TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/29 G308 2176997-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.04.2019
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Entscheidungsdatum

29.04.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G308 2176997-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Angelika PENNITZ als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Irak, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Benno WAGENEDER in 4910 Ried im Innkreis, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.09.2017, Zahl: XXXX, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 26.09.2015 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (AsylG 2005).

2. Am 26.09.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung des Beschwerdeführers im Asylverfahren statt.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, er sei vor etwa acht Monaten auf der Straße überfallen worden. Er habe USD 20.000,-- und Mobiltelefone im Wert von USD 60.000,-- bei sich gehabt, wobei alles gestohlen worden sei. Das Bargeld sei investiertes Geld von Freunden gewesen, wobei der Beschwerdeführer für das Geld verantwortlich gewesen sei. Nach diesem Vorfall sei er von diesen Freunden bedroht worden, da sie ihr Geld vom Beschwerdeführer zurückhaben wollten und er es ihnen nicht habe bezahlen können. Er sei von ihnen bei der Polizei angezeigt und in weiterer Folge verhaftet worden. Der Sachverhalt sei aufgeklärt und der Beschwerdeführer freigesprochen worden. Die "Freunde" hätten ihn sodann mit dem Tod bedroht, sodass der Beschwerdeführer geflüchtet sei. Im Falle einer Rückkehr befürchte er seinen Tod durch seine "Freunde" wegen des Geldes.

3. Am 26.07.2017 fand die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, statt.

Der Beschwerdeführer brachte zu seinen Fluchtgründen befragt nunmehr vor, er selbst sei offener Schiit und gehöre sein Stamm zu den radikalen Milizen. Der Stamm habe vom Beschwerdeführer verlangt, dass er in die Miliz eintreten müsse. Der Beschwerdeführer habe abgelehnt und gesagt, dass er im Medienbereich arbeiten wolle. Daraufhin hätte die Miliz den Beschwerdeführer bedroht und sei in sein Geschäft eingebrochen. Der Beschwerdeführer habe seine Stadt verlassen und sei Anfang 2015 nach Bagdad gegangen, wo er sich etwa sechs Monate aufgehalten habe, als seine Eltern Drohungen bekommen hätten, da sich der Beschwerdeführer nicht für den "Dschihad" gemeldet habe. Er sei von seinem Stamm ausgeschlossen worden. Bei der Miliz handle es sich um die Asa¿ib Ahl al-Haqq und hätten seine Onkel väter- und mütterlicherseits von ihm verlangt, sich der Miliz anzuschließen. Die Onkel wären selbst Milizmitglieder. Aufgrund seines besseren Bildungsstandes habe man den Beschwerdeführer als Offizier vorgesehen. Er habe in der Erstbefragung eine andere Fluchtgeschichte erzählt, da man ihm gesagt habe, er könne die gesamte Geschichte bei einer weiteren Einvernahme vorbringen. Er sei von der Miliz überfallen worden und hätte das Geld zurückerhalten, wenn er sich ihnen angeschlossen hätte. Er habe Ware für sein Geschäft in Bagdad gekauft und sei auf dem Weg nach An-Najaf sowohl überfallen worden als auch in sein Geschäft eingebrochen worden. Ihm seien Bargeld, Mobiltelefone und Wertkarten gestohlen worden. Die Geschichte sei inzwischen nicht mehr aktuell, da der Beschwerdeführer keine Schulden mehr im Irak habe und alles zurückgezahlt habe. Er sei nie von der Polizei verhaftet worden. Auf Vorhalt gab er an, die Angaben zum Fluchtgrund in der Erstbefragung würden nicht stimmen. Das Einzige was richtig sei, wäre, dass Geld gestohlen worden sei. Es habe sich um sein eigenes Geld gehandelt. Einen Teil habe er von zwei Freunden erhalten (USD 15.000,-). Diese habe er ihnen vor der Ausreise zurückgezahlt. Er habe auch nach Februar 2015 in An-Najaf in seinem Elternhaus gelebt. Es sei in dieser Zeit nichts passiert, weil der Beschwerdeführer selbst dem Stamm angehöre und der Stamm würde ihm doch nichts tun. Aber nachdem der Beschwerdeführer den Irak verlassen habe, habe der Stamm entschieden, den Beschwerdeführer zu töten, weil er ein Feigling sei und den Stamm verlassen habe. Wenn er im Irak verblieben wäre, dann wäre ihm nichts passiert. Nunmehr sei er aber ausgereist und in ungläubige Länder gefahren, was zu seiner Bedrohung geführt habe.

Darüber hinaus legte der Beschwerdeführer Kopien seines irakischen Reisepasses, der irakischen Personalausweise seiner Kinder und seiner Heiratsurkunde, eine Bestätigung für die freiwillige Mitarbeit beim Roten Kreuz, eine Teilnahmebestätigung am Werte- und Orientierungskurs sowie an Deutschförderkursen in der Flüchtlingsunterkunft, ein Prüfungszeugnis Deutsch A1 eine Teilnahmebestätigung für einen Deutschkurs A1/Teil 2 und einen Zeitungsausschnitt einer österreichischen Zeitung vor.

4. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 15.09.2017, dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 16.10.2017 zugestellt, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 26.09.2015 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat "Irak" (Spruchpunkt II.) abgewiesen, dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den "Irak" gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.), sowie gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG dem Beschwerdeführer eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass im Fall des Beschwerdeführers keine Verfolgung im Herkunftsstaat habe festgestellt werden können, da er zu keiner Zeit glaubhaft eine solche asylrelevante Verfolgung vorgebracht habe. Im Vergleich zur Erstbefragung habe der Beschwerdeführer im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt eine komplett divergierende Fluchtgeschichte vorgebracht. Der Beschwerdeführer habe in der Erstbefragung sein Fluchtvorbringen inhaltlich schlüssig und in sich stimmig vorgetragen. Die Anzeige bei der Polizei und der Freispruch des Beschwerdeführers würden beweisen, dass das Rechtssystem im Irak funktioniert habe. Das detaillierte Vorbringen in der Erstbefragung stehe den Angaben des Beschwerdeführers entgegen, dass er zu wenig Zeit gehabt habe, um dort alle seine Fluchtgründe vorzubringen. Hingegen habe der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt eine völlig andere Fluchtgeschichte vorgebracht und hinsichtlich seiner Angaben zu seinen Fluchtgründen in der Erstbefragung angeführt, dass diese nicht der Wahrheit entsprächen. Zum Vorbringen, er werde von seinem Stamm verfolgt, da er sich nicht der schiitischen Miliz angeschlossen habe, sei auszuführen, dass sich der Beschwerdeführer gleich selbst widersprochen habe, da er schließlich angab, es habe sich um Familienangehörige gehandelt und diese würden ihm doch nichts tun. Insgesamt würde sich das Vorbringen des Beschwerdeführers als nicht glaubhaft erweisen. Selbst bei Wahrunterstellung wäre ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar gewesen. Im Irak würden noch die Ehegattin, die beiden Kinder, die Eltern sowie sechs Schwestern des Beschwerdeführers leben. Eine Rückkehr sei ihm - wenn auch eventuell mit Verlegung des Wohnsitzes in eine andere Stadt - zumutbar.

