TE Vwgh Beschluss 2019/5/15 Ra 2018/01/0152

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.05.2019
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Staatsbürgerschaft

Norm

ABGB §277 Abs1
ABGB §278
AVG §68 Abs2
AVG §68 Abs3
AVG §68 Abs4
AVG §68 Abs7
B-VG Art130
StbG 1985 §34 Abs1
VwRallg

Betreff

?

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser sowie Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kieslich, über die Revision des G, vertreten durch Mag. Wolfgang Auner, Rechtsanwalt in 8700 Leoben, Parkstraße 1/I, und Mag. Andreas Reichenbach, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Theobaldgasse 15/21, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 19. Jänner 2018, Zl. VGW-152/071/7904/2017-8, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 10. Februar 2012 entzog die belangte Behörde dem Revisionswerber gemäß § 34 Abs. 1 StbG die österreichische Staatsbürgerschaft, nachdem auf Veranlassung der belangten Behörde mit Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 17. Juni 2011 für den Revisionswerber ein Abwesenheitskurator bestellt und dem Abwesenheitskurator die Belehrung gemäß § 34 Abs. 2 StbG zugestellt worden war. Der Entziehungsbescheid wurde ebenfalls dem Abwesenheitskurator am 14. Februar 2012 zugestellt. Der Abwesenheitskurator ließ den Entziehungsbescheid unbekämpft.

2 Am 20. Juni 2016 beantragte der Revisionswerber, das Verwaltungsverfahren betreffend die Entziehung der österreichischen Staatsbürgerschaft für nichtig zu erklären, den Entziehungsbescheid aufzuheben, das Verwaltungsverfahren über die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft wiederaufzunehmen und festzustellen, dass der Revisionswerber eine Entlassungsurkunde aus dem mazedonischen Staatsverband rechtzeitig vorgelegt habe und die österreichische Staatsbürgerschaft besitze, sowie im Anschluss dem Revisionswerber einen österreichischen Reisepass auszustellen. In eventu regte der Revisionswerber die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 3 AVG an. 3 Der Revisionswerber brachte dazu zusammengefasst vor, er habe auf Aufforderung der belangten Behörde zur Vorlage der Entlassung aus dem bisherigen Staatsverband am 7. Oktober 2008 persönlich die Antragsbestätigung über die Entlassung aus dem mazedonischen Staatsverband vom 1. Oktober 2008 vorgelegt. Im Jahr 2013 sei seinem Antrag auf Ausscheiden aus dem mazedonischen Staatsverband stattgegeben und ihm mitgeteilt worden, dass der betreffende Bescheid den österreichischen Behörden zugestellt werde.

Für den Revisionswerber sei ein Abwesenheitskurator bestellt worden, obwohl die belangte Behörde keine ausreichenden Ermittlungen zu seinem Aufenthaltsort getätigt habe. Die Bestellung eines Abwesenheitskurators im Entziehungsverfahren sei daher rechtswidrig gewesen und das rechtliche Gehör des Revisionswerbers verletzt worden. Die Bestellung des Abwesenheitskurators "und die durch die Zustellung an diesen rechtswirksam gewordenen behördlichen Akte" seien "daher nichtig und aufzuheben".

4 Mit Bescheid vom 11. April 2017 wies die belangte Behörde die Anträge des Revisionswerbers auf Nichtigerklärung des Verwaltungsverfahrens zur Entziehung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 34 StbG (Spruchpunkt I.a), auf Aufhebung des Entziehungsbescheides (Spruchpunkt I.b) sowie auf Feststellung, dass der Revisionswerber die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt (Spruchpunkt I.c), mangels Legitimation sowie den Antrag auf Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens über die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und Feststellung im wiederaufgenommenen Verfahren, dass der Revisionswerber rechtzeitig eine Entlassungsurkunde aus dem mazedonischen Staatsverbandes vorgelegt habe, gemäß § 69 Abs. 2 AVG als unzulässig zurück (Spruchpunkt II.). 5 Die dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht Wien mit dem angefochtenen Erkenntnis ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. 6 Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, nach der ausdrücklichen Anordnung des § 68 Abs. 7 AVG stehe niemandem auf die Ausübung des der Behörde gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG eingeräumten Abänderungs- und Behebungsrechts ein Anspruch zu. Die der Behörde in § 68 Abs. 2 bis 4 AVG eingeräumte "Aufsichtsgewalt" diene nicht dem Schutz irgendeines subjektiven Rechts, sondern der Wahrung öffentlicher Interessen. Die Ablehnung eines darauf gerichteten Antrags könne somit auch nicht mit einem Rechtsmittel bekämpft werden. Die Zurückweisung in Spruchpunkt I.

a) und b) sei daher zu Recht erfolgt.

Die Zurückweisung des Antrags auf Feststellung (Spruchpunkt I.c) begründete das Verwaltungsgericht mit einem mangelnden Feststellungsinteresse des Revisionswerbers sowie einem fehlenden öffentlichen Interesse an der Erlassung eines Feststellungsbescheides im Hinblick auf den bereits erlassenen Bescheid über die Entziehung der österreichischen Staatsbürgerschaft.

