Entscheidungsdatum
15.05.2019Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W260 2212497-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Vorsitzender und die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS, sowie den fachkundigen Laienrichter Dr. Rainer GEIßLER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 19.11.2018, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. XXXX (im Folgenden "Beschwerdeführer") stellte am 18.04.2018 beim Sozialministeriumservice (in der Folge "belangte Behörde" genannt) einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29 b Straßenverkehrsordnung (StVO) (Parkausweis), der entsprechend dem von der belangten Behörde zur Verfügung gestellten und vom Beschwerdeführer ausgefüllten Antragsformular auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass gilt und legte eine Reihe von ärztlichen Befunden vor.
2. Die belangte Behörde holte in weiterer Folge ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 24.05.2018 erstatteten Gutachten vom 14.08.2018 stellte der medizinische Sachverständige fest, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Der Inhaberin des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass aus medizinischer Sicht nicht vorlägen.
3. Das Sachverständigengutachten wurde dem Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht. Aufgrund der Einwendungen des Beschwerdeführers gegen das Sachverständigengutachten vom 14.08.2018, wurden diese dem bereits befassten Sachverständigen zur ergänzenden Stellungnahme übermittelt. Nach Würdigung der neu vorgelegten Befunde hielt der Sachverständige in seiner Stellungnahme vom 15.11.2018 fest, dass es zu keiner Änderung seiner Einschätzung komme; die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Der Inhaberin des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass lägen aus medizinischer Sicht weiterhin nicht vor.
4. Mit Schreiben vom 19.11.2018 teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit, dass ihm der Behindertenpass mit einem festgestellten Grad der Behinderung iHv 70 von Hundert übermittelt werde. Folgende Zusatzeintragungen würden ebenfalls vorliegen:
"Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 erster Teilstrich VO 303/1996", "Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 dritter Teilstrich VO 303/1996" und "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist TrägerIn von Osteosynthesematerial".
5. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 19.11.2018 wies die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 BBG ab.
Die belangte Behörde schloss dem genannten Bescheid die eingeholte ergänzende Stellungnahme vom 15.11.2018 in Kopie an.
6. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht die gegenständliche Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Darin brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er bereits nach kurzer Wegstrecke Erschöpfungszustände und bei längerem Stehen starke Rückenschmerzen habe, und er oft aufgrund einer Darm OP sehr schnell eine Toilette aufsuchen müsse. Der Beschwerdeführer schloss der Beschwerde keine neuen Befunde an.
7. Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 09.01.2019 vor, wo dieser am selben Tage einlangte.
8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 12.03.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers und einer gem. § 90 KOVG bestellten medizinischen Sachverständigen, einer Ärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für Unfallchirurgie, durch. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der Beschwerdeführer eingehend zu seinen Leiden befragt und wurde von der medizinischen Sachverständigen ein mündliches Gutachten in der Verhandlung erstattet.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Der Beschwerdeführer erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der Beschwerdeführer hat seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland und besitzt einen Behindertenpass.
1.2. Dem Beschwerdeführer ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.
1.3. Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers:
guter Allgemeinzustand; Ernährungszustand: guter Ernährungszustand;
Größe: 177,00 cm Gewicht: 96,00 kg; Blutdruck: 110/70
Klinischer Status - Fachstatus:
Sauerstoffsättigung der Raumluft: pO2: 95%, Puls: 105/min, keine Ruhedyspnoe.
Kopf: Zähne: saniert, Lesebrille, Sensorium frei, Nervenaustrittspunkte unauff.; Hals: keine Einflussstauung, Schilddrüse schluckverschieblich, Lymphknoten o.B.; Thorax:
symmetrisch, Gynäkomastie, blande Narbe nach medianer Thorakotomie; Herz: normal konfiguriert, Herztöne rein, keine pathologischen Geräusche; Lunge: vesikuläres Atemgeräusch, Basen gut verschieblich, son. Klopfschall; Wirbelsäule: endlagige Einschränkung der Rotation der Halswirbelsäule, Kinn-JugulumAbstand 2cm, seichte linkskonvexe Kyphoskoliose der Brustwirbelsäule, Hyperlordose der Lendenwirbelsäule Fingerbodenabstand 15cm, thorakaler Schober 30/33cm, Ott: 10/14cm, Hartspann der Lendenwirbelsäule; Abdomen:
weich, über Thoraxniveau, Hepar und Lien nicht palpabel, keine Resistenz tastbar, blande Narbe nach Appendektomie und medianer Laparotomie ohne tastbaren Bruchpforte; Nierenlager: beidseits frei.
obere Extremität: frei beweglich bis auf endlagige Elevationsstörung beider Arme, an den Ellbogenstreckerseiten und den proximalen volaren Unterarm kleinflächiger Psoriasisbefall,
Fehlstellung der Endglieder von mehreren Langfingern, auch Fehlstellung des Daumens,
Globalfunktion und grobe Kraft beidseits erhalten, Nacken- und Kreuzgriff möglich.