Das Bundesamt traf weiters Feststellungen zur Situation im Herkunftsland Irak.

5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seines bevollmächtigten Rechtsvertreters vom 30.10.2017, beim Bundesamt am 31.10.2017 einlangend, das Rechtsmittel der Beschwerde und beantragte, das Bundesverwaltungsgericht möge nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung der Beschwerde Folge geben und dem Beschwerdeführer internationalen Schutz zuerkennen, jedenfalls die Rückkehrentscheidung aufheben und die Abschiebung in den Irak für auf Dauer unzulässig erklären; in eventu den Bescheid beheben und zur Verfahrensergänzung an das Bundesamt zurückverweisen.

Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass es richtig sei, dass die vom Beschwerdeführer angegebenen Fluchtgründe in der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem Bundesamt divergieren würden. Der Beschwerdeführer habe jedoch angegeben, dass die in der Erstbefragung protokollierten Angaben - außer jener, dass ihm Geld gestohlen worden wäre - unrichtig seien. Da er seine dort getätigten Angaben daher nicht mehr anerkenne, würden diese auch für den Fluchtgrund keine Rolle mehr spielen. Der Beschwerdeführer habe angegeben, dass der Dolmetscher der Erstbefragung Kurde gewesen und dem Beschwerdeführer ablehnend gegenübergestanden wäre. Daraus und aus der kurzen Einvernahme-Dauer lasse sich nachvollziehen, warum die Bedrohung durch schiitische Milizen nicht angegeben worden sei. Ein auffallend gesteigertes Vorbringen sei nicht ersichtlich. Wenn das Bundesamt behaupte, die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe würden nicht die Intensität einer Asylrelevanz erreichen, dann könne mit dem nunmehrigen Vorbringen keine Steigerung des Fluchtvorbringens vorliegen. Ein gesteigertes Vorbringen hätte nur dann Sinn, wenn vorerst die Erheblichkeitsschwelle nicht überschritten worden wäre, aufgrund des neuen Vorbringens jedoch schon. Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers in der Erstbefragung sei entgegen der Annahme des Bundesamtes aus näher dargestellten Gründen nicht schlüssig. Ebenso wenig sei es nachvollziehbar, dass seitens der Polizei ein "Freispruch" erfolge, da auch im Irak Gerichtsbarkeit und Exekutive voneinander getrennt seien. Es sei unrichtig, dass das Bundesamt einen Zusammenhang zwischen religiösen Problemen und Zwangsrekrutierung verneine, zumal der Beschwerdeführer als "offener" Schiit gelebt habe, hingegen sein Stamm zu den radikalen Anhängern gehöre. Die Angaben des Beschwerdeführers zur versuchten Rekrutierung seien hingegen stimmig und schlüssig. Es sei nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer deswegen die Stadt verlassen und nach Bagdad gezogen und schließlich, nachdem seine Eltern Drohungen erhalten hätten, den gesamten Irak verlassen habe. Der Beschwerdeführer sei somit als Deserteur anzusehen, da die dafür vorgesehenen Strafen auch Milizangehörige treffen würden. Die Länderberichte stünden mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers überein. Es würden jedoch Feststellungen zur Rekrutierung und Bestrafung von Verrätern fehlen. Schiitische Milizen seien allgemein unkontrollierbar und würden systematische Menschenrechtsverletzungen begehen. Die belangte Behörde habe nicht angeführt, welche innerstaatliche Fluchtalternative für den Beschwerdeführer in Betracht käme. Er sei nicht in der Lage, die Hilfe seines Staates in Anspruch zu nehmen.

6. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 20.11.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

7. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 03.12.2018 wurden dem Beschwerdeführer und seiner Rechtsvertretung ein Konvolut aktueller Berichte zur Lage im Herkunftsstaat Irak (Stand Dezember 2018) zur Stellungnahme binnen zwei Wochen übermittelt.

8. Per E-Mail vom 30.01.2019 gab der Rechtsvertreter bekannt, den Beschwerdeführer schriftlich über die Länderberichte und die eingeräumte Möglichkeit zur Stellungnahme informiert zu haben. Eine Ausarbeitung einer solchen Stellungnahme sei vom Rechtsvertreter von der Bezahlung durch den Beschwerdeführer abhängig gemacht, weshalb bisher keine Stellungnahme vorgelegt worden sei. Der Beschwerdeführer habe darauf nicht reagiert.

9. Daraufhin stellte das Bundesverwaltungsgericht am 04.02.2019 eine Anfrage an die Staatendokumentation. Die entsprechende Anfragebeantwortung langte am 28.02.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

10. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 13.03.2019 wurde die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 28.02.2019 der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers zur Stellungnahme binnen drei Wochen übermittelt.

11. Am 13.03.2019 wurde beim Bundesverwaltungsgericht der gegen den Beschwerdeführer ergangene Strafantrag vom 06.03.2019 im Rahmen einer Beschwerdenachreichung vorgelegt.

12. Mit Schriftsatz des Rechtsvertreters vom 03.04.2019, beim Bundesverwaltungsgericht am 04.04.2019 einlangend, nahm der Beschwerdeführer zu der übermittelten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 28.02.2019 Stellung und führte zusammengefasst aus, dass die Staatendokumentation nach Anfrage bei einem externen Experten keine Recherchen bezogen auf den Stamm des Beschwerdeführers und dessen Anbindung an eine schiitische Miliz geliefert habe. Dem Rechtsvertreter gegenüber habe der Beschwerdeführer von seinen Großonkeln gesprochen, die ihn als Offizier für die Miliz rekrutieren hätten wollen. Eine Weigerung des Beschwerdeführers könnte zur Verstoßung und Ablehnung führen. Aus der Anfragebeantwortung gehe jedenfalls hervor, dass schiitische Milizen bei der Rekrutierung starken Druck auf junge Männer ausüben würden, zumal man immerhin mit einem relativ hohen Sold locken würde. Ohne gewissen Zwang und Druck könne auch keine Miliz auf Dauer bestehen, denn darunter würde die Kampffähigkeit leiden. Würde der Beschwerdeführer von seinem Stamm verstoßen, geächtet oder gemieden werden, dann drohe ihm jedenfalls eine Notlage wie tausenden anderen Menschen in der Provinz auch.

Der Beschwerdeführer habe in Österreich weiters seinen Wohnsitz gewechselt und dies dem Rechtsvertreter nicht bekannt gegeben. Nach Auskunft eines Freundes dürfte er sich in einer (namentlich genannten) Gemeinde aufhalten und einer Saisonbeschäftigung nachgehen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger der Republik Irak, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum schiitisch-moslemischen Glauben. Seine Muttersprache ist Arabisch (vgl Erstbefragung vom 26.09.2015; als unbedenklich eingestufte Kopie des irakischen Reisepasses; Angaben Beschwerdeführer, Niederschrift Bundesamt vom 26.07.2017, S 3 f).

