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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AußStrG §110 Abs4Betreff
? Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser, Mag. Eder, Mag. Brandl sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kieslich, über die Revision des A P in W, vertreten durch den Kindesvater C P, dieser vertreten durch Dr. Marco Nademleinsky, Rechtsanwalt in 1170 Wien, Dornbacher Straße 4a/5, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 30. Jänner 2019, Zl. VGW-102/0 67/8967/2018-27, betreffend Maßnahmenbeschwerde im Zusammenhang mit einer Durchsetzung eines gerichtlichen Beschlusses zur Rückführung nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen (belangte Behörde: Landespolizeidirektion Wien), den
Spruch
Beschluss
gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Angefochtener Beschluss
1 Mit dem angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom 30. Jänner 2019 wurde die Beschwerde des durch seinen Kindesvater vertretenen, minderjährigen Revisionswerbers wegen Verletzung in Rechten infolge Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Organe der Landespolizeidirektion Wien am 14. Juni 2018 aus Anlass der Durchsetzung eines Beschlusses des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien zur Rückführung nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ) in das Staatsgebiet der USA gemäß § 28 Abs. 6 iVm § 31 Abs. 1 VwGVG zurückgewiesen (Spruchpunkt 1.)
2 Weiters wurde der Revisionswerber verpflichtet, dem Bund als Rechtsträger der belangten Behörde einen näher bezeichneten Aufwandersatz zu leisten (Spruchpunkt 2.).
3 Die Revision wurde vom Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig erklärt (Spruchpunkt 3.)
4 Begründend stellte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen fest, mit Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 12. Juni 2018, 4 Ps 165/17d, sei angeordnet worden, dass der Revisionswerber am 14. Juni 2018 Frau W als Vertrauensperson der Kindesmutter zu übergeben sei, dass dieser Beschluss im Rahmen des Vollzuges an den Kindesvater zuzustellen sei sowie dass dieser Beschluss gemäß § 44 JN sofort vollstreckbar sei.
5 Dieser Beschluss sei dem Oberlandesgericht Wien zur Vollziehung durch für Kindesabnahmen besonders geschulte Gerichtsvollzieher zugeleitet worden. Im Vorfeld der Kindesabnahme sei die örtlich zuständige Polizeiinspektion um Assistenzleistung für die Gerichtsvollzieher ersucht worden.
6 Bei der Kindesabnahme habe der Kindesvater die Mitwirkung an der Vollziehung des Gerichtsbeschlusses verweigert. Der Revisionswerber selbst sei weder durch die Vertrauensperson der Kindesmutter noch durch die Gerichtsvollzieherin zur Mitwirkung am Vollzug bzw. zum freiwilligen Mitkommen zu bewegen gewesen. Weil der Revisionswerber ziemlich groß gewachsen sei und die Gerichtsvollzieherin eine Verletzung des Revisionswerbers befürchtet habe, wenn sie ihn selbst aus der Wohnung bringen würde, habe diese zwei Polizisten angewiesen, den Revisionswerber aus der Wohnung zu bringen. Der Revisionswerber sei durch zwei Polizisten in das vor dem Wohnhaus befindliche Fahrzeug verbracht und der Vertrauensperson der Kindesmutter übergeben worden. 7 Die beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien eingebrachte Beschwerde, den Vollzug für rechtswidrig zu erklären, sei mit Beschluss vom 15. Juni 2018, 4 Ps 165/17d-94, mit der Begründung abgewiesen worden, dass es (laut Erlass vom 12. Jänner 2005 betreffend die Vorgangsweise der Gerichtsvollzieher bei der Kindesübergabe im Pflegschaftsverfahren) durchaus üblich sei, die Polizei zu solchen Einsätzen beizuziehen.
8 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, nach (näher zitierter) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes werde die rechtliche Zurechnung des Vollzugshandelns zur Justizgewalt nicht schon dadurch unterbrochen, dass im Vollzug des richterlichen Befehls Gesetzwidrigkeiten hinsichtlich der bei einem solchen Akt zu wahrenden Förmlichkeiten unterliefen. Komme es zu einer Überschreitung der gerichtlichen Anordnung, sei für eine Zuständigkeit (des Verwaltungsgerichtes) zur Behandlung der gesetzten Handlung im Rahmen einer Maßnahmenbeschwerde alleine maßgebend, ob es zu einer Überschreitung der gerichtlichen Anordnung im Sinne eines Exzesses gekommen sei.
