der Begründung ab, dass eine Berufsunfähigkeit im Sinne des § 273 Abs. 2 ASVG nicht vorliege. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht eine Klage beim Arbeits- und Sozialgericht Wien, welche mit Urteil vom 17.11.2015 rechtskräftig abgewiesen wurde.
Die belangte Behörde wies den Antrag der Beschwerdeführerin in weiterer Folge nach Durchführung eines umfangreichen Ermittlungsverfahrens und nach Einholung von Sachverständigengutachten mit Bescheid vom 21.01.2016 mit der Begründung ab, dass die Anspruchsvoraussetzungen, wonach wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit Hilfe nur zu leisten sei, wenn dieser Zustand voraussichtlich sechs Monate dauern werde, oder durch eine Handlung nach § 1 Abs. 1 VOG eine schwere Körperverletzung bewirkt werde, nicht erfüllt worden sei (§ 1 Abs. 3 VOG), ab. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.
Die Beschwerdeführerin stellte am 18.08.2017 einen neuerlichen Antrag auf Gewährung von Hilfeleistungen für Opfer, genauer auf Ersatz des Verdienstentganges, Pauschalentschädigung für Schmerzengeld, Heilfürsorge und Psychotherapeutische Krankenbehandlung, dies mit der Begründung, dass der Täter des zweiten Überfalles aus dem Jahr 2009 erst jetzt gefasst worden sei. Über diesen Antrag entschied die belangte Behörde bislang noch nicht.
Das Landesgericht für Strafsachen Wien als Geschworenengericht verurteilte zwei Täter wegen des Überfalles auf eine Postfiliale aus dem Jahr 2009 mit Urteil vom 21.12.2017 wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 2 StGB zu langjährigen Freiheitsstrafen. Das Landesgericht für Strafsachen Wien als Geschworenengericht stellte in diesem Urteil im Spruch unter anderem fest, dass die Gewaltanwendung bei der Beschwerdeführerin eine Köperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 Abs. 1 StBG), nämlich eine für immer oder für lange Zeit andauernde Berufsunfähigkeit, zur Folge gehabt habe.
Mit Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 17.07.2018 wurde der Berufung eines der beiden Täter stattgegeben und dessen Strafe reduziert, sowie auch der Berufung der Staatsanwaltschaft Folge gegeben, und die verhängte Zusatzstrafe für einen der Angeklagten erhöht.
Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 17.07.2018 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 15.03.2018 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension abgewiesen, es wurde jedoch festgestellt, dass ab 01.04.2018 eine vorübergehende Berufsunfähigkeit von voraussichtlich mindestens sechs Monaten ab 01.04.2018 vorliege, und ab 01.04.2018 für die weitere Dauer der Berufsunfähigkeit Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung bestehe.
Die Beschwerdeführerin stellte am 28.09.2018 durch ihren anwaltlichen Vertreter unter Hinweis auf einen Beschluss des Obersten Gerichtshofes (kurz OGH) vom 22.05.2018, wonach die gegen das oben genannte Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Zweitangeklagten, welche darauf gerichtet gewesen sei, die Qualifikation der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen der Beschwerdeführerin in Zweifel zu ziehen, zurückgewiesen worden sei, einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens GZ: 114-614236-008 (rechtskräftige Abweisung des Antrages der Beschwerdeführerin vom 28.01.2014 auf Verdienstentgang mit Bescheid der belangten Behörde vom 21.01.2016). Dieser Beschluss des OGH sei dem anwaltlichen Vertreter der Beschwerdeführerin am 25.09.2018 zugestellt worden.
Dieser Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens sei aus Sicht der Beschwerdeführerin aus zwei Gründen zulässig. Einerseits seien nachträglich neue Beweismittel im Sinne des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG hervorgekommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Antragstellerin nicht geltend gemacht hätten werden können, und welche voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätten. Es handle sich dabei um das im Verfahren des Landesgerichtes für Strafsachen Wien eingeholte Sachverständigengutachten, welches zur Qualifikation Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen, nämlich mit einer für immer oder für lange Zeit andauernde Berufsunfähigkeit geführt habe. Damit sei evident, dass der Zustand aufgrund des Verbrechens mehr als sechs Monate angedauert habe und weiters eine Verletzung vorliege, die gravierender sei als eine schwere Körperverletzung.
Weiters sei auch der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z 3 AVG verwirklicht, weil der Bescheid der belangten Behörde im gegenständlichen Verfahren von einer Vorfrage abhängig gewesen sei und nachträglich über eine solche Vorfrage vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden sei. Bei der Vorfrage handle es sich um jene, ob der bei der Antragstellerin aufgrund des Verbrechens vorliegende Zustand (voraussichtlich) mindestens sechs Monate dauern werde bzw. als schwere Körperverletzung (§ 84 StGB) zu qualifizieren sei. Das Landesgericht für Strafsachen sei zweifellos zuständig, über diese Vorfrage zu entscheiden, weil dies für die Qualifikation des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 2 zweiter Fall StGB wesentlich sei. Die Beschwerdeführerin legte weiters dar, weswegen aus ihrer Sicht der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zeitgerecht eingebracht worden sei.