Der Beschwerdeführer reiste am 17.09.2015 auf dem Luftweg von Al-Najaf/Irak legal nach Istanbul/Türkei aus. Von der Türkei reiste der Beschwerdeführer in weiterer Folge schlepperunterstützt mit einem Schlauchboot nach Griechenland und von dort weiter mit verschiedenen Verkehrsmitteln oder zu Fuß über Nordmazedonien und Serbien nach Kroatien ein. Von Kroatien aus wurde der Beschwerdeführer von den Behörden nach Ungarn überstellt, von wo aus der Beschwerdeführer zu Fuß illegal in das Bundesgebiet einreiste und in weiterer Folge am 26.09.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte (vgl Einreise- und Ausreisestempel in der Kopie des Reisepasses des Beschwerdeführers; darüber hinaus Angaben Beschwerdeführer, Erstbefragung vom 26.09.2015, S 3 f; Angaben Beschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt, vom 26.07.2017, S 3 f).

Der Beschwerdeführer ist seit 2012 mit einer irakischen Staatsangehörigen sowohl standesamtlich als auch traditionell verheiratet und hat mit seiner Ehegattin zwei minderjährige Kinder (einen Sohn und eine Tochter). Die Ehegattin und die Kinder leben nach wie vor im Irak. Der Beschwerdeführer ist gesund, bedarf keiner medizinischen Behandlung und ist arbeitsfähig. Der Beschwerdeführer ist in XXXX/Provinz Dhi Qar geboren, stammt aber aus der Stadt Najaf/Provinz An-Najaf und hat dort zwölf Jahre Schulbildung mit Matura 2009 abgeschlossen. Danach hat er eine Computerausbildung absolviert und von etwa 2009 bis zur Ausreise 2015 als Telefonverkäufer mit Reparaturservice sowohl in Najaf als auch in Bagdad gearbeitet. Nebenher hat der Beschwerdeführer in Najaf und Bagdad Medien studiert, dass Studium aber nicht abgeschlossen (vgl aktenkundige Kopie der Heiratsurkunde des Beschwerdeführers sowie der irakischen Personalausweise seiner Kinder; Angaben Beschwerdeführer, Erstbefragung vom 26.09.2015, S 1 ff; Angaben Beschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt, vom 26.07.2017, S 2 ff; Beschwerdevorbringen vom 30.10.2017, S 2).

Neben der Ehegattin und den beiden Kindern des Beschwerdeführers leben auch noch seine beiden Eltern sowie die sechs Schwestern des Beschwerdeführers in Najaf. Der Beschwerdeführer lebte bis zu seiner Ausreise im Haus der Eltern in Najaf, welches sich in deren Eigentum befindet, und zeitweise auch arbeitsbedingt in Bagdad. Der Vater ist Ingenieur und Amtsleiter im Ministerium für Bau in Najaf. Drei seiner Schwestern sind bereits verheiratet und jeweils als Angestellte berufstätig. Die drei anderen Schwestern studieren noch. Der Beschwerdeführer hat mit seinen Angehörigen im Irak etwa zwei Mal pro Woche über das Internet Kontakt (vgl Angaben Beschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt, vom 26.07.2017, S 4).

Der Beschwerdeführer weist im Zentralen Melderegister nachfolgende Wohnsitzmeldungen auf (vgl Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 15.04.2019):

-

22.10.2015-12.07.2017 Hauptwohnsitz

-

12.07.2017-02.07.2018 Hauptwohnsitz

-

02.07.2018-08.10.2018 Hauptwohnsitz

-

08.10.2018-laufend Hauptwohnsitz

Der Beschwerdeführer lebt im Bundesgebiet von der Grundversorgung (vgl Grundversorgungsdatenauszug vom 15.04.2019). Er konnte bisher zweimal einer kurzfristigen sozialversicherungspflichtigen Saisonarbeit im Zeitraum 12.02.2018 bis 02.03.2018 sowie von 15.10.2018 bis 17.10.2018 jeweils als Arbeiter nachgehen (vgl Sozialversicherungsdatenauszug vom 15.04.2019; Vorbringen in der schriftlichen Stellungnahme vom 03.04.2019) und hat im Zeitraum von 01.05.2016 bis 12.07.2017 in seiner Asylunterkunft freiwillig und unentgeltlich Hilfstätigkeiten wie Auf- und Abbauarbeiten oder Rasenpflege geleistet (vgl aktenkundige Bestätigung des Österreichischen Roten Kreuzes vom 24.07.2017). Der Beschwerdeführer verfügt über einen abgeschlossenen Deutschkurs auf Niveau A1/Teil 2 (vgl aktenkundige Teilnahmebestätigung der Volkshochschule vom 09.02.2017), ein Deutschzertifikat auf Niveau A1 (vgl aktenkundiges ÖIF-Prüfungszeugnis vom 17.02.2017) und hat darüber hinaus in der Flüchtlingsunterkunft an Deutschförderstunden im Zeitraum 30.10.2015 bis 01.08.2016 im Ausmaß von 160 Stunden (vgl aktenkundige Bestätigung des Österreichischen Roten Kreuzes vom 19.08.2016) teilgenommen. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer über maßgebliche Deutschkenntnisse verfügt. Am 28.10.2016 hat er am Werte- und Orientierungskurs des ÖIF teilgenommen (vgl aktenkundige Bestätigung des ÖIF vom 28.10.2016). Dass sich der Beschwerdeführer im Entscheidungszeitpunkt nach wie vor ehrenamtlich oder in Vereinen engagiert oder eine Ausbildung macht, konnte hingegen nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer hat bereits auf Grund seiner Aufenthaltsdauer ein Privatleben im Bundesgebiet. Hingegen liegen keinerlei familiäre Bezüge vor (vgl Angaben Beschwerdeführer, Erstbefragung vom 26.09.2015, S 1 ff; Angaben Beschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 26.07.2017, S 2 ff).

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten (vgl Einsicht in das Strafregister vom 15.04.2019). Seitens der Staatsanwaltschaft XXXX wurde jedoch am XXXX.03.2019 im Verfahren zur Zahl XXXX gegen den Beschwerdeführer wegen des Vergehen des schweren Diebstahls von Wertgegenständen in einem EUR 5.000,-- übersteigenden Gesamtwert gemäß §§ 127, 128 Abs. 1 Z 5 StGB zum Nachteil von zwei Personen sowie des Vergehens der gefährlichen Drohung gemäß § 107 Abs. 1 StGB ein Strafantrag erhoben (vgl aktenkundiger Strafantrag vom XXXX.03.2019 sowie Verständigung gemäß § 30 Abs. 5 BFA-VG vom XXXX.03.2019).

Insgesamt konnten jedoch keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration in sprachlicher, gesellschaftlicher und beruflicher Hinsicht festgestellt werden.

Weder der Beschwerdeführer noch seine Familienangehörigen im Irak hatten Probleme mit staatlichen Behörden, Gerichten oder der Polizei, es ist gegen ihn kein Gerichtsverfahren anhängig, er ist kein Mitglied einer Partei bzw. einer parteiähnlichen Organisation und hatte auch weder aufgrund seiner Volksgruppen- noch Religionszugehörigkeit im Irak Probleme (vgl Angaben Beschwerdeführer, Erstbefragung vom 26.09.2015, S 5; Angaben Beschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 26.07.2017, S 4 ff).

Ein konkreter Anlass für sein (fluchtartiges) Verlassen des Herkunftsstaates konnte nicht festgestellt werden. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung ausgesetzt ist oder, dass Gründe vorliegen, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

Zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak:

Zur allgemeinen Lage im Irak werden die vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Irak mit Stand Dezember 2018 sowie die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 28.02.2019 bzw. von ACCORD vom 27.02.2019 auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum endgültigen Gegenstand dieses Erkenntnisses erhoben.

Dazu ist bezogen auf den Beschwerdeführer festzuhalten:

"[...]

1. Allgemeine Sicherheitslage:

1.1. Allgemeine Sicherheitslage und Islamischer Staat (IS):

Die allgemeine Sicherheitslage im Irak war seit Oktober 2016 von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, im Genaueren nichtstaatlichen bewaffneten Milizen, den sogenannten Peshmerga der kurdischen Regionalregierung sowie ausländischen Militärkräften, auf der einen Seite und den bewaffneten Milizen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) auf der anderen Seite um die Kontrolle der - im Zentrum des seit Sommer 2014 bestehenden Machtbereichs des IS gelegenen - Hauptstadt Mossul der Provinz Ninava gekennzeichnet. Diesen Kämpfen ging die sukzessive Zurückdrängung des IS aus den zuvor ebenfalls von ihm kontrollierten Gebieten innerhalb der Provinzen Anbar, Diyala und Salah al-Din im Zentral- und Südirak voraus. Die kriegerischen Ereignisse im Irak seit 2014 brachten umfangreiche Flüchtlingsbewegungen aus den umkämpften Gebieten in andere Landesteile sowie umgekehrt Rückkehrbewegungen in befreite Landesteile mit sich. Zahlreiche nationale und internationale Hilfsorganisationen unter der Ägide des UNHCR versorgen diese Binnenvertriebenen in Lagern und Durchgangszentren, mit Schwerpunkten in den drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, in sowie um Bagdad sowie im Umkreis von Kirkuk, im Hinblick auf ihre elementaren Lebensbedürfnisse sowie deren Dokumentation und Relokation, ein geringer Anteil der Vertriebenen sorgt für sich selbst in gemieteten Unterkünften und bei Verwandten und Bekannten. Vor dem Hintergrund einer längerfristigen Tendenz unter den Binnenvertriebenen zur Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete waren mit 31.03.2018 noch ca. 2,2 Mio. (seit 2014) Binnenvertriebene innerhalb des Iraks registriert, diesen standen wiederum ca. 3,6 Mio. Zurückgekehrte gegenüber. Ca. 90% der bis Ende März 2018 in ihre Herkunftsregion zurückgekehrten ca. 124.000 Binnenvertriebenen stammten aus den Provinzen Anbar, Kirkuk, Ninava und Salah al-Din, 107.000 kehrten alleine in die Provinz Ninava, ca. 77.000 in den Bezirk Mossul zurück.

Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), sowie mit Unterstützung alliierter ausländischer Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines "Kalifats" in der Stadt Mossul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze westlich von Mossul. Ab November 2016 wurden sukzessive die Umgebung von Mossul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mossul eingekesselt. Der IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mossul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mossul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tel Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste seines früheren Herrschaftsgebiets im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk. Mit Beginn des Dezember 2017 musste der IS seine letzten territorialen Ansprüche innerhalb des Iraks aufgeben, am 01.12.2017 erklärte Premier Abadi den gesamtem Irak für vom IS befreit.

Im Zuge der Rückeroberungen von IS-Gebieten (IS: sogenannter Islamischer Staat) werden weiterhin Massengräber gefunden. Zuletzt wurde in der Nähe der Militärbasis al-Bakara etwa drei Kilometer vor der Stadt Hawija ein Grab mit mindestens 400 Toten (mutmaßlichen IS-Opfern) entdeckt (MOI 3.11.2017; Standard 11.11.2017). Umgekehrt treten weitere Berichte von Racheakten von Seiten der Befreier zutage, laut Nahostexpertin Gudrun Harrer scheint der Zyklus der Gewalt mit dem Sieg über den IS nicht unterbrochen (Harrer 24.11.2017). Mehr als 3,1 Millionen Iraker (die überwältigende Mehrheit Sunniten) sind weiterhin Vertriebene. Weitere 2,3 Millionen sind in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. Für den Wiederaufbau ihrer Städte erhielten die Sunniten nicht viel Hilfe von der Zentralregierung, die sich mehr auf die Bekämpfung/Zurückdrängung des IS und zuletzt der Kurden konzentrieren (NYTimes 26.10.2017).

Ab dem 03.11.2017 mit Stand 17.11.2017 wurden die drei letzten irakischen Städte, die sich noch unter der Kontrolle des IS befanden, Al-Qaim, Ana und Rawa (alle drei im Westen des Landes) von den irakischen Streitkräften zurückerobert. Laut der US-geführten Koalition zur Bekämpfung des IS hat dieser nun 95 Prozent jener irakischen und syrischen Territorien verloren, welches er im Jahr 2014 als Kalifat ausgerufen hatte (Telegraph 17.11.2017; IFK 60.11.2017). Das Wüstengebiet nördlich der drei Städte bleibt vorerst weiterhin IS-Terrain. Die Gebiete rund um Kirkuk und Hawija gehören zu jenen Gebieten, bei denen das Halten des Terrains eine große Herausforderung darstellt. (MEE 16.11.2017; Reuters 05.11.2017; BI 13.11.2017). Es stellt sich auch die Frage, wo sich jene IS-Kämpfer aufhalten, die, nicht getötet wurden oder die nicht in Gefängnissen sitzen (alleine in Mossul gab es vor der Rückeroberung 40.000 IS-Kämpfer). Viele sind in die Wüste geflohen oder in der Zivilbevölkerung untergetaucht. Es gab es auch umstrittene Arrangements, die den Abzug von IS-Kämpfern und ihren Familien erlaubten. Der IS ist somit nicht verschwunden, nur sein Territorium (Harrer 24.11.2017).

Seit der IS Offensive im Jahr 2014 ist die Zahl der Opfer im Irak nach wie vor nicht auf den Wert der Zeit zwischen 2008 - 2014 zurückgegangen, in der im Anschluss an den konfessionellen Bürgerkrieg 2006-2007 eine Phase relativer Stabilität einsetzte (MRG 10.2017; vgl. IBC 23.11.2017). Von dem Höchstwert von 4.000 zivilen Todesopfern im Juni 2014 ist die Zahl 2016 [nach den Zahlen von Iraq Body Count] auf 1.500 Opfer pro Monat gesunken; dieser sinkende Trend setzt sich im Jahr 2017 fort (MRG 10.2017). Nach den von Joel Wing dokumentierten Vorfällen, wurden in den Monaten August, September und Oktober 2017 im Irak 2.988 Zivilisten getötet (MOI 09.-11.2017).

