TE Vwgh Erkenntnis 2019/5/21 Ra 2018/19/0500

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Veröffentlicht am 21.05.2019
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §55
BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
BFA-VG 2014 §9 Abs3
FrPolG 2005 §52
MRK Art8
VwGG §42 Abs2 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler, die Hofrätin Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des O M alias F I, vertreten durch Mag. Roja C. Fehringer-Missaghi, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Fasangartensiedlung 10/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juli 2018, I411 2171743-1/5E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird, insoweit damit die Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und die Nichtfestsetzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Nigeria, stellte am 12. Jänner 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er werde von der Polizei gesucht, da er an einer Auseinandersetzung zwischen Christen und Muslimen teilgenommen habe. Bei einer Rückkehr würde er auch von den Muslimen getötet werden.

2 Mit Bescheid vom 11. September 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, setzte keine Frist zur freiwilligen Ausreise fest und erkannte einer Beschwerde über die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung ab. 3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Das BVwG führte im Rahmen der Darstellung des Verfahrensgangs aus, der Revisionswerber habe im Rahmen seines gegenständlichen Antrags auf internationalen Schutz angegeben, er habe mit einer aus Nigeria stammenden österreichischen Staatsbürgerin eine Lebensgemeinschaft. Diese habe er am 29. November 2017 standesamtlich geehelicht. Das BVwG stellte u. a. fest, der unbescholtene Revisionswerber sei verheiratet. Seine Familie, bestehend aus seiner Mutter und seinem Bruder, lebe in Nigeria. In Österreich verfüge der Revisionswerber über keine Verwandten und über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen. Diese Feststellung ergebe sich beweiswürdigend aus den Angaben des Revisionswerbers anlässlich seiner Einvernahme durch die belangte Behörde am 6. September 2017. Die Feststellung zum Familienstand des Revisionswerbers ergebe sich beweiswürdigend aus der Heiratsurkunde des Standesamtes. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das BVwG zur Rückkehrentscheidung aus, vor dem Hintergrund der bloß kurzen (etwa dreieinhalbjährigen) Aufenthaltsdauer in Österreich sei auch die Eheschließung und Begründung des Familienlebens zu relativieren. Aufgrund des unsicheren Aufenthaltsstatus hätten der Revisionswerber und seine Frau nicht darauf vertrauen können, dass dieser dauerhaft in Österreich bleiben dürfe. Auch fehlten alle Sachverhaltselemente, aus denen sich die Existenz gewisser in einem Zeitraum eines rund dreieinhalbjährigen Aufenthalts entstandener relevanter Bindungen hätten ergeben können, wie etwa Teilnahme am Erwerbsleben und am sozialen Leben in Österreich, Selbsterhaltungsfähigkeit oder Erwerb von nachweisbaren Sprachkenntnissen. Hingegen habe der Revisionswerber in seinem Herkunftsstaat, in dem er aufgewachsen und knapp den Großteil seines Lebens verbracht habe, sprachliche und kulturelle Verbindungen und auch familiäre Anknüpfungspunkte.

5 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, erwogen:

6 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, der Revisionswerber habe sein Vorbringen zu seinen Fluchtgründen in allen Verfahrensstadien gleich, nicht zu spät und miteinander übereinstimmend vorgebracht, sodass das Ergebnis bei richtiger Berücksichtigung der Beweislastregeln ein anderes hätte sein müssen. Das BVwG habe zu Unrecht die Ehe des Revisionswerbers als rechtlich nicht relevant qualifiziert. Dem Revisionswerber wäre es nach einer Ausreise nicht möglich, seine Ehefrau alsbald wiederzusehen. Das BVwG hätte nicht vom Vorliegen eines geklärten Sachverhalts ausgehen dürfen und eine mündliche Verhandlung durchführen müssen, um die familiäre Verwurzelung des Revisionswerbers zu prüfen und um sich einen persönlichen Eindruck für die Abwägung nach Art. 8 EMRK zu verschaffen.

7 Die Revision ist teilweise zulässig und begründet.

8 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei

der Erlassung einer Rückkehrentscheidung unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. grundlegend VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

9 Im vorliegenden Fall hat das BVwG zwar festgestellt, dass der Revisionswerber über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen in Österreich verfüge. Es hat aber auch festgestellt, dass der Revisionswerber verheiratet sei und im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zur Rückkehrentscheidung die Ehe, die - wie sich aus der Darstellung des Verfahrensgangs ergibt - mit einer österreichischen Staatsbürgerin besteht, in seine Abwägung mit einbezogen.

10 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Trennung von einem österreichischen Ehepartner nur dann gerechtfertigt, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme der aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und den "Familiennachzug" (vgl. VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0130, mwN). 11 Das BVwG hält dem - unbescholtenen - Revisionswerber (und seiner Ehefrau) vor, er habe auf Grund seines unsicheren Aufenthaltsstatus nicht darauf vertrauen können, dass er dauerhaft in Österreich bleiben könne. Dies trifft zwar grundsätzlich zu (vgl. VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0205, mwN), entbindet das Gericht aber nicht von der Prüfung, ob von einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und des "Familiennachzuges" im Sinn der dargestellten Judikatur auszugehen wäre (vgl. VwGH 6.9.2018, Ra 2018/18/0026), und der Einbeziehung der Ergebnisse dieser Prüfung in die Interessenabwägung.

12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müssen in einem solchen Fall überdies nähere Feststellungen zu den Lebensverhältnissen des Fremden und seines Ehepartners getroffen werden (vgl. VwGH 2.5.2018, Ra 2018/18/0159, mwN) und bedarf es einer Prüfung der näheren Umstände der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Familienlebens außerhalb Österreichs (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247; 22.2.2018, Ra 2018/18/0037; jeweils mwN). Auch damit hat sich das BVwG im angefochtenen Erkenntnis nicht auseinandergesetzt.

13 Vor diesem Hintergrund hätte das BVwG aber auch nicht vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA-VG für das Unterbleiben der in der Beschwerde ausdrücklich beantragten mündlichen Verhandlung ausgehen dürfen. Von einem geklärten Sachverhalt im Sinn dieser Bestimmung kann nämlich bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, in denen - wovon hier keine Rede sein kann - bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen persönlichen Eindruck verschafft (vgl. etwa VwGH 15.3.2018, Ra 2017/21/0191, mwN; vgl. auch VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0130). 14 Das angefochtene Erkenntnis war daher, insoweit es die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die darauf aufbauenden Spruchpunkte betrifft, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen (vorrangig wahrzunehmender) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. 15 Insoweit sich die Revision gegen die übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Erkenntnisses (Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz) richtet, ist sie nicht zulässig. 16 Der Revision gelingt es mit ihren bloß allgemeinen Behauptungen zum Fluchtvorbringen des Revisionswerbers nicht, eine Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung darzulegen (vgl. zur eingeschränkten Prüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf die Beweiswürdigung etwa VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0712 bis 0715, mwN).

17 Insoweit werden in der Revision daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, sodass die Revision in diesem Umfang gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen war.

18 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 21. Mai 2019

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018190500.L00

Im RIS seit

23.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

23.07.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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