TE Vwgh Erkenntnis 2019/5/22 Ra 2017/04/0056

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Veröffentlicht am 22.05.2019
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Index

50/01 Gewerbeordnung

Norm

GewO 1994 §4
GewO 1994 §4 Abs4
GewO 1994 §74 Abs1
GewO 1994 §74 Abs2

Betreff

?

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie Hofrätin Mag. Hainz-Sator und Hofrat Dr. Pürgy als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Sowa, über die Revision des Dipl.-Ing. H E in V, vertreten durch Dr. Josef Hofer und Mag. Dr. Thomas Humer, Rechtsanwälte in 4600 Wels, Dr.-Koss-Straße 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Kärnten vom 27. Februar 2017, Zl. KLVwG- 97/5/2017, betreffend Übertretung der GewO 1994 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt Villach), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 1. Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Villach (belangte Behörde) vom 5. Dezember 2016 wurde dem Revisionswerber zur Last gelegt, er habe es als gewerberechtlicher Geschäftsführer für das Gewerbe "Fleischer" der N GmbH zu verantworten, dass auf einem bestimmt bezeichneten Grundstück seit April 2016, zumindest aber am 30. Mai 2016, Fahrzeuge von Mitarbeitern der N GmbH abgestellt worden seien, wodurch es zu einer Lärm- und Staubbelästigung komme, und damit eine weitere Betriebsfläche, im konkreten Fall einen Mitarbeiterparkplatz, zu der genehmigten Betriebsanlage hinzugenommen worden sei, ohne für diese Änderung der bestehenden Betriebsanlage eine Genehmigung erlangt zu haben. Dadurch habe der Revisionswerber § 366 Abs. 1 Z 3 in Verbindung mit § 81 GewO 1994 verletzt. Aus diesem Grund wurde über ihn gemäß § 366 Abs. 1 GewO 1994 eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 150,00 (Ersatzfreiheitsstrafe: 14 Stunden) verhängt.

2 2.1. Das Landesverwaltungsgericht Kärnten wies die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und ergänzte den Spruch dahingehend, dass die Änderung der mit Bescheiden der belangten Behörde genehmigten Betriebsanlage in Form der Erweiterung durch einen Mitarbeiterparkplatz auf dem bestimmt bezeichneten Grundstück geeignet sei, einen näher bezeichneten Nachbarn durch Lärm und Staub zu belästigen. 3 Die ordentliche Revision erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.

4 2.2. In seiner Begründung traf das Verwaltungsgericht zusammengefasst die Feststellungen, dass die Betriebsanlage der N GmbH mit diversen näher angeführten Genehmigungs- und Änderungsbescheiden gewerbebehördlich genehmigt sei. Seit April 2016, zumindest aber am 30. Mai 2016, würden ca. 90 Mitarbeiter der N GmbH auf einem von der N GmbH zur Verfügung gestellten Grundstück unentgeltlich und ohne vertragliche Vereinbarung ihre Kraftfahrzeuge abstellen. Auf dem Parkplatz würden keine Kundenfahrzeuge, Lieferanten oder firmeneigenen Fahrzeuge stehen. Es sei eine Beschilderung angebracht, die darauf hinweise, dass der Parkplatz Mitarbeitern vorbehalten sei. Das Abstellen der Mitarbeiterfahrzeuge sei grundsätzlich geeignet, einen bestimmten Nachbarn durch Lärm und Staub zu belästigen. Eine gewerbebehördliche Genehmigung für den Mitarbeiterparkplatz liege nicht vor.

5 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, der Revisionswerber bestreite, dass die Zurverfügungstellung der Abstellplätze eine bewilligungspflichtige Änderung der Betriebsanlage darstelle, weil gemäß § 4 Abs. 4 GewO 1994 die Bestimmungen der Gewerbeordnung nicht anzuwenden seien, wenn Arbeitgeber Einstellräume oder Abstellflächen lediglich an ihre Arbeitnehmer vermieten oder deren Kraftfahrzeuge abstellen würden. Betriebsanlagenrechtlich sei jedoch nach Ansicht des Verwaltungsgerichts die den Mitarbeitern zur Verfügung gestellte Parkfläche als betrieblich genutzte Fläche und damit als Teil der gewerblichen Betriebsanlage anzusehen. Die Regelung des § 4 Abs. 4 GewO 1994 sei dahingehend auszulegen, dass die berufsrechtlichen Bestimmungen über das Parkflächengewerbe nicht anzuwenden bzw. die Abstellflächen nicht für sich als gewerbliche Betriebsanlage genehmigungspflichtig seien. Seien derartige Parkflächen jedoch Teil einer gewerblichen Betriebsanlage, so unterlägen diese der anlagenrechtlichen Bewilligungspflicht. Insofern seien die betriebsanlagenrechtlichen Bestimmungen der GewO 1994 auf derartige Parkflächen anzuwenden, selbst wenn diese lediglich an Arbeitnehmer des Unternehmens vermietet werden würden. 6 Dadurch, dass die genehmigte Betriebsanlage um einen Mitarbeiterparkplatz erweitert worden sei, ohne für diese Änderung, die geeignet sei, den Nachbarn durch Lärm und Staub zu belästigen, die erforderliche Genehmigung eingeholt zu haben, sei der objektive Tatbestand des § 366 Abs. 1 Z 3 GewO erfüllt worden. Ein entschuldbarer Verbotsirrtum liege nicht vor, sodass auch die subjektive Tatseite erfüllt sei.

