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E1PNorm
BFA-VG 2014 §21 Abs7Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des N alias N N in W, vertreten durch Dr. Angela Heffermann, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Stallburggasse 4/17, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Oktober 2018, W102 2205110-1/6E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
I. zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit, als damit die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
II. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen wird die Revision als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 3. August 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu brachte er im Wesentlichen vor, sein Onkel habe bei einem Autounfall zwei Frauen getötet, weshalb die Familie des Revisionswerbers von der Familie der getöteten Frauen verfolgt werde.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 9. August 2018 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei, und erkannte die aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde ab. Eine Frist zu freiwilligen Ausreise wurde nicht gewährt. 3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Das BVwG begründete die Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung damit, dass die "Grundlage des bekämpften Bescheides" unzweifelhaft aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes nachvollziehbar sei und die Beschwerde keine neuen wesentlichen Aspekte vorgebracht habe. Die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung des BFA sei in seiner Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt worden. Das BVwG teile die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung. 5 Mit Erkenntnis vom 26. Februar 2019, E 4755/2018-15, hob der Verfassungsgerichtshof das in Revision gezogene Erkenntnis des BVwG vom 30. Oktober 2018 betreffend die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels, die erlassene Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung, die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung sowie die Nichtgewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise auf. Im Übrigen - somit hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten - lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen das Erkenntnis des BVwG vom 30. Oktober 2018 erhobene Revision nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Zur I.:
7 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vorgebracht, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen habe.
8 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:
Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, sowie aus der ständigen Rechtsprechung zuletzt etwa VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0391, mwN). 10 Diesen in der hg. Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen hat das BVwG im vorliegenden Fall nicht entsprochen:
11 Der Revisionswerber ist mit einem konkreten Vorbringen zu seiner Glaubwürdigkeit den verwaltungsbehördlichen Feststellungen nicht bloß unsubstantiiert entgegengetreten. Demnach lagen die Voraussetzungen für die Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung nicht vor. Das BVwG hätte sich vielmehr einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber im Rahmen einer mündlichen Verhandlung verschaffen müssen, zumal es das Fluchtvorbringen auf Grund widersprüchlicher Angaben des (zum Zeitpunkt der Ersteinvernahme noch minderjährigen) Revisionswerbers als nicht glaubwürdig erachtete.
12 Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des - wie hier gegeben - Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste.
13 Das angefochtene Erkenntnis war daher insoweit, als damit die Beschwerde des Revisionswerbers in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
14 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Zu II.:
15 Gemäß § 33 Abs. 1 VwGG ist die Revision, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde, nach Anhörung des Revisionswerbers in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.
16 Ein solcher Fall der formellen Klaglosstellung liegt (unter anderem) dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung durch den Verfassungsgerichtshof aus dem Rechtsbestand beseitigt wurde (vgl. etwa VwGH 30.4.2019, Ra 2018/19/0573, mwN).
17 Im vorliegenden Fall war die Revision daher - nachdem dem Revisionswerber Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde - im Übrigen (soweit sie sich also gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der darauf aufbauenden Spruchpunkte richtete) gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.
Wien, am 21. Mai 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018190680.L00Im RIS seit
23.07.2019Zuletzt aktualisiert am
23.07.2019