Die belangte Behörde ersuchte in weiterer Folge das Landesgericht für Strafsachen Wien, das in diesem Strafverfahren eingeholte medizinische Sachverständigengutachten in Kopie zu übermitteln. Diesem Ersuchen kam das Landesgericht für Strafsachen mit Schreiben vom 16.10.2018 nach.
Die belangte Behörde legte in ihrem Schreiben vom 31.120.2018 umfassend ihre Rechtsansicht zu dem von der Beschwerdeführerin am 28.09.2018 eingebrachten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens dar. Demnach sei aufgrund des Umstandes, dass der Bescheid der belangten Behörde vom 28.01.2014 formal in Rechtskraft erwachsen sei, ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 AVG grundsätzlich zulässig. Wiederaufnahmeanträge seien nach § 69 Abs. 2 AVG binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen habe. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat.
Hinsichtlich des Wiederaufnahmegrundes des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG sei dieser verspätet eingebracht worden, weil das genannten Sachverständigengutachten bereits in der Hauptverhandlung am 21.12.2017 unter anderem mit dem anwaltlichen Vertreter der Beschwerdeführerin erörtert worden sei, und damit der Beschwerdeführerin, der die Kenntnis durch ihren Rechtsvertreter zuzurechnen sei, bekannt gewesen sei. Selbst bei fiktiver Annahme der Rechtzeitigkeit der Einbringung des Wiederaufnahmegrundes würde es sich um neu hervorgekommene Tatsachen handeln, weil das Sachverständigengutachten erst nach Rechtskraft des Bescheides eingeholt worden sei, weswegen dieses auch nicht als neues Beweismittel Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens sein könne. Nur wenn der Sachverständige Tatsachen, die zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung bestanden, erst nach Rechtskraft des Bescheides "feststellt", könnten diese bzw. die daraus resultierenden neuen Befundergebnisse, die sich auf die zuvor bestandenen Tatsachen beziehen, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen als neue Tatsachen einen Grund für die Wiederaufnahme darstellen (VwGH 25.07.2013, 2012/07/0131). Es würde auch keinen Wiederaufnahmegrund darstellen, wenn ein im Verfahren nicht vernommener Sachverständiger auf Grund unveränderter Sachlage zu anderen Schlüssen kommen würde, als der im Verfahren beigezogene Sachverständige. In dem vom Landesgereicht für Strafsachen eingeholten Sachverständigengutachten würden vom Sachverständigen lediglich andere Schlussfolgerungen gezogen, weswegen der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG nicht erfüllt sei. Dieses Sachverständigengutachten stelle vielmehr eine erst nach Abschluss des Verfahrens neu entstandene Tatsache bzw. ein neu entstandenes Beweismittel (sog. nova casus superveniens oder nova producta) dar, auf das die Wiederaufnahme nicht gestützt werden könne (VwGH 21.01.1992, 91/11/0059).
Hinsichtlich des vorgebrachten Wiederaufnahmegrundes des § 69 Abs. 1 Z 3 AVG, wonach der Bescheid von einer Vorfrage gemäß § 38 AVG abhängig gewesen sein müsse, die nachträglich von der zuständigen Behörde bzw. dem zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entscheiden worden sei, führte die belangte Behörde aus, dass zwar nunmehr eine rechtskräftige Entscheidung eines Gerichtes, die nach Rechtskraft des Bescheides ergangen sei, vorliege, es sich jedoch bei der Beurteilung der Frage durch das Gericht, ob eine an sich schwere Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen bestehe, nicht um eine Entscheidung einer Vorfrage im Sinne des § 38 AVG handle. Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH handle es sich bei einer Vorfrage um eine Frage, zu deren Beantwortung die in einer Verwaltungsangelegenheit zur Entscheidung berufene Behörde sachlich nicht zuständig sei, die aber für ihre Entscheidung eine notwendige Grundlage biete und daher von ihr bei ihrer Beschlussfassung berücksichtigt werden müsse. Eine Vorfrage sei somit ein vorweg, nämlich im Zuge der Sachverhaltsermittlung zu klärendes rechtliches Element des zur Entscheidung stehenden Rechtsfalles und setze voraus, dass der Spruch der erkennenden Behörde in der Hauptfrage nur nach Klärung einer in den Wirkungsbereich einer anderen Behörde oder eines Gerichts fallenden Frage gefällt werden könne. Es müsse sich demnach um eine Frage handeln, die den Gegenstand eines Abspruches rechtsfeststellender oder rechtsgestaltender Natur durch eine andere Behörde oder ein Gericht bilde (VwGH 12.031999, 97/19/0066).
Folglich liege keine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG vor, wenn die betreffende Rechtsfrage auch nicht in die Zuständigkeit einer anderen Behörde oder eines anderen Gerichts falle und daher von keiner Behörde als Hauptfrage entschieden werde. Eine Rechtsfrage sei nur dann als Vorfrage im Sinne des § 38 AVG zu qualifizieren, wenn der relevante Tatbestand ein Element enthalte, das für sich allein Gegenstand einer für die Behörde und die Parteien bindenden Entscheidung einer anderen Behörde sei.