Seitdem der IS Ende 2017 das letzte Stück irakischen Territoriums verlor, hat er drei Phasen durchlaufen: Zunächst kam es für einige Monate zu einer Phase remanenter Gewalt; dann gab es einen klaren taktischen Wandel, weg von der üblichen Kombination aus Bombenanschlägen und Schießereien, zu einem Fokus auf die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes. Die Kämpfer formierten sich neu und im Zuge dessen kam es zu einem starken Rückgang an Angriffen. Jetzt versucht der IS, die Kontrolle über die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes und über Grenzgebiete zurückzuerlangen. Gleichzeitig verstärkt er die direkte Konfrontation mit den Sicherheitskräften (Joel Wing 3.7.2018). Im September 2018 fanden die IS-Angriffe wieder vermehrt in Bagdad statt und es ist eine Rückkehr zu Selbstmordanschlägen und Autobomben feststellbar (Joel Wing 6.10.2018).

Mit Stand Oktober 2018 waren Einsätze der irakischen Sicherheitskräfte gegen IS-Kämpfer in den Provinzen Anbar, Ninewa, Diyala und Salah al-Din im Gang. Ziel war es, den IS daran zu hindern sich wieder zu etablieren und ihn von Bevölkerungszentren fernzuhalten. Irakische Beamte warnen vor Bemühungen des IS, Rückzugsorte in Syrien für die Infiltration des Irak zu nutzen. Presseberichte und Berichte der US-Regierung sprechen von anhaltenden IS-Angriffen, insbesondere in ländlichen Gebieten von Provinzen, die vormals vom IS kontrolliert wurden (CRS 4.10.2018; vgl. ISW 2.10.2018, Atlantic 31.8.2018, Jamestown 28.7.2018, Niqash 12.7.2018). In diesen Gebieten oder in Gebieten, in denen irakische Sicherheitskräfte abwesend sind, kommt es zu Drohungen, Einschüchterungen und Tötungen durch IS-Kämpfer, vor allem nachts (CRS 4.10.2018).

Es gibt immer häufiger Berichte über Menschen, die aus Dörfern in ländlichen Gebieten, wie dem Bezirk Khanaqin im Nordosten Diyalas, fliehen. Ortschaften werden angegriffen und Steuern vom IS erhoben. Es gibt Gebiete, die in der Nacht No-go-Areas für die Sicherheitskräfte sind und IS-Kämpfer, die sich tagsüber offen zeigen. Dies geschieht trotz ständiger Razzien durch die Sicherheitskräfte, die jedoch weitgehend wirkungslos sind (Joel Wing 6.10.2018).

Die Extremisten richten auch falsche Checkpoints ein, an denen sie sich als Soldaten ausgeben, Autos anhalten und deren Insassen entführen, töten oder berauben (Niqash 12.7.2018; vgl. WP 17.7.2018).

Das Hauptproblem besteht darin, dass es in vielen dieser ländlichen Gebiete wenig staatliche Präsenz gibt und die Bevölkerung eingeschüchtert wird (Joel Wing 6.10.2018). Sie kooperiert aus Angst nicht mit den Sicherheitskräften. Im vergangenen Jahr hat sich der IS verteilt und in der Zivilbevölkerung verborgen. Kämpfer verstecken sich an den unzugänglichsten Orten: in Höhlen, Bergen und Flussdeltas. Der IS ist auch zu jenen Taktiken zurückgekehrt, die ihn 2012 und 2013 zu einer Kraft gemacht haben: Angriffe, Attentate und Einschüchterungen, besonders nachts. In den überwiegend sunnitischen Provinzen, in denen der IS einst dominant war (Diyala, Salah al-Din und Anbar), führt die Gruppe nun wieder Angriffe von großer Wirkung durch (Atlantic 31.8.2018).

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert (CRS 4.10.2018; vgl. MIGRI 6.2.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv, die Sicherheitslage ist veränderlich (CRS 4.10.2018).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.2.2018).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.2.2018). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (MIGRI 6.2.2018).

1.2. Allgemeine Sicherheitslage in Kurdistan:

Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich Dohuk, Erbil und Suleimaniya, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Am 25.09.2017 hielt die kurdische Regionalregierung ein Referendum für eine mögliche Unabhängigkeitserklärung der Autonomieregion mitzustimmendem Ausgang ab. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt Kirkuk.

Das Verhältnis der Zentralregierung zur kurdischen Autonomieregion, die einen semi-autonomen Status innehat, hat sich seit der Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums in der Autonomieregion und einer Reihe zwischen Bagdad und Erbil umstrittener Gebiete am 25. September 2017 deutlich verschlechtert (AA 12.2.2018). Die Kurden konnten das von ihnen kontrollierte Territorium im Irak in Folge der Siege gegen den IS zunächst ausdehnen. Mit dem Referendum am 25.9.2017 versuchte die kurdische Regional-Regierung unter Präsident Masud Barzani, ihren Anspruch auch auf die von ihr kontrollierten Gebiete außerhalb der drei kurdischen Provinzen zu bekräftigen und ihre Verhandlungsposition gegenüber der Zentralregierung in Bagdad zu stärken (BPB 24.1.2018).

Bagdad reagierte mit der militärischen Einnahme eines Großteils der umstrittenen Gebiete, die während des Kampfes gegen den IS von kurdischen Peshmerga übernommen worden waren, angefangen mit der ölreichen Region um Kirkuk (AA 12.2.2018). Die schnelle militärische Rückeroberung der umstrittenen Gebiete durch die irakische Armee, einschließlich der Erdöl- und Erdgasfördergebiete um Kirkuk, mit massiver iranischer Unterstützung, bedeutete für die kurdischen Ambitionen einen Dämpfer. Präsident Barzani erklärte als Reaktion darauf am 29.10.2017 seinen Rücktritt. Der kampflose Rückzug der kurdischen Peshmerga scheint auch auf zunehmende Differenzen zwischen den kurdischen Parteien hinzudeuten (BPB 24.1.2018).

Grundlegende Fragen wie Öleinnahmen, Haushaltsfragen und die Zukunft der umstrittenen Gebiete sind weiterhin ungelöst zwischen Bagdad und der kurdischen Autonomieregion (AA 12.2.2018).

Im Dezember 2017 forderte die gewaltsame Auflösung von Demonstrationen gegen die Regionalregierung in Sulaymaniya mehrere Todesopfer. Daraufhin hat sich die Oppositionspartei Gorran aus dem kurdischen Parlament zurückgezogen (BPB 24.1.2018). In der Autonomieregion gehen die Proteste schon auf die Zeit gleich nach 2003 zurück und haben seitdem mehrere Phasen durchlaufen. Die Hauptforderungen der Demonstranten sind jedoch gleich geblieben und drehen sich einerseits um das Thema Infrastrukturversorgung und staatliche Leistungen (Strom, Wasser, Bildung, Gesundheitswesen, Straßenbau, sowie die enormen Einkommensunterschiede) und andererseits um das Thema Regierungsführung (Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruption) (LSE 4.6.2018).

Am 30.9.2018 fanden in der kurdischen Autonomieregion Wahlen zum Regionalparlament statt (Tagesschau 30.9.2018). Mit einer Verzögerung von drei Wochen konnte die regionale Wahlkommission am 20.10.2018 die Endergebnisse veröffentlichen. Zahlreiche Parteien hatten gegen die vorläufigen Ergebnisse Widerspruch eingelegt. Gemäß der offiziellen Endergebnisse gewann die KDP mit 686.070 Stimmen (45 Sitze), vor der PUK mit 319.912 Stimmen (21 Sitze) und Gorran mit

186.903 Stimmen (12 Sitze) (ANF 21.10.2018; vgl. Al Jazeera 21.10.2018, RFE/RL 21.10.2018). Die Oppositionsparteien lehnen die Abstimmungsergebnisse ab und sagen, dass Beschwerden über den Wahlbetrug nicht gelöst wurden (Al Jazeera 21.10.2018).

Eine Einreise in die Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist aktuell aus Österreich auf dem Luftweg ausgehend vom Flughafen Wien via Amman und via Dubai nach Erbil und auf indirektem Weg via Bagdad möglich.

1.3. Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen:

Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte vorerst eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte. Aktuell sind im Gefolge der Vertreibung des IS aus seinem früheren Herrschaftsgebiet im Irak keine maßgeblichen sicherheitsrelevanten Ereignisse bzw. Entwicklungen für die Region bekannt.

Der gesamte südliche Teil des Irak, einschließlich der Provinz Babil, steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Vielerorts scheinen die Regierungsbehörden gegenüber lokalen Stämmen und Milizen noch immer in einer schwächeren Position zu sein. Die irakische Regierung war gezwungen, dem Kampf gegen den IS im Zentral- und Nordirak in den letzten Jahren Vorrang einzuräumen und bedeutende militärische und polizeiliche Ressourcen aus dem Süden abzuziehen und in diese Gegenden zu entsenden. Vor diesem Hintergrund sind Stammeskonflikte, eskalierende Gesetzlosigkeit und Kriminalität ein Problem der lokalen Sicherheitslage. Die Bemühungen der Regierung, die Kontrolle wieder zu übernehmen, scheinen noch nicht zum entscheidenden Erfolg geführt zu haben. Regierungsnahe Milizen sind in unterschiedlichem Maße präsent, aber der Großteil ihrer Kräfte wird im Norden eingesetzt. Terrorismus und Terrorismusbekämpfung spielen im Süden nach wie vor eine Rolle, insbesondere in Babil, aber im Allgemeinen in geringerem Maße als weiter im Norden. Noch immer gibt es vereinzelte Terroranschläge (Landinfo 31.5.2018).

In der Provinz Basra kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen bewaffneter Gruppierungen. In Basra und den angrenzenden Provinzen besteht ebenfalls das Risiko von Entführungen (AA 1.11.2018).

Seit 2015 finden in allen Städten des Südirak regelmäßig Demonstrationen statt, um gegen die Korruption der Regierung und die Arbeitslosigkeit zu protestieren und eine bessere Infrastruktur zu fordern. Gewöhnlich finden diese Demonstrationen in Ruhe statt, sie haben jedoch auch schon zu Zusammenstößen mit der Polizei geführt, zu Verletzten und Toten (CEDOCA 28.2.2018). Dies war auch im Juli und September 2018 der Fall, als Demonstranten bei Zusammenstößen mit der Polizei getötet wurden (Al Jazeera 16.7.2018; vgl. Joel Wing 5.9.2018, AI 7.9.2018).

1.4. Sicherheitslage Nord- und Zentralirak:

In den Provinzen Ninewa und Salah al-Din muss weiterhin mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem IS und irakischen Sicherheitskräften gerechnet werden. Diese Gefährdungslage gilt ebenfalls für die Provinz Anbar und die Provinz Ta'mim (Kirkuk), sowie auch für die Provinz Diyala. Hinzu kommen aktuelle Spannungen zwischen irakischen Streitkräften und kurdischen Peshmerga (AA 1.11.2018).

Mit dem Zuwachs und Gewinn an Stärke von lokalen und sub-staatlichen Kräften, haben diese auch zunehmend Verantwortung für die Sicherheit, politische Steuerung und kritische Dienstleistungen übernommen. Infolgedessen ist der Nord- und Zentralirak, obgleich nicht mehr unter der Kontrolle des IS, auch nicht unter fester staatlicher Kontrolle. Die Fragmentierung der Macht und die große Anzahl an mobilisierten Kräften mit widersprüchlichen Loyalitäten und Programmen stellt eine erhebliche Herausforderung für die allgemeinen Stabilität dar (GPPI 3.2018).

Der Zentralirak ist derzeit der wichtigste Stützpunkt für den IS. Die Gewalt dort nahm im Sommer 2018 zu, ist aber inzwischen wieder gesunken. In der Provinz Diyala beispielsweise fiel die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle von durchschnittlich 1,7 Vorfällen pro Tag im Juni 2018 auf 1,1 Vorfälle im Oktober 2018. Auch in der Provinz Salah al-Din kam es im Juni 2018 zu durchschnittlich 1,4 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Tag, im Oktober jedoch nur noch zu 0,5. Die Provinz Kirkuk verzeichnete im Oktober 2018 einen Anstieg an sicherheitsrelevanten Vorfällen, mit durchschnittlich 1,5 Vorfällen pro Tag, die höchste Zahl seit Juni 2018. Die Anzahl der Vorfälle selbst ist jedoch nicht so maßgeblich wie die Art der Vorfälle und die Schauplätze an denen sie ausgeübt werden. Der IS ist in allen ländlichen Gebieten der Provinz Diyala, in Süd-Kirkuk, Nord- und Zentral-Salah-al-Din tätig. Es gibt regelmäßige Angriffe auf Städte; Zivilisten und Beamte werden entführt; Steuern werden erhoben und Vergeltungsmaßnahmen gegen diejenigen ausgeübt, die sich weigern zu zahlen; es kommt auch regelmäßige zu Schießereien. Es gibt immer mehr Berichte über IS-Mitglieder, die sich tagsüber im Freien bewegen und das Ausmaß ihrer Kontrolle zeigen. Die Regierung hat in vielen dieser Gegenden wenig Präsenz und die anhaltenden Sicherheitseinsätze sind ineffektiv, da die Kämpfer ausweichen, wenn die Einsätze im Gang sind, und zurückkehren, wenn sie wieder beendet sind. Der IS verfügt derzeit über eine nach außen hin expandierende Kontrolle in diesen Gebieten (Joel Wing 2.11.2018).