untere Extremität: frei beweglich, krepitierendes Reiben beider Kniegelenke bei festem Bandapparat, seitengleicher Umfang: 40cm, an der Streckerseite beider Kniegelenke und am proximalen ventral Unterschenkel kleinflächiger Psoriasisbefall, keine signifikante Involutionsatrophie der Unterschenkelmuskulatur, Umfang des rechten Unterschenkels: 35,5cm, am rechten medianen Ober- und Unterschenkel blande längsverlaufende Narbe nach Gefäßentnahme, keine Ödeme, keine trophischen Hautstörungen, Reflex lebhaft auslösbar, Babinski negativ, Zehenballen- und Fersengang möglich.
Gesamtmobilität - Gangbild: leicht hinkendes Gangbild, keine Gehhilfe erforderlich, keine objektivierbare Sturzneigung.
Status Psychicus: zeitlich und örtlich orientiert, ausgeglichene Stimmungslage, normale Kommunikation möglich.
1.4. Art der Funktionseinschränkungen:
-
Zustand nach Teilresektion des Dickdarmes wegen bösartiger Neubildung im Bereich des Coecums 03/2016;
-
koronare Herzkrankheit, Zustand nach aortocoronarer Bypassoperation 2014, Zustand nach Vorderwandinfarkt 07/2018, Zustand nach mehrfachem Stenting und Rotablation;
-
Psoriasis vulgaris mit Gelenksbeteiligung;
-
nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus;
-
degenerative Veränderung der Wirbelsäule, rezidivierende Lumboischalgie;
-
Zustand nach Operation einer bösartigen Neubildung der Harnblase 2006;
-
Panikattacken, posttraumatische Störung, Klaustrophobie.
1.5. Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:
Die festgestellten Gesundheitsschädigungen am Stütz und Bewegungsapparat haben keine erhebliche Einschränkung der Mobilität zur Folge.
Beim Beschwerdeführer liegt keine höhergradige Funktionsstörung der unteren Extremitäten vor. Es finden sich im klinischen Befund keine signifikanten motorischen Ausfälle. Der Beschwerdeführer kann eine kurze Wegstrecke von mehr als 300 Metern zu Fuß ohne Unterbrechung, ohne überdurchschnittliche Kraftanstrengung, ohne große Schmerzen und ohne fremde Hilfe zurücklegen. Es sind keine Behelfe erforderlich, die das Ein- und Aussteigen sowie die sichere Beförderung unter Verwendung von Aufstiegshilfen und Haltegriffen in einem öffentlichen Verkehrsmittel wesentlich beeinträchtigen. Ein Herzleiden, welches eine hochgradige Einschränkung der Auswurfleistung zur Folge hat und eine signifikante Belastungsstörung verursacht, kann bei der klinischen Untersuchung und aufgrund der vorliegenden Befunde nicht objektiviert werden.
Es liegen beim Beschwerdeführer keine erheblichen Einschränkungen der psychischen, neurologischen und intellektuellen Funktionen vor; die Gefahreneinschätzung im öffentlichen Raum ist gegeben.
Ein nachweislich therapierefraktäres schweres Anfallsleiden ist nicht dokumentiert. Von den unter Pkt. 1.4. anerkannten Leiden geht keine hochgradige Schwäche mit einer Belastungsstörung aus, die eine Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar macht.
Es liegt keine schwere Erkrankung des Immunsystems vor.
Es liegt keine Inkontinenz vor.
Es liegt keine maßgebende Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit vor, durch welche eine Unzumutbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel zu begründen wäre.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen, dem Wohnsitz des Beschwerdeführers im Inland und zum Behindertenpass ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.
Die Feststellungen zu Art, Ausmaß und Auswirkungen der Funktionseinschränkungen auf die Zumutbarkeit zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gründen sich - in freier Beweiswürdigung - in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die vorgelegten und eingeholten Beweismittel:
Das von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten und die ergänzende Stellungnahme sind schlüssig und nachvollziehbar und weisen keine Widersprüche auf, wie es auch die in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht bestellte Sachverständige ausführt.
In der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde er weiters auf die vorgebrachten Schmerzen, einer Schwellung des rechten Beines, weiterer etwaig bisher nicht berücksichtigter Einschränkungen aufgrund des Herzleidens, sowie der vorgebrachten Panikattacken und seines, aufgrund der Darm-OP bedingten, häufigen Stuhlganges befragt. Hiebei konnten keine weiteren Leiden des Beschwerdeführers objektiviert werden.
Die Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit des Beschwerdeführers ist durch sein Herzleiden geprägt, eine signifikante Belastungsstörung kann jedoch nicht objektiviert werden.
Höhergradige Schmerzustände sind ebenso nicht objektivierbar.
Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke von 300 bis 400 Meter ist dem Beschwerdeführer somit selbständig möglich. Dass beim Beschwerdeführer keine Inkontinenz vorliegt, führt er selbst in der mündlichen Beschwerdeverhandlung aus.
Auch das Ein- und Aussteigen in öffentliche Verkehrsmittel ist dem Beschwerdeführer ohne fremde Hilfe zumutbar. Ein sicherer Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln durch Festhalten an Haltegriffen ist gewährleistet, wie es auch die Sachverständige in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ausführt: Es ist zwar eine Arthrose im Bereich der Fingergelenke festzustellen, mit offensichtlichem Streckdefizit im Bereich der Fingerendgelenke und Verdickung der Gelenke, der Faustschluss ist jedoch zu Gänze möglich. Auch die Schwellung des rechten Beines nach der Venenentnahme führt zu keiner Funktionsbeeinträchtigung des Sprunggelenkes.
Der Beschwerdeführer bringt in seiner Beschwerde vor, dass er an Panikattacken leide.
Entsprechend den - nachfolgend in der rechtlichen Beurteilung angeführten - Erläuterungen zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, StF: BGBl. II Nr. 495/2013, wird betreffend § 1 Abs. 2 Z 3 (in der Stammfassung) unter anderem - soweit im gegenständlichen Fall in Betracht kommend - ausgeführt, dass erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder umfassen:
Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens einem Jahr.
Dieses Vorbringen bzw. Zustand erreicht keinen Grad einer erheblichen Einschränkung, führt der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung selbst aus, dass er derzeit beschwerdefrei ist und über Bedarfsmedikamentation verfügt, diese jedoch nicht verwenden muss.
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des Sachverständigengutachtens vom 14.08.2018 samt Stellungnahme und wird dieses Sachverständigengutachten in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung ebenso zu Grunde gelegt, wie das in der mündlichen Beschwerdeverhandlung erstattete Gutachten der in der mündlichen Beschwerdeverhandlung anwesenden Sachverständigen, welches Inhalt der Niederschrift wurde.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Zur Entscheidung in der Sache:
Der Vollständigkeit halber wird zunächst darauf hingewiesen, dass mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 19.11.2018 der Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung "Der Inhaberin des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" gemäß §§ 42 und 45 Bundesbehindertengesetz idgF BGBl I Nr. 18/2017 (in der Folge kurz BBG) abgewiesen wurde. Verfahrensgegenstand ist somit nicht die Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung, sondern ausschließlich die Prüfung der Voraussetzungen der Vornahme der beantragten Zusatzeintragung.
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
...
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
...
§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen."
§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, idg F BGBl II Nr. 263/2016 lautet - soweit im gegenständlichen Fall relevant - auszugsweise:
"§ 1 ....
(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
1. .......
2. ......
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
-
erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-
erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-
erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller
Fähigkeiten, Funktionen oder
-
eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-
eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1
Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
(6)......"
In den Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II Nr. 495/2013 wird unter anderem - soweit im gegenständlichen Fall relevant - Folgendes ausgeführt:
"Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (neu nunmehr § 1 Abs. 4 Z. 3, BGBl. II Nr. 263/2016):
...
Durch die Verwendung des Begriffes "dauerhafte Mobilitätseinschränkung" hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
...
Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:
-
arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
-
Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
-
hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
-
Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
-
COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
-
Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
-
mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden..."
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist, und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).
Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hierbei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).
Bei der Beurteilung der zumutbaren Wegstrecke geht der Verwaltungsgerichtshof von städtischen Verhältnissen und der durchschnittlichen Distanz von 300 bis 400 Metern bis zur nächsten Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels aus (vgl. das Erkenntnis vom 27. Mai 2014, Zl. Ro 2014/11/0013).
Wie oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt - auf die diesbezüglichen Ausführungen wird verwiesen -, wurde im eingeholten Sachverständigengutachten vom 14.08.2018 samt Stellungnahme und in den sachverständigen Ausführungen der in der mündlichen Beschwerdeverhandlung anwesenden medizinischen Gutachterin nachvollziehbar verneint, dass im Fall des Beschwerdeführers - trotz der bei ihm vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen - die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass vorliegen. Mit dem Vorliegen der beim Beschwerdeführer objektivierten aktuellen Funktionsbeeinträchtigungen vermag der Beschwerdeführer noch nicht die Überschreitung der Schwelle der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Sinne der Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen darzutun.
Die Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung aufgrund von erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sind im Falle des Beschwerdeführers ebenfalls nicht gegeben. Eine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit liegt ebenso wenig vor, wie entscheidungsmaßgebliche Einschränkungen der Sinnesfunktionen. Es kann im vorliegenden Fall außerdem keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt festgestellt werden.
Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen kein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragung "Der Inhaberin des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Prüfung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in Betracht kommt.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass, Sachverständigengutachten, ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W260.2212497.1.00Zuletzt aktualisiert am
01.07.2019