Das Landesgericht für Strafsachen prüfe den Sachverhalt auf mehreren Ebenen (Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit, Schuld, etc.). Im Zuge dieser Beurteilung stelle die Lösung der Rechtsfrage, ob eine an sich schwere Körperverletzung oder eine Körperverletzung mit Dauerfolgen vorliege, lediglich ein Element der Prüfung dar, welches für sich allein nicht den Gegenstand einer für die Behörde und die Parteien bindenden Entscheidung einer anderen Behörde darstelle, und daher nicht Hauptfrage im Verfahren vor dem Landesgericht für Strafsachen sei. Komme das Gericht zu einer anderen Sachverhaltsfeststellung als die Verwaltungsbehörde, dann könne darin nicht die Entscheidung einer Vorfrage erblickt werden, die Anlass für die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 AVG bieten könne (VwGH 25.01.1972, 1567/71).
Die belangte Behörde teilte der Beschwerdeführerin mit, dass beabsichtigt sei, ihren Antrag auf Wiederaufnahme hinsichtlich der Geltendmachung des Wiederaufnahmegrundes des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG wegen Fristversäumnis zurückzuweisen und hinsichtlich der Geltendmachung des Wiederaufnahmegrundes des § 69 Abs. 1 Z 3 AVG abzuweisen.
Die belangte Behörde legte zudem in diesem Schreiben dar, wie diese hinsichtlich des noch offenen Antrages der Beschwerdeführerin vom 24.08.2017 vorzugehen beabsichtige. Aufgrund des neuen Sachverständigengutachtens aus dem strafgerichtlichen Verfahrens sei beabsichtigt, hinsichtlich der beantragten Kostenübernahme einer psychotherapeutischen Krankenbehandlung und des Antrages auf Verdienstentgangens (mit Stichtag 01.09.2017) neu zu entscheiden. Die Beschwerdeführerin habe den Antrag auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld nicht innerhalb einer Frist von zwei Jahren nach der Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung eingebracht, bzw. hätten sich die Taten vor Inkrafttreten des § 6a VOG zugetragen, weswegen der dahingehende Antrag der Beschwerdeführerin abzuweisen sein werde.
Die Beschwerdeführerin gab am 20.11.2018 durch ihren anwaltlichen Vertreter eine schriftliche Stellungnahme ab und führte im Wesentlichen zur beantragten Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 Z 3 AVG aus. Demnach habe die belangte Behörde zu § 38 AVG richtig festgehalten, dass keine Vorfrage iSd § 38 AVG vorliege, wenn die betreffende Rechtsfrage auch nicht in die Zuständigkeit einer anderen Behörde oder eines anderen Gerichtes falle, und somit weder von einer Behörde noch von einem Gericht als Hauptfrage zu entscheiden sei (Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 Rz 6). Dabei dürfe nicht übersehen werden, dass der Vorfragenbegriff und damit § 38 AVG voraussetze, dass eine Entscheidung der anderen Behörde unmittelbar ein Element des Tatbestandes zum Gegenstand habe, anhand welchem sich die befasste Behörde orientiere. Vielmehr sei es ausreichend, dass diese einen anderen "entscheidungswichtigen Umstand" als bloß eine "begriffliche Voraussetzung der Beurteilung" eines Tatbestandsmerkmales zum Gegenstand habe (Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 Rz 2). Als Beispiel hätten Hengstschläger/Leeb angeführt, dass wenn eine Auslegung des Begriffes "pflichtwidriges Verhalten" in § 10 Abs. 4 Z 4 BDG ergebe, dass ein solches anzunehmen sein könne, wenn der Beamte eine Körperverletzung iSd § 83 Abs. 1 StGB begehen, dann komme einem diesbezüglichen rechtskräftigen Strafurteil - als Entscheidung der Rechtsfrage - im Kündigungsverfahren Bindungswirkung zu (Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 Rz 2).
Dies müsse im Umkehrschluss auch im vorliegenden Fall gelten. Somit ergebe sich aus dem Strafurteil, dass die Opfer eine "Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen" (iSv § 85 StGB) erlitten hätten, wofür die Angeklagten rechtkräftig verurteilt worden seien. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass § 85 StGB nur verwirklich sei, wenn bei der Urteilsfällung ungewiss sei, ob sich die Folge jemals wieder beseitigen lassen werde, bzw. wie lange diese dauere. Daraus ergebe sich unzweifelhaft, dass die Leiden der Opfer, in diesem Fall jene der Beschwerdeführerin, jedenfalls länger als sechs Monate, wenn nicht sogar für immer vorliegen würden. Somit sei durch das (jedenfalls zuständige) Landesgericht für Strafsachen in Bezug auf die Vorfrage der Leidensdauer, welche bekanntermaßen die Voraussetzung für Ansprüche nach dem VOG sei, und somit einen wesentlichen Punkt der Vorfrage darstelle, anders entschieden worden. An dieses Urteil wäre die belangte Behörde bei der Bewertung der Frage, ob die Beschwerdeführerin Ansprüche nach dem VOG geltend machen könne, in jedem Fall gebunden gewesen. Demnach sei, nachdem der Bescheid der belangten Behörde in Rechtskraft erwachsen sei, über eine Vorfrage iSd § 38 AVG vollumfänglich anders entschieden worden, wonach die Voraussetzungen für einen Antrag auf Wideraufnahme iSv § 69 Abs. 1 Z 3 AVG gegeben seien.