7 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben, in eventu in der Sache selbst zu entscheiden.

8 Die belangte Behörde beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision kostenpflichtig abzuweisen.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9 4.1. Die Revision bringt zur ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 4 Abs. 4 GewO 1994. Nach Ansicht des Revisionswerbers normiere diese Bestimmung entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts eine "Vollausnahme von der Gewerbeordnung".

10 4.2. Die Revision ist zur Klarstellung der vorgebrachten Rechtsfrage zulässig. Sie ist im Ergebnis auch berechtigt. 11 4.3. Die relevanten Bestimmungen der Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994), BGBl. Nr. 194/1994 in der Fassung BGBl. Nr. I 155/2015, lauten auszugsweise:

"I. HauptstückAllgemeine Bestimmungen

1. Geltungsbereich

(...)

§ 4. (1) Auf das Halten von Räumen und Flächen zum Abstellen von Kraftfahrzeugen ist dieses Bundesgesetz nur dann anzuwenden, wenn

1.-3. (...)

(4) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sind nicht anzuwenden, wenn Arbeitgeber Einstellräume oder Abstellflächen lediglich an ihre Arbeitnehmer vermieten oder lediglich deren Kraftfahrzeuge abstellen.

(...)

8. Betriebsanlagen

§ 74. (1) Unter einer gewerblichen Betriebsanlage ist jede örtlich gebundene Einrichtung zu verstehen, die der Entfaltung einer gewerblichen Tätigkeit nicht bloß vorübergehend zu dienen bestimmt ist.

(...)

§ 81. (1) Wenn es zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen erforderlich ist, bedarf auch die Änderung einer genehmigten Betriebsanlage einer Genehmigung im Sinne der vorstehenden Bestimmungen. Diese Genehmigung hat auch die bereits genehmigte Anlage so weit zu umfassen, als es wegen der Änderung zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen gegenüber der bereits genehmigten Anlage erforderlich ist.

(...)

V. Hauptstück

Strafbestimmungen

§ 366. (1) Eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe bis zu 3 600 EUR zu bestrafen ist, begeht, wer

(...)

3. eine genehmigte Betriebsanlage ohne die erforderliche Genehmigung ändert oder nach der Änderung betreibt (§§ 81f);

(...)"

12 4.4. § 4 GewO 1994 ist Teil jener Bestimmungen der Gewerbeordnung, die deren Geltungsbereich zum Gegenstand haben. Nach dem Wortlaut des hier gegenständlichen § 4 Abs. 4 GewO 1994 sind "(d)ie Bestimmungen dieses Bundesgesetzes" unter anderem dann "nicht anzuwenden", wenn "lediglich" die Kraftfahrzeuge der Arbeitnehmer abgestellt werden. Damit wird eine Ausnahme vom Anwendungsbereich der GewO 1994 normiert.

13 Im vorliegenden Fall ist strittig, ob die Zurverfügungstellung einer von der bestehenden Betriebsanlagengenehmigung nicht umfassten Abstellfläche, die ausschließlich dem Abstellen der Kraftfahrzeuge der Mitarbeiter des gewerblichen Unternehmens dient, eine Änderung der Betriebsanlage im Sinne des § 81 GewO 1994 darstellt. 14 4.5. Das Betriebsanlagenrecht ist seit jeher von dem Grundsatz geprägt, dass sämtliche Einrichtungen und Objekte einer Anlage eine Einheit bilden und als Gesamtobjekt der Genehmigungspflicht unterliegen, einschließlich solcher Teile, die für sich genommen nicht genehmigungspflichtig wären (Stolzlechner in Stolzlechner/Wendl/Bergthaler, Die gewerbliche Betriebsanlage3, Rz 190, mwN). In diesem Zusammenhang ist auf die hg. Rechtsprechung zu verweisen, wonach bei fehlender räumlicher und zeitlicher Trennung einer Betriebsanlage, die sowohl einem gewerblichen als auch einem nichtgewerblichen Zweck dient, die gesamte Betriebsanlage der Genehmigungspflicht nach der GewO 1994 unterliegt (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2014/04/0041, mwN). 15 Nach ständiger Rechtsprechung zählen Einrichtungen, die unter Bedachtnahme auf die Kriterien des § 74 Abs. 2 Einleitungssatz GewO 1994 mit einer gewerblichen Betriebsanlage in einem sachlichen (betrieblichen) und örtlichen Zusammenhang stehen, zu dieser Betriebsanlage. Sie können, weil die GewO 1994 nicht vorsieht, dass für eine Betriebsanlage Genehmigungen mehrfach nebeneinander erteilt werden können, nicht "abgesondert" genehmigt werden. Vielmehr bewirkt die Errichtung und Inbetriebnahme einer mit einer rechtskräftig genehmigten Betriebsanlage in einem solchen Zusammenhang stehenden Einrichtung bei Erfüllung der Tatbestandsmerkmale des § 81 GewO 1994 eine genehmigungspflichtige Änderung der genehmigten Anlage, wobei die Genehmigung auch die bereits genehmigte Anlage soweit zu umfassen hat, als es wegen der Änderung zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 GewO 1994 umschriebenen Interessen gegenüber der bereits genehmigten Anlage erforderlich ist (vgl. VwGH 12.4.2018, Ra 2018/04/0092, mwN).

