TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/13 W171 1438365-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.05.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

13.05.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W171 1438365-2/16E

W171 1438364-2/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , beide StA Russische Föderation, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , 1.) XXXX , 2.) XXXX , nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am 20.02.2019 und am 20.03.2019, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF und §§ 52, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Erstbeschwerdeführer (in der Folge: BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und verheiratet. Sie stellten am 23.06.2013 infolge irregulärer Einreise die verfahrensgegenständlichen Anträge auf Gewährung internationalen Schutzes und legten jeweils ihren russischen Inlandspass als Nachweis ihrer Identität vor. Am gleichen Tag wurden die BF vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich erstbefragt. Zum Grund seiner Flucht gab der BF1 an, einer seiner Brüder sei im Jahr 2001 seitens der russischen Armee getötet worden, zwei weitere Brüder seien verschollen; er selbst sei wiederholt festgenommen und im Zuge seiner Anhaltungen misshandelt worden. Die BF2 gab an, zwei ihrer Brüder hätten in Tschetschenien Probleme aufgrund des Vorwurfs der Unterstützung der Widerstandsbewegung. Aus diesem Grund sei auch sie selbst vor die Polizei vorgeladen und verhört worden.

2. Die BF wurden am 28.08.2013 jeweils im Beisein einer Dolmetscherin für die russische Sprache niederschriftlich vor dem nunmehrigen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen.

Der BF1 gab dabei zu seinen Fluchtgründen an, dass zwei jüngere Brüder 2001 an den Kämpfen teilgenommen hätten. Einer sie gefallen, einer spurlos verschwunden. Er selbst sei im Jahr 2001 zwei Mal festgenommen und geschlagen worden. Im Mai des heurigen Jahres (2013) sei er auf dem Weg nach Hause entführt, verhört und geschlagen worden. Auch seine Frau sei wegen ihres Bruders verhört worden. Das sei im Juni 2013 gewesen. Nach dem Verhör der BF2 hätten sie sich getrennt voneinander versteckt.

Die BF2 gab in ihrer Einvernahme an, dass sie vier Brüder und eine Schwester in Tschetschenien habe. Ihr Bruder XXXX habe in Österreich einen Asylantrag gestellt, diesen aber kurze Zeit später zurückgezogen und sei zurückgekehrt. Ihrem Mann sei nachgestellt und ihr Haus beobachtet worden. Ihr Bruder XXXX sei gesucht worden, da vermutet worden sei, dass er XXXX geholfen habe. Sie habe XXXX bei sich versteckt, später sei er nach Österreich geflüchtet. Nach seiner Flucht, möglicherweise im Dezember des Vorjahres, sei ihr Haus durchsucht worden. Im Jänner diesen Jahres sei sie mitgenommen und verhört worden. Nach diesem Verhör sei ihr Bruder zurückgekehrt und geschlagen worden. Sie selbst habe sich nach dem Verhör bis zur Ausreise zuhause aufgehalten und sei arbeiten gegangen. Ihr Mann habe in diesem Jahr keine Probleme gehabt.

3. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom XXXX wurden die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und die Anträge gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG wurden die BF in die Russische Föderation ausgewiesen.

4. Gegen diese Bescheide erhoben die BF fristgerecht Beschwerde.

5. Die BF2 wurde am 29.07.2014 wegen § 288 Abs. 1 und 4 und § 298 Abs. 1 StGB (falsche Beweisaussage, Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.

Der BF1 wurde am 22.10.2014 wegen § 288 Abs. 1 StGB (falsche Beweisaussage) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.

6. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , XXXX und XXXX wurden die bekämpften Bescheide behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das BFA zurückverwiesen.

Begründend wurde ausgeführt, dass der Bruder der BF2, welcher am 13.12.2012 gemeinsam mit seiner Ehefrau im Bundesgebiet einen Asylantrag gestellt hatte, der russischen Sprache nicht ausreichend mächtig sei. Die erstinstanzliche Einvernahme sei daher unter Beiziehung eines Dolmetschers für die tschetschenische Sprache zu wiederholen. Aufgrund Annexität und eng miteinander verwobener Fluchtgründe seien auch die Bescheide betreffend die BF zu beheben.

7. Bei einer Einvernahme vor dem BFA am 03.02.2016 wiederholte die BF2 im Wesentlichen ihre Angaben aus der Einvernahme vom 28.08.2013.

Auch der BF1 wiederholte in seiner Einvernahme am selben Tag seine Angaben vom 28.08.2013.

8. Mit Bescheiden des BFA vom XXXX wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass nicht festgestellt werden könne, dass die BF Tschetschenien bzw. die Russische Föderation aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hätten. Die Angaben der BF seien widersprüchlich und nicht miteinander in Einklang zu bringen. Das Beweisverfahren habe nicht ergeben, dass die BF bei einer allfälligen Rückführung in seinen Herkunftsstaat einer realen Gefahr einer Verletzung von Art 2, Art 3 oder der Protokollnummer 6 oder Nummer 13 zur Konvention der Europäischen Menschenrechte oder einer sonstigen ernsthaften Bedrohung unterliegen würde.

Zum Privat- und Familienleben wurde festgehalten, dass gegen die gesamte Familie aufenthaltsbeendende Maßnahmen getroffen worden seien. Die Schutzwürdigkeit sei insbesondere durch den kurzen Aufenthalt als gering einzustufen. Sonstige Gründe für die Erlangung eines Aufenthaltstitels habe das Ermittlungsverfahren nicht ergeben.

9. Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom XXXX Beschwerde erhoben.

Zu Spruchpunkten I. und II. wurde auf die beiliegenden handschriftlich verfassten Schreiben der BF verwiesen. Zu Spruchpunkt III. wurde ausgeführt, dass eine Rückkehrentscheidung in das Privat- und Familienleben der BF eingreifen würde. Die BF lebten seit drei Jahren in Österreich und seien bestens integriert. Der BF1 habe die A1 Deutschprüfung bestanden, die BF2 die Prüfung B1. Ein Cousin der BF2 lebe in Österreich und unterstütze die BF.

Der Beschwerde lagen mehrere Unterstützungsschreiben, eine Unterschriftenliste, eine therapeutische Stellungnahme (BF1) und ein Deutschzertifikat B1 (BF2) bei.

10. In den vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.02.2019 und am 20.03.2019 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlungen wurde Beweis aufgenommen durch Einvernahme der BF, Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und durch Einsicht in den Akt des Bundesverwaltungsgerichts.

Der BF1 gab an, er lerne in seiner Freizeit Deutsch. Er verrichte in der Gemeinde freiwillige Arbeit und besuche den "Sprachgarten". Im Winter gehe er mit Bekannten Schifahren. Er habe auch regelmäßigen Kontakt zu seinen Nachbarn.

Zu seiner Vorstrafe wegen falscher Beweisaussage gab er an, dass ihnen vorgehalten worden sei, mit einem Reisebus eingereist zu sein. Dies stimme aber nicht, sie seien mit einem Taxi eingereist.

In Tschetschenien lebten noch seine Eltern, drei ältere Brüder und zwei Schwestern. Eine weitere Schwester lebe in Nordrussland. Ein Bruder sei verstorben, einer vermisst. Weiters lebten noch drei Onkel und eine Tante in Tschetschenien. Er stehe mit seinen Eltern in telefonischem Kontakt.

Zu seinem Gesundheitszustand gab er an, dass er keine schweren Krankheiten habe. Er habe Probleme mit der rechten Schulter und bekomme im März eine Physiotherapie. Er nehme schmerzstillende Tabletten. Ansonsten sei er gesund und arbeitsfähig.

Zu seinem Fluchtvorbringen gab er an, dass sein Bruder XXXX seit 2001 verschollen sei. Er sei im Herbst 2001 von Zuhause abgeholt, in einen Keller gebracht, nach seinem Bruder gefragt und geschlagen worden. Dann sei er freigelassen worden. Zwischen 2001 und 2013 sei es zu keinem weiteren Vorfall gekommen. Im Mai 2013 sei er auf dem Weg nach Hause entführt worden. Er sei wieder befragt und stärker misshandelt worden als 2001. Nach seiner Freilassung sie er nach Hause gefahren, ärztliche Behandlung habe er nicht in Anspruch genommen.

Auf Nachfrage, ob es 2001 einen zweiten Vorfall gegeben habe, gab er an, dass er 2001 nur einmal entführt worden sei. Bei seinen Eltern sei zwei Mal nach seinem Bruder gefragt worden. Zu einer möglichen Rückkehr nach Tschetschenien gab er an, dass die Situation jetzt schlechter sei als 2013. Es gebe überall Spitzel.

Seine Frau und deren Familie habe Probleme, weil nach ihren Bruder XXXX gesucht werde. Seine Frau sei einmal zuhause nach dem Verbleib ihres Bruders befragt worden. Er sei zuhause, aber bei der Befragung nicht anwesend gewesen. Wann dies gewesen sei, könne er nicht sagen.

Die BF2 gab in der Verhandlung an, dass sie in Österreich zwei Frauen im Haushalt helfe. Am Nachmittag sei sie oft bei ihrem Bruder und helfe dessen Gattin im Haushalt. Sie habe beim Roten Kreuz Ausbildungen besucht und in einer Suppenküche gearbeitet. Sie habe in der Vergangenheit auch Taschen und Ähnliches genäht, die dann für einen guten Zweck verkauft worden seien.