1.5. Sicherheitslage im Großraum Bagdad:

1.5.1. Sicherheitslage im Großraum Bagdad im Allgemeinen

Die Provinz Bagdad ist die kleinste und am dichtesten bevölkerte Provinz des Irak, mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit der Provinz wird sowohl vom "Baghdad Operations Command" kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst zieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt durch die oben genannten Ereignisse im Zusammenhang mit der Bekämpfung des IS im Zentralirak. Im Laufe der Jahre 2016 und 2017 kam es jedoch im Stadtgebiet von Bagdad zu mehreren Anschlägen bzw. Selbstmordattentaten auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern, die sich, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS, gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden.

Im Jahr 2016 verzeichnete die Provinz Bagdad noch immer die höchste Zahl an Opfern im gesamten Land. Die Sicherheitslage verbesserte sich jedoch in Bagdad als die Schlacht um Mossul begann. Während Joel Wing im Januar 2016 in Bagdad noch durchschnittlich 11,6 Angriffe pro Tag verzeichnete, sank diese Zahl zwischen April und September 2017 auf durchschnittlich 3 Angriffe pro Tag (OFPRA 10.11.2017; vgl. Joel Wing 8.7.2017, Joel Wing 4.10.2017). Seit 2016 ist das Ausmaß der Gewalt in Bagdad allmählich zurückgegangen. Es gab einen Rückgang an IS- Aktivität, nach den Vorstößen der irakischen Truppen im Nordirak, obwohl der IS weiterhin regelmäßig Angriffe gegen militärische und zivile Ziele durchführt, insbesondere, aber nicht ausschließlich, in schiitischen Stadtvierteln. Darüber hinaus sind sunnitische Bewohner der Gefahr von Übergriffen durch schiitische Milizen ausgesetzt, einschließlich Entführungen und außergerichtlichen Hinrichtungen (OFPRA 10.11.2017).

Terroristische und politisch motivierte Gewalt setzte sich das ganze Jahr 2017 über fort. Bagdad war besonders betroffen. UNAMI berichtete, dass es von Januar bis Oktober 2017 in Bagdad fast täglich zu Angriffen mit improvisierten Sprengkörpern kam. Laut UNAMI zielten einige Angriffe auf Regierungsgebäude oder Checkpoints ab, die von Sicherheitskräften besetzt waren, während viele andere Angriffe auf Zivilisten gerichtet waren. Der IS führte Angriffe gegen die Zivilbevölkerung durch, einschließlich Autobomben- und Selbstmordattentate (USDOS 20.4.2018).

Laut Joel Wing kam es im Januar 2018 noch zu durchschnittlich 3,3 sicherheitsrelevanten Vorfällen in Bagdad pro Tag, eine Zahl die bis Juni 2018 auf durchschnittlich 1,1 Vorfälle pro Tag sank (Joel Wing 3.7.2018). Seit Juni 2018 ist die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Bagdad langsam wieder auf 1,5 Vorfälle pro Tag im Juli, 1,8 Vorfälle pro Tag im August und 2,1 Vorfälle pro Tag im September gestiegen. Diese Angriffe bleiben Routine, wie Schießereien und improvisierte Sprengkörper und konzentrieren sich hauptsächlich auf die äußeren südlichen und nördlichen Gebiete der Provinz (Joel Wing 6.10.2018).

Insgesamt kam es im September 2018 in der Provinz Bagdad zu 65 sicherheitsrelevanten Vorfällen. Damit verzeichnete Bagdad die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im ganzen Land (Joel Wing 6.10.2018). Auch in der ersten und dritten Oktoberwoche 2018 führte Bagdad das Land in Bezug auf die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle an. Wenn man jedoch die Größe der Stadt bedenkt, sind Angriffe immer noch selten (Joel Wing 9.10.2018 und Joel Wing 30.10.2018).

In Bezug auf die Opferzahlen war Bagdad von Januar bis März 2018, im Mai 2018, sowie von Juli bis September 2018 die am schwersten betroffene Provinz im Land (UNAMI 1.2.2018; UNAMI 2.3.2018; UNAMI 4.4.2018; UNAMI 31.5.2018; UNAMI 1.8.2018; UNAMI 3.9.2018; UNAMI 1.10.2018). Im September 2018 verzeichnete UNAMI beispielsweise 101 zivile Opfer in Bagdad (31 Tote, 70 Verletzte) (UNAMI 1.10.2018).

Bagdad hat eine höhere Kriminalitätsrate als jede andere Stadt des Landes. Hauptverantwortlich dafür sind der schwache staatliche Sicherheitsapparat sowie die schwache Exekutive. Seit dem Krieg gegen den IS verblieb in Bagdad aufgrund von Militäreinsätzen in anderen Teilen des Landes phasenweise nur eine geringe Zahl an Sicherheitspersonal. Da große Teile der Armee im Sommer 2014 abtrünnig wurden, sind zum Wiederaufbau der Armee mehrere Jahre nötig. Gleichzeitig erschienen bewaffnete Gruppen, vor allem Milizen mit Verbindungen zu den 'Popular Mobilization Forces' (PMF), auf der Bildfläche, mit divergierenden Einflüssen auf die Stabilität der Stadt. Der Zusammenbruch der Armee führte zusätzlich zu einem verstärkten Zugang und zu einer größeren Verfügbarkeit von Waffen und Munition. Dazu kommt die Korruption, die in allen Einrichtungen des Sicherheitsapparates und der Exekutive herrscht. Trotz dieser Probleme gibt es aktuell eine Verbesserung der Situation, die sich auch auf die Meinung der Bewohner über den irakischen Gesetzesvollstreckungsapparat auswirkt. Obwohl konfessionell bedingte Gewalt in Bagdad existiert, ist die Stadt nicht in gleichem Ausmaß in die Spirale der konfessionellen Gewalt des Bürgerkriegs der Jahre 2006-2007 geraten. Stattdessen kommt es zu einem Anstieg der Banden-bedingten Gewalt (Bandenkriege), die meist finanziell motiviert sind, in Kombination mit Rivalitäten zwischen Sicherheitskräften/-akteuren (MRG 10.2017).

Kidnappings und Entführungen kommen überall in Bagdad vor, unterscheiden sich aber in Häufigkeit und Art der Opfer. Man kann generell zwischen finanziell motivierten Entführungen und denen, die politisch oder persönlich motiviert sind, unterscheiden. Während erstere von kriminellen Gangs begangen werden, werden die politisch oder persönlich motivierten von bewaffneten Gruppen oder Individuen ausgeführt. Geschätzte 65-75 Prozent können als kriminelle Akte kategorisiert werden, während zwischen einem Viertel und einem Drittel als politisch oder als Folge von persönlichen Auseinandersetzungen gesehen werden können. Die zentralen und relativ wohlhabenden Bezirke Karkh und Rusafa zeigen die höchsten Zahlen an Kidnappings und sind für etwa die Hälfte der dokumentierten Fälle des gesamten Gouvernements verantwortlich (MRG 10.2017).