9 Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (OGH) erfolge der Vollzug einer Rückgabeentscheidung nach dem HKÜ nicht nach der Exekutionsordnung (EO), sondern nach § 110 Außerstreitgesetz (AußStrG).
10 Gemäß § 110 Abs. 4 AußStrG dürfe unmittelbarer Zwang zur Durchsetzung der gerichtlichen Regelung ausschließlich durch Gerichtsorgane ausgeübt werden; diese könnten die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes beiziehen.
11 Aus den Materialien zu dieser Regelung sei klar ersichtlich, dass neben den Gerichtsorganen auch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes befugt seien, unmittelbaren Zwang auf eine der gerichtlichen Obsorgeregelung entgegentretende Person auszuüben.
12 In der vorliegenden Rechtssache habe die Gerichtsvollzieherin den Kindesvater und den Revisionswerber selbst über die Verpflichtung zur Übergabe an die Vertrauensperson der Kindesmutter und Verpflichtung zur Kindesrückführung in die USA aufgeklärt. Der Aufforderung zur Mitwirkung sei der Kindesvater nicht nachgekommen. Er habe vielmehr den Revisionswerber aufgefordert, sich der physischen Verbringung zu widersetzen.
13 Weil der Versuch, den Revisionswerber zum freiwilligen Mitkommen zu bewegen, gescheitert sei, habe die Gerichtsvollzieherin beschlossen, den Revisionswerber unter Anwendung von Körperkraft aus der Wohnung zu schaffen, und den einschreitenden Beamten dazu die entsprechende Anweisung gegeben. 14 Weder sei vorgebracht worden noch hervorgekommen, dass es bei der von den Organen der belangten Behörde angewandten Zwangsgewalt zu einer Überschreitung der von der Gerichtsvollzieherin auf Grundlage des durchzusetzenden gerichtlichen Beschlusses gegebenen Anordnungen gekommen sei. 15 Folglich sei die von den Organen der belangten Behörde angewandte Zwangsgewalt eine Hilfstätigkeit bei Vollstreckungshandlungen der Gerichtsvollzieherin in Durchführung des gerichtlichen Beschlusses gewesen, wobei den Sicherheitsorganen kein Konkretisierungsraum zugekommen sei. Gerichtlich angeordnete Exekutionsmaßnahmen seien dem Gericht zuzurechnen und könnten nicht mit einer Beschwerde wegen Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt bekämpft werden. 16 Zur Zulässigkeit der ordentlichen Revision führte das Verwaltungsgericht aus, die in der vorliegenden Rechtssache zu lösende Rechtsfrage erscheine durch Gesetzestext, Gesetzesmaterialien und im Lichte der auch zu vergleichbaren Bestimmungen ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes klar vorgezeichnet. Eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum konkret maßgeblichen § 110 Abs. 4 AußStrG sei jedoch nicht ersichtlich.
17 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende ordentliche Revision.
18 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung
mit dem Antrag auf Kostenersatz.
Zulässigkeit
19 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG). 20 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 21 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.
22 Die vorliegende Revision erweist sich aus folgenden Gründen
als unzulässig:
Bloßer Verweis auf fehlende Rechtsprechung
23 Das Verwaltungsgericht hat die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig erklärt, weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 110 Abs. 4 AußStrG fehle. 24 Die Revision schließt sich dieser Zulassungsbegründung an. Es existiere keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob und unter welchen Umständen die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes berechtigt seien, auf Anweisung von Gerichtsvollziehern Zwangsgewalt zur Durchsetzung einer Rückführungsentscheidung nach dem HKÜ auszuüben. Dazu führt die Revision aus, nach § 110 Abs. 4 AußStrG dürften Organe der Sicherheitsbehörde lediglich Personen entfernen, die die Exekutionshandlung störten. Keinesfalls dürften sie Zwangsgewalt gegen das Kind selbst anwenden.