Die belangte Behörde habe auch übersehen, dass es sich bei § 85 StGB um einen eigenen Tatbestand handle. Demnach müsse dieser Tatbestand vollumfänglich erfüllt sein, damit eine Verurteilung nach § 143 Abs. 2 zweiter Satz erster Fall StGB möglich sei. Daraus ergebe sich, dass die Beurteilung, ob eine "Köperverletzung mit schweren Dauererfolgen" verwirklicht worden sei, definitiv kein schlichtes Element der Prüfung darstellen könne, sondern definitiv ein umfassender Teil der Hauptfrage im Verfahren vor dem Landesgericht für Strafsachen gewesen sei. Sohin werde der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z 3 AVG aufrechterhalten.
Mit Schreiben vom 03.12.2018 ersuchte die belangte Behörde die PVA unter Hinweis, dass der Antrag der Beschwerdeführerin vom 15.03.2018 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension abgewiesen worden sei, wogegen diese eine Berufung eingelegt habe, um Zusendung des berufskundlichen Sachverständigengutachtens und der Entscheidung des Arbeits- und Sozialgerichtes.
Am 10.12.2018 teilte ein Vertreter der PVA der belangten Behörde fernmündlich mit, dass noch keine Entscheidung des Arbeits- und Sozialgerichtes vorliege. Es sei mit einer Entscheidungsdauer von mindestens sechs Monaten zu rechnen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 11.01.2019 wies die belangte Behörde im Spruchpunkt 1 den Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG über den Antrag vom 28.01.2014 auf Ersatz des Verdienstentganges zurück. Im Spruchpunkt 2. wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z 3 AVG über den Antrag vom 28.01.2014 auf Ersatz des Verdienstentganges ab. In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde jene Argumente an, die sie bereits in ihrem Schreiben vom 31.10.2018 umfassend dargelegt hatte. Ergänzend führte die belangte Behörde zur Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 Z 3 AVG aus, dass sowohl die belangte Behörde als auch das Landesgericht für Strafsachen dieselbe Frage, nämlich das Ausmaß der Körperverletzung, einer Beurteilung unterzogen hätten. Dabei hätte es sich dabei jedoch weder für die belangte Behörde, noch für das Landesgericht für Strafsachen um die Behandlung einer Hauptfrage gehandelt, weswegen entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin, keine Vorfrage nach § 38 AVG vorliegen würde, welche eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigen würde.
Hinsichtlich des noch offenen Antrages vom 24.08.2017 merkte die belangte Behörde ergänzend an, dass das Ergebnis des Verfahrens vor dem Arbeits- und Sozialgericht abgewartet werde. Sollte sich eine Änderung der Sachlage ergeben (in der Hinsicht, dass mittlerweile eine Arbeitsunfähigkeit bestehe), so werde über diesen Antrag vom 24.08.2017 neu entschieden werden.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin durch ihren anwaltlichen Vertreter mit Eingabe vom 26.02.2019 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde gegen Spruchpunkt 2. des genannten Bescheides an das Bundesveraltungsgericht. Als Beschwerdegründe gab die Beschwerdeführerin unrichtige rechtliche Beurteilung an und führte im Wesentlichen das aus, was sie bereits in ihrer Stellungnahme im Rahmen des Parteiengehörs am 20.11.2018 dargelegt hatte. Ergänzend legte die Beschwerdeführerin dar, dass es bei der Prüfung der Tatbestandselemente des § 1 Abs. 1 und Abs. 3 VOG (Körperverletzung bzw. Gesundheitsschädigung und ihre Dauer) zweifelsfrei um Vorfragen handle, welche geklärt werden müssten, um einen Kausalzusammenhang zwischen einem Verbrechen und den vorliegenden Gesundheitsschädigungen zu bestätigen oder zu verneinen. Im vorliegenden Fall sei der ursprüngliche Antrag der Beschwerdeführerin mit der Begründung abgelehnt worden, dass diese durch die Verbrechen keine schwere Körperverletzung erlitten habe, bzw. die Dauer der Gesundheitsschädigung nicht sechs Monate überschreite. Aus dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen ergebe sich unzweifelhaft, dass die Leiden (= Gesundheitsschädigung) der Opfer, in diesem Fall jene der Beschwerdeführerin, jedenfalls länger als sechs Monate, wenn nicht sogar für immer vorlägen. Somit habe das Landesgericht für Strafsachen im Bezug auf die Vorfrage der Leidensdauer, welche bekanntermaßen eine Voraussetzung für die Ansprüche nach dem VOG sei, offenkundig anders entschieden. In diesem Fall sei auf eine Entscheidung des VwGH vom 26.06.2014, 2012/03/21 verwiesen, wonach eine strafgerichtliche Verurteilung absolute Wirkung gegenüber jedermann, und somit auch gegenüber der belangten Behörde, entfalte. Die belangte Behörde habe übersehen, dass es sich beim § 85 StGB um einen eigenen Tatbestand handle, und dieser definitiv kein schlichtes Element der Prüfung darstellen könne, sondern definitiv ein umfassender Teil der Hauptfrage im Verfahren vor dem Landesgericht für Strafsachen gewesen sei. Daher liege der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z 3 AVG vor. Es werde daher beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den gegenständlichen Bescheid des Sozialministerium Service, Landesstelle Wien aufheben und dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG über den Antrag vom 28.01.2014 auf Ersatz des Verdienstentganges stattgeben; in eventu der Beschwerde stattgeben, den Bescheid des Sozialministerium Service aufheben und zur neuerlichen Entscheidung an die erste Instanz zurückverweisen.
Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt den Verwaltungsakten mit Schreiben vom 01.03.2019 vor, wo dieser am 07.03.2019 einlangte.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin ist österreichische Staatsbürgerin. Sie beantragte am 28.01.2014 beim Sozialministeriumservice den Ersatz des Verdienstentganges nach dem Verbrechensopfergesetz.
Die Beschwerdeführerin wurde am 25.11.2008 und am 06.10.2009 als Mitarbeiterin in einer Postfiliale Opfer von Raubüberfällen.
Mit rechtskräftigem Bescheid vom 21.01.2016 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin vom 28.01.2014 mit der Begründung ab, dass bei der Beschwerdeführerin die Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Abs. 3 VOG nicht vorliegen.
Laut rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Geschworengericht vom 21.12.2017, Zl. XXXX in der Fassung des Urteils des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom17.07.2018, Zl. XXXX , sind XXXX und XXXX schuldig, sie haben in Wien am 06.10.2009 im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) Verfügungsberechtigten der Österreichischen Post AG durch Gewalt gegen Personen und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89 StGB) fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld im Wert von € 264.055,- mit dem Vorsatz weggenommen und abgenötigt, sich oder einen Dritten dadurch unrechtmäßig zu bereichern, indem XXXX die Angestellten XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX mit einer täuschend echt aussehenden Spielzeugpistole bedrohte, XXXX fesselte und ihn in den Aufenthaltsraum sperrt, anschließend XXXX und XXXX die Angestellten XXXX , XXXX , XXXX und XXXX in die Toiletten sperrten, sodann XXXX Bargeld im Betrag von € 264.055,- in die von XXXX mitgebrachte Tasche gab, sie in der Folge die in der Toilette eingeschlossenen Opfer in den Aufenthaltsraum zwangen, wo XXXX die Hände und Füße sämtlicher Opfer mit einem Klebeband fesselte, sich abschließend unter Mithilfe von XXXX selbst fesselte, um sich ebenfalls als Opfer des Raubes darzustellen und XXXX sodann die Filiale mit der mit Bargeld gefüllten Tasche durch den Hinterausgang verließ, wobei die Gewaltanwendung bei XXXX eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 Abs. 1 StGB), nämlich eine für immer oder für lange Zeit andauernde Berufsunfähigkeit, zur Folge hatte.
XXXX und XXXX haben hierdurch jeweils das Verbrechen des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 2 zweiter Satz erster Fall StGB begangen.
Die Hauptfragen 1.) und 2.) an die Geschworenen im gegenständlichen Strafverfahren lauteten wie folgt:
Ist XXXX (Hauptfrage 1.) bzw. XXXX (Hauptfrage 2.) schuldig, am 06.10.2009 in Wien im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) Verfügungsberechtigten der Österreichischen Post AG durch Gewalt gegen Personen und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89 StGB) fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld im Wert von € 264.055,- mit dem Vorsatz weggenommen und abgenötigt zu haben, sich oder einen Dritten dadurch unrechtmäßig zu bereichern, indem XXXX die Angestellten XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX mit einer täuschend echt aussehenden Spielzeugpistole bedrohte, XXXX fesselte und ihn in den Aufenthaltsraum sperrt, anschließend gemeinsam mit XXXX (Hauptfrage 1) bzw. mit XXXX (Hauptfrage 2.) die Angestellten XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX in die Toiletten sperrte, sodann XXXX Bargeld im Betrag von € 264.055,- in die von XXXX mitgebrachte Tasche gab, er in der Folge gemeinsam mit XXXX (Hauptfrage 1.) bzw. mit XXXX (Hauptfrage 2.) die in der Toilette eingeschlossenen Opfer in den Aufenthaltsraum zwang, wo XXXX die Hände und Füße sämtlicher Opfer mit einem Klebeband fesselte, sich abschließend unter Mithilfe von XXXX selbst fesselte, um sich ebenfalls als Opfer des Raubes darzustellen und XXXX sodann die Filiale mit der mit Bargeld gefüllten Tasche durch den Hinterausgang verließ, wobei die Gewaltanwendung bei XXXX eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 Abs. 1 StGB), nämlich eine für immer oder für lange Zeit andauernde Berufsunfähigkeit, zur Folge hatte?
Beide Fragen wurden von den Geschworenen mit acht "Ja" und 0 "Nein" Stimmen beantwortet.
Der Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 22.05.2018, Zl. XXXX , wonach im gegenständlichen Strafverfahren die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten zurückgewiesen werden, ging dem anwaltlichen Vertreter der Beschwerdeführerin am 25.09.2018 zu.
Die Beschwerdeführerin stellte am 28.09.2018 durch ihren anwaltlichen Vertreter den gegenständlichen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens unter anderem gemäß § 69 Abs. 1 Z 3 AVG über den Antrag vom 28.01.2014 auf Ersatz des Verdienstentganges.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zur österreichischen Staatsbürgerschaft der Beschwerdeführerin und dem Datum der Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Ersatz des Verdienstentganges nach dem Verbrechensopfergesetz und des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens basieren auf dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zur strafrechtlichen Verurteilung des XXXX und XXXX für den schweren Raubüberfall am 06.10.2009, wobei die Gewaltanwendung bei der Beschwerdeführerin eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 Abs. 1 StGB), nämlich eine für immer oder für lange Zeit andauernde Berufsunfähigkeit, zur Folge hatte, beruhen auf die im Akt aufliegenden Urteile des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Geschworenengericht, des Oberlandes Wien als Berufungsgerichtes und den Beschluss des Obersten Gerichtshofes.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt 2.) des Bescheides der belangten Behörde vom 11.01.2019, wonach der Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z 3 AVG über den Antrag vom 28.01.2014 auf Ersatz des Verdienstentganges abgewiesen wurde.
Spruchpunkt 1.) des genannten Bescheides erwuchs mangels Beschwerde dagegen in Rechtskraft.
Zu Spruchteil A)
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Verbrechensopfergesetzes (kurz: VOG) lauten auszugsweise wir folgt:
"Kreis der Anspruchsberechtigten
§ 1. (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie
1. durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder
2. durch eine an einer anderen Person begangene Handlung im Sinne der Z 1 nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Kriterien einen Schock mit psychischer Beeinträchtigung von Krankheitswert erlitten haben oder
3. als Unbeteiligte im Zusammenhang mit einer Handlung im Sinne der Z 1 eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, soweit nicht hieraus Ansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz, BGBl. Nr. 20/1949, bestehen,
und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Wird die österreichische Staatsbürgerschaft erst nach der Handlung im Sinne der Z 1 erworben, gebührt die Hilfe nur, sofern diese Handlung im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug (Abs. 6 Z 1) begangen wurde.
(2) Hilfe ist auch dann zu leisten, wenn
1. die mit Strafe bedrohte Handlung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangen worden ist oder der Täter in entschuldigendem Notstand gehandelt hat,
2. die strafgerichtliche Verfolgung des Täters wegen seines Todes, wegen Verjährung oder aus einem anderen Grund unzulässig ist oder
3. der Täter nicht bekannt ist oder wegen seiner Abwesenheit nicht verfolgt werden kann.
(3) Wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit ist Hilfe nur zu leisten, wenn
1. dieser Zustand voraussichtlich mindestens sechs Monate dauern wird oder
2. durch die Handlung nach Abs. 1 eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB, BGBl. Nr. 60/1974) bewirkt wird.
...
Hilfeleistungen
§ 2. Als Hilfeleistungen sind vorgesehen:
1. Ersatz des Verdienst- oder Unterhaltsentganges;
..."
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (kurz: AVG) lauten wie folgt:
"§ 38 Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.
Wiederaufnahme des Verfahrens
§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:
...
3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde,
...
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Bescheides und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
(4) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat.
§ 70 (1) In dem die Wiederaufnahme bewilligenden oder verfügenden Bescheid ist, sofern nicht schon aufgrund der vorliegenden Akten ein neuer Bescheid erlassen werden kann, auszusprechen, inwieweit und in welcher Instanz das Verfahren wieder aufzunehmen ist.
..."
1. Zur Entscheidung in der Sache:
Im gegenständlichen Beschwerdeverfahren focht die Beschwerdeführerin im Wesentlichen die rechtliche Beurteilung der Begründung des angefochtenen Bescheides der belangten Behörde an.
Die vom BVwG zu klärende Rechtsfrage ist, ob durch die nunmehr vorliegende rechtskräftige Verurteilung der beiden Täter und der spruchgemäßen Feststellung im Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen als Geschworenengericht vom 21.12.107 in der Fassung des Urteiles des Oberlandesgerichtes als Berufungsgericht vom 17.07.2018, dass bei der Beschwerdeführerin durch diese Tat vom 06.10.2009, bei welcher sie Opfer eines schweren Raubes wurde, die damit verbundene Gewaltanwendung bei dieser eine Köperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 Abs. 1 StGB), nämlich eine für immer oder für lange Zeit andauernde Berufsunfähigkeit zur Folge hatte, die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens über den Antrag der Beschwerdeführerin vom 14.01.2014 auf Ersatz des Verdienstentganges nach dem Verbrechensopfergesetz gemäß § 69 Abs. 1 Z 3 AVG vorliegen, oder nicht.
Während die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides im Wesentlichen davon ausging, dass das genannte strafrechtliche Urteil keine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG beurteilt habe, weil für das Strafgericht die Frage der Schwere der Körperverletzung der Beschwerdeführerin lediglich ein Teilelement der Prüfung sei, nicht jedoch eine vom Strafgericht zu beurteilende Hauptfrage, steht demgegenüber die Beschwerdeführerin auf dem Standpunkt, dass mit diesem Urteil sehr wohl eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG beantwortet worden sei, und die belangte Behörde an das Ergebnis des gegenständlichen Strafverfahrens rechtlich gebunden sei, weswegen die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z 3 AVG vorliegen würden.
Rein formal ist festzuhalten, dass die belangte Behörde über den Antrag der Beschwerdeführerin vom 14.01.2014 auf Ersatz des Verdienstentganges nach dem Verbrechensopfergesetz rechtkräftig mit Bescheid vom 21.01.2016 entschieden hat, und diesen Antrag nach Durchführung eines umfangreichen Ermittlungsverfahrens mangels der Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 VOG abwies. Demnach dauerte bei der Beschwerdeführerin nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde die Minderung der Erwerbsfähigkeit voraussichtlich nicht mindestens sechs Monate, bzw. wurde durch die beiden Raubüberfälle in den Jahren 2008 und 2009 keine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) bei der Beschwerdeführerin bewirkt.
Somit besteht formal die Möglichkeit, dass die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 AVG stellt, weil das Verfahren über ihren Antrag vom 14.01.2014 bereits mit rechtskräftigem Bescheid abgeschlossen wurde.
Als nächster Schritt ist zu prüfen, ob der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens rechtzeitig von der Beschwerdeführerin eingebracht wurde. Auch dies ist zu bejahen, da die Beschwerdeführerin belegen konnte, dass der letztinstanzliche Beschluss des Obersten Gerichtshofes ihrem anwaltlichen Vertreter am 25.09.2018 zuging. Der am 28.09.2018 eingebrachte Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z 3 AVG ist somit zeitgerecht im Sinne des § 69 Abs. 2 AVG eingebracht. Damit hat die Beschwerdeführerin die subjektive Frist zur Erhebung eines Wiederaufnahmeantrages gewahrt.
Nachdem der rechtskräftige Bescheid der belangten Behörde vom 21.01.2016 datiert, und die Beschwerdeführerin ihren Wiederaufnahmeantrag am 28.09.2018, somit vor Ablauf der im § 69 Abs. 3 AVG normierten Dreijahresfrist stellte, ist auch die objektive Ausschlussfrist gewahrt.
Somit ist rechtlich zu prüfen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für die Annahme des Wiederaufnahmegrundes des § 69 Abs. 1 Z 3 AVG vorliegen.
Dabei ist die Frage zu klären, ob der Bescheid der belangten Behörde vom 21.01.2016 tatsächlich von einer durch ein Strafgericht zu klärenden Vorfrage abhängig war, und ob durch das genannte Urteil des Landesgerichts für Strafsachen als Geschworenengericht nachträglich über diese Vorfrage in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde.
Unter "Vorfrage" ist eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden ist (VwSlgNF 10.383 A, VwGH 20.02.1992, 91/19/0320, 15.05.2009, 2007/09/0113, 23.03.2010, 2008/18/0305).
Präjudiziell ist nur eine Entscheidung, die
1. eine Rechtsfrage betrifft, deren Beantwortung für Hauptfragenentscheidung unabdingbar - dh: ein unentbehrliches Tatbestandselement (vgl. VwGH 28.11.2013, 2013/03/0070) - ist, und
2. die diese in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise (VwGH 23.03.2006, 2004/07/0047) löst.
Eine Vorfrage liegt also dann vor, wenn der relevante Tatbestand ein Element enthält, das für sich allein Gegenstand der bindenden Entscheidung einer anderen Behörde oder eines Gerichtes ist (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 Rz 1). Bindend ist dabei nur der Spruch der Vorfragenentscheidung, nicht die Begründung (VwGH 26.04.1979, 1915/77, VwGH 10.10.1995, 94/05/0295, VwGH 13.03.2002, 2001/12/0093).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bewirkt demnach die materielle Rechtskraft des Schuldspruches eines Strafurteiles, dass dadurch - vorbehaltlich einer allfälligen Wiederaufnahme des Strafverfahrens - mit absoluter Wirkung, somit gegenüber jedermann, bindend festgestellt ist, dass die schuldig gesprochene Person die strafbare Handlung entsprechend den konkreten Tatsachenfeststellungen des betreffenden Urteils rechtswidrig und schuldhaft begangen hat. Im Fall einer verurteilenden Entscheidung durch ein Strafgericht besteht daher eine Bindung der Verwaltungsbehörde in der Frage, ob ein gerichtlich zu ahndender Tatbestand erfüllt wurde. Durch die gerichtliche Verurteilung wird in einer für die Verwaltungsbehörde bindenden Weise über die Begehung der Tat abgesprochen. Eine eigene Beurteilung durch die Behörde ist damit nicht mehr zulässig, diese ist verpflichtet, die so entschiedene Frage ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Eine eigenständige Beurteilung durch die Behörde ist nur im Falle eines freisprechenden Urteils vorzunehmen (VwGH 26.04.2016, Ra 2016/03/0009, bzgl VOG VwGH 21.08.2014, 2013/11/0251). Von dieser Bindungswirkung umfasst sind auch die innere Tatseite (zuletzt VwGH 09.09.2014, Ra 2014/09/0014) sowie die tatsächlichen Feststellungen, auf denen der Spruch beruht, wozu jene Tatumstände gehören, aus denen sich die jeweilige strafbare Handlung nach ihren gesetzlichen Tatbestandselementen zusammensetzt (VwGH 18.11.2003, 97/14/0079).
Die Argumentation des Verwaltungsgerichtshofes beruht nicht auf Auslegung des Materiengesetzes, sondern auf der Bedeutung der materiellen Rechtskraft für die Rechtssicherheit und den Vertrauensschutz. Außerdem käme es einer unzulässigen Kontrolle der Organe der Rechtsprechung durch eine Verwaltungsbehörde gleich, wenn diese vom Strafurteil abweichen würde. (VwGH 18.11.2003, 97/14/0079) Auch aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21.08.2014, 2013/11/0251, wonach die Behörde, so nicht eine bindende strafgerichtliche Entscheidung vorliegt, eine eigenständige, auf Feststellungen gegründete und schlüssige Beurteilung vorzunehmen hat, kann geschlossen werden, dass rechtskräftigen Strafurteilen auch im Bereich des VOG Bindungswirkung zukommt.
