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19/05 MenschenrechteNorm
AsylG 2005 §55Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2019/19/0137Betreff
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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in den Revisionssachen 1. der J V, und 2. des N V, beide vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Dezember 2018, W189 2114426-1/13E und W189 2114428-1/6E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerber, Staatsangehörige der Ukraine, stellten am 15. Juni 2014 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter des minderjährigen Zweitrevisionswerbers.
2 Mit Bescheiden jeweils vom 24. August 2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Revisionswerber zur Gänze ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Ukraine zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobenen Beschwerden der Revisionswerber nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Erstrevisionswerberin mit einer hier nicht relevanten Maßgabe als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Mit Beschluss vom 26. Februar 2019, E 344-345/2019-7, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG ab. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof u.a. aus, dem BVwG könne unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn es auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgehe, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art. 8 EMRK überwiege. Mit Beschluss vom 13. März 2019, E 344-345/2019-9, trat der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
5 Die vorliegende außerordentliche Revision richtet sich ausdrücklich nur gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidungen und die Versagung von Aufenthaltsberechtigungen nach § 55 AsylG 2005 sowie die rechtlich darauf aufbauenden Aussprüche. 6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 9 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung sei nicht im Rahmen der von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Grundsätze vorgenommen worden und unvertretbar. Es fehle eine Auseinandersetzung mit den im Rahmen der Beurteilung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegenüber Kindern zu beachtenden Kriterien. Das BVwG schenke dem vom Zweitrevisionswerber erreichten Grad der Integration sowie dem Umstand, dass dieser dem Altersabschnitt, in dem die Rechtsprechung eine besondere Anpassungsfähigkeit annehme, bereits entwachsen sei, zu wenig Beachtung. Demgegenüber messe das BVwG dem Umstand, dass die erreichten Integrationsschritte während eines Zeitraums gesetzt worden seien, in dem sich die Revisionswerber ihres unsicheren Aufenthalts bewusst sein hätten müssen, unverhältnismäßig viel Gewicht bei. Das BVwG habe nicht berücksichtigt, dass dem Zweitrevisionswerber die Entscheidung seiner Mutter, die Ukraine in Richtung Österreich zu verlassen, nicht in dem Maße zugerechnet werden könne, dass er sich der Unsicherheit seines Aufenthaltes in Österreich ständig bewusst halten hätte müssen. Das BVwG habe auch den Umstand nicht berücksichtigt, dass der Zweitrevisionswerber die ukrainische Sprache seit dem Aufenthalt in Österreich nie mehr gebraucht habe. Der hohe Grad der - in der Zulassungsbegründung näher dargestellten - Integration hätte insbesondere im Hinblick auf die fehlenden Bindungen zum Heimatstaat zur aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK gebotenen Erteilung von Aufenthaltstiteln nach § 55 AsylG 2005 führen müssen. 10 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erlassung einer Rückkehrentscheidung unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. grundlegend VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101). 11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 12.12.2018, Ra 2018/19/0521, mwN).
12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind bei einer Rückkehrentscheidung, von welcher Kinder bzw. Minderjährige betroffen sind, die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen. Maßgebliche Bedeutung kommt hinsichtlich der Beurteilung des Kriteriums der Bindungen zum Heimatstaat nach § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden (vgl. VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0070 bis 0072, mwN; 21.3.2018, Ra 2017/18/0333). 13 Der Verwaltungsgerichtshof hat mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, mwN). Wenngleich minderjährigen Kindern dieser Vorwurf nicht zu machen ist, muss das Bewusstsein der Eltern über die Unsicherheit ihres Aufenthalts nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch auf die Kinder durchschlagen, wobei diesem Umstand allerdings bei ihnen im Rahmen der Gesamtabwägung im Vergleich zu anderen Kriterien weniger Gewicht zukommt (vgl. VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0205 bis 0210, mwN). 14 Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist nicht ersichtlich, dass die vom BVwG fallbezogen vorgenommene Interessenabwägung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt wäre. Das BVwG hat den Schulbesuch des Zweitrevisionswerbers in seine Interessenabwägung miteinbezogen, hielt es jedoch für ausschlaggebend, dass dieser vor seinem Aufenthalt im Bundesgebiet über zwölf Jahre in der Ukraine gelebt, dort eine ausreichende gesellschaftliche Sozialisierung erfahren habe und die Sprache seines Herkunftsstaates spreche. Aufgrund des guten Schulerfolges in Österreich sei davon auszugehen, dass er sich auch bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat schulisch wieder eingliedern werde können. Insofern erweist sich die Annahme einer zumutbaren Möglichkeit der Wiedereingliederung in der Ukraine jedenfalls nicht als unvertretbar (vgl. VwGH 30.7.2015, Ra 2014/22/0055-0058; 18.10.2017, Ra 2017/19/0422 bis 0424; 6.9.2018, Ra 2018/18/0370). 15 Auf das erstmals in der Revision erstattete Vorbringen, der Zweitrevisionswerber habe die ukrainische Sprache in den bald fünf Jahren Aufenthalt in Österreich nie mehr gebraucht, da er in der Schule und in seinem sozialen Umfeld deutsch und mit seiner Mutter (deren Volksgruppenzugehörigkeit entsprechend) die russische Sprache spreche, war im Hinblick auf das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 VwGG bestehende Neuerungsverbot nicht einzugehen.
16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am 21. Mai 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019190136.L00Im RIS seit
21.08.2019Zuletzt aktualisiert am
21.08.2019