Sie habe einen Cousin im XXXX und einen in Wien. Der Cousin aus Graz komme alle zwei oder drei Monate zu Besuch, den Cousin in Wien sehe sie fast nicht. Nur gestern hätten sie bei ihm übernachtet. Sie habe in Österreich zwei beste Freundinnen. Von einer stamme auch eine Arbeitsplatzzusage in einer Konditorei. Es handle sich dabei um eine geringfügige Beschäftigung.

In Tschetschenien lebten noch drei Brüder und eine Schwester. Mit ihrer Schwester habe sie oft Kontakt.

Zu ihrem Gesundheitszustand gab sie an, dass sie gesund sei und nicht mehr in psychotherapeutischer Behandlung stehe.

Zu ihrem Fluchtvorbringen gab sie an, dass ihr Bruder XXXX 2012 einen Freund beerdigt habe, weshalb er gesucht werde. Auch ihr Bruder XXXX habe deshalb Probleme bekommen. XXXX habe einige Nächte bei ihnen übernachtet, da er sich gefürchtet habe, bei ihren Eltern zu bleiben. Ende Dezember 2012 sei ihr Haus durchsucht worden, ihr Mann sei dabei gewesen. Bei dieser Hausdurchsuchung sei nicht geredet worden, sie hätten nur gesucht und seien wieder gegangen. Im Jänner oder Februar 2013 sei sie auf dem Weg nach Hause mitgenommen und nach dem Verbleib ihrer Brüder gefragt worden. Sie sei angeschrieben, aber nicht misshandelt worden. XXXX sei im Winter 2013 zurückgekehrt, bald darauf abgeholt und misshandelt worden. Danach sei er freigelassen worden. Wo er sich jetzt aufhalte wisse sie nicht. Er sei bald darauf aus Tschetschenien ausgereist. Sie selbst habe von Jänner bis zu ihrer Ausreise normal gearbeitet. Ihr Bruder, der im Elternhaus wohne, habe auch Probleme bekommen.

Die BF legten im Zuge der Verhandlung folgende Unterlagen vor:

-

Diverse Empfehlungsschreiben

-

Bestätigung Erste-Hilfe-Auffrischungskurs (BF2)

-

Bestätigungen Deutschkurse 2017 (BF2)

-

Bestätigungen über Deutschkurse 2016 (BF2)

-

Bestätigung über freiwillige Mitarbeit von November 2016 bis Mai 2018 (81 Stunden) (BF2)

-

Fotos von freiwilligen Tätigkeiten/sozialen Aktivitäten der BF2

-

Therapeutische Stellungnahmen BF1 vom April 2016 und Juli 2017

-

Fachärztlicher Befund vom 25.01.2017, Diagnose: depressives Zustandsbild bei posttraumatischer Belastungsstörung

-

Deutschzertifikat A2 (BF1)

-

Bestätigung über freiwillige Tätigkeit 2015 (BF1)

-

Bestätigung über gemeinnützige Beschäftigung 2016/2017 (BF1)

-

Nachweis über Arbeitstätigkeit vom Oktober 2016, Dokumentation, Tätigkeitsbericht, diverse Fotos

-

Bestätigung über gemeinnützige Beschäftigung 2018 (BF1)

-

Bestätigungen über Deutschkurse 2016/2017 (BF1)

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

1. Feststellungen

Die BF sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und verheiratet. Ihre Identität steht fest.

Am 23.06.2013 stellten die BF die dem gegenständlichen Beschwerdeverfahren zugrundeliegenden Anträge auf internationalen Schutz.

Die BF haben eine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nicht glaubhaft gemacht.

Nicht festgestellt werden konnte, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung der BF in die Russische Föderation eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für die Beschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

Die BF leiden an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen (im Endstadium), bezüglich derer es keine Behandlungsmöglichkeiten in der Russischen Föderation gibt. Der BF1 leidet an Schmerzen in der rechten Schulter, die mit schmerzstillenden Medikamenten behandelt werden, und einer posttraumatischen Belastungsstörung. Beide BF sind arbeitsfähig.

Die BF2 wurde am 29.07.2014 wegen § 288 Abs. 1 und 4 und § 298 Abs. 1 (falsche Beweisaussage, Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.

Der BF1 wurde am 22.10.2014 wegen § 288 Abs. 1 (falsche Beweisaussage) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.

Der Bf1 verfügt über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2. Er ging in der Vergangenheit diversen gemeinnützigen Tätigkeiten nach.