16 Für die Annahme eines örtlichen Zusammenhanges im dargelegten Sinn ist es nicht erforderlich, dass alle Betriebsliegenschaften unmittelbar aneinandergrenzen. Vielmehr steht eine geringfügige räumliche Trennung - etwa durch eine Straße - der Annahme der Einheit der Betriebsanlage nicht entgegen, solange die tatsächlichen Betriebsabläufe auf den Betriebsliegenschaften eine Einheit bilden (vgl. VwGH 17.3.1998, 97/04/0139, mit Verweis auf VwGH 1.7.1997, 97/04/0063). 17 4.6. Fallbezogen ergibt sich daraus: Das verfahrensgegenständliche Straferkenntnis stellt auf die Verletzung des § 366 Abs. 1 Z 3 iVm § 81 GewO 1994 wegen Änderung der genehmigten Betriebsanlage ohne Vorliegen der erforderlichen Genehmigung bzw. das Betreiben nach dieser Änderung ab (und nicht auf das Betreiben einer genehmigungspflichtigen Betriebsanlage ohne das Vorliegen der erforderlichen Genehmigung im Sinne des § 366 Abs. 1 Z 2 GewO 1994). Vor dem oben dargestellten rechtlichen Hintergrund kommt es daher fallbezogen nicht darauf an, ob § 4 Abs. 4 GewO 1994 dahingehend zu verstehen ist, dass die Zurverfügungstellung von Abstellflächen für die Mitarbeiter durch den Arbeitgeber in jeder - auch in betriebsanlagenrechtlicher - Hinsicht von den Bestimmungen der Gewerbeordnung ausgenommen ist. Vielmehr ist für die Beantwortung der relevanten Frage des Vorliegens der den Inhalt des Strafvorwurfs bildenden Änderung der genehmigten Betriebsanlage entscheidend, ob der zur Verfügung gestellte Mitarbeiterparkplatz in einem solchen betrieblichen und örtlichen Zusammenhang mit der bestehenden gewerblichen Betriebsanlage steht, dass dieser als Teil jener Einrichtungen anzusehen ist, die in ihrer Gesamtheit die Betriebsanlage bilden. Ist dies der Fall, würde es sich unabhängig von einer bei isolierter Betrachtung vorliegenden Genehmigungspflicht der betreffenden Einrichtung gemäß § 74 GewO 1994 um eine Änderung der bestehenden genehmigten Anlage handeln, die als solche unter den Voraussetzungen des § 81 GewO 1994 genehmigungspflichtig ist. Neben dem geforderten betrieblichen Zusammenhang, der sich schon daraus ergibt, dass es sich um Abstellflächen handelt, die den Mitarbeitern ausschließlich wegen ihrer Tätigkeit im Betrieb des gewerblichen Unternehmens zur Verfügung gestellt werden und damit dem gewerblichen Zweck der Betriebsanlage dienen, muss demnach als Voraussetzung für die Einbeziehung der Einrichtung in die Einheit der Betriebsanlage auch der räumliche Zusammenhang zu dieser gegeben sein.

18 Das Verwaltungsgericht geht zwar davon aus, dass der verfahrensgegenständliche Mitarbeiterparkplatz ein "Teil der gewerblichen Betriebsanlage der N GmbH" sei (angefochtenes Erkenntnis S 10f). Es ist jedoch nicht ersichtlich, auf welche Feststellungen das Verwaltungsgericht diese rechtliche Schlussfolgerung stützt. Das angefochtene Erkenntnis enthält nämlich keine Tatsachenfeststellung zu den örtlichen Gegebenheiten sowie der Situierung der Betriebsanlage und des Parkplatzes, auf welche sich die vorgenommene rechtliche Beurteilung stützen kann, der Parkplatz sei aufgrund des räumlichen Zusammenhangs so mit der genehmigten Betriebsanlage verbunden, dass im Sinne der Rechtsprechung zur Einheit der Betriebsanlage von einer Änderung der bestehenden Anlage auszugehen ist.

19 4.7. Wegen des Fehlens der für die rechtliche Beurteilung notwendigen Sachverhaltsfeststellungen liegt ein sekundärer Feststellungsmangel vor, der das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet (vgl. VwGH 27.7.2017, Ro 2017/07/0003). Dieses war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

20 4.8. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am 22. Mai 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2017040056.L00

Im RIS seit

02.08.2019

Zuletzt aktualisiert am

02.08.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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