25 Zu diesem Zulässigkeitsvorbringen ist auf die zuständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, nach der mit dem bloßen Verweis auf fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu näher bezeichneten Vorschriften (hier: § 110 Abs. 4 AußStrG) nicht dargelegt wird, dass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der Entscheidung über die Revision zu lösen wäre (vgl. etwa VwGH 20.3.2019, Ro 2019/09/0003, VwGH 27.2.2019, Ro 2019/10/0006, und VwGH 2.10.2018, Ra 2018/01/0403, jeweils mwN).
Klare und eindeutige Rechtslage
26 Das Verwaltungsgericht ist in seiner Zulassungsbegründung davon ausgegangen, dass die in der vorliegenden Rechtssache zu lösende Rechtsfrage "klar vorgezeichnet" sei.
27 In diesem Zusammenhang ist auf folgende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen:
28 Ist die Rechtslage nach den in Betracht kommenden Normen klar und eindeutig, dann liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor; das selbst dann, wenn zu einer Frage der Auslegung der anzuwendenden Normen noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergangen ist (vgl. etwa VwGH 27.11.2018, Ra 2018/08/0225, VwGH 27.2.2018, Ra 2018/05/0011, und VwGH 6.7.2016, Ro 2015/01/0013, jeweils mwN).
29 In der vorliegenden Rechtssache ist die Rechtslage klar und eindeutig:
30 Gemäß § 110 Abs. 4 zweiter Satz AußStrG, BGBl. I Nr. 111/2003 in der Fassung BGBl. I Nr. 59/2017, darf unmittelbarer Zwang zur Durchsetzung der gerichtlichen Regelung ausschließlich durch Gerichtsorgane ausgeübt werden; diese können die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes beiziehen. 31 Die Materialien zu dieser Bestimmung (RV 224 BlgNR 22. GP, 78) führen aus, dass die physische Einwirkung auf eine der gerichtlichen Obsorgeregelung entgegentretende Person "allein den Gerichtsorganen (Gerichtsvollzieher) und den von diesen beigezogenen Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (z.B. Gendarmerie, Sicherheitswache) überlassen bleiben" muss. 32 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Tätigkeit von Exekutivorganen im Zuge einer gerichtlichen Vollstreckung nach der EO eine Tätigkeit im Rahmen der "Gerichtspolizei im engeren Sinn" dar, die der Gerichtsbarkeit zuzuordnen ist; die zu setzenden Akte sind als solche "richterlicher Hilfsorgane" oder als "abgeleitete richterliche Akte" zu qualifizieren. Diese Hilfstätigkeiten haben ihre Rechtsgrundlage im richterlichen Befehl und sind seine Vollstreckung, ohne dass dabei den Sicherheitsorganen ein Konkretisierungsraum zukommt. Diese Zuordnung gilt so lange, als sich diese Handlungen im Ermächtigungsrahmen bewegen, der durch den richterlichen Befehl abgesteckt wird. Dies gilt deshalb, weil in diesen Fällen die Verwaltungsorgane den zu setzenden Akt ohne persönlichen Entscheidungsspielraum durchzuführen haben (vgl. VwGH 24.3.2014, 2012/01/0078, mwN, zu einer Assistenzleistung von Polizeibeamten nach § 26 Abs. 2 EO). 33 Gleiches gilt nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes auch für entsprechende Assistenzleistungen nach § 110 Abs. 4 zweiter Satz AußStrG:
34 Auch diese Tätigkeit von Exekutivorganen ist solange der Gerichtsbarkeit zuzuordnen, als sich diese Handlungen im Ermächtigungsrahmen bewegen.
35 Gleich wie in der der zitierten Rechtsprechung zugrundeliegenden Rechtssache kann auch vorliegend keine Rede davon sein, dass die Maßnahmen der Polizeiorgane die gerichtliche Anordnung überschritten hätten, da diese auf einer ausdrücklichen Anordnung der Gerichtsvollzieherin beruhten.
36 Im Hinblick darauf war auch der Anregung der Revision, § 110 Abs. 4 AußStrG beim Verfassungsgerichtshof "einer Überprüfung zuzuführen" nicht näher zu treten.
Ergebnis
37 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher nach § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.
38 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 15. Mai 2019
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1Zurechnung von OrganhandlungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RO2019010006.J00Im RIS seit
13.08.2019Zuletzt aktualisiert am
13.08.2019