Berichten zufolge setzen schiitische Milizen Kidnappings und Erpressungen als einkommensgenerierende Aktivitäten ein. Während es sich dabei um einen kriminellen Akt handelt, kann zusätzlich auch ein politisches oder religiöses Motiv dahinterstehen. Milizen haben z. B. Mitglieder anderer Gruppen entführt und verschleppt. Opfer der von den Gruppen durchgeführten Kidnappings sind tendenziell eher Sunniten als Schiiten. Es ist auch häufig, dass Milizen Kidnappings in Gegenden, die nicht unter ihrer eigenen Kontrolle stehen, ausführen, etwa um ihre Reputation in den von ihnen kontrollierten Gebieten nicht aufs Spiel zu setzen (MRG 10.2017).

Da es zu Protesten in der Bevölkerung kam, und zu Forderungen an den Staat, Maßnahmen zu ergreifen, wurde in den letzten zwei Jahren das Thema Kidnappings in der Öffentlichkeit diskutiert. Immer wieder kam es zu Wellen von Entführungen, die gegen bestimmte Professionen und Gruppen der Gesellschaft gerichtet waren.

Die Fälle von Entführungen haben Regierung und Sicherheitsdienste gezwungen, sich aktiver diesem Problem zu widmen. In vergangenen Jahren, sowie auch in den Jahren 2006-2007, war die Exekutive beinahe gänzlich außerstande, mit dieser Art der Gewalt umzugehen. Heute spricht Premierminister Abadi, der sich manchmal persönlich in Fälle involviert, lautstark über die Bedenken der Bevölkerung, und unternimmt Schritte, um die Kapazitäten der Gesetzesvollstreckung auszuweiten (MRG 10.2017).

Schießereien mit Handfeuerwaffen sind in und rund um die Provinz Bagdad verbreitet, wobei dabei insbesondere die Bezirke Karkh, Rusafa und Adhamiya und dabei insbesondere auch Zivilisten betroffen sind. Hingegen betreffen Vorfälle mit Handfeuerwaffen im ‚Bagdad Belt' üblicherweise Sicherheitsdienste wie die Iraqi Security Forces (ISF) und Mitglieder von sunnitischen und schiitischen Milizen, und finden meistens bei Kontrollpunkten statt. Dies kann man in Abu Ghraib, Mahmudiya und Tarmiya beobachten. Diese Gebiete verzeichnen auch eine große Anzahl an Schießereien in Verbindung mit stammesbezogenen Auseinandersetzungen (MRG 10.2017).

Konfessionalismus und Diskriminierung sind weiterhin ein weit verbreitetes Phänomen in Bagdad, wenn sie auch nicht dasselbe Ausmaß an Gewalt erreicht haben, der während des konfessionellen Krieges in den Jahren 2006-2007 dokumentiert wurde. Entgegen der Erwartungen hat die Ausbreitung des IS ab 2014 zu einem geringeren Ausmaß an Gewalt geführt als während des konfessionellen Krieges 2006-2007. Terrorattacken des IS in Bagdad führen zu Vergeltungsmaßnahmen gegen sunnitische Zivilisten, die vorwiegend von schiitischen Milizen begangen werden. Diese beinhalten Kidnappings, Ermordungen sowie ungesetzlichen Freiheitsentzug. Dennoch ist der offensichtlichere Konfessionalismus - bei dem sunnitische Bewohner Kontrollpunkte nicht passieren konnten ohne namentlich aufgerufen zu werden und manchmal schikaniert oder festgenommen wurden - heute relativ selten.

Dies trifft allerdings nicht auf sunnitische Internvertriebene (IDPs) zu, die in der Provinz Bagdad regelmäßig diskriminiert werden. Nachdem der IS in großen Teilen von Anbar und Salah al-Din die Macht ergriffen hatte, flohen Tausende nach Bagdad. In vielen Fällen war es ihnen von vorne herein nie gestattet, in die Provinz einzureisen. Die, die es dennoch geschafft haben, berichten von extrem eingeschränkter Reisefreiheit (da Personalausweise aufzeigen in welchem Gouvernement sie ausgestellt wurden), von Schwierigkeiten, als Gebietsfremde des Gouvernements an wesentliche Dokumente zu gelangen, sowie von Schikanen aufgrund des Pauschalverdachts der IS-Zugehörigkeit. Für Internvertriebene besteht, aufgrund fehlender Netzwerke für persönliche Unterstützung, auch ein größeres Risiko, entführt zu werden.

Eine weitere Seite des Konfessionalismus sind Verhaftungen, oft willkürlich, welche meist in Verbindung mit einer Anklage wegen Terrorismus nach Artikel 4 vollzogen werden und beinahe ohne Ausnahme Sunniten betreffen. Diese Festnahmen sind nach Terroranschlägen häufig, wenn Sicherheitsdienste Durchsuchungsaktionen durchführen, um Mitglieder oder Unterstützer des IS ausfindig zu machen (MRG 10.2017).

Kleinere Gemeinschaften, inklusive Minderheiten und solche, die sich in einer Minderheitssituation wiederfinden, stehen unter signifikantem Risiko. Die Anzahl an Christen in Bagdad nimmt unter dieser Bedrohungssituation weiterhin ab, wenn auch kleine christliche Gemeinden in gemischten Bezirken bestehen bleiben; so auch in Karkh und in Karrada und Palästina. Faili-Kurden (schiitische Kurden), einschließlich jener, die in Sadirya und im südlichen Teil Bagdads leben, haben unter Bombenangriffen gelitten und berichten von erhöhten Spannungen, die in Zusammenhang mit dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum stehen. Palästinenser, die vorwiegend in al-Baladiyat leben, sind diesen gezielten Attacken ebenso ausgesetzt und bleiben weiterhin besonders gefährdet (MRG 10.2017).

Die Irakischen Sicherheitskräfte (ISF) werden in Bagdad vom 'Baghdad Operations Command' (BOC) repräsentiert, Geheimdienste und irakische Polizeieinheiten, die im Bagdad Gouvernement agieren, sind dem Verteidigungsministerium unterstellt. Der BOC besteht aus mehreren Brigaden, die der 6., 11. und 17. Abteilung der irakischen Armee angehören, sowie aus spezialisierten Militär- und Polizei-Einheiten, inklusive Bereitschaftspolizei und Schutzeinheiten für Diplomaten. Die irakische Armee ist gemeinsam mit staatlichen und lokalen Polizeieinheiten für die Sicherheit verantwortlich. Zusätzlich zu regulären Sicherheitsfunktionen, sind die ISF gemeinsam mit Einheiten, die in Verbindung zum Innenministerium stehen, für die Überprüfung von Internvertriebenen und Rückkehrern und damit in Zusammenhang stehende Regulierungen zuständig (MRG 10.2017).

Polizeikräfte werden oft als Erweiterung der Badr-Partei gesehen. Darüber hinaus wird das Polizeikorps, abgesehen von Teilen der Staatspolizei, als schwer korrupt erachtet. In wenigen Ausnahmen sind Offiziere der Staatspolizei ehemalige Offiziere der Armee und werden als weniger korrupt und konfessionalistisch gesehen. Die meisten sind allerdings durch politische Einflussnahme und Vereinbarungen verschiedener Parteien an ihre Position gelangt (MRG 10.2017).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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