Die BF2 verfügt über Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1. Sie ist als Haushaltshilfe tätig und wird dafür mittels Dienstleistungsscheck bezahlt. Sie ging ebenfalls diversen gemeinnützigen Tätigkeiten nach und verfügt über mehrere Einstellungszusagen als Hilfskraft bzw. als geringfügig Beschäftigte.

Die BF2 hat zwei Cousins im Bundesgebiet. Zu diesen besteht gelegentlicher Kontakt. Der Bruder der BF2, XXXX ( XXXX ) stellte gemeinsam mit seiner Ehefrau am 13.12.2012 Anträge auf internationalen Schutz. Zum Bruder der BF2, seiner Ehefrau und den beiden in Österreich geborenen Kindern ergeht hg. ein gleichlautendes Erkenntnis. Die BF haben keine weiteren familiären Anknüpfungspunkte an Österreich.

Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.

Zur Situation in der Russischen Föderation wird festgestellt:

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 19. Bewegungsfreiheit bzw. 19.2. Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens).

Bekanntlich werden innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten innerhalb Russlands seitens renommierter Menschenrechtseinrichtungen meist unter Verweis auf die Umtriebe der Schergen des tschetschenischen Machthabers Kadyrow im ganzen Land in Abrede gestellt. Der medialen Berichterstattung zufolge scheint das Netzwerk von Kadyrow auch in der tschetschenischen Diaspora im Ausland tätig zu sein. Dem ist entgegenzuhalten, dass renommierte Denkfabriken auf die hauptsächlich ökonomischen Gründe für die Migration aus dem Nordkaukasus und die Grenzen der Macht von Kadyrow außerhalb Tschetscheniens hinweisen. So sollen laut einer Analyse des Moskauer Carnegie-Zentrums die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren: Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht reiche allerdings nicht über die Grenzen der Teilrepublik hinaus. Zur Förderung der sozio-ökonomischen Entwicklung des Nordkaukasus dient ein eigenständiges Ministerium, das sich dabei gezielt um die Zusammenarbeit mit dem Ausland bemüht (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

-

ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 4. Rechtsschutz / Justizwesen).

Die russischen Behörden zeigen sich durchaus bemüht, den Vorwürfen der Verfolgung von bestimmten Personengruppen in Tschetschenien nachzugehen. Bei einem Treffen mit Präsident Putin Anfang Mai 2017 betonte die russische Ombudsfrau für Menschenrechte allerdings, dass zur Inanspruchnahme von staatlichem Schutz eine gewisse Kooperationsbereitschaft der mutmaßlichen Opfer erforderlich sei. Das von der Ombudsfrau Moskalkova gegenüber Präsident Putin genannte Gesetz sieht staatlichen Schutz von Opfern, Zeugen, Experten und anderen

Teilnehmern von Strafverfahren sowie deren Angehörigen vor. Unter den Schutzmaßnahmen sind im Gesetz Bewachung der betroffenen Personen und deren Wohnungen, strengere Schutzmaßnahmen in Bezug auf die personenbezogenen Daten der Betroffenen sowie vorläufige Unterbringung an einem sicheren Ort vorgesehen. Wenn es sich um schwere oder besonders schwere Verbrechen handelt, sind auch Schutzmaßnahmen wie Umsiedlung in andere Regionen, Ausstellung neuer Dokumente, Veränderung des Aussehens etc. möglich. Die Möglichkeiten des russischen Staates zum Schutz von Teilnehmern von Strafverfahren beschränken sich allerdings nicht nur auf den innerstaatlichen Bereich. So wurde im Rahmen der GUS ein internationales Abkommen über den Schutz von Teilnehmern im Strafverfahren erarbeitet, das im Jahr 2006 in Minsk unterzeichnet, im Jahr 2008 von Russland ratifiziert und im Jahr 2009 in Kraft getreten ist. Das Dokument sieht vor, dass die Teilnehmerstaaten einander um Hilfe beim Schutz von Opfern, Zeugen und anderen Teilnehmern von Strafverfahren ersuchen können. Unter den Schutzmaßnahmen sind vorläufige Unterbringungen an einem sicheren Ort in einem der Teilnehmerstaaten, die Umsiedlung der betroffenen Personen in einen der Teilnehmerstaaten, etc. vorgesehen (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

-

ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

2. Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und

Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018

-

CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

-

EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-stateactors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018

-

FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018

-

OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018

-

Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volkschliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018

-

Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018

-

Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

2.1. Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das

vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-

GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018

-

ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-

Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018

-

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

3. Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien

hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.8.2018

-

BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.8.2018

-

Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,

https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russischemethoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

-

EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-undreisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 28.8.2018

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag,

https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 28.8.2018

-

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

3.1. Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS- Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamisti

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten