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E000 EU- Recht allgemein;Norm
31989L0048 Anerkennungs-RL Hochschuldiplome;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zeller, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 25. August 1998, Zl. 285.076/1-VIII/D/13/98, betreffend Zulassung zur Berufsausübung im physiotherapeutischen Dienst, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde gemäß § 6b MTD-Gesetz, BGBl. Nr. 460/1992 i.d.F. des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 327/1996, ausgesprochen, daß der Beschwerdeführer auf Grund seines Diploms, ausgestellt vom Regierungspräsidium Chemnitz am 23. Mai 1996, berechtigt sei, die Tätigkeit als "Diplomierter Physiotherapeut" in Österreich berufsmäßig auszuüben (Spruchpunkt 1.). Die berufsmäßige Ausübung des physiotherapeutischen Dienstes wurde (im Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides) an die Bedingung geknüpft, daß der Beschwerdeführer entweder einen Anpassungslehrgang in der Form einer Zusatzschulung in den "Klinischen Fächern" Chirurgie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, Orthopädie, Kinderheilkunde, Neurologie und Intensivmedizin in der Dauer von 250 Stunden an einer österreichischen Akademie für den physiotherapeutischen Dienst oder eine Eignungsprüfung in den zuvor genannten "Klinischen Fächern" (Z. 6 erster bis dritter, sechster, siebenter sowie neunter Unterpunkt der Anlage 1/Teil A der MTD-Ausbildungsverordnung BGBl. Nr. 678/1993) an einer österreichischen Akademie für den physiotherapeutischen Dienst in Form einer kommissionellen Prüfung erfolgreich absolviert.
In der Begründung führte die belangte Behörde aus, zur Abklärung der Ausbildungsdauer habe sie von Amts wegen mit der staatlichen Lehranstalt für Physiotherapie in Bad Elster Kontakt aufgenommen. Die Direktion habe bestätigt, daß der Beschwerdeführer die "längere Variante" der verkürzten Ausbildung absolviert habe, welche grundsätzlich 18 Monate oder 2.100 Stunden dauere. Diese
2.100 Stunden könnten jedoch auch in einer kürzeren Zeit als 18 Monate absolviert werden.
Gemäß § 6b Abs. 1 MTD-Gesetz sei Staatsangehörigen eines EWR-Vertragsstaates, denen ein Diplom im Sinne der Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1988 (89/48/EWG) oder der Richtlinie 92/15/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung der Richtlinie 89/48/EWG ausgestellt worden sei, mit dem eine Ausbildung in einem gehobenen medizinisch-technischen Dienst mit Erfolg abgeschlossen worden sei, die Zulassung zur Berufsausübung in dem entsprechenden gehobenen medizinisch-technischen Dienst zu erteilen. Nach § 6b Abs. 2 MTD-Gesetz sei die Zulassung zur Berufsausübung an die Bedingung der erfolgreichen Absolvierung wahlweise eines Anpassungslehrganges oder einer Eignungsprüfung oder des Nachweises von Berufserfahrung zu knüpfen, wenn sich die absolvierte Ausbildung wesentlich von der entsprechenden österreichischen Ausbildung unterscheide. Zur Beurteilung der ausländischen Ausbildung könne erforderlichenfalls ein Sachverständigengutachten eingeholt werden.
Inhalt und Dauer der österreichischen Ausbildung im physiotherapeutischen Dienst sowie die entsprechenden Prüfungsvorschriften würden in der MTD-Ausbildungsverordnung BGBl. Nr. 678/1993 geregelt. Eine derartige Ausbildung entspreche einem Diplom im Sinne der Richtlinie 89/48/EWG. Die vom Beschwerdeführer absolvierte Ausbildung schließe mit einem Diplom im Sinne der Richtlinie 92/51/EWG ab und sei im Anhang C dieser Richtlinie angeführt.
Die belangte Behörde habe eine Expertenkommission für den physiotherapeutischen Dienst mit der Erstellung eines Gutachtens über die Beurteilung der ausländischen Ausbildung beauftragt. Auf Grund dieses Gutachtens seien bilaterale Gespräche mit den zuständigen deutschen Behörden geführt und die beiden Ausbildungen unter Heranziehung hochrangiger Experten einem detaillierten Vergleich unterzogen worden. Nach ausführlichen Gesprächen sei festgestellt worden, daß die gegenständliche deutsche Ausbildung in den im Spruch angeführten Fächern wesentliche Unterschiede zu der österreichischen Ausbildung im physiotherapeutischen Dienst aufweise. Dazu werde auf das dem Bescheid beiliegende Gutachten und das Protokoll vom 13. und 14. November 1995 verwiesen. Die Ergebnisse der Verhandlungen seien sowohl von der österreichischen als auch von der deutschen Bundesregierung der Europäischen Kommission mitgeteilt und von dieser zustimmend zur Kenntnis genommen worden.
Dem Einwand des Beschwerdeführers, seine berufliche Tätigkeit als Heilmasseur sei anzurechnen, sei entgegenzuhalten, daß es sich beim Beruf des Heilbademeisters und Heilmasseurs um einen Sanitätshilfsdienst handle, dessen berufliche Tätigkeit keinesfalls auf die Ausbildung im physiotherapeutischen Dienst anzurechnen sei. Die Absolvierung der im Spruch angeführten Eignungsprüfung oder des Anpassungslehrganges sei als Voraussetzung für die Berufsausübung im physiotherapeutischen Dienst in Österreich erforderlich, da in diesen Bereichen wesentliche Unterschiede zwischen der deutschen und der österreichischen Ausbildung bestünden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides, hilfsweise den gesamten Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer macht geltend, das dem angefochtenen Bescheid beiliegende, von vier Personen gefertigte und als Gutachten bezeichnete Schreiben vom 19. September 1995 und seine Beilagen seien ihm im Verfahren nicht vorgehalten worden. Ein im angefochtenen Bescheid genanntes "Antwortschreiben der Europäischen Kommission, eingelangt am 20. März 1998" sei ihm während des Verfahrens vorenthalten worden. Ein von ihm am 4. September 1998 gestellter Antrag auf Übersendung des Aktes an das Amt der Vorarlberger Landesregierung zum Zweck der Akteneinsicht sei unbeachtet geblieben.
Dieser Antrag konnte schon deshalb nicht zu einem (zusätzlichen) Verfahrensmangel führen, weil er erst nach Erlassung des angefochtenen Bescheides gestellt wurde. Im übrigen besteht entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers keine Verpflichtung der Behörde zur Aktenübersendung an eine von ihm bezeichnete Behörde zum Zweck der Akteneinsicht (siehe dazu die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, unter § 17 AVG E Nr. 3a zitierte hg. Rechtsprechung). Dem Beschwerdeführer stand es frei, Akteneinsicht bei der belangten Behörde zu nehmen. Daß ihm die Akteneinsicht verweigert worden wäre, behauptet der Beschwerdeführer nicht und ist auch den vorliegenden Verwaltungsakten nicht zu entnehmen.
Soweit der Beschwerdeführer rügt, daß ihm ein Schreiben der Europäischen Kommission nicht zur Kenntnis gebracht worden sei, ist ihm zu erwidern, daß die belangte Behörde auf Grund dieses Schreibens ihre zunächst im Verfahren eingenommen Position, eine Zulassung gemäß § 6b MTD-Gesetz komme wegen der Umgehung der österreichischen Vorschriften für die Ausbildung im physiotherapeutischen Dienst nicht in Betracht, offenbar aufgegeben hat, andernfalls die im Spruchpunkt 1. verfügte Zulassung zur Berufsausübung nicht erfolgt wäre. Das Schreiben der EU-Kommission hatte auf das Verfahren keine für den Beschwerdeführer nachteilige Auswirkung. Die belangte Behörde stützt ihren Bescheid, insbesondere dessen Spruchpunkt 2. nicht darauf. Die Gewährung des Parteiengehörs dazu war demnach nicht erforderlich.
Der Beschwerdeführer vertritt primär die Auffassung, daß der von der belangten Behörde gezogene Ausbildungsvergleich gar nicht hätte stattfinden dürfen, weil nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften ein Rückwanderer im Herkunftsland berufsausübungsberechtigt sei, wenn er im Ausbildungsland eine nach dem Recht des Ausbildungslandes vollwertige geschlossene Ausbildung absolviert habe. Der Beschwerdeführer zitiert in diesem Zusammenhang eine Reihe von Urteilen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (nämlich die Urteile Knoors vom 7. Februar 1979, Rs 115/78, Broekmeulen vom 6. Oktober 1981, Rs 246/80, Vougioukas vom 22. November 1995, Rs C-443/93, Slg. 1995, I-4033, Auer vom 22. September 1983, Rs 271/82, Rienks vom 15. Dezember 1983, Rs 5/83, und Van de Bijl vom 27. September 1989, Rs 130/88).
Dem Beschwerdeführer ist diesbezüglich entgegenzuhalten, daß keines dieser Urteile den Fall eines Berufszuganges auf Grund der Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise nach der Richtlinie 92/51/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 betrifft. Diese Richtlinie sieht aber (in ihrem Art. 4 Abs. 1 lit. b) - ebenso wie die Richtlinie 89/48/EWG - die Berechtigung des Aufnahmestaates vor, vom Antragsteller die Absolvierung eines höchstens dreijährigen Anpassungslehrganges oder die Ablegung einer Eignungsprüfung bei wesentlichen Ausbildungsunterschieden zu verlangen. Insofern hat § 6b Abs. 2 MTD-Gesetz eine entsprechende gemeinschaftsrechtliche Grundlage. Die belangte Behörde war daher entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers berechtigt, den Vergleich zwischen der Ausbildung nach den österreichischen Ausbildungsvorschriften und der vom Beschwerdeführer in der Bundesrepublik Deutschland absolvierten zu ziehen.
Die belangte Behörde stützte sich in diesem Zusammenhang auf ein - nicht im vorliegenden Verwaltungsverfahren eingeholtes - Gutachten vom 19. September 1995, das zwei Abteilungsvorstände von Instituten für physikalische Medizin an öffentlichen Krankenanstalten und zwei Direktorinnen von Akademien für den physiotherapeutischen Dienst an diesen Krankenanstalten unterfertigt haben. Der Beschwerdeführer rügt in diesem Zusammenhang mit Recht, daß ihm zu diesem für den Verfahrensausgang entscheidenden Beweisergebnis kein Parteiengehör gewährt wurde.
Das Gutachten im Sinne des § 6b Abs. 2 MTD-Gesetz hat die ausländische Ausbildung des Antragstellers darzustellen und die Unterschiede zur österreichischen herauszuarbeiten. Mit ausländischen Experten geführte Gespräche des Sachverständigen können hilfreich bei der Befundaufnahme sein, ersetzen aber nicht die Darstellung des entsprechenden Befundes - der nicht Gegenstand von Verhandlungsergebnissen sein kann - und die daraus gezogenen Schlüsse. Soweit die belangte Behörde in ihrem Bescheid auf ein Protokoll vom 13. und 14. November 1995 verweist, handelt es sich demnach um keine ausreichende Begründung für die im Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides formulierte Bedingung.
Auch das Gutachten vom 19. September 1995 stellt ohne nähere Begründung keine ausreichende Grundlage für diese Bedingung dar. Nach der Aktenlage ist anzunehmen, daß die belangte Behörde davon ausgegangen ist, beim Beschwerdeführer handle es sich um den auf S. 3 und 5 des Gutachtens beschriebenen Fall eines zum Physiotherapeuten umgeschulten Heilmasseurs nach der (deutschen) Ausbildungsordnung 1994, für den (auf S. 3 des Gutachtens) die Vorschreibung einer Eignungsprüfung "im MTD-AV-Punkt 10a, sowie 12a, 12b, 12c" vorgeschlagen wird. Diese Ausführungen beziehen sich offenbar auf die die "Theoretische Ausbildung im physiotherapeutischen Dienst" betreffende Anlage 1/Teil A zur MTD-Ausbildungsverordnung BGBl. Nr. 678/1993, in deren Z. 10 erster Teilstrich "Physiotherapeutische Behandlungstechniken und -konzepte einschließlich funktionelle Therapie" und in deren Z. 12 erster bis dritter Teilstrich die Anwendung aller physiotherapeutischen Maßnahmen in den Bereichen der Prophylaxe, Therapie und Rehabilitation auf den Gebieten Chirurgie, Unfall- und Sportmedizin und Orthopädie genannt wird. Ohne auf die Notwendigkeit der im Gutachten vorgeschlagenen Eignungsprüfung bzw. des Anpassungslehrganges auf diesen Gebieten im einzelnen einzugehen, fällt auf, daß die im Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides genannten "Klinischen Fächer" (Z. 6 der Anlage 1/Teil A zur MTD-Ausbildungsverordnung) im Vorschlag des Sachverständigengutachtens vom 19. September 1995 nicht enthalten sind. Dieses Gutachten stellt demnach keine taugliche Grundlage für die im Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides formulierte Bedingung dar.
Da dieser Spruchpunkt vom übrigen Inhalt des angefochtenen Bescheides nicht trennbar ist, war der angefochtene Bescheid zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften nach § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Im Hinblick auf die Erledigung der Beschwerde erübrigt sich eine Entscheidung über den mit der Beschwerde verbundenen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bzw. auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung mit der Wirkung, daß Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides für die Dauer des Beschwerdeverfahrens unanwendbar sei.
Wien, am 9. Februar 1999
Schlagworte
Anforderung an ein GutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998110240.X00Im RIS seit
20.11.2000