Die Beschwerdeführerin geht zu Recht davon aus, dass das Strafgericht bei der Beurteilung der Frage, ob bei ihr durch diese Straftat eine Körperverletzung mit Dauerfolgen im Sinne des § 85 StGB, in einer Hauptfrage entschied, zumal das Vorliegen dieser im § 85 StGB normierten Auswirkung der Straftat auf die Gesundheit der Beschwerdeführerin wesentlich dafür ist, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 143 Abs. 2 StGB vorliegen, oder nicht.
So normiert § 143 Abs. 2 StGB, dass der Täter für schweren Raub mit einer Freiheitsstrafe von fünf bis fünfzehn Jahren zu bestrafen ist, wenn durch die ausgeübte Gewalt jemand schwer verletzt (§ 84 Abs. 1 StGB) wird. Hat die Gewaltanwendung jedoch eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 Abs. 1) zur Folge, ist der Täter mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren zu bestrafen.
Umgelegt auf das gegenständlich Beschwerdeverfahren bedeutet dies, dass die Frage, ob bei der Beschwerdeführerin eine länger als sechs Monate dauernde Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. eine schwere Körperverletzung gemäß § 84 Abs. 1 StGB vorliegt, entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde als Hauptfrage im gegenständlichen Strafverfahren beurteilt wurde, um die Qualifizierung der Tat als schweren Raub im Sinne des § 143 Abs. 2 StGB vornehmen zu können. Dies ist im genannten Strafurteil auch ausdrücklich darin dokumentiert, dass in den an die Geschworenen gerichteten Hauptfragen 1. und 2. auch gefragt wurde, ob die Gewaltanwendung bei der Beschwerdeführerin eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 Abs. 1 StGB), nämlich eine für immer oder für lange Zeit andauernde Berufsunfähigkeit, zur Folge hatte. Auch im Spruch des genannten Strafurteiles findet sich die gleichlautende Feststellung.
Nach der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes war demnach die Frage der Schwere der Körperverletzung der Beschwerdeführerin entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde ein zu beantwortende Hauptfrage im Strafverfahren, und ist die belangte Behörde auch an den Spruch des zitierten Strafurteiles gebunden. Eine eigene Beurteilung durch die Behörde ist damit nicht mehr zulässig, diese ist verpflichtet, die so entscheidende Frage ihrem Bescheid zugrunde zu legen. (VwGH 30.01.2013, 2012/03/0072).
Daraus folgt rechtlich wiederum, dass entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde in der Beurteilung der Frage der Schwere der Körperverletzung bzw. Gesundheitsbeeinträchtigung der Beschwerdeführerin im Strafverfahren gegen die Täter für das gegenständlichen Beschwerdeverfahren sehr wohl eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG vorliegt.
Bedingt dadurch, dass das Strafverfahren gegen die beiden Verurteilten erst nach Erlassung des rechtskräftigen Bescheides vom 16.01.2016 begann, weil die Täter erst spät ausgeforscht werden konnten, lag zu diesem Zeitpunkt noch keine für die belangte Behörde bindende Entscheidung eines Strafgerichtes vor. Demnach beurteilte die belangte Behörde nach Durchführung eines eigenen Ermittlungsverfahrens die Frage, ob die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 VOG bei der Beschwerdeführerin vorliegen zunächst selbstständig. Erst durch das genannte Strafurteil des Landesgerichtes für Strafsachen als Geschworenengericht vom 21.12.2017 in der Fassung des Urteiles des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 17.07.2018 wurde die Frage als eine der Hauptfragen mit dem Ergebnis, dass bei der Beschwerdeführerin eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen, nämlich eine für immer oder für lange Zeit andauernde Berufsunfähigkeit vorliegt, anders entschieden.
Demgemäß liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 69 Abs. 1 Z 3 AVG vor, weswegen der Beschwerde stattzugeben und der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens über den Antrag der Beschwerdeführerin vom 28.01.2014 auf Ersatz des Verdienstentganges zu bewilligen war.
Gemäß § 70 Abs. 1 AVG war auszusprechen, dass die belangte Behörde das Verfahren als Behörde I. Instanz neu durchzuführen hat.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Im gegenständlichen Fall war die Rechtsfrage zu klären, ob die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Antrages auf Wideraufnahme nach § 69 Abs. 1 Z 3 AVG vorliegen, oder nicht. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest, weitere Ermittlungen sind im Lichte dessen nicht erforderlich, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180) und des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfGH 09.06.2017, E 1162/2017) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil es an einer Rechtsprechung des VwGH dazu fehlt, ob die Beurteilung des Ausmaßes und der Schwere der Körperverletzung bzw. Gesundheitsschädigung eines Verbrechensopfers durch ein Strafgericht präjudiziell und damit bindend für die Verwaltungsbehörde im Rahmen einer Entscheidung nach § 1 Abs. 3 VOG ist, oder nicht.
Schlagworte
Körperverletzung, Präjudizialität, Revision zulässig, Strafurteil,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W261.2215655.1.00Zuletzt aktualisiert am
01.07.2019