Weil seit der Erlassung des Entziehungsbescheides mehr als drei Jahre vergangen seien, sei einerseits der Antrag auf Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs. 2 AVG als verspätet zurückzuweisen gewesen, andererseits könne im Hinblick auf die angeregte amtswegige Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs. 3 AVG eine solche nur mehr aus den Gründen des § 69 Abs. 1 Z 3 AVG stattfinden, dessen Voraussetzungen jedoch nicht vorlägen.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Zur Zulässigkeit bringt die Revision zusammengefasst vor, das Verwaltungsgericht sei zur Rechtsfrage, ob nach Bestellung eines Abwesenheitskurators eine Zustellung an den Abwesenheitskurator "rechtens" erfolgt sei und der Entziehungsbescheid habe rechtskräftig werden können, obwohl die Voraussetzungen für die Bestellung eines Abwesenheitskurators zu keinem Zeitpunkt vorgelegen seien, weil der Aufenthalt des Revisionswerbers für die belangte Behörde ermittelbar gewesen wäre, von - nicht näher bezeichneter - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.

11 Mit den Einwänden, die der Revisionswerber im verwaltungsbehördlichen Verfahren gegen die Zulässigkeit oder Notwendigkeit der Bestellung eines Abwesenheitskurators durch das Bezirksgericht Innere Stadt Wien erhebt, kann er den aufrechten Bestellungsbeschluss des Gerichts nicht beseitigen und, solange der Bestellungsbeschluss aufrecht ist, nichts an der Rechtswirksamkeit der Zustellungen der belangten Behörde im Verfahren über die Entziehung der Staatsbürgerschaft an den vom Gericht bestellten Abwesenheitskurator ändern (vgl. VwGH 19.1.1952, 1481/48, 1482/48 = VwSlg 2419 A/1952). Vielmehr wären diese Einwendungen im gerichtlichen Verfahren gegen die Bestellung des Abwesenheitskurators geltend zu machen. Weder die belangte Behörde noch das Verwaltungsgericht waren befugt, das Vorliegen der Voraussetzungen für die Bestellung eines Abwesenheitskurators zu überprüfen.

12 Ausgehend von der Rechtswirksamkeit der Zustellung des Entziehungsbescheids an den Abwesenheitskurator war - wie sowohl die belangte Behörde, als auch das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen haben - zum Zeitpunkt der Einbringung des Wiederaufnahmeantrags die dreijährige Frist des § 69 Abs. 2 dritter Satz AVG bereits abgelaufen (vgl. etwa VwGH 21.2.2019, Ro 2019/01/0002, mwN). Entgegen dem Zulässigkeitsvorbringen des Revisionswerbers kommt daher konkret der Einhaltung der subjektiven zweiwöchigen Frist des § 69 Abs. 2 erster Satz AVG zur Einbringung eines Wiederaufnahmeantrags keine rechtliche Bedeutung zu.

13 Zum Zulässigkeitsvorbringen der Revision betreffend den Antrag auf Nichtigerklärung des Entziehungsverfahrens bzw. Aufhebung des Entziehungsbescheides, es wäre sehr wohl im Ermessen der Behörde gelegen, nach § 68 Abs. 2 bis 4 AVG vorzugehen, ist auf folgende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen:

14 Aus dem eindeutigen Wortlaut des § 68 Abs. 7 AVG ergibt sich, dass niemandem ein Rechtsanspruch auf Ausübung des der Behörde gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG eingeräumten Abänderungs- und Behebungsrechtes zusteht (vgl. VwGH 8.10.2018, Ra 2018/11/0164, mwN). Die Ausübung des Aufsichtsrechtes kann zwar angeregt, nicht aber erzwungen werden. Die Nichtausübung der Befugnisse nach § 68 Abs. 2 bis 4 AVG ist vollständig der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (dh auch hinsichtlich der Gründe, warum die Behörden nicht von der ihnen eingeräumten Möglichkeit der Aufhebung bzw. Abänderung Gebrauch machen) entzogen (vgl. VwGH 30.1.2019, Ra 2018/12/0057, mwN). Dass die Wahrnehmung dieser Aufsichts-Befugnisse nicht im "Belieben" der Behörde steht, sondern ihr dabei Ermessen zukommt, vermag daran nichts zu ändern (vgl. wiederum VwGH 8.10.2018, Ra 2018/11/0164, mwN). 15 Daher kann die Revision mit dem Hinweis auf die nunmehrige Staatenlosigkeit des Revisionswerbers keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzeigen.

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 15. Mai 2019

Schlagworte

Ermessen VwRallg8Individuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2Organisationsrecht Justiz - Verwaltung Verweisung auf den Zivilrechtsweg VwRallg5/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018010152.L00

Im RIS seit

13.08.2019

Zuletzt aktualisiert am

13.08.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten